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rezensiert von Walter Sorger
"Caylus" ist ein real existierendes Städtchen in Frankreich, ein paar Meilen nördlich von Toulouse, und selbst für Franzosen nicht gerade geläufig. Dieses kleine Städtchen ist tatsächlich der Namensgeber für das Spiel "Caylus": hier hat vor knapp 8 Jahrhunderten der schöne Philipp mitten in die Pampas ein Schlösschen bauen lassen, und die Szenerien beim Schlossbau, das Ansiedeln der Handwerker, das Anwachsen von Hütten und Häusern, die Fronarbeit an den Schlossmauern bis zum selbstbewussten Errichten bürgerlicher Prachtbauten in der Stadt waren die Vorbilder, die der Spieleautor William Attila seiner Schöpfung untergelegt hat.
Auf zwölf sehr sorgfältig und übersichtlich zusammengestellten Regelseiten wird das Werk beschrieben. Im Prinzip geht es darum Bausteine zu sammeln, Häuser zu bauen oder zu modernisieren und dafür Siegpunkte zu kassieren. Doch die Details dieser Abläufe sind äußerst vielfältig und höchst komplex. Pro Runde darf ein Spieler bis zu 6 Aktionen durchführen: Jeder Zug hat unterschiedliche Auswirkungen auf die nachfolgenden Entwicklungsmöglichkeiten, und ständig muß man gegen die Engpässe an Geld und Baumaterial kämpfen.
In der folgenden Graphik ist schematisch dargestellt, welche internen Abhängigkeiten in den Mechanismen von Caylus eingebaut sind. Jeder einzelne Pfeil in dieser Darstellung hat seine eigenen Eigenschaften und Bewandtnisse. Jeder Zug erfordert besondere Voraussetzungen und liefert eigenständige Ergebnisse zum Spielablauf.
Glücklicherweise muss man sich das nicht alles merken, mittels Piktogrammen auf dem Spielbrett ist jede Abhängigkeit hervorragend abzulesen. Doch um den Einfluss eines Zuges auf das Gesamtergebnis, auf Sieg oder Nicht-Sieg im ganzen Spieles bewerten zu können, muss man mehr oder weniger alle Einzeleffekte in ihren langfristigen, sich kumulierenden Beiträgen in Kopf haben.
Kein Wunder, dass hier der Ruf nach einer Excel-Tabelle laut wird, in der die Züge quantifiziert werden und daraus eine Gewinn-Strategie abgeleitet werden kann. Doch wir wollen uns diesem schweißtreibende nicht unterziehen und "Caylus" lieber als Spielgenuss erleben, und uns dabei an dem Meisterwerk von ineinander greifenden Rädchen und Federn erfreuen.
Es ist enorm wichtig, in der Zugreihenfolge vorne zu sein. Jeder Spieler benötigt für seine - kurzfristigen - Spielziele bestimmte Aktionen und wenn diese bereits von anderen Spielern belegt wurden, hat man das Nachsehen. So ist der Kampf um die Startspielerposition einer der vielen internen Wettläufe im Spiel. Für den Sieg muss man regelmäßig (und frühzeitig!) einen seiner 6 Spielzüge opfern, um Startspieler zu werden; keinesfalls darf man mit dieser Option zu sparsam umgehen.
Das Spiel erlaubt in jeder Phase, gute Einzelzüge zu tun. Doch um zu gewinnen sollte man sich nicht in allzu vielen verschiedenen Richtungen verzetteln. In unseren Runden wurden zwei verschiedene Gewinn-Strategien verfolgt:
1) Ausgeprägte Gebäudestrategie.
Es gehört ein etwas längerer Atem dazu, hochwertige Gebäude zu errichten; man muss den steinigen Weg über eigene Holzhäuser gehen, um schließlich mittels Notar und Architekt zu Wohn- und Prestigehäusern zu gelangen. Jedes Mal muss man dazu genügend Baumaterial zusammengetragen haben. Dafür winken am Ende satte 16 bzw. 25 Siegpunkte für ein Hotel oder die Kathedrale.
2) Ein verstärktes Streben nach der "Gunst der Königs".
Möglichkeiten dazu sind über die rege Beteiligung am Schlossbau und über den Turnierplatz gegeben. Wenn man die erworbene Gunst konsequent in Prestigepunkte umsetzt, kann man in der Endphase mit relativ einfachen Mitteln jeweils 5 Siegpunkt kassieren. Durch verstärkten Schlossbau wird zudem noch das Spiel verkürzt, und so der Punkte-Segen für die Mitspieler mit ausgeprägter Bauneigung am Ende etwas eingedämmt.
Sicherlich gibt es noch weitere, grundsätzlich andere Siegstrategien. "Caylus" wird seine Geheimnisse so bald und so einfach nicht preisgeben. Verzeiht es Spielfehler? Bei uns wurde darüber unterschiedlich diskutiert. Gravierende Einbrüche wie z.B. bei "1830" kommen in "Caylus" nicht vor. Das Spiel ist konstruktiv und für jeden geht Besitz- und Punktestand ständig nach oben. Doch die Spielerträge sind progressiv: wer viel hat dem wird auch viel gegeben. Wer am Anfang die falschen Weichen gestellt hat, kann schon mal ins Hintertreffen geraten. Dafür hat das Spiel auch ausgleichende Elemente. Beim neu zugeteilten Geld werden Arme und Reiche gleichermaßen beteiligt und wer in einer Runde mal deutlich weniger Masse zur Verfügung hat, kann frühzeitig passen und damit die weiteren Aktivitäten der Mitspieler erheblich verteuern.
Alles in allem: "Caylus" ist das mächtigste, komplexeste und zugleich ausgereifteste Spiel der letzten Jahre. Bescheidener ausgedrückt: "Caylus" ist eines der mächtigsten, komplexesten und zugleich ausgereiftesten Spiele unserer Zeit.
Zum Schluss noch einen Anhang für die Puristen der Sprache. Wir haben ein bisschen gerätselt, ob "Caylus" mit "ä" oder "a-i" gesprochen wird und ob man das "s" am Ende mitspricht oder nicht. Das Office de Tourisme in Caylus hat entschieden: Das "a-i" und das "s" haben gewonnen: "La prononciation de Caylus se rapproche de ceci : ka-ilüss (on prononce le "s")."
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