cover
Autor Dirk Liekens
Verlag Argentum Verlag
erschienen 2008
Spielerzahl 3-4
Spieldauer 60 Minuten
Wertung red starred starred starred starred starred starred starred stargray stargray star

Wind River

rezensiert von Walter Sorger

Ab wann hat ein Spiel ein Thema? Wenn es einen märchenhaften Titel besitzt und wunderschöne Plastik-Elefanten als Spielpöppel enthält? Das reicht wohl nicht. Ein Schachspiel enthält hübsche Pferdchen und Könige und ist dennoch ein rein abstraktes Spiel. Ich will die Eingangsfrage nicht weiter verfolgen. Auf "Wind River" angewendet gilt: Es hat Namen und Thema nach einem Indianer-Reservat in den Rocky Mountains, es enthält eine Herde von wohlgeschnitzten Holzbüffeln als Spielsteine, fünfflächige Tipis (Indianerzelte) aus Papier für die Familien, naturfarbene Holzwürfel als Nahrungsvorrat und ist trotz allem ein höchst abstraktes Spiel.

Auf dem Spielbrett sind in sechs Reihen Hexagons eingezeichnet, die eine Büffelweide darstellen. Zu Spielbeginn werden in der linken Spielhälfte auf jedes Hexagon zwei Büffel plaziert. Anschließend darf jeder Spieler auf beliebige Felder des Spielbretts zwei eigene Tipis stellen. Und schon geht's los, nach ganz einfachen Spielregeln:

  1. Pro eigenem Tipi darf ein Spieler einen Büffel um ein Feld bewegen. Immer in Vorwärtsrichtung auf den rechten Spielfeldrand zu.

  2. Nach der Büffelbewegung wird die Versorgungslage überprüft: Für jedes Tipi, auf dessen Hexagon kein Büffel steht, muß der Spieler einen Vorratswürfel abgeben.

  3. Als zweite Aktion darf der Spieler eine von vier Alternativen wählen:
    1. Gegen drei Vorratswürfel darf er sich ein neues Tipi zulegen.
    2. Für jeden überzähligen Büffel auf allen Feldern mit eigenen Tipis darf er sich einen Vorratswürfel nehmen.
    3. Er darf eines seiner Tipis um ein Hexagon weiterziehen.
    4. Er darf einen weiteren Büffel um ein Feld vorwärtsbewegen.

Dazu gibt es in paar kleinere Randbedingungen zu beachten, die extreme Spielmanöver beschneiden und dem Spiel taktische Feinheiten erlauben:

  1. Jeder Spieler darf nur maximal zehn Vorratswürfel besitzen.

  2. Neue Tipis dürfen nur dort eingesetzt werden, wo schon ein eigenes Tipi steht.

  3. Neue Tipis dürfen nicht auf Hexagon eingesetzt werden, wo auch fremdes Tipis stehen.

  4. Beim Ermitteln von neuen Vorratswürfeln werden keine Hexagon mitgezählt, auf denen auch fremde Tipis stehen.

Das ist der ganze Regelzauber: einfach, übersichtlich, und leicht zu merken. Aber welch eine ungeheure Fülle von strategischen Vorgehensweisen liegt darin!

Schon das optimale Einsetzen der Tipis ist eine Geheimwissenschaft. Die vorderen Tipis sind eher am Ziel und können dort die effizientesten neuen Tipis gebären. Dafür stehen sie unter starker Konkurrenz-Beobachtung. Hier werden einem die Büffel schneller unter dem Hintern weggezogen, als es einem lieb ist. Die Tipis im hinteren Bereich können dagegen längere Zeit eine Schläferexistenz führen und ihr Dasein als Nahrungslieferanten für die Großfamilie fristen.

Die nächste grundsätzliche strategische Frage geht darum, wie viele Tipis soll ich mir zulegen? Am Anfang schwelgen alle Spieler noch reichlich in Büffelvorräten und alle hungrigen Münder können leicht durchgefüttert werden. Mehr Tipis schaffen mehr Bewegungsfreiheit, ein klarer Vorteil. Doch sind die frühen Tipis alle noch sehr weit von der Ziellinie weg, und geraten früher oder später in Nahrungsengpässe. Eine Majorität an Tipis schafft zudem Neider, und wenn alle Mitspieler zusammenhalten und gezielt die Büffelherden davon treiben, dann kann auch eine größere Bewegungsfreiheit nicht vor dem Hungertod retten.

Soll ich meine Tipis in der Nähe der Mitspieler halten oder soll ich mir lieber abseits ein eigenes Revier suchen? Wo Nachbarn sind, gibt es auch Büffel, und man kann die Viehwirtschaft leichter zu gemeinsamen Nutzen betreiben. Zumindest solange der Nachbar gutartig ist. Doch im Kampf um den Sieg ist es kein Nachbar lange gut. Unweigerlich mausert er sich zum Egoisten, und in einem einzigen unbedachten Augenblick sind er und die gemeinsamen Büffel über alle Berge.

In welcher Formation soll ich meine Tipis führen: in Tuchfühlung beieinander oder verstreut über die verschiedenen Brennpunkte des Spielbrettes hinweg? Ich halte es für lukrativ, zumindest einen Tipi im hinteren Bereich zu belassen, wo die gesamte Büffelherde vorbeiziehen muß, und demnach eine ganze Weile Nahrung vorhanden sein wird. Ein weiteres Tipi sollte man unverzüglich unmittelbar bis vors Ziel bewegen, wo es dann neue Tipis aufs Spielbrett bringt, die im nächsten Zug die Ziellinie überschreiten können. Doch sicher ist so eine Vorgehensweise nicht. Die Mitspieler können einem solchen Vorposten leicht seinen Aktionsradius nehmen.

Wie viele Vorräte brauche ich? Zehn ist das Maximum und zu Beginn kann man seine Scheuen problemlos voll machen. Zu diesem Zeitpunkt erscheint mir die Vorratswirtschaft von zweitrangiger Bedeutung. Doch im Mittelspiel, wenn die Büffelherde sich langsam ausdünnt, schälen sich unmerklich an verschiedenen Stellen des Spielfeldes die Siegerpositionen heraus. Um hier erfolgreich mitmischen zu können, sollte man mit maximalen Vorräten in den Endkampf gehen. Wer zuletzt lacht, lacht am besten.

Zwei volle Seiten spendiert das Regelheft für Tips und Tricks zu gutem Spiel. Dazu gehört auch, daß man mit seinen Mitspielern verhandelt und ihnen Vorschläge für abgestimmte Bewegungszüge zum gegenseitigen Vorteil unterbreitet. Dieses unerschöpfliche diplomatische Betätigungsfeld haben wir weitgehend ungenutzt gelassen. Für uns sind die Indianer keine Krämerseelen, sondern edle Schweiger, die sich mit Gesten und Gebaren verständigen, über ihre bewährte Büffelpolitik aber nicht viele Worte verlieren. Die strategische Herausforderung, mit Büffeln, Tipis und Vorräten eine optimale konkurrierende Ökologie zu betreiben hat uns vollständig in Hochspannung gehalten. Auch nach unterschiedlichsten Herangehensweisen ist das Wissen um die Weichenstellung zum Sieg noch in weiter Ferne. Doch jedesmal reizt die Aufgabe von Neuem. Gewaltig.

Mit "Wind River" ist dem Argentum Verlag ein ganz großer Wurf gelungen.

Kommentare lesen/schreiben

©2009, Westpark Gamers