15.02.2012: Karten, Köpfe und Kamele

„Bei Sex bin ich immer dabei!“ Mit ausdrücklicher Genehmigung seiner lieben Frau durfte Horst diese erwartungvolle Botschaft an die Teilnehmer-Registration am Westpark schicken. Doch im letzten Moment sagte Andrea noch ab; da waren es nur noch fünf.

1. “On the cards”
Ein Stichkartenspiel mit den normalen Rommé-Canasta-Bridge-Karten. Für die vielen möglichen Mechanismen zum Teilen, Karten-Auspielen, Stich-Definition, Stich-Gewinnen und Spiel-Ziel haben die Autoren die Stichspiele der Welt durchforstet und eine ganze Latte verschiedener Regeln zusammengestellt, die wir in ständig wechselnder Kombination durchspielen. Z.B.:

  • Beim Austeilen erhält jeder Spieler mal 5, 7, 8, 10 oder gar 13 Karten, die übrigen Karten werden gelegentlich nachgezogen oder kommen aus dem Spiel
  • Beim Ausspielen legen wir mal eine einzelne beliebige Karte, mal Poker-Kombinationen auf den Tisch, mal müssen wir maumau-artig der Farbe oder dem Kartentyp des Vorgängers folgen, mal muß unsere Karte höher sein, mal sind die Zweien Joker und dürfen anstelle jeder anderen Karte eingesetzt werden
  • Ein Stich ist fertig, wenn entweder alle Spieler reihum gepaßt haben, wenn drei Karten einer Farbe auf dem Tisch liegen, wenn man wieder an der Reihe ist und selber bereits die höchstwertige Karte auf den Tisch gelegt hat, un wat et nich al jibt
  • Man gewinnt oder verliert Punkte für gemachte Stiche, für die Anzahl Karten in den gemachten Stichen, für den letzten bzw. vorletzten Stich, für die Restkarten in der Hand, un wat et nich al jibt
  • un wat et nich al jibt

Wenn eine Kartenhand abgespielt ist, bekommt der Gewinner einen Siegpunkt, anschließend wird eine der Verteil-Ausspiel-Stich-Gewinn-Regeln verändert. Moritz hielt diese Methode für einen „Spiel-des-Jahres-Generator“.
Bei jeder Regeländerung diskutierten wir mindestens fünf Minuten lang über die Konsequenzen und Randbedingungen, z.B. ob man mit einem Joker zwei Pik-Asse ausspielen darf, wer den Stich bekommt, wenn mittels Joker zweimal die gleiche höchste Karten auf dem Tisch liegt, ob man freiwillig passen darf oder nur wenn man den Ausspielregeln nicht folgen kann, wie es mit Spieler und Stich weitergeht, wenn einer seine letzte Karte gespielt hat, und dergleichen mehr. Eine Minute später war die Hand abgespielt und die nächste Regeländerung stand an.

Moritz sah eine Möglichkeit für Kartenpflege, aber er verriet sie nicht. Zumindest nicht überzeugend. In einem Chaos von fünf Mitspielern mit ungezählten Möglichkeiten 1, 2 oder 3 Karten hinzulegen ohne die begonnene Kartenfarbe bedienen zu müssen, wo man sogar kartenpflegerisch passen und überhaupt keine Karte zugeben kann, ist es gewiß nicht der Mühe wert, sich alle gespielten Karten zu merken, um auf den noch übrig gebliebenen Restkarten eine Gewinnstrategie aufzubauen. Kaum freut man sich über die nahezu unschlagbare Poker-Kombination von drei Assen in der eigenen Hand, wird man von den billigen Joker-Karten des Nachbarn überstochen.

WPG-Wertung: Aaron: 4 (interessant, macht aber nicht genug Spaß), Günther: 5 (ein Drittel der Regelauswahl könnte für ein mögliches Spiel dienen, ein Zehntel davon würde vielleicht sogar ein gutes Spiel ergeben), Horst: 5 (hat sich durch geschleppt), Moritz: 7 (lustig), Walter: 3 (kein Spielspaß, kein „to have a plan“).

Solange die SdJ-Jury den begehten Spielepreis nicht auswürfelt, sollte man doch besser aus den existierenden Regeln für Stichkartenspiele eine feste-beste Kombination analysieren und damit auf den Markt kommen. Minderwertige Kombinationen verwässern die Suppe und reine Regel-Gags punkten auch nur für ein paar Sekunden. Wenn überhaupt.

2. “X Pasch”
Horst hatte das 16 Jahre alte Spiel aus seiner Sammlung mitgebracht, weil es das erste Spiel auf unserer Internet-Seite sein wird, das mit dem Buchstaben X beginnt. In einem Karten-Würfel-Kombinationsspiel ziehen wir Firmenkarten vom verdeckten Stapel in unsere Kartenhand und würfeln mit jeweils 3 Würfeln um die Genehmigung, eine Karte davon auszulegen oder uns an den bereits ausgelegten Firmen der Mitspieler zu beteiligen. Für manche Firmenkarten muß man Paschs oder Würfelsummen von 16 und mehr Augen würfeln, dafür zahlen diese Firmen später auch gleich 8 bis 9 Euros als Rendite. Billigheimer hingegen werden schon für die Augenzahl 3 angeboten, bringen aber nur einen griechischen Euro als Rendite ein.

Für Besitz oder Beteiligung an einer Firma legen wir eine definierte Anzahl von Vorstandsmitgliedern (Holzköpfe) auf die entsprechende Karte. Zum besseren Zählen dürfen 5 Holzköpfe durch eine Holzlatte oder „Stange“ ersetzt werden. Diese Wortassoziation lieferte heute den meisten Spaß. Spieler mit der längsten Stange konnten reihenweise die Firmen übernehmen und Horst fand es geil, an einer einzigen Position zwei Stangen zu haben.
Wenn ein Spieler an der Reihe ist, wird ermittelt, an wievielen Firmen er die relative Mehrheit besitzt. Von all diesen Firmen bekommt er die Euro-Rendite als Siegpunkte gutgeschrieben. Danach würfelt er und modelt die Besitzverhältnisse entsprechend um. Man muss also mindestens eine ganze Runde lang Mehrheitsaktionär sein und kein Mitspieler darf einem hier verdrängt haben, bevor man die Rendite bekommt.

Aarons Image entsprechend hatte er nur die schlechtesten Firmenkarten gezogen und die unglücklichsten Würfelwürfe hingelegt. Um ihm Balsam auf die frustrierte Zunge zu streichen, verriet ihm Horst selbstlos sogar Würfelkombinationen, die ihn in seinen eigenen Firmen entmachteten. Wenn 20 oder 30 Firmenkarten auf dem Tisch liegen, ist es auch nicht mehr so durchsichtig, wie man die Augenzahlen kombinieren muß, um dem schärfsten Konkurrenten die möglichst besten Firmen zu nehmen und/oder sich die möglichst besten Firmen unter den Nagel zu reißen oder zu sichern. Selbst eine halbwegs befriedigende Lösung kostet dabei schon eine Menge Denk- und Kombinierzeit. Leider.

Hier besitzt das Spiel auch erhebliche Kingmaker-Effekte, vor allem in den Schlußrunden, wenn man nicht mehr selber gewinnen kann. Welchem Konkurrenten man dann in welchen Firmen die Mehrheiten wegnimmt, ist meist nicht mehr rational begründbar. Für Aaron war die letzte Runde nur noch eine „Stänkerrunde“.

WPG-Wertung: Aaron: 4 (zu große Downtime), Günther: 6 (schöne Grundidee, der Feinschliff fehlt), Horst: 6 (war heute auf Würfelspiel eingestellt), Moritz: 4 (sollte in einer 3er Runde besser zu spielen sein; man kann sich nicht wehren), Walter: 5 (lustiges Würfelspiel, will auch nicht mehr sein).

3. “Tuareg”
Ein Karten-Sammel-Spiel mit einer mehrstufigen Sammeltechnik.

  • Wir nehmen jeweils drei Karten vom verdeckten Nachziehstapel auf die Hand.
  • Wir legen eine Karte aus der Hand auf den öffentlichen Nachziehstapel.
  • Wir legen Karten aus den Hand oder vom öffentlichen Nachziehstapel in zwei private Ablagestapel.
  • Wir kaufen mit Karten aus unserer Kartenhand bzw. mit Karten aus unseren privaten Ablagestapeln die Erlaubnis, weitere Ablagestapel anzulegen oder Karten aus den Ablagestapeln der Mitspieler zu klauen.

Das Ganze ist eingekleidet in eine Nomadengeschichte aus Timbuktu: Die Karten heißen Warenkarten für Gold, Salz, Knoblauch und Wasser, die Ablagestapel heißen Kamele, der öffentliche Nachziehstapel heißt Markt und die Karten für Sondererlaubnisse heißen Esel, Höhle oder Dieb.

Wenn der verdeckte Nachziehstapel aufgebraucht ist, erfolgt die erste Wertung: Wer die meisten Karten einer Warensorte gestapelt hat, bekommt je nach Ware 3, 4, 5 oder 6 Punkte, die anderen gehen leer aus. Dann werden alle abgelegten Karten neu gemischt und ein zweites Mal durchgearbeitet. Wer dann die meisten Punkte hat, ist Sieger.

Walter schaffte die reife Leistung, auch nach der zweiten Wertung immer noch keinen einzigen Siegpunkt auf seinem Konto zu haben. Vielleicht eine Spiel-Premiere am Westpark. Aber mit Sicherheit ein Zeichen für mangelndes Spieldesign. Wenn 44 Warenkarten in 3er Packungen von 5 Spielern weggenommen werden, dann ist nach nicht einmal 3maliger Entnahme pro Spieler das Spiel zu Ende. Auch wenn man noch weitere 3 Spielzüge für Kartenablage oder Kauf investieren kann, ist das doch noch viel zu wenig für einen Spielaufbau. Das funktioniert höchstenfalls für deutlich weniger Spieler. Dann hätte man das Spiel aber nicht für 5 Mitspieler freigeben dürfen.

Da – neben marginalen Chancen für Sonderpunkte – im ganzen Spiel nur 2 mal für 4 Kriterien Siegpunkte vergeben werden, klopft überall nur Hunger und Elend ans Fenster.

WPG-Wertung: Aaron: 3 (vermutet, dass das Spiel mit weniger Mitspielern funktioniert), Günther: 3 (3 reale Punkte für eine 5er Runde, 5 virtuelle Punkte für eine 3er Runde), Horst: 4 (netter Mechanismus), Moritz: 1 (für die 5er Runde), Walter: 1 (für die 5er Runde).

4. “Bluff”
Bei noch 14 ausstehenden Würfeln fing Günther mit 5 mal die Fünf an. Moritz zweifelte an und deckte seinen Becher auf: 3 mal keine Fünf. Aaron deckte auf: 4 mal keine Fünf, Walter deckte auf: 2 keine Fünf. Drei mal großes Gelächter. Günther deckte auf: 4 mal die Fünf und einmal der Stern. Drei mal großes Entsetzen!

Horst und Moritz waren mit der vorletzten U-Bahn abgedüst, und Walter war Zuschauer im langwierigen 5:5 Endkampf zwischen Aaron und Günther. Spannend ist das Zuschauen allemal, befriedigend für ihn war noch dazu, dass beide Kontrahenten konsequent seine Immer-4-Strategie verfolgten. Kann es sein, dass trotz mathematisch-statistischer Gegenhypothese die 1-mal-die-Vier-Vorgabe einfach den größeren psychologischen Reiz ausübt?
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

Ein Gedanke zu „15.02.2012: Karten, Köpfe und Kamele“

  1. Da lagen also drei Spiele auf dem Tisch, die sich zwar als 5-Spieler-Spiele ausgeben, aber zu fünft einfach nicht spielbar sind. Entsprechend schlecht fielen dann auch die Wertungen aus.

    Während bei „On The Cards“ zu fünft die Schwäche hauptsächlich in der Möglichkeit liegt, untaugliche Regelkombinationen für eine Fünferrunde zustande zu bringen (mal davon abgesehen, dass das dauernde Regelwechseln an sich schon nervig sein kann, da manche nicht unbedingt eingängig sind), fühlt man sich bei „X-Pasch“ zu fünft nur noch gespielt. Ein eigener Würfelwurf steht vier gegnerischen gegenüber und wenn man endlich wieder an der Reihe ist, hat sich die Spielsituation oft grundlegend geändert. Gut, das ist bei einigen anderen Würfelspielen zu fünft nicht anders, aber dafür geht es dort locker und schnell zur Sache. Bei „X-Pasch“ grübelt jeder nach seinem Wurf vor sich hin und versucht die optimale Zuordnung der Würfelaugen hinzugekommen. Da dauert es dann gerne schon mal 5 Minuten, bis man wieder dran ist. Ätzend zu fünft und (vermutlich) taktisch herausfordernd zu dritt.

    „Tuareg“ zu fünft funktioniert dagegen nicht einmal. Keine Ahnung, warum Adlung meint, die Spielerzahl so hoch anzusetzen. Zu dritt oder viert kann ich mir vorstellen, dass so etwas wie eine Taktik möglich ist und Käufe von Dieb oder Höhle sogar einen strategischen Sinn machen. Vielleicht hätte ich einfach nur Landkarten kaufen sollen. Drei bis vier wären wohl drin gewesen bei unserem Spiel (oder gibt es so viele gar nicht?) und damit hätte ich wohl den ersten oder zweiten Platz gemacht.

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