11.01.2017: Great Western Trail

Was macht Spaß? Lassen wir die von der Evolution herausgearbeiteten biologischen Späße wie Flirten, Liebelei und Sex mal außen vor, so werden von einigen Westpark-Gamers mindestens noch Sport, Musik, Fotografieren, Kochen, Lesen, Analysieren und Forschen, sowie PC-Spielereien als Freude bzw. Spaß bringende Freizeitgestaltung praktiziert.

Und was macht beim Brettspielen Spaß? Hier hat natürlich jedes Individuum seine eigenen Vorlieben. Die Welt spielt Monopoly, Moritz mag Spiele mit Themen, Günther mag Planung und Organisation, Horst Würfeln und Wuseln und Peter „gutes deutsches Spielgut“. Aaron und Walter mochten vor dreißig Jahren die neuen abendfüllenden Spiele, für die Avalon Hill ein Pionier war. Und alle zusammen mögen wir Eisenbahnspiele mit Aktien.

Die heutigen komplexen Workerplacement-Spiele machen aber zumindest den beiden Senioren keinen Spaß mehr. Wir sind doch schon in Rente! Wir möchten am Spieltisch doch keine Arbeiter mehr beauftragen, keine Erbsen mehr zählen, und keine umfangreichen Excel-Tabellen mehr im Kopf durchrechnen. Kein Blut, Schweiß und Tränen sind angesagt. Eine spritzige Spielidee und die Interaktion miteinander, das macht Spaß.

Bei Wikipedia findet man den Satz: „Ein häufiger Begleiter des Spaßes ist die Forderung, ihn zu vermeiden.“ Könnte das denn das Motto der heutigen Generation von Spieleautoren sein? (Hallo Ihr Autorenfreunde, Ihr seid alle explizit davon ausgenommen!)

Jetzt also Spaß beiseite!

1. “Great Western Trail”

„Great Western Trail“ : Was soll ich jetzt tun?

Das Spiel hat 2016 in Essen riesigen Anklang gefunden und bekam innerhalb der Spielbox-Spielergemeinde sensationell gute Noten. Es ist auch alles rund und schön, professionell designed, gut ausbalanciert, hübsch ausgeführt und gefällig produziert.

Dem Thema nach sind wir Viehzüchter, treiben unsere Rinderherden von Texas nach Kansas City, wo wir sie in Waggons aufladen und auf die Reise zu den Verbrauchsstädten im Westen senden. Durchschnittlich sieben mal pro Kopf und Spiel, bringen wir unsere Herde in Kansas City an, immer wieder auf dem gleichen Weg, für den es abschnittsweise immer zwei Alternativen gibt.

Pro Zug dürfen wir mit unserer „Herde“ ein bis vier Felder vorwärts gehen, wobei die Anzahl der zurückzulegenden Felder auf dem Spielbrett von Runde zu Runde wächst. Bei Spielbeginn gibt es nur ein paar wenige öffentliche Felder (Dorf-Plättchen) auf dem Spielplatz, wo wir anhalten und unsere großen oder kleinen Geschäfte erledigen können. Im Spielverlauf bauen (legen) alle Spieler weitere Dorf-Plättchen an beliebigen Stellen der Gesamtstrecke, die dem jeweiligen Besitzer eigene Geschäfte ermöglichen, insgesamt aber die zurückzulegende Felderanzahl erhöhen und damit das Vorwärtskommen für alle Spieler verlangsamen.

Als „Geschäfte“ dürfen wir auf jedem Feld feldspezifische Aktionen durchführen:

  • Rinder kaufen (fünf verschiedene “teure” Rinderrassen stehen zur Auswahl)
  • Rinder verkaufen (auf jedem Feld wird eine bestimmte Rasse verlangt)
  • Mitarbeiter (Cowboys, Handwerker oder Ingenieure) einstellen
  • Dörfer bauen
  • die Eisenbahnstrecke von Kansas-City zu den Verbrauchstädten ausbauen
  • Zertifikate erwerben (die über gewisse Engpässe hinweghelfen)
  • Gefahrenstellen beseitigen (bringt Siegpunkte ein und räumt lästige Felder innerhalb der Wegstrecke nach Kansas City ab)
  • Handel mit den Indianern treiben (bringt Siegpunkte und hilft beim Erfüllen von Aufträgen)
  • Hilfsaktionen durchführen (Das besteht anfangs nur darin, einen Dollar von der Bank einzustreichen. Pro Rinder-Lieferung in Kansas City können wir unser Repertoire an Hilfsaktionen aber erweitern, was später eine gewisse Unabhängigkeit von den feldspezifisch vorgesehenen Aktionen einbringt).

Ein wesentliches Spielelement ist die Kartenhand, mit der jeder Spieler auf die Reise geht. Aus seinem Kartendeck, das zu Spielbeginn aus vierzehn „billigen“ Rindern von vier verschiedenen Rassen besteht, nimmt sich jeder Spieler für seinen nächsten Zug vier Karten auf die Hand. Damit bestreitet er seinen Zug, insbesondere das lokale Verkaufen von Rindern, um zu Geld zu kommen. Man muss für seinen Zug keine Rinderkarten aus der Hand verbrauchen, aber es schadet in der Regel nicht, sie auszugeben, weil man umgehend nach jedem Zug seine Kartenhand wieder auf vier auffüllen darf. Ganz im Gegenteil, durch geschicktes Abgeben und Nachziehen von Rinderkarten kann / sollte man dafür sorgen, dass die „Herde“, die man in Kansas City abliefert, einen möglichst hohen Wert hat. Und den hat sie, wenn alle Rinderkarten in der Hand unterschiedlich sind. Nur unterschiedliche Rassen werden gezählt und bestimmen die Reichweite gegen Westen, bis wohin unsere Rinder im Waggon maximal transportiert werden können.

Je größer die Entfernung, desto mehr Siegpunkte wirft unsere Herde ab. Dabei gibt es kleine Randbedingungen zu beachten: Jede Westernstadt darf nur einmal beliefert werden. Und wenn die Zugstrecke, die wir inzwischen gebaut haben, nicht bis zu unserem Zielbahnhof reicht, müssen wir für den letzten Teil der Reise auch noch Weggebühren an die Bank zahlen.

So drehen wir also gleichmäßig mit unseren Rindern unsere Runden vom Start zum Ziel und zurück, bauen Dörfer, heuern Mitarbeiter an, verlängern unsere Eisenbahnstrecke, pflegen unsere Rinderkartenhand und liefern möglichst hohe, oder zumindest passende Rindermengen ab. Wir können langsam gehen um die Aktionen möglichst vieler Zwischenfelder zu nutzen, oder schnell, wenn die Herde in unserer Kartenhand bereits optimal besetzt ist.

Und wofür brauchen wir die Mitarbeiter?
Cowbows schaffen uns erhebliche Preisnachlässe beim Rinderkauf, mit Handwerkern können wir schneller bessere Dörfer bauen, und mit Ingenieuren beschleunigt sich der Ausbau unserer Eisenbahnstrecke.

„Great Western Trail“ bietet eine Menge Strategien, nach denen wir unser Spiel gestalten können, z.B.

  1. mittels Cowboys die reichsten Rinderherden in unserer Kartenhand zu haben;
  2. mittels Handwerkern alle unsere Dörfer gebaut und hochgerüstet zu haben;
  3. mittels Ingenieuren die gewaltigen Punktesummen ganz am Ende der Eisenbahnstrecke einzustreichen;
  4. mit Aufträgen zu spekulieren und die Auftragsbedingungen (Indianerhandel / Gefahrenstellen) zu erfüllen suchen;
  5. mit wenigen Zwischenstops schnelle Runden zu drehen, um durch die damit hinzugewonnen Hilfsaktionen eine deutlich gesteigerte Spielpotenz zu gewinnen.

Beim ersten Spielen ist natürlich noch nicht klar, welche dieser Strategien am erfolgversprechendsten ist. Nach dem ersten Augenschein zu urteilen, scheint das Spiel aber gut ausbalanciert zu sein, d.h. alle Strategien könnten den Sieg bringen. Wichtig ist nur, dass man sich auf bestimmte Richtungen konzentriert, weil die progressive Siegpunktausschüttung den Zuwachs am Ende jeder Fahnenstange besonders belohnt. Wer überall ein bisschen dabei ist, landet auch bei der Siegpunktausschüttung, in der 11 ( ELF) verschiedene Besitz- und Ausbaustände bewertet werden, im Mittelmaß.

Alles ist schön, alles ist gut durchdacht, alles ist konstruktiv an diesem Spiel. Der Hype in Essen und gemäß der Spielbox-Wertung ist durchaus verständlich. Wir haben aber leider auch ein paar gewichtige Haken gefunden. Z.B. besitzt das Spiel fast keinerlei Interaktion. Sehr gut kann es ein Spieler ganz alleine spielen, dabei beliebig viele Mitspieler simulieren, und für jeden eine eigene Strategie wählen. Hinterher kann er sich an der Erkenntnis freuen, welches die beste Strategie war.

Was bei uns aber am wenigsten angekommen ist, war der ungeheure Zeitverbrauch. Eine Stunde dauerte allein der Spielaufbau mit der Erklärung der Elemente. Eine knappe weitere Stunde brauchten wir für die Erklärung der weiteren Elemente und des Spielablaufs insgesamt. Immerhin gilt es, ein Regelheft mit 16 Seiten didaktisch wunderschön aufgebauten Regeln zu erarbeiten. Zweieinhalb Stunden dauerte dann unser Spiel, was ziemlich genau der Angabe auf der Spielschachtel entspricht, was für das sich wiederholende Spielgeschehen aber doch recht happig ist. Eine weitere halbe Stunde dauerte das Wegräumen des vorzüglichen Spielmaterials zurück in die Schachtel. Ersteres und Letzteres wird auch nicht bedeutend kürzer, wenn man das Spiel schon ganz genau kennt. Heute also insgesamt 5 Stunden Western-Unterhaltung. In dieser Zeit hätten wir schon ein komplettes „1830“ über die Bühne gebracht.

WPG-Wertung: Aaron: 6 ([bis 7], wegen der langen Dauer, ein braves Spiel, das keine Fehler bestraft), Günther: 7 ([bis 6], es hat Spaß gemacht, ich könnte es noch ein paarmal spielen, weil man hier vieles ausprobieren kann), Horst: 8 ([und ab zur letzten U-Bahn]), Walter: 7 (es gibt viele Schienen, auf denen man gut fahren kann, aber zum Gewinnen erfordert jede eine elende Optimierung, würde es – mit Spaß – allein deshalb noch einmal spielen, um extreme Spielweisen zu testen).

Ein Gedanke zu „11.01.2017: Great Western Trail“

  1. Ich stimme euch in allem zu, ausgenommen davon ist die Vorbereitungszeit. Wenn man das Spiel schon einmal gespielt hat, dann ist man in maximal 30 Minuten durch (Aufbau und Erklärung für Neulinge.).

    Ansonsten: interessantes Spiel, leider zu repetitiv und zu lang.

Kommentare sind geschlossen.