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"Sankt Petersburg", das Spiel meine ich, hat seinen Namen von der Stadt bekommen, die der russische Zar Peter vor 300 Jahren in den Sümpfen der Newa aus dem Boden stampfen ließ. Das muß ein quirliges Leben gewesen sein, als Handwerker und Bürger, Verwalter und Adlige in wenigen Jahren ein "Paris des Ostens" aufbauten. So hat es sich der Autor Michael Tummelhofer vorgestellt.
Hier im Spiel kommen eher die Kaufleute unter den Spielern zur Geltung. Die verschiedenen Rollen von damals liegen als einfache Spielkarten offen auf dem Tisch und können gekauft werden, um dann eine definierte Rendite abzuwerfen. Handwerker sind billig und bringen pro Runde Geld ein. Mit einer ziemlich guten Kosten-Nutzen-Relation. Verwalter (oder besser: administrative Gebäude) kosten deutlich mehr, und bringen in der Regel kein Geld ein, lediglich Prestige, sprich Siegpunkte. Und diese entscheiden das Spiel. Am Ende ist das Geld nichts mehr wert, nur noch die umgesetzten Siegpunkte zählen.
Am meisten Siegpunkte stecken in den Adeligen: außer Geld und den ständigen Siegpunkten pro Runde liefern sie am Ende noch einen Bonus, der quadratisch mit der Anzahl der gekauften Adeligen wächst. Ein einzelner Adeliger bringt 1 Siegpunkt, zehn Adelige bringen 55 Siegpunkte Der Sieg wird also regelmäßig über die Mehrheit an Adeligen-Karten entschieden.
Wo steckt dann das Problem? Da könnte sich ein tüchtiger Kaufmann doch relativ einfach eine Optimierung ausrechnen (lassen), nach welchem Schema er die verschiedenen Karten erwerben mußt und schon wäre das Spiel entzaubert. Das ist - glücklicherweise - nur zu einem kleinen Bruchteil richtig. Es sind nicht alle Karten gleichzeitig verfügbar, sondern es werden jeweils nur maximal 8 Karten aufgedeckt und stehen zum Erwerb an. Alle anderen Karten bleiben verdeckt auf ihren Stapeln. Also muß man sich zunächst mal mit dem vorhandenen Angebot an Karten auseinandersetzen und hieraus die jeweils besten herausfischen. Erst wenn keiner mehr kaufen will, wird für jede verkaufte Karte eine neue Karte aufgedeckt.
Das ganze läuft in vier Phasen ab. In der ersten Phase werden nur neue Handwerker aufgedeckt und am Ende werden alle im Besitz befindlichen Handwerker gewertet, d.h. es gibt Geld. In der zweiten Phase kommen neue Gebäude ins Spiel und am Ende werden nur die Gebäudekarten gewertet, d.h. es gibt Siegpunkte. In der dritten Phase geht es um Adelige und in einer vierten Phase um Austauschkarten", das sind solche, mit denen man einen bereits in Besitz befindlichen Adligen im Rang, spricht in seiner Geld- und Siegpunkt-Ausschüttung, hochrüsten kann.
Einige Karten haben noch Sonder-Eigenschaften sie bringen beim Erwerb bestimmter Karten einen Kostenerlaß. Mit anderen Karten kann man eine gewisse Menge Geld in Siegpunkte verwandeln. Eine Karte erlaubt es, sich pro Runde eine Karte aus einem der verdeckten Stapel anzuschauen und sie bei Bedarf zu kaufen. Das ist insbesondere sehr nützlich, wenn man damit seine Mehrheit an Adeligen für die Schlußwertung ausbauen will.
Jetzt gibt es noch zwei taktische Elemente, die im Spiel eine bedeutende Rolle spielen: Beim Erwerb einer Karte bringt jede bereits im Besitz befindliche Karte der gleichen Sorte einen Preisnachlaß von einer Einheit. Z.B. kostet der erste Holzfäller drei Rubel, der zweite kostet zwei und der dritte nur noch einen. Es ist also durchaus ein kaufmännisches Ziel, Karten gleicher Sorte zu erwerben.
Das zweite taktische Element ist "Bunkern" von Karten: Man muß eine erworbene Karte nicht sofort vor sich offen auf den Tisch legen, man kann sie - OHNE den Geldbetrag dafür zu bezahlen - zunächst verdeckt in die Hand nehmen und sie erst zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt bezahlen und auslegen. Damit kann man natürlich eine momentane Geldknappheit überbrücken. Viel wichtiger aber: man kann für die Schlußabrechnung lukrative Karten für sich reservieren, ohne damit seine Liquidität zu beanspruchen. In jedem Fall ist es erstrebenswert, Austausch-Adelige zu bunkern, um damit ganz am Ende das Adeligen-Kontingent zu verbessern und damit die daraus resultierenden Bonuspunkte zu erhöhen.
Ist Sankt Petersburg ein taktisches Spiel? Natürlich, denn es kennt ja keinen Würfel, sondern nur freie Entscheidungen der Mitspieler. Allerdings sind die Freiheitsgrade beim Vorgehen - auf den ersten Blick - doch sehr eingeschränkt. Man kann nur Karten kaufen oder nicht. Keine Versteigerung, kein Preiskampf, keine Auseinandersetzung um Prioritäten. Wer am Zug ist, entscheidet ganz unbeeinflußt von allen anderen allein nach seinen finanziellen Mitteln, und ggf. noch nach seinen Vorlieben.
Daß man am Anfang Handwerkerkarten erwirbt, weil diese das meiste Geld einbringen und das Geld eigentlich immer knapp ist, ist unabdinglich. Daß man die jeweils billigste - und damit renditenstärkste - Handwerkerkarte erwirbt, versteht sich von selbst. Irgendwann muß man natürlich auf Siegpunkte umschalten. Und daß in den Adeligen die meiste Musik steckt, habe ich schon oben erwähnt. Es geht also nur darum, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, wann man vom Handwerk auf den Adel umsteigt. Nach geschlossener WPG-Auffassung möglichst unter Auslassung der Gebäudekarten.
Natürlich müssen dafür Adeligenkarten im Angebot sein. Und hier liegt ein weiteres spielentscheidendes Geheimnis von Sankt Petersburg. Am Ende jeder Phase werden auf die offenen Plätze neue Karten gezogen. Der jeweils wechselnde Startspieler hat dann die freie Auswahl. Wenn ich nicht Startspieler werde, dann sollte ich mir genau überlegen, ob ich von den ausliegenden weniger lukrativen Karten überhaupt noch eine Karte erwerbe. Unser 1830-Motto "keep fully invested" zählt hier überhaupt nicht. Mit jeder Karte, die ich in dieser Situation noch kaufe, vergrößere ich die Chance des neuen Startspieler, ein Super-Karte ins Angebot zu bekommen. Also eher die Finger weg lassen.
So summieren sich die kleinen taktischen Handlungsspielräume an Ende doch zu einem beträchtlichen Ausmaß an Taktik und Strategie. Zugleich verläuft das Spiel friedlich, flott, aufbauend und harmonisch. Unser erster positiver Eindruck ist nach wiederholtem Spiel noch gestiegen. Wir halten es für empfehlenswert.
WPG-Wertung : 7,5
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©2004, Walter Sorger