Autor: Walter
am Tisch: Aaron, Günther, Hans, Walter
auf dem Tisch: "Im Schatten des Kaisers"
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Nur mit einem einzigen lapidaren Satz geht die Spielanleitung auf die dargestellte Szenerie ein: "Deutschland im Mittelalter: Die Spieler vertreten adelige Familien, die Anspruch auf die Kaiserkrone erheben." Kurz und bündig. Ein gutes Spieldesign hat es nicht nötig, durch eine aufgeblasene Titelgeschichte über die eigenen Schwächen hinweg zu täuschen. "Im Schatten des Kaisers" ist ein solches gutes Spiel. Die Dramaturgie ist spannend, die Spielmechanismen sind vielseitig und fein aufeinander abgestimmt, und der Bezug zum historischen Hintergrund ist absolut überzeugend.
In der Schule hat mich das Mittelalter mit seinen vielen Kaisern und Königen ziemlich kalt gelassen. Im reiferen Leben, wenn die Fragen nach dem "Ob" und "Wie" immer häufiger ersetzt werden durch die Frage nach dem "Warum", gewann diese äußerst schillernde Phase mitteleuropäischer Geschichte für mich erst ihre gebührende Faszination.
Kaum hatte Karl, der Große, fünftausend Sachsen hinschlachten lassen und sich damit die römische Heiligsprechung verdient, da wurde auch schon ein Urenkel seines größten Gegners auf den fränkischen Königsthron gewählt. Kaum hatte der verlotterte Sproß einer normannisch-schwäbischen Familie den Kaiserthron bestiegen, den Papst in eine mächtige deutsch-sizilianische Zange genommen, und für die christlichen Jerusalem-Pilger mit dem Beherrscher aller Gläubigen in Bagdad einen friedliche Zugang zu den heiligen Stätten ausgehandelt, da wurde auch schon sein letzter Enkel von den päpstlichen Häschern ergriffen und hingemordet.
Zwanzig Jahre lang verdarb das Reich in einer kaiserlosen, schrecklichen Zeit, bis sich die Landesfürsten zusammentaten, um das herrschende Faustrecht zu beenden und ein neues Wahlrecht für ihren König zu beschließen. Vier weltliche Landesfürsten und drei kirchliche Fürstbischöfe gründeten einen Kurverein und reservierten für sich das Privileg, den deutschen König zu wählen. Warum es gerade die Kürfürstentümer Böhmen, Sachsen, Brandenburg und die Pfalz waren, und warum gerade die Erzbistümer von Mainz, Köln und Trier dieses Privileg bekamen, hat mir noch niemand überzeugend darlegen können. ("Sie waren halt die Mächtigsten!") Auf Grund welcher Legitimation der Gekürte dann auch noch ordentlicher "Kaiser" wurde, ist ebenfalls ein Geheimnis der Geschichte.
Zumindest ging es von nun an ohne Mord und Totschlag zu, wenigstens in den oberen Etagen. Man ließ sich höchstenfalls zum Gegenkaiser ausrufen, bekriegte sich ein bißchen, wurde gefangen genommen und mußte - bei Sekt und Kaviar - auf die Auslösung warten. Man paktierte mit dem Papst, verkrachte sich mit ihm, wurde gebannt und exkommuniziert, schrieb im Gegenzug dem Herrscher in Rom (oder Avignon) die Rechtgläubigkeit ab, und leistete sich riesige Militärausgaben, um seinen Ansprüchen auch einen glaubwürdigen Nachdruck zu verleihen.
Wußtet Ihr, daß damals in diesen verworrenen Zeiten ein gewisser Papst Johannes XXII agierte, und daß es dann volle siebenhundert Jahre dauerte, bis ein humorvoller mutiger Roncalli sich als nächster getraute, den Papstnamen Johannes wieder zu verwenden?
Kehren wir zurück in den Schatten des Kaisers! Man braucht den geschichtlichen Hintergrund nicht zu kennen, um das Spiel spielen, genießen und gewinnen zu können. Es erhöht aber das Entzücken bei der Begegnung mit vielen hübschen Eigenschaften dieses Spiels.
Das Spiel läuft in fünf Runden ab, in den die Spieler reihum verschiedene Aktionen ausführen können, solange ihre Geld-Mittel dafür ausreichen. Wie schon im lapidaren Einleitungssatz gesagt, sind die Spieler Adelsfamilien, die ihre Söhne (Pöppel, Plättchen) auf Kurfürsten- und Kaiserthröne heben und dafür Siegpunkte kassieren. Wer am Ende die meisten Siegpunkte gesammelt hat, ist Sieger.
Jeder Spieler hat insgesamt sieben Sprößlinge (Plättchen), die er an einem beliebigen Ort in einem beliebigen Kurfürstentum zu Welt bringen kann. Nicht alle auf einmal, sondern immer nur einzeln, soweit seine Mittel reichen. Die Sprösslinge altern von Runde zu Runde und sterben in der Regel nach vier aktiven Runden den Alterstod. (Das erinnert an Kremlin.)
Mit Medizin läßt sich der Tod kurzfristig aufhalten. Ein böser Gegenspieler kann aber auch einen Kurpfuscher in ein fremdes Herrscherhaus schicken und dem Senior dort das Lebenslicht ausblasen lassen.
Den Posten als Kurfürst erhält eine Familie für die einfache Mehrheit an Machtelementen im entsprechenden Gebiet. Zu den mehrheitsbildenden Faktoren gehören Ritter, Adels-Siedlungen und natürlich Mitglieder der engeren Adelsfamilie. Letztere können sich verheiraten, dann zählen sie doppelt. (Die Spielprinzipien um die Mehrheiten erinnern vage an "Die Macher".)
Die Kaiserfamilie bekommt in jedem Kurfürstentum zusätzliche Punkte für die darin enthaltenen Reichsstädte. Die Reichsstädte werden vom jeweiligen Kaiser gegründet, sind aber kein fester Besitz in den Händen einer Familie, sondern wechseln jeweils mit der Figur, die den Kaiser stellt.
Kaiser wird man, indem man sich demonstrativ zum Gegenkaiser ausrufen läßt und eine Mehrheit an Stimmen der Kurfürsten dafür gewinnt. Auch der Papst kann hier eine Stimme geltend machen. Einzelne kirchliche Kurfürsten können ihren Einfluß verdoppeln oder auch gänzlich einbüßen, wenn ein Spieler die entsprechende Aktion ausgewählt hat.
Aber nicht der Kaiser gewinnt am Ende das Spiel, nicht die Masse an Besitztümern oder die Mehrheit an Einfluß, es gewinnt allein die Summe aller Dynamik, die ein Spieler im Laufe des gesamten Spieles an den Tag gelegt hat. Machtvolles Verteidigen von Kurfürstentümer, anstrengende Kuren, um das Altern der betagten Familienmitglieder zu verhindern, all diese statisch ausgerichteten Aktionen bringen keinen Gewinn. Leben und Leben lassen ist hier die Devise. Die beschränkten Mittel leicht und locker an den schwächsten Machtpositionen ansetzen und die Herrschaftsverhältnisse ständig im Fluß halten, das bringt Punkte und hält das Spiel in Schwung.
Fünf Jahre lang hat der Autor Ralf Burkert über seiner Idee gebrütet, zwei Jahre lang hat er in Zusammenarbeit mit dem Verlag an der Spielgestaltung gefeilt. Das Spiel sollte als Merkmale aufweisen:
Was dabei herausgekommen ist, dem möchte ich heute den Titel "Weltmeister der Balance" verleihen. Dazu ein paar Beispiele:
Dieser Katalog ist nur eine kleine Kostprobe von Balancen, die "Im Schatten des Kaisers" wie selbstverständlich eingebaut sind, den Spielablauf komplexer machen und es erschweren, eine klare Gewinnlinie zu finden und zu verfolgen. Jedes einzelne Detail steht mit allen seinen konkurrierenden Elementen im wohldurchdachten Gleichgewicht. "Im Schatten des Kaisers" ist kein billiges Kriegsspiel, bei dem gegen Ende ein einziger Spieler zum monopol-artigen Sieger emporschießt. Man muß mehr Dinge beherzigt haben, als ein paar Gigatonnen Sprengstoff auf seine Gegner abgeworfen zu haben, um sich hinterher zum totalen Sieger proklamieren zu können. Kann sein, daß dies für viele Gelegenheitsspieler zu anspruchvoll ist. Für einen professionellen Liebhaber des alten Europa ist es aber ein ungetrübter, herausfordernder Genuss.
WPG-Gesamtwertung: 6,75
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