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rezensiert von Walter Sorger
Wer das Spielmaterial zum ersten Mal sieht, muß unweigerlich entzückt sein: keine abstrakten Pöppel, keine Papp-Scheiben, Plättchen oder Karten dominieren das Spiel, sondern wunderschön geformte Plastik-Schäfchen mit fein gearbeiteter Wolle und süßen Augen. Man braucht sich nicht viel Märchenseele erhalten haben, um mit den Gebrüdern Grimm zu formulieren: "die Sonne selber, die doch so vieles gesehen hat, verwunderte sich, sooft sie ihnen ins Gesicht schien."
Jeder Spieler besitzt zwei Schafe der Herde; die - wie im richtigen Leben - durch Farbtupfer auf dem Rücken entsprechend markiert sind. Mit ihren Zügen bewegen die Spieler einzelne Schäfchen, Gruppen von Schäfchen oder die ganze Herde. Die Schafe können sich in beliebige Richtungen bewegen, sie können waagrecht oder senkrecht bis zu einer Mauer verschoben werden oder die ganze Herde kann sich um 90 Grad drehen und damit die interne Reihenfolge auf den (Schafs)Kopf stellen.
Ziel eines jeden Spielers ist es, die Herde so zu bewegen, daß seine beiden Schafe besondere Positionen innerhalb der Herde einnehmen; in bestimmten Situationen werden dafür Siegpunkte vergeben. Das Spiel ist in vier Phasen eingeteilt und in jeder Phase werden andere Positionsbedingungen gestellt:
Es ist klar, daß dies kein simples Kinderspiel ist. Die zahlreichen Möglichkeiten für waagrechte, senkrechte und diagonale Verschiebungen, Sprünge, Herdenzusammenführungen und Kehrtwendungen müssen scharf durchdacht werden. Dazu kommt noch ein wichtiges Zug-Timing: die verschiedenen Phasen folgen nämlich nicht zwangsläufig aufeinander, sondern die Dauer jeder Phase ergibt sich aus den unterschiedlichen Bewegungszügen, die die Spieler machen. Wer zu schnell ist, leitet die Phase 2 ein, bevor er seine Siegpunkte für die Phase 1 abkassiert hat. Die Kehrtwendung ist am wirkungsvollsten, wenn sie exakt an den Wertungsstellen für Phase 2 oder 4 durchgeführt wird. Wer zu früh damit dran ist, gibt seinen Hintermännern die Chance, die Reihenfolge in der Schafherde noch mal tüchtig aufzumischen.
Obwohl "Shear Panic" kaum Zufallselemente enthält, produziert es als striktes Mehrpersonen Denk- und Kombinationsspiel notwendigerweise chaotische Abläufe. Man kann nicht mittel- oder gar langfristig planen, weil die Mitspieler mit ihren Zügen gewollt oder ungewollt alles wieder zunichte machen. Dieser Effekt kann nur in einem 2-Personenspiel ganz ausgeschaltet werden. Aber das lockere, originelle Bewegungsspiel mit den hübschen Figuren bietet allein für sich einen ästhetischen Genuß. Auch für Kinder, wenn sie den Zahlenraum bis 40 für die Siegpunktzählung einigermaßen sicher beherrschen.
Und es besitzt noch einen unübersehbaren Vorteil: Wer sich am Spiel-Mechanismus sattgespielt hat, kann die Schäfchen später immer noch in seine Weihnachtskrippe stellen. Damit garantiert das Spiel über Generationen hinweg wenigstens einmal im Jahr eine sinnvolle Nutzung. Von welchem Spiel kann man das noch sagen?
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