HinweisKabale und Hiebe sorgte für kontroverse Diskussionen in unserer Gruppe. Einige - wie Walter - fanden es nicht so gut, andere - wie Moritz - gaben ihm fast doppelt soviele Punkte. Um dieser Diskrepanz gerecht zu werden, veröffentlichen wir zwei Rezensionen, diese hier von Walter und eine zweite von Moritz. |
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rezensiert von Walter Sorger
Dieses kleine chaotische Kartenspiel hat in unserer Runde sofort die unterschiedlichsten Emotionen hervorgerufen. Die einen halten es für lustig und locker, flott zu spielen mit Freuden und Schadenfreuden, ja sogar eine Menge Handlungsfreiheit wird darin gesehen, die anderen (ich) finden nichts von alledem, ja im Gegenteil, ich fühle mich gedrängt, mir gegen meine wohlwollenden Spielerfreunde den Frust von der Seele zu schreiben.
Nichts gegen das Spiel im allgemeinen! Eine muntere Kinderschar mag mit der einen oder anderen Überraschung im Spielablauf seinen Spaß erleben. Doch für Spielefreaks, die deutliche Ansprüche an die Planbarkeit eines Spiels stellen, was wird denen in "Kabale und Hiebe" geboten?
Jeder bekommt den gleichen Satz von 25 "Einflußkarten" mit unterschiedlichen Werten, der König zählt 20 Punkte, der Bettler 4, die Hexe nur einen Punkt und die Tarnkappe gar keinen. In erster Näherung wird damit ein Stichkartenspiel gespielt. Jeder soll möglichst viele und hochwertige Stiche machen. Die Stiche werden aber nicht sequentiell ausgespielt, sondern simultan: In einer Runde liegen immer mehrere Stiche offen auf dem Tisch, die Spieler legen reihum eine ihrer Karten dazu und können dabei frei entscheiden, an welchem Stich sie ihren Einfluß geltend machen wollen.
Es ist jeweils eine unterschiedliche Mindestanzahl von Einflußkarten notwendig, um einen Stich zu gewinnen, doch darf man beliebig viele Karten zusätzlich in einen Stich investieren. Am Ende einer Runde werden für alle Stiche die Mehrheiten ausgezählt: der Spieler mit den meisten Einflußpunkten kassiert den Stich und bekommt dessen Siegpunkte gutgeschrieben, die anderen gehen leer aus. Die nächste Runde beginnt, und wer nach 6 Runden die meisten Punkte auf seinem Konto hat, ist Sieger.
Damit das alles nicht so durchschaubar und banal abläuft, sind ein paar Schikanen eingebaut, die dem Spiel erst die richtige Würze geben. Die Einflußkarte, die ein Spieler zu einem Stich hinzugibt, wird verdeckt hingelegt; es ist also nicht erkennbar, ob hier mit einem König geklotzt oder mit einem Bettler gekleckert wird. Erst wenn die nächste Karte (wiederum verdeckt) dazugegeben wird, wird die darunter liegende Karte aufgedeckt und man kann erkennen, ob man seinen Romeo zu einer Julia oder zu einem Drachen gelegt hat.
Doch der größte Gag des Spieles kommt jetzt erst: Die Einflußkarten für den Kampf um die Stiche haben keinen festen Punktwert, sondern sie besitzen innere Abhängigkeiten, die ihren Wert zwischen Null und Unendlich schwanken lassen. Beispiele:
Andere Karteneigenschaften sorgen für weitere gute oder böse Überraschungen:
All diese Kartenkreationen sind hübsch und fein. Mit Liebe und Phantasie sind sie ausgedacht und mit hochwertigem Material hergestellt. Doch die Idee ist nicht stimmig. Jeder bedarf einer Menge Gedächtnisschmalz, sich das alles zu merken und damit umzugehen. Drei Seiten Typenbeschreibung muß man durchgelesen und verstanden haben, um hinterher zu wissen, daß man nichts weiß. Rationarier aller Länder, steht mir bei! Wenn ich einen König, einen Meuchler und einen Zauberer auf der Hand habe, welche Karte soll ich mit welcher Überlegung auf welchen Stich geben? Wer kann mir hier einen plausiblen Rat geben? Ich weiß es nicht! Ich kann nur überschlägig ausrechnen, daß, wenn meine drei Mitspieler von jeweils 25 Karten drei Stück zu einem Stich zugeben dürfen, daß es dafür mehr als 8 Milliarden (8.000.000.000) Kombinationen gibt, jeweils mit einem glücklichen Sieger und drei unglücklichen Verlierern.
Schlimm genug ist es, daß die Denker unter den Spielern tatsächlich glauben, mit Logik und Rechnerei die Effekte des Spiels in den Griff zu bekommen. Alle anderen Mitspieler müssen dann die Denkprozesse abwarten und können dabei noch nicht einmal ihre nächsten Züge überlegen, einfach weil es nichts zu überlegen gibt. Die Rechnerei ist das gleiche, als wollte man den Fall einer einzelnen Kugel im Gaußschen Nagelbrett berechnen. Die Statistiker wissen zwar, daß dabei hinterher in der Summe eine wunderschöne mathematische Kurve herauskommt, über eine einzelne Kugel aber wissen sie gar nichts. Illusorische Überlegungen im schlichten binomischen Chaos.
Zum Schluß noch ein Wort zur "Schadenfreude". Es ist ein anerkannt honoriges Qualitätsmerkmal, wenn es von einem Spiel geboten wird. Doch was steckt eigentlich hinter diesem Begriff? Es entsteht doch keine Schadenfreude, wenn Bayern München gegen den 1. FC St. Pauli gewinnt! Eher wenn es umgekehrt ist, d.h. wenn ein Großer seinem eigenen großen Anspruch nicht gerecht wird und einen Schaden erleidet. Wenn die Oma auf der Bananenschale ausrutscht, dann wird man selbst hinter der vorgehaltenen Hand nicht lachen, wohl aber, wenn das gleiche einem Staatspräsidenten passiert …
Wikipedia schreibt zu "Schadenfreude": "Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, daß im Gehirn Belohnungszentren eingeschaltet werden, falls jemand bestraft wurde, der sich zuvor unfair verhalten hat. Nach Ansicht der Forscher spielt die Schadenfreude eine dominante Rolle beim Erhalt von Gerechtigkeit und bei der Bestrafung von Normverstößen in menschlichen Gesellschaften. Schadenfreude kann man auch als "die Macht der Ohnmächtigen" bezeichnen.
In "Kabale und Hiebe" gibt es keine Ohnmächtigen, alle Mitspieler treten als gleichwertige Gegner in den Ring, jeder hat den identischen Satz von Einflußkarten, jeder hat die gleichen braven oder fiesen Potenzkarten. Jeder steht alleine im Kampf gegen alle anderen. Hier eine große Schlacht zu gewinnen, kann ausschließlich Freude auslösen. Beim Sieger. Und eine Menge Frust bei den glücklos Unterlegenen. Schadenfreude hat keinen Platz. Höchstenfalls in einer munteren Kinderschar.
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