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rezensiert von Walter Sorger
"Euphrat und Tigris" zu loben heißt soviel wie Eulen nach Athen tragen. Wer Spielrezensionen im Internet liest, muss ein Spielefreak sein, und wer ein Spielefreak ist, muss "Euphrat und Tigris" kennen und lieben. 1997 ist das Spiel bei Hans-im-Glück erschienen, und allein bei Luding sind dazu bis heute 44 Rezensionen registriert. Über die 12 Seiten sehr gut aufgebauter Spielregeln ein weiteres Mal zu referieren ist überflüssig wie ein Kropf.
Allerdings war "Euphrat und Tigris" lange Zeit ausverkauft und jetzt, nach einer langen Phase der Dürre, hat Pegasus von Hans-im-Glück die Rechte übernommen und eine neue Auflage herausgebracht. Das darf doch wohl als Anlass benutzt werden, ein paar Worte über ein Spiel zu verlieren, das es 1998 bis in die Auswahlliste zum "Spiel des Jahres" geschafft hat.
Das neue "Euphrat und Tigris" ist im Wesentlichen das gleiche Spiel wie vor zehn Jahren. Sein Design war damals schon ohne Fehl und Tadel und auch nach 10 Jahren weltweiter Spielerprobung gibt es keinen Grund, daran etwas zu ändern. Die Rückseite des Spielbretts hat lediglich eine alternative Anfangs-Geographie bekommen und das Spielmaterial wurde um vier "Zivilisationsgebäude" erweitert, die ähnlich wie die Tempel errichtet werden und Zusatzpunkte beim Anlegen von "Zivilisationplättchen" gewähren. Die Farben sind etwas wärmer geworden, das ursprüngliche steingrau wurde in ein ziegelbraun umgewandelt und die archaische Farben und Formen auf Steinen und Plättchen wurden in naturalistische Gemälde umgesetzt. Doch Charakter und Qualität des Spiels sind davon nicht berührt.
Eine magische Zahl in "Euphrat und Tigris" ist die Zahl Vier: Es gibt vier Dynastien (Löwe, Stier, Vase und Bogen) zu je vier Anführern (König, Priester, Händler und Bauer), es gibt vier Arten von Zivilisationsplättchen (Dorf, Tempel, Markt und Wiesen) und damit werden Siegpunkte in vier verschiedenen Farben (rot, grün, schwarz und blau) errungen. Am Ende gewinnt der Spieler, der in seiner schwächsten Farbe die meisten Punkte hat.
Siegpunkte werden entweder auf friedliche Art erworben, indem ein Spieler ein Zivilisationsplättchen an ein Gebiet legt, wo sein Anführer herrscht, oder auf kriegerische Art, indem man das Gebiet eines fremden Spielers erobert. Mit diesen gegensätzlichen Spielweisen demonstriert "Euphrat und Tigris" das uralte Lebensprinzip von Jägern und Sammlern. Der Sammler sucht sich ein freies Fleckchen Erde aus auf dem er seine Aussaat ausstreut und sich auf die Ernte freut. Er legt seine Zivilisationsplättchen emsig und planvoll um seine Vierfelderwirtschaft herum und sucht gottesfürchtig nach einer geeigneten Formation, wo er Tempel-Monumente errichten kann, die ihm den himmlischen Siegpunkt-Segen sichern.
Der Jäger sieht hingegen in seinen Zeitgenossen nur Freiwild. Er lässt seine Augen abschätzend über ihre Siedlungen hinweg gleiten, sucht die einträglichsten Gebiete heraus und analysiert die schwächste Stelle der Verteidigung. Er greift an, beseitigt die fremden Anführer und schwingt sich selbst zum Herrn über Felder, Wiesen, Tempel und Siegpunktquellen auf. Wie im richtigen Leben. Die Sammler sind die Bürger, die Jäger sind das Militär (oder Arbeiter und Bauern gegen Globalisten und Spekulanten).
Wer mit gesellschaftskritischen Augen an "Euphrat und Tigris" herangeht, muss unweigerlich auf diese zwiespältige Konstellation im menschlichen Charakter eingehen. "Cliquenabend" zitiert in seiner bemerkenswerten Rezension zur neuen Ausgabe eine Carmen Sylva (Königin von Rumänien): "Der Krieg zwischen zwei gebildeten Völkern ist ein Hochverrat an der Zivilisation." und einen Benjamin Franklin (Gründerväter der Vereinigten Staaten): "Es gab nie einen guten Krieg oder einen schlechten Frieden."
Doch es lohnt nicht, über den Zerfall der Menschheit in Schafe und Wölfe zu räsonieren. Die Spielanleitung schreibt: "Zu allen Zeiten ging der Fortschritt der Zivilisation einher mit dem Werden und Vergehen der Macht Spannend war es allemal - wenn auch unterschiedlich erfolgreich für die Beteiligten." Verlieren wir lieber noch ein paar Worte über das erfolgreiche Vorgehen im Spiel.
Diese Aufzählung ist bei weitem nicht erschöpfend. Die Prinzipien für gute oder schlechte Züge in "Euphrat und Tigris" sind noch lange nicht erforscht. Jeder Leser ist angehalten, seinen Senf dazuzugeben. In diesem Spiel steckt die Herausforderung eines Schachspiels. Wo ist der überlegene Großmeister vom Format eines Tarrasch, der die Elemente Raum, Zeit und Kraft am Euphrat analysiert und der Allgemeinheit zugänglich macht? Wir können alle noch jahrelang an unserer erfolgreichsten Strategien feilen und hoffen, dass es immer genügend Gegner gibt, die nicht auf der Strecke geblieben sind. Wenigstens vor dem Spiel.
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