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rezensiert von Walter Sorger
Gerade erst hat "Zooloretto" die Auszeichnung "Spiel des Jahres" gewonnen, für die einen überraschend, für die anderen klar erwartet. Warum wohl?
Die SdJ-Jury gibt aus Prinzip keine Begründung für ihre Wahl. Am Ende zählt für sie immer nur der Gesamteindruck, das Spielgefühl, das sie in keine einzelnen, messbaren Teile zerlegen will. Ihr Ziel ist es, die Idee des Spielens zu fördern und ihre Zielgruppe ist "Familie und Gesellschaft"! Sie hat lediglich ein paar abstrakte Grundsätze veröffentlicht, nach denen die Stimmen vergeben werden. Darf ich da mal mit der Westpark-Gamer-Brille die Begründung nachreichen, welche Qualitäten dieses Spiel auf den ersten Platz des begehrten Treppchens gehoben haben? Zunächst die Spielregeln.
Jeder Spieler besitzt einen eigenen Zoo, der als Spielplan vor ihm liegt. Im Zoo sind Tiergehege eingezeichnet, die zunächst alle noch leer sind. Die Spieler müssen ihre Gehege im Laufe des Spiels mit Affen, Tigern, Elefanten und anderen exotischen Tieren füllen. Wer am Ende die meisten Gehege vollständig gefüllt, die Cafes und Verkaufsstände bestens ausgestattet und ggf. noch seinen Zoo erweitert hat, gewinnt das Spiel.
Tiere, Zubehör und auch Geldmittel sind Kärtchen, die in verdeckten Stapeln auf dem Tisch liegen. Die Spieler wählen einen beliebigen Stapel aus, drehen das oberste Kärtchen um, schauen sich das Bildchen an und müssen es auf einen der offenen "Transportwagen" legen. Alle Transportwagen sind gleicher Bauart (solides Holz!) und bieten für maximal drei Kärtchen Platz. Welchen Transportwagen ein Spieler aussucht, liegt in seinem freien Ermessen. Welche Überlegungen er dabei anstellen kann, das kriegen wir später.
Anstatt ein Kärtchen umzudrehen, kann ein Spieler auch einen Transportwagen auswählen und die darauf untergebrachten Kärtchen seinem Zoo zuführen. Maximal drei Objekte kann er auf diese Weise einheimsen, meist ist er aber mit weniger zufrieden, denn die ersteigerten unterschiedlichen Tierarten müssen alle in verschiedenen Gehege untergebracht werden, Affen zu Affe und Tiger zu Tiger. Die Gehege auf dem Spielplan sind aber begrenzt. Hat man für eine Tierart kein Gehege mehr frei, so müssen die entsprechenden Kärtchen in einem Extrastall untergebracht werden und zählen am Ende als Minuspunkte. Weniger bedeutet dann mehr!
Die Kärtchen in den Extraställen der Mitspieler kann man kaufen. Zwei Euro kostet ein Stück. Mit zwei Euro geht man ins Rennen: diese Anfangsausstattung reicht also gerade für ein einziges Kamel in Nachbars Garten. Weitere Euros bekommt man, wenn ein Vorgängerspieler ein Euro-Kärtchen umgedreht und auf einen Transportwagen gelegt hat. Und wenn noch kein anderen Spieler diesen Transportwagen an sich gerissen hat! Manchmal muss man auf eine solche Gelegenheit sehr lange warten, denn pro Runde kommt durchschnittlich weniger als ein neuer Euro ins Spiel! Konsequenz: Die Gehege kann man im Prinzip nur über voll beladene Transportwagen auffüllen.
Zurück zur Frage: Auf welchen Transportwagen soll man ein gezogenes Kärtchen legen? Alle anderen Spieler sind vor einem dran, sich einen Transportwagen auszuwählen. Also muss man das Kärtchen so legen, dass keiner der Mitspieler seine rechte Freude daran hat. Das ist nicht immer einfach. Liegen schon irgendwo zwei Tierchen, die ein Spieler liebend gerne in seinen Zoo einverleibt, dann sollte man eine dritte Tierart dazulegen, die nicht dazu passt und die ihm die Freude verwässert (falls man ein solches gezogen hat!). Liegt irgendwo schon ein Euro, dann … halt! Am besten gar keine Karte ziehen, sondern gleich den Euro einstecken. Geld macht Sieger! In dieser Geisteshaltung liegt zweifellos ein Stück Miesnickeligkeit. Den Juroren von SdJ ist dies offensichtlich entgangen; oder es war ihnen nicht so wichtig.
Und wo liegt der Spielwitz von "Zooloretto"?
Wer hat denn einen erwartet? Die Jury zeichnet mit dem Titel "Spiel des Jahres" selbst nach eigenem Bekunden nicht das "beste" Spiel des Jahres aus. Sie meint, dass die Qualität von Spielen über äußere Merkmale hinaus ohnehin nicht objektiv messbar ist und dass der angepeilte Normalspieler von jeder aberwitzigen Spielidee überfordert wäre: er würde vom Spielen abgehalten und die hehre Idee des Spielens käme zu Schaden.
Die schwierigste Frage in "Zooloretto" ist zweifellos: "Wann soll ich aufhören, ein neues Kärtchen zu ziehen und mich mit einem der teil-beladenen Transportwagen begnügen?" Frühere Könige standen und heutige Wirtschaftsbosse stehen ständig vor solchen Fragen und können sie nicht von allein beantworten. Die Könige hielten sich früher dafür Wahrsagerinnen und die Wirtschaftsbosse halten sich heute dafür Unternehmensberater. Deren Antworten kenne ich nicht, sie werden wohl von der gleichen Qualität sein wie die vom Gockel auf dem Mist. Und wie steht's damit bei "Zooloretto"?
Die Antwort auf diese Frage kenne ich auch nicht. Ich bin doch kein Wahrsager!
PS: Lieber Michael Schacht, verzeih mir bitte, wenn ich hier eine gewisse Ironie nicht außen vor lassen konnte. Ich wollte Dir nicht an den Wagen pinkeln. Du hast eine Menge sehr guter Spiele entwickelt und "Zooloretto" ist im Sinne der Jury mit Recht zum "Spiel des Jahres" 2007 gekürt worden.
Viel-Spieler, wie wir von den Westpark-Gamers, haben aber einen gegenüber der Normalen leicht verschobenen Geschmack. Und diejenigen, die uns lesen, auch. Wer das Gefühl hat, dass hier mit Dreck geworfen wird, sollte nicht übersehen, dass sich in der Arena ausschließlich Leute befinden, die ohnehin schon einen Schutzhelm übergezogen haben.
In der Rezension von H@LL9000 kommt ein Testspieler zu Wort: "Zooloretto hat uns einen Riesen Spaß gemacht, und hat meiner Ansicht nach den Titel zum SdJ mehr als verdient!" Dem habe ich nichts mehr hinzufügen.
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