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rezensiert von Walter Sorger
Mit "Agricola" stellt uns Uwe Rosenberg vor die Aufgaben eines Liebhaber-Bauern. Wir haben gerade mal einen kleinen Bauernhof erstanden - ohne ein einziges Nutztier - und sollen daraus eine blühende Landwirtschaft machen. Wir müssen:
Unsere Aufbaumaßnahmen bestimmen wir durch "Aktionen" die auf dem Spielbrett angeboten werden: Holz, Steine oder Schilf als Baumaterial zusammentragen, Ziegel brennen, ein Zimmer anbauen, ein Tier zulegen, eine Anschaffung tätigen (Brunnen graben, Feuerstelle errichten u.ä.), unsere landwirtschaftlichen Fähigkeiten mittel Fortbildungskursen erweitern und vieles mehr. Zu Spielbeginn stehen 16 verschiedene Aktionen zur Verfügung; diese Zahl wächst von Runde zu Runde, am Spielende sind es gar 30 verschiedene Aktionen, aus denen wir uns pro Spielzug eine auswählen können.
Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Wenn wir eine bestimmte Aktion vom Spielbrett ausgewählt haben, ist sie in dieser Runde für alle anderen Mitspieler blockiert. Wenn wir uns z.B. auf dem Feld "Familienzuwachs" ein neues Familienmitglied zugelegt haben, wird in dieser Runde kein anderer Spieler mehr ein Kind kriegen. Die richtige Auswahl der richtigen Aktion zum richtigen Zeitpunkt ist eine der Herausforderungen des Spieles.
Pro Runde dürfen wir zwei Aktionen wählen, doch nur ganze 14 Runden dauert ein Spiel; da ist leicht ersichtlich, dass wir von den dringlichen Entwicklungsaufgaben auf unserem Bauernhof nur einen Bruchteil erfüllt haben können; vieles bleibt liegen. Entweder haben wir keine Schafe, keine Schweine, keine Rinder oder keine Kinder. Entweder haben wir unsere hölzerne Hütte um ein paar Betterverschläge erweitert oder wir haben sie mit Steinen und Ziegeln saniert. Alles zusammen geht nicht.
Doch damit das Ganze noch ein bisschen komplizierter wird, erhält jeder Spieler zu Spielbeginn sechs verschiedene "Ausbildungskarten", mit denen wir die Effizienz unserer Aktionen verbessern können: z.B. erhalten wir pro Aktion zusätzliches Baumaterial oder wir kriegen Saatgut geschenkt oder unsere Äcker tragen mehr Frucht und dergleichen mehr. Insgesamt bietet das Spiel 166 verschiedene Ausbildungskarten; keine Karte gleicht der anderen. Unsere sechs Karten unterscheiden sich total von denjenigen unserer Mitspieler und bei jedem neuen Spiel stehen wir vor einer neuen Kartenkombination. Die Wirkungen der Ausbildungskarten sind vorzüglich aufeinander abgestimmt. Alle besitzen ungefähr den gleichen Wert, keine dominiert die anderen. Sie können sich untereinander ergänzen und verstärken, aber ohne dass dabei die Balance verloren geht.
Das Spielen einer Ausbildungskarte kostet uns eine Aktion. Wir können also wählen, ob wir in einer Aktion das ausliegende Holz einsammeln oder ob wir uns zum Holzfäller ausbilden lassen und anschließend bei jeder Holzaktion ein Holzstück mehr erwerben. Für ein erfolgreiches Spiel müssen wir die ausgeteilten Ausbildungskarten gut analysieren und uns überlegen, in welcher Reihenfolge sie am meisten einbringen. Wenn wir z.B. kein Holz mehr einsetzen wollen, brauchen wir uns auch nicht mehr zum Holzfäller ausbilden zu lassen.
Die Endwertung für die Siegpunkte ist eine umfangreiche Bilanzierung unseres gesamten Besitztums an Weiden, Anbaufläche, Haustieren, Wohnräumen etc. nach abgestuften Treppenfunktionen. Monokulturen werden nicht honoriert, jede Art von Besitz zählt nur bis zu einer gewissen Höhe, was darüber ist, war für die Katz. Eine wohlproportionierte Diversifizierung beim Anbau und bei der Tierhaltung ist gefragt.
Die einfache Bauernszenerie ist sehr geglückt umgesetzt. Auch wenn die Schafe und Rinder nur einfache Holzwürfel sind, lassen die Aktionen in "Agricola" eine schöpferische Stimmung in Bezug auf Ackerbau und Viehzucht aufkommen. Das Spielmaterial ist gefällig und überaus umfangreich. Das Anleitungsbuch bringt den umfangreichen Stoff problemlos rüber.
Mit "Agricola" hat Uwe Rosenberg ein Spiel geschaffen, das die Komplexität von "Caylus" noch weit übertrifft. Wenn die Jury von Spiel des Jahres im Jahr 2008 wieder einen Sonderpreis für das komplexeste Spiel vergeben sollte (was sie wohl nicht tun wird), dann wäre Agricola zweifellos einer der heißesten Anwärter darauf.
Und wie gewinnt man das Spiel?
Eine leichte Frage, aber keine leichte Antwort. Wie bei allen Spielen dieser Gattung muss man sich mit den Abhängigkeiten der Wirtschaftsabläufe von "Agricola" intensiv auseinandersetzen und die Siegpunkt trächtigen Aktionen in ihrer Wirkungsweise vergleichen. Dabei ergibt sich folgende grobe Einteilung:
Den Nutzen einer Aktion wird durch folgende Textformel beschrieben:
Eine Investition heute in eine Aktion-A
S(A) = Siegpunktefür Aktion-A = fkt(rA, tA, eA, aA, mA, fA)
Dabei verpasse ich entsprechende Investitionen in eine Aktion-B
Der Mathematiker ist mit diesem Lösungsansatz bereits fertig. Der Ingenieur braucht bloß noch die einzelnen Parameter für alle möglichen Aktionen bestimmen und daraus die aktionsspezifischen Siegpunkte zu berechnen. Der Vergleich zweier Aktionen ergibt dann ungefähr folgende Kurve:
Daraus kann man leicht eine Tabelle erstellen, die die verschiedenen möglichen Aktionen gegeneinander abwägt und schon hat man ein wunderbares Hilfsmittel, um beim nächsten Spiel für jeden Zug in jeder Runde die jeweils beste Aktion zu ermitteln.
Machen wir nur noch eine kurze Überschlagsrechnung, wie große diese Vergleichstabelle unseres fleißigen Ingenieurs werden wird.
Ich überlasse es jetzt dem Leser auszurechnen, wie viele Tage der Ingenieur bis zur Fertigstellung über seinen Tabellen brüten wird, wenn er pro Sekunde eine Zahl darin einträgt. Ich lehne mich lieber mit dem Mathematiker zurück und sage schlicht: "Es gibt eine Lösung"! - Und dann setze ich mich an den Tisch und lasse mit dem größten Vergnügen meinen Agricola vor sich hin werkeln und seine Felder bestellen, und wenn aus Abend und Morgen der nächste Tag wird, dann freue ich mich mit ihm, wenn "er sah, dass es gut war" und Sieger wurde.
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