Der heutige Viererabend war als Verifikation unserer ausgedehnten Diskussionen über die Wölfe und Schafe in “Senji” geplant, doch dann mußte Moritz kurzfristig seinen Milo hüten. Vielleicht wollte er auch nur in Ruhe die Griechen verlieren und die Türken gewinnen sehen, eine Szenerie, die bei uns selbst dann nicht so wichtig genommen wird, wenn die Deutschen am Ball sind.
Loredana & Peter sprangen trotz der Trieb’schen Lockangebote nach Milbertshofen unverzüglich ein und ergänzten das Rumpftrio zu einer Quintett. Aber nur unter der Voraussetzung, daß wir bewährte, gute Spiele spielen würden. Mindestens eines dieser Attribute trifft für “Senji” in unserem Kreis nicht zu.
Peter brachte vorsorglich eine passende Spielauswahl mit. Und damit es erst gar nicht zu einer Abstimmung über die zu spielenden Spiele kommt, brachte er als Bestechung dem Hausherrn gleich drei bemerkenswerte Geschenke mit:
1) eine Flasche seines Hausweins
2) einen geilen nicht-tropfenden Weinausgießer (eine Silberscheibe, die man halbwegs in den Flaschenhals hineinstopft)
3) ein “Zoff im Zoo”, das als weiteres Absackerspiel am Westpark stationiert bleiben soll.
Walter hatte schon ein besonderes Tröpfchen aus seinem Weinkeller vorbereitet: Einen Saint-Emilion Grand Cru, Jahrgang 2003. Etwas jung, aber er bekam natürlich den Vorrang vor dem Hauswein. (Keine Angst, wir sind keine Krösusse, dieser Wein ist gerade weltweit im Angebot.)
1. “Canyon”
Ein zehn Jahre altes Spiel, vom Abacus-Willi mit den besten Empfehlungen bei uns eingeführt. Erstaunlich, wie wenig man von der Spielregeln eines ehemaligen Favoriten behält. Es lag garantiert nicht am Wein, eher am Alter (nicht von dem des Weines). Der Wein machte uns eher enthemmt. Blitzschnell gerieten wir in eine Dödelstimmung, die auch vor Verbalinjurien nicht haltmachte. Peter übernahm die Regelwiederholung, und befahl Loredana das Mischen der Karten. Bei ihrer ersten Regelnachfrage kam gleich die harsche Aufforderung: “Misch Du mal weiter!”, von Aaron (!) ergänzt: “Halt’s Maul und misch weiter!”
Hinter der Mischerin Loredana erklärte sich Peter zum Startspieler. Walter hielt das für eine Moritz’sche Trickserei, doch Peter konnte schwarz auf weiß im Regelheft nachweisen, daß der Startspieler links vom Kartengeber sitzt. Günther wendete noch ein, daß Karten-Mischen und Karten-Verteilen nicht das gleiche bedeuten, doch das – und manches mehr – wurde als Günnikologie abgetan.
Jeder Spieler bekommt wie beim Tarock eine bestimmte Anzahl von Karten und muß schätzen, wie viele stinknormale Stiche er damit macht. Pro gemachtem Stich darf man mit seinem Pöppel ein Feld in Richtung Ziel rücken. Zusätzlich noch ein paar Felder für das Raten der richtige Stich-Anzahl. Das Gute am Spiel ist, daß die letzten 20% der Zielstrecke ein deutlich schwierigeres Pflaster sind, und man demnach 80% der Spielzeit das richtige Schätzen und das optimale Umgehen mit den weiteren Spielelemente üben kann, bevor es ins Eingemachte geht.
Eine wirklich gelungene Expansion von “Canyon” sind die Indianer, die einem das Fortkommen auf der Zielstrecke erleichtern. Einer gewährt eine Toleranz beim Stiche-Raten, einer anderer erlaubt einmal das Nicht-Farbe-Bedienen, der dritte hilft Mitspieler zu überspringen und mit dem vierten kann man einen Mitspieler aus dem Weg schubsen. Der Schubser-Indianer heißt “Pushing Bull”. Nach einer Flasche St. Emilion fand jeder dafür eine andere Übersetzung. Alle die gleiche.
Peter kannte die richtigen Indianer-Prioritäten. “Bumsen ist besser als Springen”. Aaron meinte, das gelte erst ab einem gewissen Alter. (Vom St. Emilion?) Gibt es dazu keine glückliche Kombination? Bis zu einem gewissen Alter?
Als Peter gegen Aaron den Pusher in Anspruch nahm, entwickelte sich folgender Dialog: “Was machst Du denn da?” “Ich bumse Dich!” “Du Sau”. Ist hier noch offen, wer welchen Part gespielt hat? Es kam zumindest genauso lyrisch heraus wie die Florentiner Elegie von Oscar Wilde. Der passive Part konnte am Ende noch ergänzen: “Wenn der mich bumst, dann darf ich nachher noch einmal auf ihn drauf!” Wo er recht hat, hat er recht.
Walter hatte seine gewöhnlichen Schwierigkeiten mit dem Merken der Spielregeln. Wie geht die Zugreihenfolge, wer darf sich zuerst seinen Indianer auswählen, welche Bonusse werden wie fällig? Und dergleichen! Aaron blieb ganz geduldig! Ganz im Gegenteil zum aufbrausenden Moritz (“Das habe ich doch gerade vorhin erklärt!”) entschuldigte er Peters Vergeßlichkeit, die Regel zu erklären. Und sogar Peter sagte ganz sanft: “Erklär’ ihm BITTE die Regel!” Macht St. Emilion etwa lammfromm?
Es ging auf die zweite Flasche zu. Diesmal vom Jahrgang 2005. Walter benutzte zum Öffnen einen geilen Korkenzieher vom Juliusspital Würzburg. Aber er kam mit dem Mechanismus nicht zurecht. Aaron kannte sich da besser aus: “Entweder bist Du noch nicht richtig drin oder
”. Beide Alternativen waren jedermann genauso klar und vertraut wie der St. Emilioner Grand Cru. Peter übernahm das Szepter. “Ich bin ein großer Stecher!”. Was er damit andeuten wollte, blieb etwas undeutlich. Zumindest wurde kein Tropfen auf dem Tisch verschüttet, alles gelangte verlustfrei in unsere Kehlen. (Zum Weinausschütter siehe oben.)
Peter erinnerte Günther an seinen “Willi”, den er neulich Walter auf der Terrasse gezeigt hatte. Hallo Wilhelm, das bist Du! Ist allerdings schon einige Jährchen her. Abacus läßt grüßen!
Mit diesen Seitensprüngen verloren wir Aaron aus den Augen, der sich mit riesigem Vorsprung auf das schwierige Gelände vor dem Ziel begab. Doch anstatt ruhig und gelassen die letzten Meter zurückzulegen, fing er auf einmal an, mit Händen und Füßen alle Regelvarianten auszuloten und umzubiegen, die ihn noch ein paar Zentimeter näher zum Ziel bringen könnten. Er wollte unbedingt einen suboptimalen Zug machen um in eine optimale Position zu kommen. Peter verdonnerte ihn regelgerecht zum optimalen Zug, und Walter konnte diese Regelauslegung mit seinem phänomenalen Gedächtnis bestätigten. Doch Aaron setzte sich mit Gewalt suboptimal durch. Unisono quittierten alle sein Verhalten: “Aaron, Du machst uns den Moritz!”
Statt jetzt gegen den Winner zu kämpfen, miesnickelten die Loser untereinander. Peter wollte von Walter nicht gebumst werden und neutralisierte den Pusher. Bei einer unglücklichen Bumsrichtung hätte er sonst Letzter werden können. So wurde er nur Vorletzter. Welch eine Steigerung! Aaron kam unangefochten ohne einen einzigen Stich an Ziel.
Keine Veränderung zur bisherigen 7,4-Punkte-Wertung vom Westpark
Aaron und Moritz haben sich schon um Rezensionen verdient gemacht.
2. “Zoff im Zoo”
Das dritte Gastgeschenk von Peter heute an den Gastgeber. Ein lustiges Stichkartenspiel, logisch, chaotisch, lustig. Auch wenn man Tiere mit Tieren stechen muß, läuft alles ganz gesetzlich geregelt ab.
Aaron übernahm konsequent wie immer die Rolle des fünften Rads am Wagen und ließ sich deshalb nur ein eingeschränktes Frohlocken entlocken. Ohne Partner und ohne Hilfe fällt das Stechen natürlich sehr viel schwerer. Auch der Punkte-Bonus kann hier nicht über das Lust-Defizit hinweghelfen.
Keine Veränderung zur bisherigen 8,1-Punkte-Wertung vom Westpark
Walter hat schon zwei Session-Reports geschrieben.
3. “Bluff”
Bis zu Peters U-Bahn war noch über eine Stunde Zeit und lange wurde diskutiert, welcher Halbstünder da noch am besten hineinpaßte. Kein Spiel erhielt die erforderlich Mehrheit, nicht mal die Kandidaten aus der allerneuesten Auswahlliste zum Spiel-des-Jahre. Doch Bluff kann alle Kontroversen zu einem sympathischen Ende bringen.
Im ersten Endspiel Peter mit drei gegen Walters einen Würfel fing Peter mit der Immer-4-Strategie an. Walter hatte eine Fünf geworfen und hob auf 2 mal die Fünf. Für Peter mit seiner Eins, Zwei und Vier unter dem Becher war es leicht, hier anzuzweifeln.
Was wäre gewesen, wenn Walter auf 1 mal Fünf gesetzt hätte? Wie hätte Peter agieren müssen, um trotzdem noch mit mindestens 66 % Wahrscheinlichkeit zu gewinnen?
Im zweiten Endspiel Peter mit zwei gegen Walters einen Würfel fing Peter wieder mit der Immer-4-Strategie an. (Hi Günther, das ist doch zweifellos der beste Beginn, oder?!) Walter hob auf 2 mal Zwei. Er mußte zweifellos eine Zwei geworfen haben. Jetzt wendete Peter eine wichtige Technik an, die unbedingt zum erfolgreichen Bluff-Spiel gehört:
[glowred]Beim Bluff muß man auch dann denken, wenn es gar nicht nötig ist![/glowred]
Nach einigem Überlegen hob er auf 2 mal Fünf. Welchen Sinn macht das?
Beim Bridge-Spielen heißt es: In einer verzweifelten Lage muß man die fehlenden Karten beim Gegner genau so positionieren, wie man sie zur Erfüllung braucht. Was heißt das auf die hier gegebene Bluff-Situation?
Peter mußte mindestens eine Zwei haben, sonst hätte er Walters 2 mal Zwei angezweifelt. Peter mußte aber auch mindestens zwei Fünfen haben, sonst hätte er nicht auf 2 mal Fünf gehoben. Folglich mußte einer seiner beiden Würfel ein Stern sein.
Was muß Peters zweiter Würfel anzeigen, damit Walter den Kampf noch gewinnen kann? Nur post mortem konnte er diese Überlegungen erfolgreich zu Ende führen, die ihm den Sieg gebracht hätten. (Zumindest) Das unterscheidet ihn noch von einem richtigen Bridge-Nationalspieler.
Im dritten Endspiel standen sich Peter und Aaron mit zusammen 7 Würfeln gegenüber. In einem regelrechten Titanenkampf mußt sich Peter erst bei 6 mal die Fünf geschlagen geben. Dann fingen für beide die mageren Jahre an, in denen Peter den 1:4 Rückstand noch auf 1:2 verkürzen konnte. Jetzt wollte er den Stier bei den Hörnern packen und fing mit 1 mal Stern an. Aaron durchschaute die Lüge. Aus. Hi Peter, warum hast Du nur die Immer-4-Strategie verlassen!
Das vierte und letzte Endspiel konnte Peter ausnahmsweise nicht mehr erreichen. Im ersten Spiel verlor er gleich zu Beginn vier Würfel. Er hatte sich gerade von seinem Schreck erholt und find an, über seinen armen letzten Würfel zu lamentieren, da war er auch schon froh, nicht noch weitere vier Würfel zu besitzen. Er wäre sie ebenfalls alle auf einen Schlag losgeworden. Freudig hinterließ er dem Rest des Feldes Schulden von drei Würfeln und eilte beschwingten Fußes zur vorletzten U-Bahn.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
4. “Moritz und der Spieleverlag”
Lieber Peer Sylvester, die Geschichte mit Moritz und dem Auftrag zur Spiele-Erfindung ist wirklich keine Ente vom Westpark. Wenn Du Genaueres darüber erfahren willst, dann ruf doch bei ihm an. Oder warte noch die paar Jährchen, die eine professionelle Spiele-Entwicklung dauert. Unser Genie Moritz wird aber garantiert schneller damit fertig sein. Soviel ich aus seinen Andeutungen entnehmen kann, wird es ein echtes Kampfspiel (Historienspiel?) OHNE Kingmaker-Effekt sein. Das ist doch schon etwas ganz Außergewöhnliches, oder!
5. “Noch ein PS”
Hallo Peter, als Du fort warst, entdeckte Aaron, daß Dein Stuhl ganz naß geworden war. Kannst Du uns bitte schnell dafür eine Erklärung geben, noch bevor die Spielerwelt hierzu ins Grübeln gerät
2 Gedanken zu „11.06.2008: Gewöhnliche Bestechlichkeit“
Kommentare sind geschlossen.
Hallo,
na dann bin ich ja gespannt! :-) Mich würde ja vor allem interessieren wie sich diese Partnerschaft gestaltet.
Aber schön dass ihr mein Blog liest :-)
ciao
peer
Hallo Peer,
Ich bin ja selber ein bißchen überrascht, dass ich angefragt wurde, und man sollte jetzt auch noch nicht hundertprozentig sicher sein, denn schliesslich ist das auch Neuland für mich und natürlich viel Arbeit. Aber im Moment arbeite ich hart daran, und wenn es was darüber zu berichten gibt, wirst Du bald auf diesen Seiten davon lesen. Mir ist klar, dass es ein Privileg ist, auf diese Weise von einem Verlag angefragt zu werden, in diesem Fall hat es mit meinem Interview in der Spielbox zu tun. Ich bilde mir darauf nichts ein, und weiß auch, dass da ein bißchen günstige Umstände im Spiel sind. Schauen wir mal, wie es wird – ich werde mir Mühe geben!
Gruß,
Moritz