Thomas der Jüngere ist wieder in unsere Reihen zurückgekehrt. Lange Zeit hat er sich an den prallen Brüsten der nährenden Mutter festgesogen, jetzt muß er selber Milch geben, und das kostet offensichtlich weniger Zeit und Energie als das Einsaugen. Er findet wieder Muße zum Spielen.
Die Halbfinal-Begegnung zwischen Deutschland und der Türkei hatte unsere Reihen gelichtet und so kam der Rückkehrer gerade richtig, einen neuen Kampfabend mit “Friedrich” zu komplettieren.
1. “Friedrich”
Thomas kannte das Spiel noch nicht, hatte sich aber schon im Internet mit den verschiedenen Rezensionen und Kommentaren beschäftigt. Er wußte sogar, daß in den letzten beiden Jahren jeweils Friedrich-Weltmeisterschaften ausgetragen worden waren, und daß dabei jedesmal die Preußen gewonnen hatten.
Aaron durfte diesmal die Preußen spielen. In meinen Augen ist es ein “dürfen”, denn der Preußenspieler hat das ganze Spiel über die größten Spielanteile. Hinterher war Aaron damit gar nicht so glücklich geworden, denn die preußischen Gegner haben alle ein klares Kriegsziel vor Augen, dem man Schritt für Schritt näher kommen kann, die Preußen können nur lavieren und taktieren, um bei allen anderen das Erreichen des Kriegszieles zu verhindern. Eine deutlich weniger klare Aufgabenstellung.
Walter übernahm die Österreicher, immerhin die zweitstärkste Militärmacht und Thomas bekam das Ränder-Trio Frankreich, Rußland und Schweden.
Als alter Kriegsspieler trieb Thomas seine russischen Generäle gleich an alle Fronten. Nach zwei, drei Runden tummelten sie sich schon bei den blonden Schwedinnen. Doch ihre ureigenste Hausaufgabe hatten sie nicht gelöst: die preußischen Stellungen im äußersten Nordosten hatten sie nicht eingenommen. General Lehwaldt konnte hier die preußischen Städte über viele Runden hin halten, verteidigen oder zurückerobern. Mit einem einzigen General war die gesamte preußische Ostfront stabilisiert. Als Klose das 2:1 für die Deutschen köpfelte, verlor Rußland bei Stettin gerade eine ganze Schlacht und drei Armeen. Die russischen Generäle, die in Schweden das süße Leben kennengelernt hatten, kehrten nicht mehr lebend auf die Schlachtfelder zurück.
Aaron zog die Hannoveraner zurück bis an Nord- und Ostsee und setzte gegen die Franzosen lieber seine mächtigen Preußen ein. Ein guter Schachzug; damit gewann er weitaus mehr Flexibilität an der Westfront und konnte dosiert auf den französischen Vormarsch reagieren. Die a priori schwach ausgestatteten Hannoveraner hatten ihrerseits keine Schwierigkeiten die ebenfalls schwachen Schweden im Zaum zu halten. Die Schweden verloren auch als erste die Lust an weiteren Kampfhandlungen. Ziemlich zeitgleich mit Lahm’s wunderschönem Siegestreffer zogen sie sich vollständig aus dem Schlachtengetümmel zurück.
Walter hatte seine Österreicher sehr zurückhaltend eingesetzt. Sollte das Abwarten für die Alliierten nicht von Vorteil sein? Die Preußen ziehen neun Kampfkarten pro Runde, die Alliierten dagegen elf, also zwei mehr. Das muß das Zünglein an der Waage auf Dauer doch zugunsten der Alliierten ausschlagen lassen. Preußens Taktik muß es doch sein, durch kurze, gezielte, überlegene Scharmützel die Kampfkraft der Gegner zu schwächen. Oder täusche ich mich da? Wir haben dieses Hypothese bis zum Spielende kontrovers diskutiert.
Thomas ließ nicht nur als Russe die Ostpreußen überleben, er ließ sich als Franzose auch viel zu lange von den Hannoveranern in die Suppe spucken. Cumberland und Ferdinand von Braunschweig ritten immer noch lustig über die Lüneburger Heide, als Ballack und Schweinsteiger schon längst wieder frisch gewaschen und gestriegelt aus der Kabine kamen. Vielleicht lag das allerdings auch an Aaron’s vorzüglichem preußisch-hannoveraner Rochieren.
Aaron ließ auch die beiden preußischen Generäle Keith und Seydlitz nahezu bewegungslos als drohende Wacht an der Neiße zurück, und Walter fand mit seinen Österreichern lange kein Mittel, die notwendigen Städteeroberungen in Oberschlesien anzugehen. Das Schicksal hatte ihm zu viele Herzkarten und zu wenig Kreuzkarten in die Hand gegeben. Schließlich vereinigte er die 24 Armeen von drei Generälen zu einem einzigen Armeecorps und versuchte mit einer längerfristigen Ermüdungsschlacht die Preußen zu vertreiben. Doch dann verlor er die Geduld, setzte alles auf eine Karte und focht in einer Schlacht den Kreuzkampf bis zur bitteren Neige aus. Wie im richtigen Leuthen zogen die Österreicher trotz materieller Überlegenheit den Kürzeren. Ihre 24 Armeen wurde bis fast in die Ukrainischen Steppen vertrieben; sie fanden keinen Anschluß mehr an ihren Troß und mußten elendiglich verhungern.
Inzwischen hatte Beckenbauer die ZDF-Rabauken Kerner, Klop und Meier mit Lob überschüttet und die Lichter auf der Bregenzer Seebühne waren ausgegangen. Österreich hatte sich praktisch verabschiedet, die Entscheidung konnte nur noch zwischen Franzosen, Rheinarmee und Preußen fallen. Es war abzusehen, daß dies noch ein langes, zähes Ringen werden konnte. Unser Maxvorstädter wäre schon seit 2 Stunden mit der letzten U-Bahn nach Hause gefahren. Aaron räumte freiwillig Magdeburg und Halberstadt, um den Franzosen den Weg in die letzten beiden Siegstädte zu öffnen. Doch Thomas wollte sich nicht so einfach zum Sieger küren lassen. Wir brachen ab.
Fünf Stunden Kriegsspiel, fünf Stunden hartes Ringen, aber zugleich fünf Stunden spannendes Spiel um Geschichte und Geschichten war zu Ende.
Thomas drückte die WPG-Wertung durch vorläufige 7-Punkte um einen zehntel Punkt nach unten.