Peter brachte Christoph mit, einen “hochintelligenten Ex-Siemensianer Mathematiker, zu dem ich bewundernd aufblicke”. Von Brettspielen noch unverdorben sollte er einen Eindruck in eine geile Brettspielrunde bekommen und sich beim Nach-Hause-Gehen fragen, “wie er solange ohne Brettspiele leben konnte”.
Die WPG-Löwen waren vorgewarnt; sie sollten vorsätzlich ihre Krallen einziehen und sich als Schmusekätzchen geben. Kein Problem, Löwen zerfleischen sich ja nur, wenn sie Hunger haben und allein unter sich sind.
Walter schlug zum Einstieg ein “Keltis” vor. Kurz und schmerzlos, und nach Wilhelms soeben dementierter Einschätzung gerade für Schmuse-Runden besonders geeignet. Doch der Vorschlag wurde gnadenlos abgeschmettert. Nicht demokratisch, sondern rein Petrokratisch, und die schweigende Mehrheit gab mal wieder das Zünglein an der Waage.
Dafür kamen Spiele zum Zug, die Peter extra für heute ausgewählt und mitgebracht hatte. Bewährte german-style Games, kurzweilig und spielerisch reizvoll.
1. “Ra”
Ein 1999 erschienenes Knizia-Spiel, das Peter nach vielen Jahren Enthaltsamkeit wieder der Brettspielerei zugeführt haben soll. Jetzt durfte er es erklären.
Reihum werden Plättchen aufgedeckt und auf dem Spielplan abgelegt. Wer meint, die Gelegenheit sei günstig, ruft sie alle zusammen zur Versteigerung auf. “Günstig” ist hier der entscheidende Begriff, darin liegt der ganze Spielreiz von “Ra”. Wenn man nicht viel zu bieten hat, löst man schon bei kleinsten Angeboten eine Versteigerung aus, in der Hoffnung, daß die dicken Fische nicht anbeißen. Wenn man potente Ersteigerungssubstanz besitzt, wartet man damit auf das große Glück.
Die ersteigerten Plättchen sind von verschiedenster Art und geben manigfaltige Vorteile. Es gibt kummulative Werte und selektive Werte, manchmal gibt es Strafpunkte, wenn man von einer Sorte kein einziges Plättchen ersteigert hat, manchmal bekommt man nur dann Siegpunkte, wenn man die meisten von einer Sorte hat. Ansonsten zählen die Plättchen linear in ihrer Anzahl und progressiv in ihrer Häufung.
Einige Plättchen sind “persistent”. So erklärte es der Altphilologe dem Mathematiker, schlicht ausgedrückt, sie zählen in jeder Wertung. Andere Plättchen sind “volatile” oder “fugiens” – diese Ausdrücke fanden wir zumindest im Latein-Lexikon. Auf deutsch: sie sind flüchtig und zählen nur für eine einzige Wertung. Der richtige Fachausdruck wird wohl “transient” sein, doch das offenbarte erst nachträglich die Suche bei “Wikipedia”.
Dreimal pro Spiel gibt es eine Siegpunkt-Ausschüttung, in der die Gesamt-Kollektion an erworbenen Plättchen prämiert wird. Wer nach der dritten Ausschüttung die meisten Siegpunkte auf dem Konto hat, hat gewonnen.
“Ra” ist rund und vielseitig. Die Gier nach Vorteilen und Siegpunkten geht in verschiedenste Richtungen. In einer gemischten Anfänger-Experten-Runde bietet es den Vorteil, daß alles offen ist und man jeden Zug erklären und plausibilisieren kann, ohne damit wesentlich zum Nachteil anderer Mitspieler zu argumentieren.
Christoph kam gut mit, aber er betrachtete das Spiel doch eher mit den Augen seiner real existierenden Enkel. Da ahnt er Probleme, das Regelwerk mit den komplexen Wertungstabellen rüber zu bringen. Verständlich, wenn man nicht selbst schon Hunderte von Spielregeln geschultert hat.
WPG-Wertung: Peter blieb bei seinen 8 Punkten, Loredana steuerte bisher nicht notierte 10 dazu, Walter erhöhte seine Note von 8 auf 9. Christoph’s “indifferenten” 5 Punkte waren außer Konkurrenz.
2. “Trans Europa”
Ein einfaches, flüssiges Spiel um den Gleisbau zu ausgewählten Städten in Europa. Christoph war begeistert: Er sieht Chancen für eine sofortige Umsetzbarkeit bei seinen Enkeln.
Keine neue WPG-Wertung.
3. “Zoff im Zoo”
Ein weiteres Lieblingsspiel von Peter, das er erst kürzlich als Absacker-Alternative am Westpark deponiert hat. Wir suchten seine Gabe längere Zeit erst vergeblich unter einem unüberblickbaren Haufen von Notizen und leeren Gummibärchen-Tüten auf Walter’s Schreibtisch. Dann fand sie Loredana im Stapel der “recent” Games. (Wie sagt man hier zu “recent” auf Deutsch?)
Selbst für einen Skatspieler wie Christoph ist das Stichprinzip bei “Zoff” immer noch eine Herausforderung. Freiwilliges Passen, Erhöhen mit bessern Werten oder mit längeren Werten, dazu das zyklische Stich-Potential (Fuchs sticht Maus, Elefant sticht Fuchs, Maus sticht Elefant) erfordern ein erhebliches Umdenken gegenüber den braven Herz-Bube-Kreuz-Dame-Betrachtungen eines normalen französischen Kartenspiels. Ganz zu schweigen von der Mücke, aus der man auch noch einen Elefanten machen kann.
Peter stellte fest: “Ein faszinierendes Spiel, weil die Zusammenhänge nicht so klar sind!”. Normalerweise gilt für Spiele mit “to-have-a-plan”-Charakter eher das Gegenteil, doch hier hat er recht. Und zweifellos kann man “Zoff im Zoo” planen!
Keine neue WPG-Wertung für ein Spiel, für das Loredana die Höchstnote von 10 Punkten vergibt.
4. “Bluff”
Peter war weichgeklopft und hätte jetzt sogar auch noch ein “Keltis” geschluckt, wenn die Zeit nicht schon soweit fortgeschritten gewesen wäre. Die vorletzte U-Bahn erlaubte gerade noch ein kurzes Vorstellen von “Bluff”.
Christoph hat unsere tausendfältigen Diskussionen um Vorgaben und Endspiel, um Immer-4- und Immer-5-Strategie natürlich nicht mitbekommen, insofern kämpfte er noch mit den Prinzipien von Anzweifeln oder Erhöhen. Dazu heißt das Spiel ja “Bluff” und nicht “Calc”. Die Mechanismen mit dem roten und den gelben Würfeln, mit den Unstetigkeitsstellen an der Stern-Positionen und mit den genauen bzw. den Mindest-Anforderungen kosteten das Noagerl im Maß seiner freien Kapazität. Nachdem diesmal auch Loredana nicht das rechte Maß zwischen Glauben und Nicht-Glauben gefunden hatte, teilten sich Peter und Walter die Lorbeeren.
Keine neue WPG-Wertung für ein Superspiel.