1. “Empires of the Ancient World”
Das Spiel hatte vor fünf Jahren die erste und bisher einzige Zerreißprobe unter den Westpark-Games ausgelöst. Eine hitzige Diskussionen hatte sich darüber entzündet, ob man beim Angriff über Wasser die Fähigkeiten eines Diplomaten für “adjacent” Felder nutzen darf oder nicht. Damals wurde das Spiel abgebrochen. Heute sollte es in erneuerter Besetzung fortgesetzt werden.
Peter hatte sich exzellent vorbereitet. Das tut er immer, wenn er die Verantwortung für ein Spiel übernommen hat. Er philosophierte vor den Neulingen bereits über die Unterschiede zwischen der Militär- und der Handelsstrategie, als seine Frau mit ihren Kollegen noch bei ihrer Einstandsfeier saß. Der Wirt brachte zu langsam das Essen auf den Tisch. Doch dann eilte sich so schnell wie möglich herbei und die zurückbleibenden Kollegen beneideten sie um den Brettspielabend am Westpark.
Die Spieler kämpfen auf einer Landkarte des Mittelmeerraums um Mehrheiten in den verschiedenen Regionen. Die einzelnen Provinzen können militärisch besetzt oder mit Handelsketten durchzogen werden. In den drei Wertungen eines Spieles werden die aktuellen Besitzverhältnisse in Siegpunkte umgewandelt. Die militärische Kontrolle bringt die volle Punktzahl, die relative Handelsmehrheit die halbe Punktzahl.
Militärisch kann jedes Gebiet nur von einer Partei besetzt sein; im Konfliktfall kommt es zu einem Eroberungskampf, der durch Kampfkarten und Würfel entschieden wird. Händler können sich hingegen in jedem Gebiet tummeln, auch in fremden. Sie dürfen in Friedenszeiten nicht vertrieben werden, gehen beim Besitzwechsel aber samt und sonders in die Sklaverei, d.h. sie bringen dem Eroberer Siegpunkte.
Statt zu erobern oder Handel zu treiben, kann man in seinem Zug auch eine der offen ausliegenden Armeekarten auf die Hand nehmen und damit seine Kampfkraft zu erhöhen. Ein Kampf wird nämlich dadurch entschieden, daß jeder verdeckt 5 Armeekarten aus seiner Hand auswählt und gegen die 5 vom Gegner ausgewählten Karten antreten läßt. Da gibt es Elefanten und Kavallerie, Artillerie und Bogenschützen, Galeeren, Infanterie und andere Glücksritter. Alle bedeuten beim Kampf gegeneinander unterschiedliche Vor- und Nachteile; den letzten Ausschlag über den Sieg gibt dann noch der Würfel, ein stinknormaler Hexawürfel, für poetische Rezensenten ein “eleganter Kampfwürfel”.
Es gab eine Menge zu erklären und Peter, der alles im Kopf, aber (heute ausnahmsweise) wenig auf der Zunge hatte, sprang mitten aus einem Detail in das nächste. Vieles sollte (ausschließlich) durch Beispiele klargemacht werden, z.B.: Wenn ein Spieler einen Eroberungskampf mit 2:1 verliert, dann darf der Sieger dem Verlierer 2 Armeekarten aus den Hand ziehen. Schaut, so! Eine davon wird abgelegt. Verstanden? Hier kommt zweimal die “2” vor, das ist doch eine eineindeutige Abbildung, und daß unter den beiden demonstrativ gezogenen Karten eine Standardkarte war, die man behalten darf, und eine Nachziehkarte, die man abgeben muß, das war doch offensichtlich, oder?
Nach einer guten Stunde Erklärung konnte sich Aaron zu einem echten Lob aufraffen: “Zum ersten Mal, daß Du was schön erklärt hast!” Nach weiteren 20 Minuten waren wir komplett durch die Regeln. Einer hatte alles erklärt, einer hatte alles verstanden, drei Neulinge hofften auf Learning by Doing. Hätten wir uns die tausenderlei Eigenschaften und Randbedingungen auf Anhieb alle merken sollen? Nicht nur Walter war überfordert. Der Spielablauf ist bekanntermaßen etwas chaotisch und eine Kurzanleitung sowie eine mnemotechnische Hilfestellung auf Spielmaterial oder Spielbrett gibt es schon gar nicht. Keiner lastete dem Erklärer die Fülle des Materials an. Ganz im Gegenteil, wir bewunderten die Engelsgeduld, mit er immer wieder die gleichen Regelanfragen mit den gleichen Zitaten aus dem Regelheft beantwortete.
Loredana war Startspielerin und siedelte sich auf den reichen Provinzen in Kleinasien an, Peter begann seine militärische Laufbahn in Rom, Aaron versuchte sich im friedlichen Ackerbau auf der iberischen Halbinsel, Walter fühlte gleich zu Beginn seine Athener Handelsniederlassung vom Ehepaar aus der Maxvorstadt in die Zange genommen, und Hans blieb zum Einstieg nur der schmale Rand des damals bekannten Nordafrika.
Obwohl Peter einen Angriffskrieg vorangekündigt hatte, beschränkte er sich zunächst auf ein friedliches Besiedeln der näheren Umgebung und nahm hin und wieder eine Armeekarte auf, die uns Neulingen alle nicht so gefährlich erschienen. Hans war als Besamer angekündigt worden, da waren wir a priori auf friedliche Aktionen eingestellt, und daß er sich ab und zu mal eine Galeere zulegte, das war ebenfalls nicht verdächtig. Bis dann urplötzlich die Eroberungskämpfe einsetzen. Peter schlug auf den spanischen Aaron ein und gewann jeden Karten-Würfelkampf. Hans war unangefochtener Flottenchef und konnte sich jedes Stückchen Mittelmeer unter den Nagel würfeln. War das Können oder Glück?
Nach 1 ½ Stunden Spielzeit zogen wir die erste Bilanz. Die beide siegreichen Eroberer betonten ihre strategische Planung. Sie hatten sich klammheimlich die richtigen Armeekarten angeeignet, die sie für ihre hegemonialen Ambitionen gebraucht hatten. Damit konnten sie die statistische Gewinnchance bei den Eroberungskämpfe auch bei einer zufälligen Auswahl der Kampfkarten und dem zufälligen Ergebnis der Kampfwürfel zu ihren Gunsten verschieben. Die übrigen friedlichen Lämmer hatten sich eine stumpfe Mischung aus Ingenieuren mit Pflugscharen zusammengetragen und wunderten sich, daß sie damit den Zufall aus Kartenauswahl und Würfelglück nicht auf ihre Seite ziehen konnten. Irgendwie frustrierend!
Aaron ärgerte sich: “Nicht, weil ich meine Würfelkämpfe verloren habe, sondern weil ich das Spiel so blöd find.” Walter bekannte, daß sein weiterer Ehrgeiz nur noch darin bestand, das Spiel möglichst schnell über die Runden zu kriegen. Peter war schockiert, als wir ihm diese Einschätzung präsentierten. Er vertröste uns auf die angeblich Überraschungen bringenden Punktewertungen. Die erste davon war zeitlich ja schon abzusehen. Der Admiral vom Mittelmeer erhielt dann 52 Siegpunkte und der General aus dem Stiefel 31. Loredana stand sogar etwas besser als der General, das einstmals blühende Kleinasien war offensichtlich eine günstige Ausgangsbasis gewesen. Doch drohte ihr früher oder später ein Abschlachten von der Seeseite her. Aaron und Walter waren hoffnungslos abgeschlagen.
Walter stellte den Antrag, daß wir über einen Spielabbruch abstimmen sollen. Der Antrag wurde mit 3 Stimmen gegen 2 Enthaltungen angenommen. Anschließend wurde über den Spielabbruch selber abgestimmt. Aus den Enthaltungen wurden Gegenstimmen, doch die Mehrern wurden sie nicht.
Wie hätten wir weiterspielen sollen?
Peters Vorschlag:
– Aaron muß sich zwei bis drei Truppen zulegen, dann auf den afrikanischen Hans losgehen und mit dem Rest seiner Potenz den italienischen Peter besamen.
– Loredana stand sehr gut. Sie kann machen was sie will, z.B. soll sie sich eine starke Flotte gegen Hans zulegen. Leider ist Hans schon ziemlich stark und hat eine Menge Galeeren.
Für Walter hatte er keinen Tip übrig. Der war schon ziemlich totgeschlagen und hätte sich wohl am besten zur Aphrodite in die Stoa zurückziehen sollen.
Und wenn wir alle von Anfang an gleich erkannt hätten, daß das rechtzeitige Ziehen der richtigen Armeekarten die spielentscheidenden Züge sind, dann … wäre das Spiel noch fader geworden.
Loredana’s Bilanz:
[glowred]”Wenn ich gewußt hätte, was mich heute hier erwartet, hätte ich lieber mit meinen Kollegen weitergegessen.”[/glowred]
WPG-Wertung: Aaron: 6 (einen Punkt weniger), Hans: 8 (der kann’s), Loredana: 6 (nur knapp hinter den Kollegen?), Peter 10 (trotz: “Das Spiel ist nicht ausgefeilt, aber auch nicht doof!”), Walter: 5 (noch einen Punkt weniger)
3. “Bluff”
Loredana wäre bereits nach zwei Runden wieder gerne bei ihren Kollegen gesessen. Dafür konnte sie das zweite Spiel für sich entscheiden. Und es gab noch ein drittes Spiel.