Unser Archäologe Peter durfte mal wieder in den umfangreichen bayerischen Staatsarchiven graben und ist dabei auf ein Goldstück aus der Geschichte des Spiels gestoßen: Eine komplette Spielanleitung zum Spiel “Lir Parets Re”, mit dem schon vor knapp viertausend Jahren der damalige amtierende Weltmeister Hammurabi in einem über 12 Partien vereinbarten Kampf seinem Herausforderer Ramses II die Gesetzestafeln vom Sinai abgeluchst hat. Als Matura in “Dr. Sum” hat Peter die Spielregeln vom Sumerischen ins Englische übersetzt. Was lag näher, als das Spielmaterial nachzubauen und das Spiel am Westpark auf den Tisch zu bringen!
1. “Lir Parets Re”
Der Startspieler wird mit einem regelmäßigen Diakosaeder ausgewürfelt. Schon damals war unsere heutige WPG-Technik gebräuchlich: Der König war die Nummer 1; alle seinen Tafelritter lagen um ein rundes Bett kreisförmig um ihn herum und bekamen die fortlaufenden Nummern 2, 3, 4 usw. Mit dem Startspielerauswürfelwürfel konnten insgesamt zweihundert Mitspieler unterschieden werden. Eine epochemachende Erfindung, ähnlich bedeutend wie das Rad! Nur wenn die Gesamtrunde etwas kleiner war, und z.B. nur aus dem Privatissime-Kreis der vier geheimen Hofräte bestand, konnte es schon mal etwas länger dauern, bis eine der Zahlen 1 bis 4 gewürfelt wurden und der Startspieler bestimmt war (Günther hat es ausgerechnet: ca. 35 Würfe für eine Trefferwahrscheinlichkeit von 50%) Diese Ermittlung war früher einer eigenen Beamtenkaste vorbehalten, den sogenannten “Initiatoren”, denen als Oberaufseher ein “Tossus Maximus” vorstand.
Bei uns durfte Peter wie üblich die Regeln vortragen. Als Vorlage nutzte er dazu die Original-Spielanleitung, die er nach Moritzscher Art flüssig aus dem Stegreif in unsere Gebrauchssprache übersetzte. Obwohl er dabei sehr gewissenhaft und linear vorging, schaltete Walter schon nach wenigen Sätzen ab. Allein mit Peters Leserichtung von rechts nach links kam er vorne und hinten nicht zurecht. Doch das ist er schon gewohnt. Er lehnte sich entspannt zurück, wartete stundenlang geduldig auf das Ende von Peters Sermon, sprach unbeschwert den Gummibärchen zu und freute sich auf das zweifellos irgendwann mal folgende “Learning by doing”.
Ungewohntermaßen hatte auch unser genialer Spieleversteher Moritz seine Schwierigkeiten mit dem altehrwürdigen Text. Immer wieder unterbrach er den Redefluß Peters mit Detailfragen. Mit Engelszungen wiederholte Peter seine Erläuterungen, lediglich die einleitende Ritualformel: “Wie ich vorhin schon gesagt habe” sollte dem begriffsstutzigen Fragesteller ein Licht aufgehen zu lassen. Er hatte nur sinngemäß Recht: die Übergriffe, Plünderungen, Zerstörungen, Tempelschändungen und Vergewaltigungen in den sumerischen Stadtstaaten unterscheiden sich allein vom zeitlichen Ablauf her gewaltig von denen ihrer Nachfolger in Orient und Okzident.
Nach wenigen Stunden hatten wir die Einführung mehr recht als schlecht hinter uns gebracht und gingen zur Praxis über. Das Spielprinzip basiert auf einer Mischung aus “Risiko” und “Monopoly”. Jeder Zug wird ausgewürfelt und erlaubt damit jedem Mitspieler eine vorausschauende elegante Killerplanung. Häuser und Hotels gibt es naturgemäß nicht, sie werden in “Lir Parets Re” durch Brunnen dargestellt – eine durchaus sinnvolle Alternative, denkt man nur an die damaligen sanitären Anlagen und das fließende Wasser.
Statusgemäß beschwerte sich Aaron schon im Vorhinein über die schlechten Würfe, mit denen er kaum aus den Startlöchern herauskommen könne. Dabei ist es in “Lir Parets Re” von Vorteil, lange verdeckt zu agieren und die anderen sich gegenseitig die Köpfe einschlagen zu lassen. Doch Kriegernaturen haben keinen Zugang zu pazifistischer Logik. Gemäß unserer ungeschriebenen Hackordnung startete Moritz unverzüglich einen ersten Angriff auf Peter, der sich gerade noch von der Akkad-Arena auf die Museumsinsel zurückziehen konnte, dabei aber all seinen Besitz an Löwen und Jungfrauen dem Sieger überlassen mußte.
Wenn Günther an der Reihe war, rechnete er jedes Mal auf seinem Potbal-Abakus die Erfolgswahrscheinlichkeiten für seinen nächsten Zug aus. Flucht oder Angriff hieß die Fragestellung, und wie im richtigen Leben brachte die Flucht immer die meiste Kohle, der Angriff dagegen den größten Harem ein. Auch Hans rechnete jeweils Hunderte von Varianten in die Zukunft voraus, bevor er sich für seinen Zug entschied. Allerdings rechnete er im Kopf, und war dadurch bedeutend schneller als Günther mit seiner Maschine.
Mitternacht war vorbei, als wir abbrechen mußten. Peter hörte die vorletzte U-Bahn rufen, und diese Stimme ist für ihn noch unwiderstehlicher als Odysseus’ Sirenen. Diesmal packten wir das Spielmaterial jedoch nicht wieder weg; erstmalig ließen wir die aktuelle Situation aufgebaut stehen und wollen sie nächste Woche fortsetzen. Die faszinierende spielerische Auseinandersetzung mit einem genialen Spielentwurf aus der alten Welt darf nicht noch einmal viertausend Jahre in der Versenkung verschwinden.
Bevor Walter über seinem nächtlichen Sessionreport brüten konnte, diskutierten wir noch bis zum Morgengrauen über mögliche Fortsetzungen und Gewinnstrategien. Da kam Aaron eine blendende Idee: Wollen wir nicht mal wieder unsere Teilnahmebeschränkungen aufheben und einem unlimitierten Kreis von interessierten Spielern, Profis wie Anfängern, die Gelegenheit geben, diesen Nestor aller Brettspiele kennenzulernen? Ohne Gegenstimme wurde sein Vorschlag angenommen. Hier ist es offiziell:
Wir laden für nächsten Mittwoch, den 1.4.2009 alle Spieler im Raum München in die heiligen Hallen der Westpark-Gamers ein, um mit uns “Lir Parets Re”, das älteste Brettspiel der Welt, zu Ende zu spielen. Kommt um 20 Uhr (bitte pünktlich!) nach München-Sendling, Am Westpark 8, direkt über dem ADAC, und bildet Euch Euer eigenes Urteil über den 4000-jährigen Fortschritt im Spieldesign! Wer garantiert einen Platz an einem der vorderen Tische bekommen möchte, der sollte am besten diesen Session-Report mit der Antwort:
[glowred]”Ich bin dabei”[/glowred]
quittieren (“postreply”-Knopf rechts ganz unten) oder einen entsprechenden Eintrag in unser Gästebuch machen.
Die ersten 10 Teilnehmer erhalten zudem noch das von Peter liebevoll ausgestaltete Regelheft in Deutsch und Sumerisch!
WPG-Wertung:
Aaron: 7 (preliminary, “muß erst zu Ende gespielt werden”),
Andrea: 6 (“für jeden nackten Angreifer einen zehntel Punkt”),
Basti: 4 (“das Geilste ist das Plattmachen”),
Günther: 3 (arbeitet schon an einer verbesserten Computerversion),
Hans: 5 (ist “durch die Würfellogik noch nicht durchgestiegen”),
Loredana: 9 (“es hat mir einfach gefallen”),
Moritz: 8 (“das Totschlag-Thema wurde lebendig umgesetzt”),
Peter: 1 (“wenn das Spiel von Edgar Wallace wäre, hätte es noch einen Punkt weniger gekriegt”),
Walter: 2 (Gedächtnis- und Übersichts-Probleme)
Thomas, d.J.: 10 (freut sich auf seinen ersten Sieg am Westpark)
2. “Bluff”
Todmüde verzichteten wir diesmal auf unseren Standard-Absacker “Bluff”.