Die Auswahlliste zum “Spiel des Jahres 2009” ist erschienen. Wer mag – Experte, Vielspieler, oder Gourmetspieler – darf wie jedes Jahr den Kopf schütteln. Wer die heren Ziele der Jury kennt, freut sich mit dem Heer der Alles- oder Gelegenheitsspieler über die Kaufempfehlungen des Jahres 2009.
“FITS“: Ravensburger haben eine Brettspielversion von “Tetris” hergestellt. Wer die fallenden Flächen in seinem Handy-Bildschirm nicht mehr sehen kann, darf sein geometrisches Vorstellungsvermögen jetzt am Tisch im Kreise seine Freunde zum Besten geben.
“Dominion“: Hans im Glück hat neben sein Paradepferd “Sankt Petersburg” ein weiteres Karten-Aufbau- und Entwicklungsspiel gestellt, bei dem es gilt, sich zur richtigen Zeit in der richtigen Reihenfolge die richtigen Karten zuzulegen.
“Finca“: ein weiterer Kandidat vom Hans im Glück-Verlag, das wir zu Ehren seiner Auswahl heute gleich bei uns auf den Tisch gelegt haben.
“Fauna“: Ein Quiz-Schätz-Spiel von Friedemann Friese nach der Grundidee von “Anno Domini” bzw. “Ausgerechnet Buxtehude”: Reihum kreisen die Spieler die Antwort zu zoologischen Fragestellungen ein; wer am nächsten dran ist, punktet.
“Pandemie” : Ein kooperatives Strategiespiel vom Pegasus Verlag. Wenn die Spieler gemeinsam eine Seuchen-Epidemie verhindern können, haben sie gewonnen.
[glowred]”Die meisten Spiele, die verkauft werden, werden nie gespielt”[/glowred] meint die Jurorin Birgit Nößler. Das gilt nicht nur für die Ernte des Jahres 2009. Aber solange Spiele gekauft werden, in rauhen Mengen sogar, wird es regelmäßig auch ein paar sehr gute Spiele geben. Über diese simple Tatsache dürfen sich dann wiederum alle Spieler aller Länder freuen.
1. “Wind River”
Letzte Woche gespielt und die ungeheure strategische Vielfalt nur geahnt. Unser Chefideologe Günther sollte ebenfalls sein Urteil darüber abgeben.
Das Treiben der Büffel und das Verlegen der Zelte verläuft im Dreierspiel ganz anders als im Viererspiel ab: Es gibt unweigerlich 2:1 Koalitionen. Man muß sie nur nutzen und sich gegenseitig auch was gönnen, ohne sich dabei über den Schmarotzer zu grämen.
Aaron mit dem Zufallsschmarotzer Walter hatte sich schnell 5 Zelte zugelegt, die seinen Handlungsspielraum bedeutend erweiterten. Damit fing er ein hochaggressives Spiel gegen die paar vorderen Zelte von Günther und Walter an, ohne damit seine eigene Position aber wesentlich nach vorwärts zu bringen. Die Geschädigten schlugen mit vereinten Kräften zurück, und bald waren alle seine Vorräte aufgebraucht. Günther konnte schlußendlich mit einem einzigen leichten Husterer die letzten Zelte von Aaron und Walter davonfliegen lassen und dann alleine zum Sieg marschieren.
Meinen Kritikpunkt von letzter Woche möchte ich unbedingt zurücknehmen. Das Spiel hat keine Balance-Schwäche. Es bietet wirklich eine ungeheure Vielfalt verschiedenen Strategien und Gegenstrategien, die alle diesen Namen verdienen. Richtig lang-fristige vorausplanende Vorgehensweisen, nicht nur kurzfristige Manöver und Taktiken. Wir haben immer noch erst einen kleinen Bruchteil davon entdeckt.
Das Spiel muß unbedingt noch mehrmals auf den Tisch kommen. Bald.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (bleibt), Günther: 7 (neu), Walter: 8 (ein Punkt mehr)
Walter wird eine Rezension schreiben.
2. “Finca”
Der unfehlbare Mathematiker hatte sich im Vorfeld fehlbar ausgedrückt: “Finca geht nur zu viert!” Walter wollte für unser heutiges Trio schon einen Dummy-Spieler einführen, “entweder kooperativ oder pro Zug reihum wechselnd”. Günther konnte noch rechtzeitig klarstellen: “Gemeint war: maximal nur zu viert”. Wir konnten zu dritt loslegen und brauchten nicht zu fürchten, daß “hinterher auch noch der vierte gewinnt” und wir “Finca” für ein “super-kooperatives” Spiel halten müßten.
Das Spiel besitzt äußerst aufwändiges Holzmaterial. Ganze Ladungen von bunten Früchten in knalligen Farben, Bauern in Standardfarben, hübsch geformte Finca-Häuschen, deren Nutzfunktion lediglich das Kennzeichnen abgeernteter Felder ist, Windmühlenflügel, die einen neuartigen, bestrickenden Zug-Mechanismus abgeben. Dazu jede Menge dicker Ernte- und Siegpunkt-Plättchen, die von Kinderhänden nicht verknickt und von Kindermäulern nicht verschluckt werden können.
Sehr bemerkenswert funktionieren die Bewegungen mit der Windmühle. Die Spieler verteilen ihre je vier Bauern beliebig auf die insgesamt zwölf Felder der Windmühle. Zum Ziehen wählt ein Spieler eine beliebige Figur. Die Anzahl aller Bauern auf dem Startfeld ergibt die Anzahl Felder, die der Bauer vorwärts gehen muß. Die Anzahl aller Bauern auf dem Zielfeld ergibt die Anzahl Früchte einer Sorte (Zitronen, Orangen etc.), die der Spieler dafür bekommt.
Kombinationen seiner gesammelten Früchte darf ein Spieler auf dem Markt gegen Ernteplättchen mit Siegpunkten eintauschen. Dabei gilt es, sowohl Plättchen mit hohen Punktwerten, als auch Plättchen mit verschiedenen Punktwerten, als auch Plättchen mit einer dominierenden Fruchtauswahl zu sammeln. Gelungene Sammlungen werden mit Zusatzprämien honoriert.
Wer sich sehr viel Mühe gibt, kann komplizierte Überlegungen zur Optimierung seiner Bewegungen auf der Windmühle, zum Einsammeln der richtigen Früchte und zum rechtzeitigen Eintauschen in Spiegpunkt-Plätten bei gleichzeitigem Durchkreuzen der entsprechenden Ambitionen seiner Mitspieler machen. Dann kann das Spiel sehr dröge und trocken werden. Wer aber so spielt, wie es sein Erfinder für seine Spielerfamilien gedacht hat, der denkt keinen Zug voraus, sondern der wählt in der ständig wechselnden Situation gerade den Zug heraus, womit er irgendwas vernünftiges anfangen kann. Wenn er Glück hat, fährt er gut damit, wenn er kein Glück hat, gewinnt ein anderer.
Wir haben lange diskutiert, wie stark man in “Finca” sein Schicksal selber in der Hand hat. Günther war ein eifriger Verfechter von seiner Planbarkeit und billigte dem Spiel einen Glücksfaktor (Wert zwischen 0 und 1, ohne exakte Definition) von unter 0,5 zu, Walter und Aaron siedelten den Glücksfaktor eher bei 0,9 an. Am Anfang zieht man den Bauern, der die meisten Früchte einbringt (kein Freiheitsgrad, 100% determiniert), dann schält sich irgendwann eine Vorliebe heraus (100% randomisiert). Damit favorisiert man bestimmte Siegpunkt-Plättchen, und wenn sie die bösen Mitspieler einem nicht vor der Nase wegschnappt haben, dann bekommt man sie sogar. (Planquote unter 50%). Ob man zum Schluß noch das letzte Plättchen mit vielleicht 10 Siegpunkten abräumt, hat man ebenfalls nicht in der Hand, doch es entscheidet mit Sicherheit über Sieg oder Nicht-Sieg. Wenn hier Günther seinen Glücksfaktor von “unter 0,5” rechtfertigen will, muß er noch ganz schön an der Definition dieses Faktors herumfeilen.
“Finca” ist genauso zufällig wie “Mensch-ärgere-Dich-nicht”. Schon allein die vier Pöppel pro Spieler sind identisch! Aaron: “Ein deutliches Zeichen, daß Finca Spiel des Jahres 2009 wird!”
WPG-Wertung: Aaron: 6, Günther: 7, Walter: 6 (pro Zug lauter kleine fitzelige Rechnereien, die zum Charakter des Spiels kontraproduktiv sind)
3. “Dog”
Das Spielbrett sieht aus wie ein modernisiertes “Mensch-ärger-Dich-nicht” aus. (Schon wieder.) Der Spielablauf ist auch ganz analog: Man bewegt seine Pöppel vom Startfeld in die Zielfelder, aber nicht per Würfel, sondern per Bewegungskarte. Sie lassen Schrittweiten zwischen 1 und 13 Feldern zu.
Jeder Spieler bekommt auf Anhieb 6 Bewegungskarten zugeteilt, so daß er sich schon mal einen Plan zurechtlegen kann, in welcher Reihenfolge er die Karten ausspielen wird. Klingt zunächst ziemlich berechenbar.
Doch unter den Bewegungskarten gibt es solche, die das beliebige Austauschen zweier beliebiger Pöppel auf dem Spielbrett zuläßt. Damit können die Mitspieler die Pöppel auf dem Spielbrett ganz schön wild umherwirbeln. Und weil sie es natürlich besonders auf die Pöppel abgesehen haben, die gerade unmittelbar vor dem Ausrücken sind, wird alles absolut unberechenbar. Schlimmer als im Original M-ä-D-n.
Günther wollte den Ausdruck “Zufallsspiel” nicht gelten lassen. Er betonte, “Dog” wäre ein “Gaudi-Spiel”, wobei er aber nicht auf die Sagrada Familia anspielen wollte. Was aber außer Gaudi ist noch am “Dog”? Der Glaube (= Illusion), es gäbe noch etwas.
Aaron kam es vor wie ein “stark simplifiziertes Monopoly”. Es ist alles weggelassen: Straßen, Häuser, Hotels, Bahnhöfe und Würfel. Nur die Gaudi ist geblieben. In der richtigen Runde unendlich viel, in der falschen Runde halt nicht.
WPG-Wertung: Aaron: 6, Walter: 5 (Gaudi), Günther: 7 (Super-Gaudi)
4. “Bluff”
Nichts Neues am Westpark, außer daß:
a) Aaron und Günther im 1:1-Endspiel standen und dabei jeder einen Stern unter seinem Becher hatten. Aaron fing standardmäßig mit 1 mal die Vier an, und Günther erhöhte standardmäßig auf 1 mal die Fünf. Aarons 2 mal die Vier setzte Günther das Messer auf die Brust, doch mit 2 mal Stern zog er sich siegreich aus der Affaire. Ein 2 mal die Fünf von Aaron hätte leichter ein – hier nicht erfolgreiches – Anzweifeln nahegelegt, oder?
b) Günther alle Spiele des Tages gewann. “Es waren ja auch nur Glücksspiele!”
c) Ausgiebige Diskussion, warum “Bluff” viel mehr ist als ein Glücksspiel.
d) Günther auf einen mathematisch existierenden, aber real nicht vorhandenen Verteilungsbaum kletterte. Dort sitzt er hait no!
2 Gedanken zu „27.05.2009: Spielen mit den Spielen des Jahres“
Kommentare sind geschlossen.
Zum Bluff Günther/Aaron mit Doppel-Stern:
Laut der (fast) optimalen Srategie meiner Bluff-Endspielanalyse hätte es so laufen müssen:
Aaron hat * gewürfelt und bietet eine 4 mit 3/10 und eine 5 mit 7/10 Wahrscheinlichkeit.
Aaron sagt eine 4 an !
Günther hat einen Stern und hätte gleich auf Pasch 4 erhöhen sollen !
Aaron hört Pasch 4 und sagt Pasch * an !!
==> Aaron hätte gewonnen !
Zum “Spieler lesen”:
Noch kurz folgendes, stark vereinfachtes Beispiel, um das Prinzip zu zeigen:
Walter ist mit Günther im Bluff-Endspiel mit einem Würfel und verfolgt folgende Strategie in der ersten Runde:
Hat er eine 1 oder 2 gewürfelt, sagt er immer eine 2 an;
ansonsten sagt er immer eine 5 an!
Günther und Walter würfeln mit einem Würfel.
Bevor Walter als Startspieler beginnt, kann Günther nur annehmen, dass Walter mit jeweils
1/6 Wahrscheinlichkeit eine 1,2,…,* gewürfelt hat.
Fall a) Walter schaut unter seinen Würfelbecher und sagt eine 5 an !
Günther schließt messerscharf, dass Walter keine 1 oder 2 hat, sondern mit jeweils 1/4 Wahrscheinlichkeit eine
3, 4, 5 oder einen * !
Interpretation: Aufgrund ihrer Ansagen decken die Spieler immer mehr Informationen über ihren tatsächlichen Wurf auf – dies sind die “mathematischen” Schlussfolgerungen aus den Geboten der Mitspieler !
Fall b) Aufgrund jahrelanger Beobachtung hat Günther festgestellt, dass Walter sehr häufig etwas nervös wird, wenn er in der obigen Situation bluffen muss – wenn er also eine 3 oder 4 hat und trotzdem eine 5 ansagen muss.
Also: Nachdem Walter unter seinen Würfelbecher geschaut hat, wird er etwas nervös, zögert und sagt eine 5 an !
Jetzt merkt Günther also, dass Walter möglicherweise geblufft hat – er kann seine Wahrscheinlichkeiten modifizieren und vermutet, dass Walter mit jeweils 40% Wahrscheinlichkeit eine 3 oder 4 gewürfelt hat und mit ca. 10% eine 5 oder einen * !
Wenn Günther jetzt selber keine 5 oder Stern gewürfelt hat, kann er locker anzweifeln …. er hat Walter “gelesen” …
“Zum Spielbaum”/extensive Form : siehe
[url]http://de.wikipedia.org/wiki/Extensivform_(Spieltheorie)[/url]
Gruss, Günther
Hallo Günther,
wir haben gestern den Begriff: “Mitspieler lesen” ganz unterschiedlich diskutiert. Nach dem Gebrauch, wie ich ihn jetzt im Internet gefunden habe, hattest Du recht. Bei Bluff-Spielen wird überwiegend die Körpersprache gelesen, d.h. optische Auffälligkeiten, die man als Indizien für mathematisch-statistische Informationen heranzieht.
Zum Poker heißt es: “Ein guter Poker-Spieler gibt keine Tells, er richtet sich nicht im Stuhl auf, wenn er ein Bombenblatt bekommt und seufzt nicht, wenn die Karten nicht so toll sind. Sein Verhalten ist immer völlig gleich ist, unabhängig davon, welche Hand er gerade spielt. Ein solcher Spieler ist nicht lesbar; man nennt man deshalb auch Zombie.”
Auch Moritz hat in seinem Tipp zu “Mitspieler lesen” geschrieben:
“Bei Spielen mit 'Bluffelementen' ist es wichtig, den Spieler zu 'lesen' und seine Handlungsweisen zu analysieren. Diese haben tatsächlich mehr mit Psychologie als mit Spieltheorie zu tun. So kann ein guter Pokerspieler einfach erkennen, 'wie' ein bestimmter Gegner blufft, und damit mehr Vorteile erlangen als wenn er nur die Kartenchancen berechnet. Menschenkenntnis ist also beim Spielen enorm wichtig!”
Ich habe den Begriff “Lesen” bisher eher im Sinne von “Spuren lesen” verstanden, d.h. aus konkreten rein sachlichen Hinweisen aus Vergangenheit und Gegenwart auf sachliche Gegebenheiten in Gegenwart und Zukunft logisch zu schließen. Konkret zu “Bluff”: Wenn ein Spieler nach einer angerissenen 4 mal Stern-Vorgabe auf 8 mal Eins erhöht, dann hat er mit großer Wahrscheinlichkeit einige Einser aber nur wenige Sterne unter seinem Becher. Unabhängig von seinem Hin- und Her-Rutschen auf dem Stuhl.
Diese Schlußfolgerung wird unter Bluff-Experten aber offensichtlich nicht unter dem Begriff “Lesen” verstanden. Ich wiederhole: Meine Interpretation war falsch und Deine Interpretation war richtig, sie entspricht dem anerkannten Sprachgebrauch.
Gruß Walter
PS: Du darfst von Deinem Verteilungsbaum wieder herunterkommen.