Heute war Walters Hochzeitstag. Er hatte dieses Jubiläum bereits gestern in den Tag hineingefeiert und heute mit einem feierlichen Champagner-Abendessen abgeschlossen. Die Tischdecke bekam auch ein Gläschen ab. Die Westpark Gamers konnten ohne eheliche Gewissensbisse empfangen werden.
Aaron brachte auch einen Schaumwein mit. Damit durften wir seinen letzte Woche erfolgreich unterschriebenen Vorruhestands-Vertrag begießen. Zunächst mal nur in den jeweiligen Kehlen. Günther steuerte ein B0027JTCN8 bei : “Leitfaden für Spieleerfinder und solche die es werden wollen.” Moritz wird Konkurrenz bekommen!
Lisi, eine junge Nachbarin, war heute auch mit von der Partie. Ihr Debut am Westpark hatte sie bereits in den neunziger Jahren des letzten Jahrtausends gegeben. Damals war sie halb so alt wie heute, aber schon durchaus ein ernsthafter Konkurrent bei unserem Patronatspiel “1830”. Ihr Lieblingsspiel praktiziert sie allerdings auf der Geige. Meisterhaft. Mit bereits vielen Debuts in allen Teilen Europas.
1. “Trans Europa”
Walter durfte erklären. Kurz, knapp, zwingend! Einfach Spitze. Keine einzige Rückfrage zu den Regeln, nicht mal von Lisi. So genial erklärt? Oder so genial verstanden?
Wir bauen Gleise von Madrid bis Moskau und von Sankt Petersburg bis Yspahan. Jeder für sich und im Grunde doch alle gemeinsam. Sobald der erste Spieler seine fünf Pflichtstädte verbunden hat, ist eine Runde zu Ende. Für alle Streckenabschnitte, die den Mitspielern zu ihren Pflichtstädten noch fehlen, gibt es Minuspunkte. Wer nach mehreren Runden die wenigsten Minuspunkte hat, ist Sieger.
Zuerst spielten wir ohne die Expansion mit den privaten Gleisabschnitten. Sie bringt im Prinzip kein neues Element ins Spiel, sondern verlangsamt nur durch Einbau leicht-überwindbarer Schikanen.
Nach drei Runden lagen wir immer noch alle dicht beieinander, und Aaron schlug vor, jetzt doch die Expansion hinzuzunehmen. Durch geeignetes Abschotten teuerer Bauabschnitte kann der am glücklichsten operierende Spieler den anderen noch ein paar zusätzliche Minuspunkte aufdrücken. Die Siegpunkt-Differenzen werden größer.
Nach wie vor ist die Frage ungeklärt, ob man besser im Zentralbereich oder in der Peripherie anfängt.
WPG-Wertung: Lisi bliebt mit 7 Punkten leicht unter dem bisherigen Durchschnitt.
2. “Dice Town”
Aaron muß noch eine Rezension schreiben. Da kommt jede Gelegenzeit zum Üben recht. Er durfte auch das Spiel erklären, ist er doch “einer unser besten Erzähler, besonders, wenn er vorliest!”
Jeder muß sich mit Spezialwürfeln eine optimale “Pokerkombination” zusammenwürfeln. Anschließend wird – im Gegensatz zu Poker – nicht das beste Ergebnis bewertet, sonder alle Blätter (Würfelkombinationen) bringen ihrem Besitzer irgend etwas Nützliches ein: Goldnuggets, Dollars oder Sonderkarten. Entweder bekommt man das von der Bank oder man darf es von den Mitspielern stehlen. Wie lustig! Am Ende wird die gesamte zusammengeraffte Habe in Siegpunkte umgerechnet.
Die Fitzeligkeit , d.h. die Betrugsmöglichkeit mit dem heimlichen Würfeln und Würfel-Zusammenstellen ist nach wie vor ein deutlicher Kritikpunkt. Die Freude am randomisierten Chaos verebbt schnell, leider sehr viel schneller als die Spieldauer lang ist. Wie schon beim ersten Versuch brachen wir nach ca. 1 Stunde Spieldauer ab. Es tut sich nichts Neues mehr. Gleichförmiges Würfeln und den Mitspielern Sonderkarten Wegnehmen verliert am Westpark schnell seinen Nährwert.
Wir trösteten uns mit Aaron Cremant, so erfolgreich, daß auch diesmal wieder Tisch und Bänke etwas davon mitbekamen. Wie diese Substanz dabei auch in Walters Augen geriet, ließ sich nachträglich nicht mehr genau rekonstruieren. Wenigstens fand er dabei eine neue Wette für Thomas Gottschalks berühmte Sendung: “Wetten, daß ich alle Schaumweine der Welt am Brennen in meinen Augen erkennen kann!”
WPG-Wertung: Lisi konnte auch mit gnädigen 6 Punkten den WPG-Durchschnitt nicht über die 5 Punkte-Hürde heben.
3. “Wind River”
Aaron strapazierte wieder von vorneherein die geringen Kingmaker-Kapazitäten dieses tadellosen strategischen Meisterwerkes des Jahres 2009. “Ich spiele so, daß ich möglichst schnell einen Spieler eliminiere” bekannte er, als sein auffällig asymmetrisches Agieren kritisiert wurde. Wen hatte er “zufällig” wieder als Opfer ausgesucht? Natürlich weder den heeren Strategen Günther noch den attraktiven Sonnenschein Lisi. Es war Walter, der selbst an seinem Hochzeitstag seinem Schicksal nicht entgehen konnte.
Der hielt (und hält) diese Spielweise für “bescheuert”, widerspricht sie doch dem Kantschen kategorischen Imperativ: “Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.” Wenn wir in “Wind River” alle danach streben würden, möglichst schnell einen Spieler zu eliminieren, geht das sehr schnell gegen den schwächsten, der gegen die vereinigte Übermacht niemals eine Chance hat. Zumindest für diesen wird das Spiel dann a priori frustrierend! Auch so kann man ein Super-Spiel kaputtmachen.
Walters Menetekel: “Du hast noch keine Wind River Partie gewonnen, du wirst auch in Deinem ganzen Leben keine mehr gewinnen. Solange ich mitspiele”.
WPG-Wertung: Lisi lag mit 8 Punkten ziemlich genau im WPG-Durchschnitt
4. “Flaschenteufel”
Walter durfte wieder erklären. Ein Kartenspiel, das auf den ersten Blick chaotisch abläuft, das in seiner inneren Struktur aber klare logische Schlußfolgerungen erfordert. Dann kann man auch überdurchschnittlich oft gewinnen.
Nach vier Spielen mit hohen Umsätzen hatte Lisi gewonnen. Lag es an ihrer spielerischen Genialität oder lag es auch diesmal wieder an Walters genialem Regelvortrag?
5. “Bluff”
Mit einem umwerfenden Lächeln auf den Lippen legte Lisi einen Riesenbluff aufs Parkett und schickte Aaron damit ins Grab: Vier Würfel auf einen Streich reduzierten seine Lebensflamme auf ein spärliches Flackern, das der nächste Windhauch gänzlich ausblies. Balsam auf Walters Wind-River-Wunden.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
7 Gedanken zu „24.06.2009: Spielen mit Lisi“
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Zu Wind River: ganz so bescheuert, wie Walter meine Spielweise hier darstellt, ist sie wohl nicht, denn ich bin immerhin Zweiter geworden: mit genauso vielen Tipis im Ziel wie der Sieger; nur beim Tiebreaker Nahrungswürfel hatte ich leider weniger. Wenn man jetzt noch berücksichtigt, dass Walter und dann auch Lisi auf Walters Anraten nach ihrem Ausscheiden hauptsächlich damit beschäftigt waren, Büffel aus meinem Revier abzuziehen, halte ich das Ergebnis für geradezu sensationell.
Wind River verzeiht keine Fehler – ob das ein Problem des Spiels ist oder der Spieler muss jeder selbst entscheiden. In den Anfangszügen KEINE Nahrung zu sammeln ist sicherlich der schwerwiegernste Fehler, den man machen kann, denn es beraubt einen im weiteren Spielverlaug massiv an Handlungsmöglichkeiten mangels Reserven. Dass man dann als schwaches Opfer von anderen Spielern erkannt wird und gegen einen gespielt wird, sollte nicht überraschen: es ist nun mal zu wenig Nahrung da für alle und je früher die Spielerzahl reduziert wird desto mehr Freiheitsgrade (und weniger Stress) gibt es für die anderen.
Den kategorischen Imperativ als Maxime für das Wind River Spiel anzuführen erschliesst sich mir überhaupt nicht: hier geht es definitiv nicht darum, dass alle schön friedlich spielen und der Reihe nach ihre Tipis ins Ziel bringen bevor unweigerlich die Nahrung ausgeht. Wind River ist ein knallharter Überlebenskampf und “survival of the fittest” ist hier viel zutreffender. Wind River ist kein kooperatives Spiel, bei dem sich alle freuen, wenn jeder ein Tipi ins Ziel gebracht hat bevor die Büffel ausgehen!
Ich werde weiterhin Wind River aggressiv spielen, mit temporären Allianzen mit Gleichstarken gegen Schwächere und glaube, dass das der Weg zum Sieg ist. Für die Schwächeren sicherlich nicht erfreulich – aber ist das ein Problem des Spiels oder der Spieler (s.o.)?
Einspruch Euer Gnaden, lieber Aaron.
1) Ein Spiel “grundsätzlich gegen den Schwächsten” ist immer – im spielerischen Sinn, wenigstens in meinen Augen – bescheuert.
2) Du bist nur deshalb Zweiter geworden, weil Lisi – mangels Erfahrung – nicht konsequent gegen Dich gespielt hat. Ist Dir das entgangen? Gerade die von Dir zitierte “Allianzen mit Gleichstarken (oder mit wem auch immer) gegen Schwächere” hat sie nicht wahrgenommen! Daß der von Dir asymmetrisch rausgekickte Spieler schon aus Rache den Rest seiner Züge gegen Dich spielt, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Damit solltest Du automatisch Vorletzter werden! Totsicher! Soll das etwa eine tolle Strategie sein?
3) Wetten, daß Du niemals in Deinem Leben am Westpark ein “Wind River” gewinnen wirst?
Noch ein korrigierender Nachtrag zu Aarons Antwort:
Deine Aussage. “Dass man dann [d.h. nach dem Vernachlässigen der Nahrungsreserven] als schwaches Opfer von anderen Spielern erkannt wird” stellt den gestrigen Spielverlauf auf den Kopf.
1) Du hast bereits gegen mich gespielt, bevor ich auch nur den ersten Zug getan hatte.
2) Obwohl Du gemäß Deiner Eliminations-Maxime ständig gegen mich gespielt hast, hatte ich kurz nach dem Einschwingen ebenfalls 8 – 9 Vorräte. Daß es nicht 10 wurden, lag nicht an meinem Vernachlässigen, sondern an Deinem konsequenten Vernichtungskampf.
Okay, gehen wir mal von hinten nach vorne durch Deine beiden Antworten:
Konsequenter Vernichtungskampf: das habe ich anders in Erinnerung – bis auf eine gezielte Reduktion der Büffel auf Deiner Seite des Bretts am Anfang des Spiels habe ich nur moderat gegen Dich gespielt und insbesondere das Ausbauen meiner Position nie vernachlässigt. Das Lebenslicht hat Dir übrigens Günther ausgeblasen…
Wette: Dein Angebot zeigt mir, dass wir ein recht unterschiedliches Verständnis über Wind River haben: es ist in der Regel kein Problem dafür zu sorgen, dass ein bestimmter Spieler NICHT gewinnt. Man muss nur im richtigen Augenblick gezielt gegen ihn spielen UND GLEICHZEITIG dafür sorgen, dass man in dieser Phase durch ein (temporäres) Bündnis selber vor Attacken der anderen Spieler geschützt ist. Bestes Beispiel: unser Spiel gestern. Also: Dein Wettangebot kann ich nicht annehmen.
Lisi hat nicht konsequent gegen mich gespielt: meinst Du im Ernst, dass Lisi durch konsequentes Spiel gegen mich Zweiter geworden wäre? Durch Züge GEGEN einen anderen Spieler verliert man im günstigsten Fall nur Zeit, im Regelfall verliert man noch seine gute Position. Deshalb habe ich ja auch, entgegen Deiner Behauptung, nicht konsequent gegen Dich gespielt sondern in mehr als der Hälfte der Züge meine eigene Position verbessert (ein Punkt, den ich beim Spiel vor 2 Wochen vernachlässigt hatte).
Allianz der Gleichstarken: richtig, aber zu einer Allianz gehören immer zwei Seiten und Lisi wurde von Günther und mir bewusst nicht in unsere Allianz aufgenommen.
Rache des Rausgekickten: ich habe Dich nicht rausgekickt sondern den ersten Stein geworfen. Dass Dich das so sehr gereizt hat, dass Du danach (noch vor dem Rauskicken) nur noch gegen mich gespielt hast, hat Dir mehr geschadet als mir, da Du ja bereits in der unterlegenen Position warst. Rache mag zwar süss sein, führt aber aus schwacher Position bei Wind River zur sicheren Niederlage.
Automatischer Vorletzter: verstehe ich das jetzt richtig? Wer als erstes einen aggressiven Zug macht, zieht die Rache des Betroffenen nach sich und wird dadurch selber geschwächt. Konsequenterweise spielt einer der bisher nicht Beteiligten gegen diesen Aggressor. Damit wird der Aggressor Vorletzter und der Betroffene Letzter weil sie sich ja gegenseitig schwächen und auch noch von aussen geschwächt werden. Also spielen wir lieber alle friedlich vor uns hin und der Glückliche gewinnt? So funktioniert Wind River für mich nicht!
Grundsätzlich gegen den Schwächsten: ist moralisch verwerflich aber in einem Spiel um's Fressen und Gefressen werden irgendwie nicht zu vermeiden. Ästhetisch ist das sicherlich auch nicht, aber bescheuert?
Wind River ist und bleibt wohl ein durchaus agressives Mehrpersonen Kampfspiel. :devil Warum agressiv? Weil es keine richtige Verteidigungspositionen/züge gibt – es scheint hier wirklich zu gelten: Angriff ist die beste Verteidigung.
Meine Position ist besser, wenn ich mehr Büffel in meinem Rücken habe als mein Gegner – also werden im Zweifelsfall “gegnerische” Büffel vorgezogen; vorzugsweise Versorgungsbüffel, damit der Gegner selbst wieder gezwungen ist eigene Büffel vorzuziehen …
Als Mehrpersonenkampfspiel entscheidet es sich hauptsächlich durch “wer ärgert wen”.
Gegen Ende hat man dann oft nur noch ein Zweipersonenspiel, welches gar nicht mehr so interessant ist. Vielleicht deutet das sogar darauf hin, dass es gar nicht soviel Strategie in diesem Spiel gibt, sondern hauptsächlich “Mitspielerchaos” ?
Hm, das dachte ich mir, ehrlich gesagt, auch schon. Walter und Aaron erinnern mit ein bisserl an Moritz und mich beim Risiko-Spielen: Moritz: “Ich will nur dieses eine Land.” Ich: “Iss mir schnuppe, greif es an und ich spiel nur noch gegen DICH.” Moritz greift an und empfängt die verdiente Strafe. Hans jammert, dass er ohne eigenes Zutun überlegen gewinnt, weil ich einen Kreuzzug gegen Moritz führe. Andererseits ist dieser Kreuzzug aus spielpsychologischen Gründen notwendig, sonst glaubt der Moritz, ich mein' solche Ankündigungen nicht ernst etc. p.p. Euer Büffelspiel ist wohl nix für mich.
Peter, du irrst: im Gegensatz zu “Risiko”, “Vinci” und anderen Völkerbefreiungsspielen ist “Wind River” auch bei kaputter Spielweise ein exzellentes Spiel, ohne Fehl und Tadel. Es macht sogar dann noch Spaß, wenn man von dem Möchte-Gern-Fittest vom ersten Augenblick an zum “lebensunwerten Leben” abgestempelt wird, nach wenigen Runden nur noch aus dem letzten Loch pfeift und ein paar Runden nicht mal mehr das kann!
Hier macht sogar – wie bei Bluff – das Zuschauen Spaß. Dabei darf man aber selbst als Holocausierter immer noch einen Büffel bewegen und sich so an der Rache des toten Mannes erfreuen!