“Wenn ich ein wenig Geld habe, kaufe ich mir Spiele, und wenn mir dann noch was übrig bleibt, kaufe ich Essen und Kleidung” (Erasmus von Rotterdam, leicht variiert).
1. “Albion”
Ältere Semester assoziieren mit “Albion” noch die Eigenschaft “perfide”. Bei Wikipedia kann man nachlesen, warum. Doch die Bezeichnung wurde schon von Ptolemaeus geprägt und bezieht sich schlichtweg auf das Gebiet des heutigen England (einschließlich Wales).
Wir sind römische Siedler und müssen die Insel von unseren Basislagern an der Kanalküste ausgehend besetzen. Wir lassen unsere Siedler in das Landesinnere marschieren, bauen Kastelle und Siedlungen, und erschließen Rohstoffquellen (Fisch, Holz, Stein und Gold). Die Rohstoffe benötigen wir zum Bauen, durch das Bauen erhalten wir mehr Bewegungsfreiheit für unsere Siedler und Legionäre, größere Verteidungskraft oder reichere Rohstoffquellen. Verteidigung brauchen wir, um uns gegen die Pikten zu wehren, die in immer größeren Mengen auftauchen und unsere Bauwerke zerstören, wenn wir vorher nicht genügend Verteidigungspotential zusammengetragen haben. Ein rechtes Aufbauspiel ohne Würfel und Zufallseinfluß.
Beim Vordringen nach Norden stehen wir im Wettlauf mit unseren Mitspielern: Wenn wir in einem Gebiet bauen wollen, wo sie sich bereits festgesetzt haben, müssen wir ihnen Tribut zahlen. Um die Siegbedingung zu erfüllen, müssen wir uns fast in jedem Gebiet niedergelassen haben, wir können die Gebiete unserer Mitspieler also gar nicht meiden. Tributzahlungen sind fast alltäglich. Sie sind nicht hoch, aber wer gönnt seinem Konkurrenten schon freiwillig einen Fisch. Also möchten wir überall gerne selber die ersten sein. Doch das bleibt natürlich ein unerfüllbarer Wunschtraum.
Zwangsweise müssen wir unsere Züge in die verschiedenen notwendigen Entwicklungsrichtungen verpulvern, und oft stehen wir dabei unschlüssig vor trivialen Alternativen, z.B.
Wir gingen alle sehr vorsichtig ans Werk. Verteidigung wurde groß geschrieben. Nur Hans ging bewußt das Pikten-Risiko ein, und ist dabei mehrmals nur haarscharf von herben Verlusten verschont geblieben: die zufällig aufgedeckten Ureinwohner waren alle friedlich. Nur deshalb reichte es für ihn zum Sieg, im Tiebreak gegen Günther.
An allen Ecken und Enden wurde Interaktion vermißt. Alle Spieler stehen vor der gleichen Aufgabe, die symmetrischen Vorgaben führen zwangsläufig zu gleichförmigen Entwicklungslinien. Wer sich über seinen eigenen Fortschritt freut, ohne dabei der Konkurrenz Knüppel zwischen die Beine werfen zu wollen, ist mit “Albion” gut bedient. Es ist garantiert ein vorzügliches Solitärspiel und vielleicht macht in einem Zweierspiel sogar das systemmatische Erarbeiten von minimalen Vorteilen bis zum Niederringen des Gegners einigermaßen Spaß.
In einer Viererrunde ist diese Möglichkeit zum konsequenten Ausbau einer vorteilhaften Stellung eher von Nachteil. Das Entwicklungstempo wächst, aber die strategischen Herausforderungen nicht. Gar nicht. Wer irgendwann einmal leicht geschwächelt hat und bis zum Mittelspiel ins Hintertreffen geraten ist, kann einen späteren Sieg abschreiben, er trottelt bis zum Ende hinterher. Ja es bleiben ihm nicht einmal Nadelstiche, mit denen er seine Mitspieler – zu seiner eigenen Ermunterung – ab und zu mal ärgern kann.
WPG-Wertung: Aaron: 4 (langweiliges Wettrennen ohne Interaktion, da hat schon wieder Willis Tuning gefehlt), Günther: 6 (wurde von 7 Punkten runterargumentiert, für ihn braucht ein Spiel nicht „rabiat“ zu sein), Hans: 6 (braucht ebenfalls keine Aggressivität; als Aufbauspiel hat es Spaß gemacht), Walter: 6 (ebenfalls von Aaron runterdiskutiert).
2. “Ra – The Dice Game”
“Hast Du noch so’n Brüller?” fragte Aaron. Günther war leicht indigniert. Hatte er doch schon die Essen-Erwerbung „Albion“ aus seiner großen grünen Spieltasche hervorgeholt. “Ich spiele jedes Spiel mindestens einmal.” Rechtfertigte er sich. „Es soll ja Kollegen geben, die manche gekauften Spiele überhaupt nicht spielen.“ Es war nicht klar, gegen wen diese Aussage gemünzt war. Wenn wir wenigstens eine Rezension darüber schreiben, dann hat sich die Investition doch schon gelohnt, da braucht man das Spiel ja nicht gespielt zu haben …
“Ra” ist so ein Spiel, bei dem Walter bereits nach Günthers vorzüglichem Regelvortrag eine Rezension hätte schreiben können oder wollen: einen Verriß. Super Spielmaterial: 5 Würfel. Hexagon-Würfel. Jeder würfelt wie bei Kniffel mit allen 5 Würfeln, darf zweimal nachwürfeln und das Ergebnis nach einem Ra[ch]istischen Spielbrettschema einordnen und kummulieren. Und damit man seine tausendjährigen Würfelgewohnheiten gleich über den Haufen werfen kann, wurden die Zahlen 1 bis 6 durch Symbole ersetzt.
Jedes geworfene Sonnensymbol „Ra“ ist sofort verloren und muß in der Ra-Reihe abgelegt werden, Jede “Pharaomütze” oder jedes “Schiff” bringt uns auf der Pharo/Schiff-Reihe vorwärts, wo einmal Relativ-Positionen gegenüber den Mitspielern und einmal Absolut-Fortschritte vom Startfeld aus gesehen in Siegpunkte umgerechnet werden. Jede „Pyramide“ darf in einem Zeilen-Spalten-Muster abgelegt werden, woraus bestimmte Kombinationen bei Spielende mit progressiv wachsenden Siegpunkten honoriert werden. Von „Sklaven“ benötigt man schon mindestens 3 aus 5, um sie siegpunktträchtig ablegen zu können; hat man nur 2 davon, sind sie ersatzlos verloren. Dafür gibt es dann auch noch die „Joker“, die als jedes beliebiges Symbol eingesetzt werden können und die Erreichbarkeit hoher Mindestquoten erleichtern.
Wie die verschiedenen Würfelergebnisse kummuliert und in 2 Zwischenwertungen und einer Entwertung in Siegpunkte umgerechnet werden, ist Schwarz auf Weiß in einer einfachen Tabelle beschrieben. Doch welche Kombinationen besonders lukrativ sind, auf welche man “hinarbeiten” soll (sofern man mit Würfeln überhaupt gezielt arbeiten kann), welchen Erwartungswert a) ein einzelnes Würfelergebnis und b) die gesamten kummulativ eingetragenen Würfelergebnisse eines “Ra”-Spieler mit sich bringen, das ist natürlich unbekannt. Selbst unser Chef-Statistiker Günther wird in dazu in den nächsten Jahrzehnten keine brauchbare Tabelle erarbeiten. Wollen wir wetten?
Wer an Würfelspielen Spaß hat, bekommt mit “Ra” einen neuen Zeitvertreib. Ihm wird dann vielleicht auch nicht auffallen, daß nicht einmal die Startspielerproblematik gelöst ist. Wenn eine festgelegte Anzahl Sonnen geworfen wurden, ist das Spiel schlagartig zu Ende, unabhängig davon, ob alle Spieler gleich oft an der Reihe waren. Dass dies gerade bei kummulativen Wertungen unbefriedigend ist, wo ein einziger zusätzlicher guter Würfel leicht 5 Punkte wert sein kann, stört doch keinen großen Geist!
Günther verteidigte “Ra” verhement als klassisches Nullsummenspiel. Für Walter war es eher in der Summe ein klassisches Nullspiel. Aaron fand es bemerkenswert, daß das Spiel von einem diplomierten Mathematiker erfunden wurde, dem Altmeister Reiner Knizia. Dem hielt Walter entgegen: “Der hat schon längst einen Ghostwriter, der ihm seine Spiele schreibt. Er gibt nur noch seinen Namen her!” Hans würde aus “Ra” gerne die Schachspieler-Effekte herausarbeiten. Muß dazu aber noch bis zu seiner Rente warten. Mindestens.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (obwohl er nicht das Gefühl hatte, etwas steuern zu können), Günther 7 (lockeres Würfelspiel), Hans: 3 (primitiver Würfelmechanismus mit komplexer Wertung), Walter: 2 (tut mir leid, ihr lockeren Würfler, ich mag hier schon das Prinzip nicht).
3. “Fzzzt!”
Walter war strikt dagegen, aber sein Einspruch wird offensichtlich nicht für ernst genommen. Aaron durfte Hans die Regeln erklären, und nach seinen zwei vorhergegangenen Generalproben machte er das vorzüglich. Als er fertig war, kommentierte Hans: „Hübsch! Gefällt mir soweit!“ – Als wir seinerzeit soweit waren, haben wir das auch noch gesagt. Inzwischen hat sich die Benotung bei 5 Punkten eingependelt. Hans machte einen gewaltigen Ausreißer.
WPG-Wertung: Hans: 8 (niedlich, locker und gut).
Lieber Herr Blaumeise,
Hans war heute auch bei „Startspieler“ nicht so kritisch wie wir anderen. Mehr als 5 Punkte würde er für dieses Kartendeck geben. Solche Sprüche wie: „Wer den coolsten hat, darf anfangen“ haben ihn einfach überzeugt.
4. “Bluff”
Erstmals spielten wir mit der „Anderschschen Warmduscherregel“ (siehe Session-Report vom 23.11.2009). Als Günther vor der Alternative stand, mit Risiko zwei Würfel (relativ) zu verlieren oder ohne Risiko einen, fand er diese Situation „doof“. Dabei ähnelt die doch schon ganz schön stark einem Nullsummenspiel!
Im zweiten Durchgang spielten wir wieder nach Standard. Im Nu bekam er die Gelegenheit, diese unsere 180° Wende zu bedauern.
Noch eine Knobelei für Logiker am Ende:
Aaron stand mit 2:1 gegen Hans im Endspiel. Er legte 1 mal die Vier vor, Hans hob auf 1 mal die Fünf, Aaron auf 1 mal Stern, Hans auf 2 mal Eins und Aaron auf 2 mal Zwei. Hinterher diskutierten wir noch lange über die Fehler, die jeder innerhalb dieser Folge gemacht hatte. Schon die Vorgabe 1 mal die Vier war problematisch!
Frage: Wer hat gewonnen und was hatte jeder von ihnen unter seinem Würfelbecher???
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
Mit “Startspieler” hatte ich vor einem Jahr die Bekanntschaft machen dürfen. Darüber hinaus habe ich keine Berührungspunkte. An jenem Morgen der Kommentierung rieb ich mich lediglich an der energischen Formulierung. Im Übrigen sollte nicht davon ausgangen werden dass es sich hier um ein Spiel handelt, auch wenn diese Buchstabenfolge im Namen enthalten ist. Vergleichbar würde ein Autotester andere Maßstäbe bei einer Probefahrt mit einem Smart anlegen! ;o)
Nach dem Text zu urteilen habt ihr am 2. Dezember 2009 “Ra – The Dice Game” auf dem Tisch gehabt. Derzeit steht als Überschrift lediglich die irreführende Bezeichnung des großen Bruders.
Zu “Bluff” tippe ich bei so versierten Spielern auf ‘Stern’ und ‘2’ (Aaron) sowie ‘1’ (Hans). Die Qualifizierung als problematisch sehe ich in dem Umstand, dass die Vorgabe zu niedrig angesetzt wurde. Bei völlig verquerer Spielweise ist diese Überlegung selbstredend ein rechter ***.
Lieber Herr Blaumeise,
100 Punkte für Sie, Ihre Korrekturen und vor allem Ihre Lösung zum Bluff-Problem.
Das gespielte Spiel sollte mit vollem Namen tatsächlich “Ra – The Dice Game” geheißen haben. Günther hatte es mitgebracht und auch wieder eingepackt, und ich habe vom Titel nur den Bestandteil “Ra” mitbekommen. (Wird korrigiert.)
Beim Bluff-Endspiel hatten Aaron und Hans genau die von Ihnen geschlußfolgerten Würfelergebnisse. Aaron hätte statt mit 1 mal “Vier” mit 1 mal “Fünf” anfangen sollen und so Hans die gesamte sichere Palette der 1 mal “Zahl” wegnehmen sollen.
Hans hätte nach Aarons 1 mal “Stern” sich noch was einfallen lassen sollen. Sein 2 mal die “Eins” hat gegen KEINEN ‘Stern + Zahl”-Wurf von Aaron eine Chance.
Viele Grüße Walter
Wie kommt Ihr darauf, dass sich bei “kumuliert” zwei “m” anhäufen? Doch nicht etwa von summieren?
Hallo Peter (mit oder ohne Heiligenschein),
nach den „Lokalen Wortaltertümern“ der Sprachforscher Plisch und Plum setzt sich „kummuliert“ aus den Bestandteilen „cum“ = Befehlsform von „kommen“ und „Mulis“ = „Eselchen“ (Mehrzahl) zusammen. Beim kummulativen Assoziieren von solifizierten Radixen gehen Konsonanten niemals verloren. Daher die beiden „M“s.
Übrigens: Bei Google findet man über zwanzigtausend Treffer zum inkriminierten Doppel-M, darunter auch beigefügte Bild, das unmittelbar nach der kummulativen Sprachschöpfung entstanden sein muß.
Viele Grüße Walter
Wow – das muss ich gleich Herrn Duden mitteilen – nicht das sich dort die Fehler kummmulieren ;)