01.02.2012: Kriege und Landgewinnung

Im verbalen Vorspiel quittierte ein rentner-trotziges Kopfschütteln die aktuellen Pläne zur Standort-Aufgabe des Hauses Nokia-Siemens. Vom finnisch-bayerischen Wirtschaftskrieg wechselte das Thema zum britisch-amerikanischen Unabhängigkeitskrieg „1812“, wo wir uns mühsam die paar Punkte erarbeiteten, in denen dieses Spiel über ein reines Risiko-Würfelspiel hinausgeht. (Siehe Session-Report und Kommentare von letzter Woche.) Dann gingen wir weitere 2000 Jahre zurück und wendeten uns auf dem realen Spieltisch Bernd Eisensteins virtueller Vielvölkerschlacht zu.

1. “Pergamemnon”
Karthager, Römer, Hellenen, Agypter und Perser spielen gegeneinander ein asymmetrisches Jeder-gegen-Jeden rechts-und-links-und-kreuzweise Kartenspiel. Die Angriffswaffen sind Bogen, Speer und Schwert, zur Verteidigung dienen Schild, Helm und Brustpanzer. Jeder Spieler erhält einen Kartensatz mit den genannten Angriffs- und Verteidigungswaffen in unterschiedlicher Zusammensetzung und unterschiedlicher Stärke. Davon darf er jeweils drei Karten auf der Hand nehmen, um damit die Gefechte zu bestreiten.

Zum Gefecht wählt sich ein Spieler einen beliebigen Mitspieler-Gegner, nennt die Waffe mit der er angreifen will und spielt verdeckt eine der Handkarten aus. Der Angegriffene wählt darauf eine Handkarte aus seiner Hand, dann wird die Angriffsstärke des Angreifers mit der Verteidungsstärke des Verteidigers verglichen. In der Regel ist die Angriffsstärke größer, deshalb darf der Verteidiger jetzt noch eine weitere Karte zur Verteidigung nachlegen. Die beiden Verteidungswerte werden addiert. Ist der Angriff pariert, kommt es sofort zum Gegenschlag des Angegriffenen, bei dem ebenfalls die Angriffs- bzw. Verteidungswerte der ausgespielten Karten miteinander verglichen werden. Das kann dann noch einbiszweimal hin und hergehen.

Der Verlierer muß seine ausgespielten Karten hergeben, der Gewinner darf die eroberten Karten in seinen Kartensatz einreihen, oder er kann sie zum Erwerben von ausliegenden „Kreaturen“ einsetzen, mit denen er sein Potential an Kampf- und Siegpunktkarten erhöht. Sind die unterlegenen Kampfkarten allerdings „Flüchtlinge“ so erhält sie nicht der Sieger, sondern sie kommen ganz aus dem Spiel bzw. der Spieler, der die Ägypter führt, darf / muß sie in seinen Kartensatz aufnehmen.

Aaron war griechischer Startspieler und mangels Besitz einer eroberten Gegnerkarte mußte er sogleich zum ersten Angriff übergehen. Als Opfer wählte er Walters Römer. Von dort wurde ihm allerdings nur ein Flüchtling entgegengeschickt, so dass er trotz seines Sieges keinen Zugewinn erzielen konnte. Im Ergebnis war Walter eine Kampfkarte los, und Günthers unbeteiligten Ägypter wurden um einen Deserteur reicher. Der Verlierer wird sakrosankt. Aaron blieb als Sieger am Zug und mußte sich nun notgedrungen gegen die Ägypter wenden. Auch hier blieb er Sieger, doch da Günther ebenfalls einen Flüchtling ins Rennen geschickt hatte, ging Aaron zum zweiten Mal leer aus. Die erste Runde war zu Ende, das Sakrosanktentum wurde aufgehoben, und Aaron war immer noch am Zug. Verzweifelt suchte er nach Zugalternativen: „Offensichtlich muß ich verlieren, um nicht mehr am Zug zu sein. Wie finde ich denn das?!!“ Hallo Bernd, kannst Du ihm helfen?

Irrtümlich (oder mangels besserer Krieger) schickte Walter jetzt einen Nicht-Flüchtlich ins Gefecht und Aaron bekam endlich einen eroberten Krieger ins Portefeuille, mit dem er sich auch sogleich über eine Kreatur hermachte und damit seine aktive Rolle abgeben konnte. Die Ägypter bekamen die Initiative. Als einziger Gegner standen ihnen jetzt nur die bereits arg gebeutelten Römer zur Verfügung. Mit Unterstützung und zufälligem Gleichstand im Gegenstoß konnten diese ein weiteres Angefressen-Werden ihrer Streitmächte gerade noch verhindern.

Endlich war auch Caesar aus seinem Mittagsschlaf im römischen Nachziehstapel aufgewacht. Zwangsweise wurde jetzt Aaron ins Visier genommen. Die Römer waren erfolgreich und konnten sich einen griechischen Hauslehrer einverleiben. Doch Caesars Glanz war nur ein Strohfeuer. Alle Römer sind Luschen. Vada a bordo, cazzo! Sehr bald ging er nur noch unwillig in die Zwangskämpfe, deren Aussichtslosigkeit ein Blinder mit der Krücke fühlen mußte. Einige Male konnte er sich noch mit knapper Müh und Not halb verdroschen auf den Ablagestapel retten, dann landete auch er in der Kriegsbeute seiner Gegner. Um einen Kampf zu gewinnen hätte er eine Kreatur haben müssen, und um eine Kreatur zu bekommen hätte er einen Kampf gewinnen müssen. Ein klassischer Circulus Vitiosus. O heiliger Sankt Bernd, schicke mir doch endlich auch mal einen Wilhelm Tell. Oder am liebsten gleich eine Dicke Berta.

Günther konterte mitleidslos: „Du hast die falsche Taktik gewählt, du hättest nicht die Römer nehmen sollen!“ Doch das war keine freie Wahl: Die Römer sind rot. (Wie immer man dieses Faktum interpretieren mag!)
Nach 2 ½ Stunden war das Spiel über die Bühne gebracht. Dann kam die Erlösung. Heute nicht so sehr als solche empfunden, wohl aber bei einer Wiederholung. Wenn wir nicht immer wieder hätten nachlesen müssen, wie die Gefechte im einzelnen verlaufen und was ihre Ergebnisse sind, hätte es vielleicht auch schneller gehen können. Vielleicht auch nicht.

WPG-Wertung: Aaron: 3 („das kann man nicht loben, krasse Extuition“), Günther: 4 („die Kartentechnik / Kartenpfege hat einen gewissen Reiz“, er hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass man das Spiel in einer halben Stunde spielen könnte), Walter: 2 (mit Römer-Malus, kaum Entscheidungsspielraum).
Auch als namentlich genannte Tester waschen wir in „Pergamemnon“ unsere Hände in Unschuld.

2. “Seeland”
Aaron erinnerte sich an ein „nettes Spiel“, obwohl er es noch gar nicht gespielt hat. Zumindest nach der WPG-Rangliste auf unserer Internetseite. Und auch im Session-Verzeichnis gibt es keinen Eintrag. Bei emsigem Suchen fand er es schließlich in unserer Liste „Spiel des Monats“. Aber wie kann das sein? Ohne Diskussion und ohne Spielkritik? Oh Wunder, oh Wunder! Könnt ihr euch erklären, wie sich das zusammenreimt? Hier und heute keine Erklärung dazu.

Seeland ist eine holländische Landschaft, die fast komplett unter dem Meeresspiegel liegt. Seit dem Mittelalter ist der Kampf gegen das Wasser ein elementarer Bestandteil ihrer Geschichte. Im Spiel „Seeland“ sind wir Holländer und müssen uns unsere Verdienste bei der Landgewinnung erwerben.

Das Spielbrett ist eine Landschaft aus Hexagons, in die wir reihum jeweils ein Landschaftsplättchen legen: Kohl, Raps und Tulpen. Oder eine Wassermühle, mit der wir das Wasser aus unseren Grundstücken pumpen. Das jeweilige Plättchen, das wir legen, müssen wir uns nach einem sehr pfiffigen Auswahlmechanismus erwerben: Die angebotenen Plättchen liegen in einen Kreis, um den der „Gildemeister“ herumwandert. Wir bewegen den Gildemeister um ein oder mehrere Felder und dürfen dann das Plättchen nehmen, bei dem er angekommen ist. Ein Schritt des Gildemeisters ist kostenlos, jeder weitere Schritt kostet einen Gulden. Beim Geldeinsatz sind wir sehr beschränkt: Der ausgabefreudigste Spieler darf nur maximal vier Gulden mehr ausgegeben haben als der sparsamste. Wie diese Gelddifferenz technisch und spielerisch gehandhabt wird, ist allein der Kauf des Spieles wert.

Jedes Plättchen hat einen unterschiedlichen Wert, den wir in periodischen Abrechnungen gutgeschrieben bekommen. Weiterhin gibt es Prämien für besondere Gesamtstrukturen an Plättchen, die wir um unsere Wassermühlen angelegt haben. Ein hübscher, interaktiver Wettkampf um den Einsatz unserer Gulden, den Einkauf der besten Plättchen und das Auslegen der Plättchen in die lukrativste Seeland-Gegend.

WPG-Wertung: Aaron: 7 (ein Punkt mehr als bisher, schnell, mit wenigen Spiel-Elementen ein interessantes Ergebnis erzielt), Günther: 7 (taktisches Familienspiel), Walter: 7 (konstruktiv, großer Freiheitsgrad, allerdings ohne Progression).

8 Gedanken zu „01.02.2012: Kriege und Landgewinnung“

  1. Hallo!
    Interessiert habe ich euren Sessionbericht gelesen. Ich wäre euch gerne zu Hilfe gekommen :-)
    2 1/2 Stunden für Pergamemnon kann ich aber beim besten Willen nicht nachvollziehen, auch wenn ich es grundsätzlich klasse finde, dass ihr so viel eurer wertvollen Spielezeit meinem Spiel gewidmet habt.
    Habt ihr jedem zu Spielbeginn eine Charismakarte gegeben?
    Dann hätte möglicherweise jeder Spieler am Anfang schon die Chance eine Kreatur anzuwerben (es sei denn, es würden nur sehr teure Kreaturen in der Auslage liegen).
    Habt ihr bedacht, dass jedesmal, wenn das Aufspielrecht wechselt, der Spieler, der das Aufspielrecht erworben hat auch eine Charismakarte bekommt?
    Gerade wenn die Ägypter im Spiel sind und Nofretete mit dem großen Handtäschchen shoppen geht, dann müsste es doch deutlich schneller gehen oder?

    Viele Grüße
    Bernd

  2. Lieber Bernd,
    tut mir leid (oder auch nicht), dass ich Dich bzw. Dein „Pergamemnon“ mit meinen Spielbericht in die Pfanne gehauen habe. Meine Stimmung war danach. Für mich ist Plausibilität für die extrem unterschiedliche Ausstattung der verschiedenen Völker nicht nachvollziehbar. Die oftmalige absolute Machtlosigkeit gegenüber gegnerischen Angriffen – die sich im Laufe des Spiels noch verstärkt und bis zum Spielende anhält – erzeugt hoffnungslosen Frust. Trotz einiger taktischer Hinweise in der Spielregel ist mir bis heute nicht klar, mit welcher Linie eklatante völkische Gebrechen ausgeglichen werden können. Eine mögliche Kartenpflege, auf die Günther immer noch seine (Dominion-)Hoffnungen setzt, ist viel zu zufällig und marginal.
    Zu Deinen Charisma-Fragen: Wir haben (richtig) jedem Spieler zu Beginn eine Charismakarte gegeben. Wir haben (falsch) beim Abwehren eines Angriffsschlages dem Verteidiger KEINE Charismakarte gegeben. Letzteres hätte sicherlich dazu beigetragen, das Spiel etwas zu verkürzen. Gaaanz etwas.
    Nachdem die Römer aber nur einen einzigen Kampf gewonnen hatten, hätte das Balsam der einen zusätzlichen Charismakarte für die tausend blauen Flecken auf ihren Luxuskörpern auch nicht gereicht.
    Ich hoffe, Du läßt Dich durch diese Kritik nicht entmutigen. Deine “richtigen” Brettspiele “Peloponnes” und “Porto Carthago” sind auf jeden Fall eine Bereicherung der Brettspielwelt.
    Viele Grüße Walter

  3. Hallo Walter, hallo Bernd,
    Ich nehme meineBewertung zurück und bestehe auf eine Wiederholung des Spieles!
    Wir haben es komplett falsch gespielt … Und Walter, du hast noch immer nicht unseren dicksten Fehler erkannt!
    Diesen kann man im Errata oder auch im Beispiel in der Regel erkennen(ich habe die Regel jetzt erst erstmalig selbst gelesen,sorry):
    Du kannst eine Kreatur folgendermaßen erwerben:
    EINE eigene Karte mit Charismawert + EINE gegnerische, eroberte Karte mit Charismawert
    Oder folgende, von uns nicht genutzte Regel:
    EINE eigene Karte mit Charismawert + EINE Charismakarte
    Walter hätte also ohne jeglichem Kampf mehrere! Kreaturen anhäufen können und dann erst aktiv kämpfen sollen; wäre er
    Angegriffen worden, hätte er möglichst auf Unentschieden durch direktes Parieren des Angriffes seines Unterstützers spielen sollen.
    Bernd: Zu den Ägyptern … Laufen auch die Flüchtenden aus Kämpfen zwischen zwei anderen Spielern zu den Ägyptern über?

  4. Sorry, eine Korrektur:
    Auch eine Kombination aus mehreren gegnerischen Karten plus mehreren Charismakarten ist zulässig (plus EINE eigene Karte)

  5. Upps, das ist ja der Hammer. Durch diesen Fehler (Anwerben auch ohne erbeutete Gegner möglich) wird das Spiel a) schneller, da es ja möglich ist, Kreaturen häufiger anzuwerben und b) fällt die eher eindimensionale Startrunde interessanter aus, da ja u.U. statt eines Kampfes eine Kreatur angeworben werden kann und c) haben die Römer erst dadurch wirklich eine Chance, das Spiel zu gewinnen.

    Dass die Originalregel einen so eklatanten Fehler enthält war deshalb nicht aufgefallen, weil wir uns das Beispiel nicht angeschaut haben. Dann hätten wir sicherlich den Widerspruch entdeckt und im Web nach einer Errata gesucht. Bernd, ich befürchte, dass vielen Spielern das nicht auffällt und Permamemnon nach dem ersten Spiel frustriert zur Seite legen.

  6. Ergänzung: Mein letzter Satz bezieht sich insbesondere darauf, dass auch die Regelversion auf der Irongames-Seite den Fehler enthält.

  7. Hallöchen!

    Ich weiß, die Regel ist wirklich nicht optimal – was wohl der Hauptgrund sein wird, dass das Spiel bei vielen so verhalten ankommt.
    Zu den Ägyptern: nein, es laufen nur die Flüchtenden zu den Ägyptern über, wenn diese auch direkt am Geschehen beteiligt sind.

    Viele Grüße
    Bernd

  8. Nun, ich habe das Spiel in Essen gespielt und kann – obwohl ich unterstelle/hoffe, es richtig erklärt bekommen zu haben – leider trotzdem kein besseres Fazit abgeben, mehr als 2 Punkte wären bei mir auch nicht drin.
    Warum?

    1) Weil man zwar theoretisch 2 Optionen hat (Kaufen / Angreifen), praktisch häufig aber nicht genug Geld hat, so dass man der ersten Option schon mal beraubt wird.
    2) Weil man, wenn man angreift / angegriffen wird zu großen Teilen gespielt wird. Die Kämpferei ergibt sich weitestgehend von selbst. Irgendwelche “Vorbereitungen” um sich gegen irgendwas zu wappnen sind schwerlich möglich

    Aus 1 und 2 ergibt sich ein sehr geringer Entscheidungsspielraum – wenn ich denn überhaupt mal dran bin, denn da gibt es ja noch den folgenden Punkt:

    3) Weil man theoretisch rundenlang aus dem Spiel genommen werden kann, indem man unverschuldeterweise und völlig willkürlich angegriffen wird.

    4) Hinzu kommt, dass die Wartezeiten enorm sind, zumindest in voller Besetzung.

    Somit ist Pergamemnon für mich eine Ansammlung von frustrierenden Momenten und gehört – ich muss es leider sagen – bei mir in die Kategorie “lieber gar nichts spielen als das”. Damit ist es zwar in der erlauchten Gesellschaft von z.B. Tichu, aber, naja – schade isses schon irgendwie.

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