Bis morgens um halb Drei mit Aaron und Günther palavert. Über Beruf, Banker, Politiker, Autos und Massagen. (Anlässe sind immer gegeben.) Teilgeschlafen. Die beste aller Ehefrauen mit guten Wünschen auf ihren Weg ins Büro begleitet. Ausgeschlafen. Üblicher Rentner-Vormittag. Jakobsmuscheln auf Kartoffel-Kohlrabi-Püree zum Mittagessen gekocht. (Probekochen für den nächsten Skat-Abend.) Küchendienst. Zur ersten Massage des Lebens. (Thai-Öl-Ganzkörper-Massage.) Wie beim nächtlichen Palaver prognostiziert, keine erkennbare Wirkung. (Nulla effectus in corpore sano!) Höchste Zeit, sich an den Session-Report zu machen, bevor es zum Donnerstag-Bridge in den Club abgeht.
1. “Vintage”
Ein portugiesisches Spiel für den internationalen Markt. Der Titel läßt im Deutschen erahnen, dass es um Weinbau geht. Als Anglizismus bezeichnet es einen besonders ausgezeichneten Jahrgang eines Weines, Portweins oder Whiskys (Wikipedia). Das englische Wort „Vintage“ hat aber eine größere Spannweite. Als Eigenschaftswort reicht seine Bedeutung von „altmodisch“ bis zu „hervorragend“ (LEO), und als Hauptwort hat es sich auf die Mode verlegt und bezeichnet ein Kleidungsstück, das mittels künstlicher Löcher und ausgewaschenen Farben auf „gebraucht“ getrimmt ist. Doch das ist eine andere Geschichte.
Wir bleiben beim Wein, genauer gesagt bei der „Portweinproduktion im Douro-Tal, der ältesten abgegrenzten Weinregion der Welt“. Das Spielbrett zeigt das Douro-Tal mit den umliegenden Weinbergen. Jeder Spieler läßt seinen Aufseher und seine vier bis sechs Arbeiter darin werkeln:
- neue Weinberge anzulegen – hierbei sind Preis, Ertragreichtum, Qualität und Transportkosten in Einklang zu bringen.
- Rebsorten anzupflanzen – Sortenreichtum ist geboten, vollständige Bepflanzung erhöht die Qualität.
- Trauben zu lesen – mit Schwankungen in der Jahrgangsqualität.
- die Trauben in die heimischen Weinkeller zu transportierenen – entfernt liegende Weinberge binden erhebliche Manpower für den Transport.
- den Wein reifen zu lassen – dieser Prozess kommt im Spiel leider überhaupt nicht vor. Eingelagerte Weine sind unverzüglich auch verkaufsfähig. Schade eigentlich, die klassische Herstellung von Vinyard Port mit dem Stoppen der Vergährung durch Zugabe von Branntwein hätte noch vielfältige weitere Aufgabenstellungen abwerfen können. Im Spiel wird der Branntwein lediglich als unabkömmliches Lockmittel für die Arbeiter im Weinberg gebraucht. Wer hier seinen letzten Tropfen verbraucht hat und bei der zugehörigen Weinlese nicht gleich im selben Atemzug für neuen Nachschub sorgt, kann nach Hause gehen. Nie wieder wird er seine Arbeiter zum Arbeiten im Weinberg verlocken können.
- den Wein verkaufen – mit dem Würfel wird noch ein bißchen an der Qualität gedreht, die Lagerkapazitäten limitieren den Ertrag. Maximal zwei Einheiten des besten Weines gehen als „Colheita“ für vier Siegpunkte über die Kellerschwelle. Im schlimmsten Fall von Überproduktion muß man je fünf Einheiten seiner Spitzenproduktion als „Tawny“ für einen einzigen Siegpunkt verkaufen.
Das ganze riecht nach sehr viel Arbeit. Ist es auch. Eine geschlagene Stunde brauchte Günther allein, um uns die Arbeitsanweisungen näher zu bringen. Dann fängt das Spiel äußerst zäh an und hört mittelprächtig zäh auf. In der ersten Runde können wir gerade mal einen neuen Weinberg erstehen. Damit ist unser Anfangskapital von drei Siegpunkten auch schon erschöpft. Der neue Weinberg hat zunächst weder Trauben noch Arbeiter; außer der Kapitalbindung bringt er keinen Effekt.
Mit dem Miniweinberg unserer Startaufstellung können wir gerade mal einen einzigen Zuber Trauben lesen und eine einzige Flasche Branntwein erzeugen. (Wenn wir hier die Branntwein-Produktion vergessen, können wir gleich nach Hause gehen, siehe oben!) Verkaufen können wir in der ersten Runde nichts, denn für Transport und Verkauf reicht unser Stammpersonal nicht mehr hin.
Wir dürfen unser Arbeiter aber nicht so mir-nichts-dir-nichts an die Arbeitsplätze schicken. Wir müssen für jeden Arbeitsschritt zuerst eine Arbeitsgenehmigung einholen. Bezahlen müssen wir das mit Arbeitern, deshalb stehen wir auch so schnell ganz ohne da. Der Preis für die Arbeitsgenehmigung wächst zudem linear. Die erste Traubenlese pro Runde kostet einen Arbeiter. Die zweite kostet schon zwei Arbeiter. Wieviel kostet wohl die dritte Lese? Und wie oft könnte der vierte Mitspieler seine Arbeiter zur Lese schicken, wenn er, wie zu Spielbeginn, gerade drei Arbeiter im Personalbüro hat? Richtig geraten, überhaupt nicht mehr!
Zum Glück gibt es den Aufseher, der fast überall hinkommt und nur den einfach Preis bezahlen muß. Und es gibt Zauberkarten, die manche Erledigung unserer Aufgaben erleichtern oder beschleunigen; doch ihr Erwerb und ihre Nutzung kostet Zeit und bindet ebenfalls Personal, das wir gerade am Anfang nicht haben.
Wenn wir dann nach der zweiten oder dritten Runde den ersten Wein in unseren Verkaufsregalen liegen haben, dann ist er von Menge und Qualität so gering, dass wir dafür mit viel Glück höchstenfalls einen oder zwei Siegpunkte erlösen können. In der Regel reicht es nur, ein paar Flaschen in das Regal mit dem Tawny-Schrott zu stellen. Zum Leben zu viel, zum Sterben zu wenig. Nach einer Stunde Spielzeit hatten wir die Hälfte der Runden geschafft, vegetierten aber größtenteils immer noch mit unseren zwei Weinbergen herum und hatten zwischen 0 (Null!!) und 5 Punkten auf dem Siegpunktkonto! Kein Geld, kein Schnaps, keine Leute! Das sind offensichtlich die Charakteristika von Vintage.
Nach sieben Runden und zwei Stunden Spielzeit kam der Sieger über die Besitzstandswertung am Schluß auf 27 Punkte. Die er wohl durch die glückliche Startspielerposition, eine glückliche Weinbergskauf-Zauberkarte und unbehelligtes Bepflanzen des frühen zweiten Weinbergs mit schwarzem „vigna antica“ zusammenkratzen konnte.
WPG-Wertung: Aaron: 4 (stumpfe Optimiererei, es fehlt der Pfiff. Unnötig viel zu überlegen), Günther: 5 (man muß was tun, um es interessant zu machen. [Im Moment weiß ich nicht mehr, was er damit sagen wollte.]), Moritz: 4 (ist halt ein Workerplacementspiel; wenn es mit Eisenbahn-Thematik zu tun hätte, bekäme es einen Punkt weniger), Walter: 4 (der Konstruktionsentwurf verdient 8 Punkte, doch an der Ausarbeitung mangelt es hinten und vorne; die einzige Spannung liegt im Hinterherlaufen bei den begehrten, bitter notwendigen Arbeitsplatz-Angeboten.).
Ich schlage „Vintage“ für den „Horst des Monats“ vor.
2. “Wiz War”
Auf einem schachbrettartigen 10 x 10 Labyrith liegen von jedem Spieler verstreut zwei „Schätze“. Jeder Spieler hat einen Genie-Pöppel (vielleicht auch Zauberer genannt), den er durch das Labyrinth bewegt. Aufgabe ist es, so schnell wie möglich zwei fremde Schätze aufzulesen und im eigenen Heimat-Quadrat abzuliefern. Wem das als erstes gelingt, der hat gewonnen.
Pro Zug dürfen wir uns uns standardmäßig um drei Felder vorwärts-rückwärts-seitlich-bei bewegen. Durch Ausspielen entsprechender (Energie-)Karten auch noch um bis zu fünf Felder (pro Karte!) weiter. Diese Karten, von denen wir bis zu sieben auf den Hand haben, die wir pro Zug alle ausspielen dürfen, und von denen wir pro Zug zwei nachziehen dürfen, sind das Salz in der Suppe. Sie dienen nicht nur zur Erweiterung unseres Bewegungspotentials, mit ihnen können wir auch Breitseiten auf unsere Gegner abfeuern (Gegner sind alle unsere Mitspieler), wir können sie in ein Salzsäure-Bad tauchen oder wir bauen Mauern, um uns und unsere Schätze vor ihnen in Sicherheit zu bringen.
Natürlich gibt es auch Karten, um uns zu schützen, um die Mauern wieder einzureißen oder um gegnerische Schadenspunkte auf sie zurück zu lenken. Und es gibt Karten, mit denen wir die Kartenhand der Gegner bestehlen oder dezimieren können.
Zum Spielziel erklärte Moritz: „Man gewinnt, wenn man zwei Siegpunkte hat!“ Großes Gelächter auf allen Seiten. Selbst beim äußerst ertragsarmen „Vintage“ waren es mehr Siegpunkte gewesen. Seine Einführung beendete Moritz mit der Behauptung: „Der Kampf ist total strategisch! Ohne Glück!“ Großes Gelächter von seiner Seite. Galgenhumor zum Überspielen seiner üblichen Zwecklüge.
Der ideelle Konflikt bei allen Aktionen besteht darin, dass wir einerseits ausrücken müssen, um freme Schätze aufzuladen und nach Hause zu transportieren; dass wir andererseits aber damit unsere eigenen Schätze als Beute für die Gegner frei herumliegen lassen müssen. Im Mittelspiel trug Günther wie eine gute Känguru-Mutter einen seiner eigenen Schätze auf seinen Beutezügen mit sich herum. Solange, bis er einen fremden Schatz aufnehmen konnte und dafür seinen eigenen Schatz dort abladen mußte. Vielleicht ganz tricky, beim dem Angebot an herumliegenden Schätzen aber leicht überflüssig.
Um zu gewinnen muß man gute Kartenpflege betreiben. (Nachdem man ausreichend gute Karten gezogen hat.) Vor allem Potential für den Schlußspurt. (Wenn man keine bösen Gegner hat, die einem die besten Karten der Hand wegstehlen.)
Walter wußte – wie immer bei solchen Fantasy-Adventure-Kriegsspielen – nicht, was er mit seinen Karten anfangen sollte. Wenn schon Waffen-Karten in der Hand, dann auch abfeuern. Auf wen? Auf den, der am nächsten steht. Wenn schon Mauern-Karten in der Hand, dann auch Mauern bauen. Wohin? Dorthin, wohin der Nächste nicht weglaufen sollte. Beidesmal traf es Aaron. Strategisch und taktisch unsinnig. Er ertrug es tapfer. Stellt Euch mal das Lamentieren vor, wenn Walter seine irrationale Spielweise gegen Moritz ausgeübt hätte! Hallo Aaron, es tut mir jetzt noch leid, dass ich uns dieses Vergnügen vorenthalten habe!
Günther äußerte Verständnis: „Das Spielziel liegt darin, möglichst viel Chaos zu erzeugen und dann irgendwie durch Zufall zu gewinnen.“
WPG-Wertung: Aaron: 3 (funktioniert, möchte es aber nicht nochmals spielen. Vielleicht frustriert von Walters Chaos-Strategie), Günther: 4 (das Spiel lebt vom Chaos, die [Pseudo-Stimmung-suggerierenden] Texte auf den Karten sind lächerlich.), Moritz: 6 (das Spiel ist lustiger als „Vintage“), Walter: 3 (nur wenn man in Chaos-Stimmung ist)
Zu Beginn des Spiels wollte Moritz nicht jedem Spieler seine traditionellen Farben geben, sondern verteilte sie zufällig. Großer Protest. Bevor er auch nur das Spielbrett ausbreiten konnte, hatte sich jeder durch heimliches Tauschen wieder seine Favoritenfarbe an Land gezogen. Moritz versuchte zwar, dagegen zu argumentieren, doch gegen die Phalanx der befriedigten Favoriten kam er nicht an.
Auch beim Aufstellen des Spielbretts ging Moritz (spielregel-gerecht?) nach einem Zufallsprinzip vor. Anstatt jedem seine Lieblingsfarbe vor die Tür zu legen, wie es sich für die Go-Maxime: „Ein guter Go-Spieler spielt bei sich selbst!“ gehört. Gibt es für die strenge Verfolgung der Zufallsverteilungen eine im Spielablauf liegende logische Begründung? Ich sehe keine. Nicht für das erste Spiel und nicht für das hunderste Spiel. Die Zufallsauswahl der Karten, das was man damit anfängt, und die freien Bewegungen bringen die Abwechslung ins Spiel. Sie alleine!
Der “Horst des Monats” kann nur vergeben werden, wenn ich das Spiel auch gespielt habe (und mindestens 3 Punkte über der Wertung der anderen liege), aber das “Vintage” klingt nicht so, als ob ich es spielen möchte!
Vintage? Das passt ja. Bei mir zu Hause wurde parallel der unlängst von Walter ausgelobte Brunello getrunken. Wirklich ein feiner Wein, noch einmal vielen Dank! Dazu gab es allerdings das thematisch gar nicht passende “Giganten der Lüfte” als Spiel.
Hallo Horst,
das Spiel-Design von “Vintage” ist wirklich sehr hübsch. Von dieser Seite könnte es problemlos einen Preis verdienen. Und weil Du in Deiner Kritik nicht so pingelig bist und in Deiner Spielfreude auch mal was durchgehen läßst, wo die scharfen Theoretiker die Nase rumpfen, könnte “Vintage” von Dir ohne Weiteres 3 Punkte mehr bekommen als vom Rest der Westparker.
Ob Du je nochmals die Gelegenheit bekommen wirst, diese Deine Wertung zu verifizieren, ist wohl sehr fraglich!
Hallo Florian,
freut mich, dass Dir der Brunello geschmeckt hat. Und freut mich für die Flaschen, die ich noch im Keller habe …
“Großer Protest. Bevor er auch nur das Spielbrett ausbreiten konnte, hatte sich jeder durch heimliches Tauschen wieder seine Favoritenfarbe an Land gezogen. Moritz versuchte zwar, dagegen zu argumentieren, doch gegen die Phalanx der befriedigten Favoriten kam er nicht an.”
Haha – sehr löblich! Spielerfarben-Chaos zu erzeugen geht nun mal wirklich nicht. Nieder mit den Revoluzzern!
Und Vintage – tja, es könnte irgendwie gut sein, wenn es nicht so total einengend wäre. Am Anfang geht gar nichts, am Ende gibt es eine Siegpunkt-Inflation (Sieger hatte bei uns einmal 48, einmal 54 Punkte). Am unausgegorensten finde ich aber, dass das Spiel in meinen Augen ein Führungsproblem hat: Wer hat, dem wird gegeben. Einmal vorne, immer vorne…