04.06.2013: Kartoffelzüchter in der Sahara

“Ich selbst habe sonst leidenschaftlich gespielt, besonders Whist und Hombre. Aber hauptsächlich folgende Umstände haben mir das Spiel entleidet und verhaßt gemacht. Eine Dame in unserer Stadt, die, obschon sie nie vor zehen Uhr Vormittags aus dem Bette sich zu erheben gewohnt war, es doch öfters auf vielerlei Spielpartieen von einer Morgenwache bis zur anderen brachte, war damit nicht zufrieden. Unter seche Robbern im Whist durfte man nicht vom Platz und im Hombre ließ sie nie die Remisen theilen. Entweder, und das war noch gnädig, wurde ihre Ausspielung auf ein anderes mal verschoben, oder man blieb sitzen, bis sie zu Ende waren. Ihre Spielwuth war so heftig, daß sie bey einer Gesellschaft in meinem Hause, allen Widersprüchen ihrer Mitspieler zum Trotz, nicht eher nachließ, als bis die letzte Bete heraus war, welches bis halb eilf Uhr in der Nacht dauerte, ungeachtet alle übrigen Gäste sich schon zwey Stunden früher entfernt hatten und ich bei der strengsten Kälte absichtlich das Feuer in jemen Gemach ausgehen ließ, auch mich selbst zur Ruhe legte. Die Whistpartien wurden von ihr noch dadurch in die Länge gezogen, daß öfters, wenn das Glück dem einen, oder dem anderen Theile nicht hold war, die Karten, statt abzuheben, auseinander geworfen wurden, um nochmals gemischt zu werden, und dies gewöhnlich dreymal nach einander.”(Theresius Freyherrn von Seckendorf um 1780 in „Lebensregeln mit Erfahrungen aus dem Leben belegt für Jünglinge die in die größere Welt treten wollen und hin und wieder für Erwachsene die Regeln brauchen oder dulden können.“)

1. “Saqqara”
Aaron war fest davon überzeugt, dass wir das Spiel schon einmal gespielt haben. Ganz deutlich konnte er sich an Spielbrett und Material erinnern. Doch in unseren Archiven fand er keinen Hinweis darauf. Auflösung: Auf der Spiel 2012 in Essen hatte er am Stand von „White Goblin Games“ zugesehen oder mitgespielt.

Aaron und Günther mokkieren sich über das Regelheft von „Saqqara“
Aaron und Günther mokkieren sich über das Regelheft von „Saqqara“

Ob wir jetzt alte Griechen oder Ägypter oder Hottentottenhäuptlinge sein sollen, ist aus dem Spielablauf nicht ersichtlich. Dass auf den vier wohldefinierten Marktplätzen des Spielbretts himmelblaue Fischchen, violette Tuchballen, holzige Holzstäbchen und goldige Goldbarren herumliegen, läßt keine lokalen Rückschlüsse zu.

Jeder Spieler hat das gleiche Set von Bietkarten mit Zahlen von 2 bis 9. Daraus zieht er in jeder von fünf Runden eines Jahres blind vier Karten und ordnet sie sehend, aber verdeckt je einem der Marktplätze zu. Dann werden die Bietkarten synchron aufgedeckt, und wer die höchste Karte auf einen Marktplatz gesetzt hat, bekommt die dort lagernde Ware (Fischchen, Tuch …). Kostenlos! Die anderen gehen leer aus. Lustig? Intelligent? Spielerisch?

Dabei stehen aber nicht alle vier Marktpätze so wohlfeil zur Verfügung: Die Ware eines Marktplatzes wird nur dann vergeben, wenn eine Mindestanzahl von Waren auf ihm vorhanden ist. Diese Mindestzahl wird pro Runde zufällig gezogen und bewirkt, dass ca. die Hälfte der Marktplätze unbrauchbar sind. Die Spieler könnten hier zwar etwas nachhelfen, indem sie aus ihrem eigenen Vorrat Waren dazulegen, um so auf die geforderte Mindestzahl zu kommen. Im Prinzip eine hübsche Idee. Wer aber opfert bei einer solch ungewissen Erwerbslage schon gerne eigenes Besitztum? Die hübsche Idee ist nicht zu Ende gedacht!

Noch weitere Märkte können durch Zufallseffekte von vorneherein geschlossen werden, so dass wir, statt in einem üppigen Angebot zu klotzen, eher bei ein paar mickrigen Bröseln kleckern müssen. Das Ganze wird auch nicht viel ergiebiger, wenn unter unseren Bietkarten zwei Händler und ein Bettler sind, die unter Umgehung von restriktiven Auflagen vom öffentlichen Eigentum etwas abstauben dürfen.

Fazit: Mit zufällig gezogenen Zahlen sollen wir verdeckt die zufällig gezogenen Zahlen unserer Mitspieler überbieten, um damit unsere Fischchen aufs Trockene zu bringen, falls sie überhaupt da und falls sie nass sind.

Was machen wir dann mit den an Land gezogenen Fischen? Und den Tüchern, Hölzern, Goldbarren? Wir handeln sie gegen Entwicklungspotenzen ein, mit denen wir uns Vorteile für unser zukünftiges Marktgebaren verschaffen: mehr Ware, tauschbare Ware, Siegpunkte. Und zusätzlich können wir damit in einer brutalen Verdrängungsrunde, einmal pro Jahr, Privilegien ersteigern, die uns ebenfalls näher an mehr Ware und mehr Siegpunkte bringen. Brutal ist diese Versteigerung deshalb, weil ein Spieler mit nur geringfügig mehr Ware in seinem Besitz als die Mitspieler, hier ALLE Privilegien auf seine Seite schaffen kann, während die Mitspieler ihren Einsatz loswerden und hinterher doch nur in die Röhre schauen.

In den ersten drei Runden hatte überhaupt nur Günther genügend Ware ergattern können, um sich über ihre Verwendung Gedanken machen zu können. Als es dann an die Versteigerungsrunde ging und Günther ihre bescheuerten Details darlegte – er hatte sie bei seiner Regelerklärung ganz bewusst bis zu diesem Zeitpunkt zurückgehalten – , war allen einvernehmlich klar, dass wir jetzt nur noch unsere Vorurteile verifizieren wollten, um das Spiel anschließend abzubrechen. Ein Jahr Saqqara, eine gute halbe Stunde Zufallskarten im Saharasand zu verteilen, das reichte. Die restlichen fünf Jahre respektive zwei Stunden wendeten wir uns flüssigeren Dingen zu.

Auch in einem anderen Güntherschen Spielkreis wurde das Spiel genau an dieser Stelle abgebrochen. Und Aaron erinnerte sich, dass er letztes Jahr in Essen auch an dieser Stelle sein Interesse an Saqqara verloren hatte.

WPG-Wertung: Aaron: 3 (es funktioniert NICHT, zuviel Zufallsabhängigkeit bei enorm viel Frustfaktoren, Spieldauer für diese Prinzip zu lang), Günther: 3 (das Versteigern ist broken, das Bietkarten-Prinzip ist broken, ich finde überhaupt nichts an dem Spiel schön), Walter: 3 (das Einschwingen ist viel zu langsam. Das, was läuft, ist wie der Neumond: weder rund noch schön).

2. “Saint Malo”
Ein Kniffel-Spiel für Anspruchsvolle. Mit topologischen Herausforderungen. Inka und Markus Brand haben es erfunden und Alea hat es herausgebracht. Günther hat es gekauft, weil er ja durchaus auch lockere Spielchen mag, und weil Alea schließlich für Qualität verbürgt.

Wir würfeln mit 5 Würfeln und versuchen damit, wie im richtigen Leben, möglichst viele gleiche „Zahlen“ zu würfeln. Wer am Zug ist, hat drei Würfe, aus denen er beliebig viele seiner geworfenen Würfel herauslegen oder erneut würfeln kann.

Statt „Zahlen“ gibt es auf den Würfeln Symbole

  • Köpfe, aus denen wir je nach erwürfelter Anzahl eine bestimmte „Amtsperson“ bilden können: Tagelöhner, Soldaten, Prieser, Händler, Baumeister, Gaukler oder Adelige, die jeweils unterschiedliche Effekte zum Erwerben oder Verteidigen von Siegpunkten auslösen.
  • Piraten, die dem Würfler keinerlei Nutzen bringen, denen wir aber von Zeit zu Zeit Paroli bieten müssen, damit wir keine Federn lassen müssen
  • Mauern, die unsere Verteidiungskraft gegen Piraten erhöhen
  • Kirchen mit der Wertigkeiten (Würfelhäufigkeit) 1 bis 5, die mit wachsender Vielfalt eine quadratisch ansteigernde Summe von Siegpunkten einbringen
  • Holz, das beizeiten gesammelt werden muss, um mit einem erwürfeltenden Baumeister auf einen Schlag möglichst viele siegpunkt-trächtige Bauwerke bauen zu können.
  • Kisten, die unser Potential zum Gelderwerb erhöhen. Das Geld brauchen wir zum Einlagern von Holz. Mit dem Geld können wir auch einzelne Würfel beliebig verdrehen. Eine sehr effektive Methode, auch seltene hohe Würfelkombinationen zustande bringen zu können.

Das Ergebnis seines Wurfes trägt jeder Spieler in ein privates Tableau mit 7 mal 7 Feldern ein. Kisten und Mauern belegen pro Würfel jeweils ein eigenes Feld. Kirchen und Köpfe füllen nur insgesamt ein einziges Feld mit dem Endergebnis des Wurfes. Entsprechend füllen sich je nach Würfelergebnis und im gewissen Sinne auch je nach Ambitionen der Spieler die einzelnen Tableaus verschieden schnell. Sobald der erste Spiele alle 49 Felder gefüllt hat, ist das Spiel zu Ende.

Da die Würfelergebnisse, insbesondere die Amtspersonen, eine starke „Querwirkung“ besitzen, d.h. dass ihre Effekte beim Eintragen in das Tableau sehr stark von der bereits vorhandenen Besetzung der Nachbarfelder abhängen, ist eine gewisse Vorplanung der Feldernutzung zu Beginn des Spiels und eine opportunistische Ausnutzung der jeweiligen Würfelergebnisse während des Spiels spielentscheidend. Ein deutlicher Mehrwert gegenüber einem trivialen Kniffel-Spiel.

WPG-Wertung: Aaron: 5 (es hat mich nicht vom Hocker gerissen), Günther: 6 (wahrscheinlich ist es in einer Zweierrunde noch schneller, schöner, spaßiger), Walter: 6 (lustiges, lockeres Würfelspiel; ein runder Zeitvertreib für ein ausgedehntes Zeittotschlagen).

3. “Dicke Kartoffeln”
Aaron setzt seine Nostalgiewelle fort. Diesmal brachte er das 25-jährige „Dicke Kartoffeln“ von Doris und Frank mit. Auch dieses Spiel haben wir vor einem Vierteljahrhundert des öfteren und immer mit Vergnügen gespielt. Mal sehen, wie es im neuen Jahrtausend ankommt.

Wir sind Kartoffelbauern. Bis zu fünf Äcker können wir bewirtschaften und dabei drei verschiedene Sorten anbauen. Die Erträge und die Erlöse sind je nach Sorte unterschiedlich. Auch sind sie sehr davon abhängig, ob wir sie düngen, chemisch natürlich, und wieviele Regenwürmer pro Furche wir darin gedeihen haben.

Der Verkaufspreis bewegt sich auf und nieder nach einem intelligent ausgeklügelten System, in dem das diesjährige und das Vorjahresangebot eine entscheidende Rolle spielen.

Wir können unsere Kartoffeln auch als Bio-Ware auf den Markt bringen. Dann unterliegen sie einem eigenen Preisfindungs-Schema. Dabei müssen wir allerdings strenge, im Gegensatz zur heutigen Realität, von allen Mitspielern scharf kontrollierbare Anbaubedingungen einhalten: Es darf seit Jahren schon nicht gedüngt worden sein.

Hiermit ist natürlich eine umfangreiche Optimierungsaufgabe gegeben. Welche Kartoffelsorte baue ich in welchem Jahr auf welchem Acker mit / ohne Düngen, mit / ohne Regenwurm-Anreicherung an und wieviel meines Ertrages verkaufe ich, falls die Alternative gegeben ist, als normal oder als Bio. Günther schwelgte in Zahlen und den faszinierenden Rechenoperationen, die damit durchgeführt werden können. Bis er von Walter, wie so oft, zu einer Entscheidung gedrängt wurde. Das ging dann zu Lasten seiner Euphorie. „Das Spiel mit seiner Rechnerei ist nicht mehr zeitgemäß!“ Walters behutsame Verteidigung wurde als Nostalgie abgetan.

WPG-Wertung: Aaron: 5 (einschließlich Nostalgiepunkt, es fehlt das Spielerische), Günther: 4 (wenn das Spiel von heute wäre, würdet ihr es in der Luft zerreißen, keinerlei Interaktion, schwerfällige Rechnerei), Walter: 6 (gefälliges Thema, als Kartoffelbauern und Regenwurmzüchter sind wir schöpferisch tätig, bei unseren Spielzügen haben wir viele Freiheitsgrade, es gibt eine ganze Reihe unterschiedlicher Strategien. [Günther: Es sind alles nur Scheinfreiheiten. Nur wenige Strategien sind erfolgversprechend, und die sind von Anfang an festgelegt. Später kann man nur noch punktuell kleinere Vorteile auf dem Preistableau ausnutzen.])

PS: Auf die optionalen Wirtschaftsnachrichten (mit ihrem willkürlichen Verschieben von Preisen und Erträgen) haben wir verzichtet, wie auch schon vor 25 Jahren. Mit diesen Regeln würde das Spiel von mir nur 3 Punkte bekommen.