Peter war pünktlich. Um 18:59 stand er auf der Matte am Westpark. Von Odeonsplatz aus hatte er sich ein Taxi genommen. Er konnte froh sein, dass er überhaupt eines erwischen konnte. Moritz und Andrea konnten lange keines erwischen. Ein Tunnelbrand an der Münchener Freiheit hatte die U-Bahn lahmgelegt und hunderttausend Fahrgäste suchten verzweifelt ein Weiterkommen. Erst 20 Minuten später trudelten sie – ebenfalls per Taxi -am Westpark ein. Immerhin.
Wenn das morgen passiert, habe ich keine Chance, den Bridgeclub noch rechtzeitig zu erreichen. Dann müssen sich Partner und Komplementäre ungespielt wieder nach Hause begeben. Noch dazu ohne U-Bahn …
1. “Kohle & Kolonie”
Nach „Ruhrschifffahrt“ das zweite Spiel von Thomas Spitzer um die Kohleförderung an Rhein und Ruhr. Ein drittes Werk zu dieser Thematik hat er bereits in der Backröhre liegen.
Die Szenerie zeigt Grubenfelder auf den Stadtgebieten um das heutige Essen und Bochum herum. Wir sind Investoren, und mache in Kohleminen oder Zechen. Zechen kosten Geld und benötigen lokale – in der Startaufstellung auf dem Spielbrett verteilte – Arbeiter. Ohne Arbeiter keine Zechen. Wenn die lokalen Arbeiter alle wegengagiert sind, müssen wir Siedlungen bauen und eigene Clansleute für diese Aufgabe heranziehen.
Zechen bringen Geld und Siegpunkte. Die Art und Höhe der Einnahmen können wir in gewissen Grenzen beeinflussen, indem wir unsere fünf „Übertage-Tableaus“ entwickeln: Arbeiter und Ingenieure darauf positionieren sowie mittels Geld und lokaler Arbeitskräfte verbesserte Gewinn-Umsetztabellen aktivieren.
Der Gewinn, den die Zechen abwerfen, steigert sich mit der Anzahl der Mitspieler, die sich hier als Investoren beteiligt haben. Es geht also nicht darum, in seiner kleinen und übersichtlichen Spielfeldecke ein Monoimperium aufzubauen. Ganz im Gegenteil, man muss mitten im Zentrum einsteigen und hoffen, dass auch die Mitspieler hier ihr Interesse bekunden.
Dem freien Unternehmertum sind allerdings scharfe Grenzen gesetzt. Maximal vier Anteile stehen pro Zeche zur Verfügung. Kleinzechen sind schon ausgebucht, wenn auch nur ein einziger Mitspieler hier eingestiegen ist. Viele Anteile komme auch erst im Laufe des Spiels ins Spiel. So gibt es in der ersten Runde nur insgesamt zwei Zechen, an denen sich überhaupt ein einziger weiterer Mitspieler beteiligen kann. Der zweite macht das Licht aus!
Und wer ist der Erste? In einem hübschen Bonusmarkerauswahlverfahren suchen sich die Spieler zu Beginn einer Runde reihum ein Bonus-Plättchen aus – es gewährt Geld-, Sach-, oder Aktionsvorteile – und legen damit gleichzeitig die jeweilige Position in der Zugreihenfolge fest. Klar, dass in jeder Runde bei der Auswahl der Bonunsmarker die umgekehrte Spielerreihenfolge der Vorrunde zum Zuge kommt.
Mehrere Teilhaber an einer Zeche sind zunächst also grundsätzlich von Vorteil. Bis in einer definierten späteren Runde die Zeche „konsolidiert“ wird. Hier werden sie dann auf einmal Konkurrenten um den Alleinbesitz der konsolidierten Zeche. Wer jetzt am meisten bietet, wird Alleinbesitzer der konsolidierten Zeche und kassiert die folgenden Rundenerträge für sich alleine; alle früheren Mitbesitzer erhalten aber eine vernünftige Entschädigung.
Was gibt es noch? Wir können unsere Clansleute in den Siedlungen mit der Eisenbahn auf Reisen schicken: jede Station enthält positive Überraschungen (an Geld, Arbeitern oder Siegpunkten) bereit. Und wenn wir eine der insgesamt vier Eisenbahnlinien vollständig abgegrast haben, erhalten wir weitere Siegpunkte gutgeschrieben.
Und dann gibt es pro Runde noch die unvermeidlichen Grubenunglücke. Davon sind die Zechen aller Spieler regelmäßig bedroht. Nach einem Zufallsverfahren wird ermittelt, welche Zechen konkret betroffen sind. Sie verlieren Arbeiter und bekommen Strafpunkte. Man kann sich dagegen versichern, doch das kostet Ressourcen. Die ganze Konstruktion ist einerseits gegen die Mehrheitsbesitzer gerichtet: je mehr einer besitzt, desto höher ist sein Versicherungsaufwand. Die Grubenunglücke sollen aber andererseits ein bisschen spielerischen Zufall in das ansonsten strikte Planspiel hineinbringen.
Ja, Planspiel! Eine Stunde brauchte Günther zu seiner sehr reif dargebotenen Spieleinführung. 28 gut gegliederte Seiten Regelheft galt es zu erläutern. Drei geschlagene Stunden dauerte hinterher dann das Spiel: Fünf Runden, in denen jeder Spieler je zwei Aktionen (Grube kaufen, Siedlung bauen, Arbeiter versetzen etc.) durchführen durfte. Achtzehn Minuten für eine Aktion! (OK, da in einigen der Bonusmarkern auch noch Aktionen enthalten waren, kam jeder Spieler also vielleicht alle fünfzehn Minuten zu einer Aktion.) Der Rest der Zeit vergeht mit dem Ausrechnen von Geld- und Siegpunkte-Einnahmen, mit dem Bieten innerhalb der Konsolidierungsprozesse und mit dem Warten auf das Planen und Ausrechnen der Mitspieleraktionen. Und wer in den ersten beiden Runden der ersten Stunde die richtigen Weichen gestellt hat, der kann in den beiden folgenden Stunden unabdrängbar seinem Sieg entgegendenken.
Peter optimierte am besten. In der letzten Runde optimierte er sogar noch die Differenz zu seinen stärksten Verfolger Günther. Mit 148 zu 130 Siegpunkten gingen sie weit vor den anderen Mitspielern durchs Ziel.
WPG-Wertung: Andrea: 8 (interaktiv, thematisch gelungen, großer Handlungsspielraum), Günther: 7 (das Spiel wäre mit ein paar abgestrippten Schnörkeln noch besser), Moritz: 8 (hübsche Konstruktion, erlaubt verschiedene Strategien und darin sogar noch einen fliegenden Wechsel), Peter: 9 (von der Komplexität her das schönste Spiel der letzten Jahre), Walter: 6 (hübsche Ideen, stimmige Abläufe, gelungene Balance, aber zu fieselig und zu rechenintensiv).
Vielleicht könnte Peter in seiner 9-Punkte-Euphorie noch mehr dazu schreiben, ich kann
es nicht.
PS: Worauf das Wort “Kolonie” im Titel anspielt, habe ich nicht herausbekommen.
Nichts mehr
Kein Bluff, kein Flaschenteufel, kein Diggers und kein Mau-Mau. Mitternacht war vorüber. Hoffentlich fährt die U-Bahn wieder.
Zechenkolonien sind die von den Zechen gebauten Wohnhäuser für die in den Zechen arbeitenden Kumpel. Findet man heute immer noch und haben ihren eigenen Charme, eben auch wegen der guten Nachbarschaft.
Schöne Grüße aus dem Ruhrpott!
Hallo ravn, danke für die Aufklärung.
Das hätte wohl auch im Regelheft stehen können. Oder sind wir Bayern einfach zu doof?