Champions-League-Spiele gehen nicht spurlos an unseren Spielabenden vorbei. Aaron grummelt über die Unruhe am Spieltisch, wenn immer mal wieder per Lifeticker der Spielstand abgefragt wird. Horst legt größten Wert auf diese Information; heute ist er sogar eigens zuhause geblieben, um sich doch lieber das 2:0 vom FC Bayern bei Arsenal reinzuziehen. Moritz möchte ebenfalls auf keine Online-Information verzichten; an Fußball-Abenden hat gewöhnlich sein Tablet vor sich liegen, auf dem die entsprechenden Szenerien angezeigt werden. (Auch sonst ist sein Handy höchst aktiv.) Peter ist beruhigt, wenn das Match nicht in der Arroganz-Arena stattfindet. Dann kann er in der Nacht nach Hause kommen, ohne von den „Fußball-Prolls“ in U-Bahn und Leopoldstraße behelligt zu werden. (Dieser Horror-Eindruck stammt noch aus den Zeiten des „Sommermärchens“.) Günther ist der einzige unbewegte Beweger. Und seine Frau freut sich, dass er außer Haus ist und ihr mit seinen dummen Sprüchen nicht den Fussballabend versaut.
1. “Bruxelles 1893”
Die belgische Hauptstadt wurde 1893 zur Wiege des Jugendstils. So steht es im Regelheft. Am Material, Design und Spielablauf ist davon allerdings nicht viel zu spüren. Kein Wunder, wenn sogar Martin Klein, ein professioneller Brüssel-Erklärer bei YouTube (http://youtu.be/PMvGUfBYq1Q) von Jugendstil-Architektur noch nie etwas gehört hat.
Wir setzen unsere Arbeiter auf – je nach Zufallsauswahl – zehn bis zwanzig Einsatzfelder und
- besorgen Baustoffe
- bauen daraus Häuser – angeblich im Jugendstil
- schaffen Kunstwerke
- verkaufen unsere geschaffenen Kunstwerke an stets kaufwillige Liebhaber
- besorgen uns Geldmittel auf dem freien Markt (falls unsere Kunst zuwenig Geld eingebracht hat)
- heuern Helfer an
- nehmen die Dienste unserer Helfer in Anspruch (für Geld, Siegpunkte, neue Arbeiter, erhöhte Faktoren für die Siegpunke-Prämien u.ä.)
Alles hängt zusammen, überall sprudelt es, überall fließen uns Siegpunkte zu. Die Baupreise sind variabel, die Kunsterlöse flexibel, der Einsatz auf Geld- und Arbeitsmarkt multibel, die Prämien für unser Arbeiter auf Jugendstil- und Brüssel-Spielplan konkurrabel. Beim ersten Mal ist das Ganze nicht beherrschbar. Beim zweiten Mal ein bißchen. Beim dritten Mal kann man vielleicht schon einen Plan haben. Aber dann macht das Ganze schon keinen Spaß mehr. (Vielleicht!)
Interaktion? Ist bei der extremen Verzahnung der Spielelemente gar nicht zu vermeiden. Und immer mal wieder muss ein Spieler nolens volens (oder nativ vor sich hinspielend) seinem Nebenmann eine steile Vorgabe zuschustern. Aaron bedauerte, dass er nicht hinter Walter, sondern hinter Peter saß. Da wurden deutlich weniger Vorgaben losgetreten.
Peter heuerte zu Beginn – geplant oder zufällig – einen Helfer an, der seinen Faktor für Gebäudeprämien in den fünf Spielrunden von 3 auf den Maximalwert 10 hochhievte. Dazwischen errichtete er alle seine sechs Häuser. Allein für dieses Besitztum kassierte er in der Schlußabrechnung 60 Siegpunkte. Fast so viel wie Günther im ganzen Spiel. Von Aaron und Walter ganz zu schweigen. Das scheint in „Bruxelles 1893“ die Siegesschiene zu sein. Man kann einem Spieler dieser Zielrichtung allerdings in die Suppe spucken.
WPG-Wertung: Aaron: 6 (unkalkulierbar, kurzweiliger als “Madeira”, 1 Punkt mehr), Günther: 6 (habe es heute zum dritten Mal gespielt; jedesmal ist die Note besser geworden; scheint aber jetzt am oberen Anschlag zu sein), Peter: 6 (zu viele Schräubchen; Schmetterlingseffekte – gemäß Chaos-Theorie; es hat heute Spaß gemacht, besonders, weil ich gewonnen habe. Aber noch einmal möchte ich es nicht spielen), Walter: 6 (wie bei Madeira: 4 Punkte für den Spielspaß und 8 Punkte für die reife Ingenieursleistung).
Hallo Ralf, im Prinzip hast Du recht: Weil uns „Madeira“ nur bedingt gefallen hat, hätten wir von „Bruxelles 1893“ von vornherein gleich „die Westpark-Games-Finger lassen“ können. “Auch hier sind ebenso nur diverse Spielmechanismen aufeinandergeschichtet, um daraus eine verschachtelte Optimierungsaufgabe zu machen!“ Aber Du hast natürlich ebenso unrecht, denn – wie Aaron treffend kommentiert hat – unseren Spielspaß ziehen wir aus dem Kennenlernen an sich. Das Spiel kriegt dann – vielleicht zum Leidwesen von Autor und Verlag – keine Höchstnoten, aber der Spieleabend hat sich für jeden einzelnen von uns trotzdem gelohnt. Wissen macht Spaß! Host mi?
2. “Nobiles”
Wir sind nicht in Italien und auch nicht bei Umbertos umstrittenen Polarfahrten. Aaron fünfte Eigenentwicklung spielt in Ostfriesland. Wir kämpfen gegen natürliche Unbilden wie Sturmfluten und Quallen. Wenn wir sie besiegen, bekommen wir Land, Deiche und ähnliche Besitztümer; und die Nobiles des Landes, als da sind Richter und Häuptling, bekommen dafür Siegpunkte. Wenn wir die Sturmfluten nicht besiegen, geht Land unter, und der Häuptling wird abgesetzt.
Gegensätzliche Interessen von Bürgern und Nobiles beim Besiegen der Elemente, sowie eine Semi-Kooperation und Semi-Konkurrenz innerhalb der freien Aktionen der Mitspieler sind die Leitmotive des Designs. Doch bis zur gelungenen Balance von Kosten und Nutzen, von Einsatz und Gewinn, Mangel und Überfluss, sowie von Beteiligung und Sabotage ist noch ein weiter Weg.
Noch keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entstehungsphase.
3. “Bluff”
Peter schielte schon auf die vorletzte U-Bahn und wollte nur noch kibitzen. Günther war allerdings noch vor der U-Bahn-Abfahrt ausgeschieden. Reihum krottenschlechte Würfe aller Spieler hatten ihm das Genick gebrochen. Mit 5:5-Würfeln gingen Aaron und Walter ins Endspiel. Schlagartig wendeten sich die Würfel. Bei der Vorgabe 10 mal die Fünf (alle zehn Würfel Fünf oder Stern!) verlor Aaron seinen ersten Würfel. Der Anfang vom Ende.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
Hallo Westpark-Gamers,
ich meine, dass Bruxelles 1893 so ein Spiel ist, das man in einer Kennenlernpartie noch nicht vollständig erfassen kann. Zumindest erging es mir so. Da türmen sich etliche, scheinbar willkürliche, Detailregeln aufeinander und sind durch diverse Stellschrauben miteinander verknüpft, um daraus ein Ganzes zu machen. In der zweiten Partie weiss man, was man alles besser machen könnte. In der dritten Partie jongliert man dann mit den Spieldetails, um die zum eigenen Vorteil zu nutzen. Zu dritt ist Bruxelles 1893 inzwischen bei uns ein flott gespielter Absacker und dabei hat für mich das Spielgefühl enorm gewonnen, wenn man erkennt, wie man die Spielemente im Griff hat und was die Mitspieler alles damit anfangen können, um die Siegpunkte nochmals zu steigern. Ebenso spannend zu erleben, was die Mitspieler da alles für Fallstricke aufbauen können und wie man diese kontern kann. Das alles kann man in einer Kennenlernpartie allerdings nicht erleben.
Die Gebäude-Strategie mit ihren 60 sicheren Punkten scheint anfangs unschlagbar. Dachte ich auch. Stimmt aber nicht, wie mir eindrucksvoll eine Mitspielerin zeigte. Ein wenig Gebäudebau, um gezielt Plätze zu besetzen, die eine bestimmte Boni-Sorte einbringen, um so die eigene Spielstrategie zu unterstützen, erzielte wesentlich mehr Punkte.
Aber lohnt der Kennenlernaufwand überhaupt, wenn man schon nach einer Partie die Segel streicht? Klar, warum ein Spiel erneut auf den Tisch bringen, das einen so gar nicht angesprochen hat. Aber manche Spiele blühen erst in den Folgepartien auf. Schade wenn es dazu nicht kommt, weil ein Spiel zu vorschnell abgeurteilt wird. Kenne ich ebenso bei mir. Bin gespannt, was Ihr zu “Cuba Libre” schreiben werdet.
Cu / Ralf
Quallen? Ostfriesen kämpfen gegen Quallen? Der australische Syrah, den ich mitgebracht hatte, war wohl doch etwas zu stark.
Hallo Aaron, nix für ungut, das ist doch alles nur symbolisch zu verstehen. Und vielleicht hast Du morgen tatsächlich auch schon die Quallen bei den Nobiles untergebracht. Alles fließt!
Mir als oberbayerischer Landratte ist von den ostfriesischen Bedrohungen halt nur noch die Sturmflut in Erinnerung geblieben. Und von den Nobiles nur die „Hovetlinge“. Dank Syrah und den Jahren. (Hat ja auch keinen interessiert, was auf den Kärtchen stand; nur Moritz hätte die thematische Relevanz in Augenschein genommen.)
Beim Session-Protokoll hieß es dann kräftig improvisieren. Da kamen mir die Quallen gerade recht. Darunter kann man sich selbst am Hinterbrühler See not etwas vorstellen.