Männer ohne Spiel leiden an den gleichen Entzugserscheinungen wie Männer ohne Frau. Was sich vor allem in verbalen Kraftmeiereien ausdrückt. Oder lag es diesmal an den hautnahen Begegnungen mit Transvestiten, Transgendern und Transplantationen, dass das verbale Vorgeplänkel aus dem halbseidenen Rülpsen nicht mehr herauskam? Der Verstand war jedenfalls noch eingeschaltet, denn jeder zweite Satz hieß: „Diese Äußerung bitte ja nicht ins Protokoll übernehmen!“ Beim Abschied distanzierten sich alle Mitspieler nochmals ausdrücklich vom noch ungeschriebenen Session-Protokoll. Hier ist es.
1. “Nobiles”
Aarons Neuentwicklung brachte uns zunächst wieder auf die spielorientierte Schiene zurück. Er hat sein Spiel in den letzten beiden Monaten nochmals wieder gründlich überarbeitet, nachdem im Laufe eines forcierten Reifeprozesses zu Beginn dieses Jahres sich viel Wildwuchs eingestellt hatte. Zurück zu den Quellen war seine Devise. Vor allem sollten die beiden Spannungsfelder des Spiels, das arbeitsame Engagement bei der gemeinsamen Problembewältigung und das siegpunktträchtige Einsteigen in Herrschaft und Politik, besser miteinander verzahnt werden. Einige sehr geniale Umgestaltungen brachten das Spiel jetzt Riesenschritte vorwärts. Peter erkannte es nicht wieder.
„Viel Lob, großes Lob!“ vergab er mit der größten Überzeugung. „Ein super Spiel; es besitzt keine eingefahrene Strategie, sondern ist höchst flexibel“ kommentierte Moritz. Aus bescheidenen Startbedingungen heraus und mit zunächst in verschiedenen Richtungen abtastenden Spielzügen hatte er sich im Mittelspiel noch eine Vorgehensweise zurechtlegen können, mit der er haushoch gewann. Die Mitspieler mussten das aber keineswegs bedröppelt über sich ergehen lassen. Erstens kommt das Ende sehr schnell und schmerzlos herbei, und zweitens erkannten sie – post mortem – sogleich die Fehler in ihren eigenen Zügen, die sie beim nächsten Mal vermeiden wollen. Genau das sind Voraussetzungen für ein großes, strategisches Spiel.
WPG-Wertung: Noch keine Wertung für ein Spiel in der Entwicklungsphase.
2. “Island Fortress”
Seefahrer, stolzes “Archeron”, Schiffbruch, Jademinen, Gouverneur, Fort Aldenford, Gesindel und Kontrolle sind die Schlagwörter im Regenheft, die für Stimmung und Spiellust sorgen sollen. Vorweg genommen, bei uns kamen sie nicht an.
Drei Rechtecke mit je fünf mal vier internen Quadraten sind das Gelände, auf dem jeder Spieler durch Legen von Bauplättchen individuell vorgegebene tetris-artige Muster herstellen muss. Jedes fertig gestellte Muster liefert Siegpunkte. Die Spieler bauen in Konkurrenz zueinander: wenn ein Spieler gerade seine vorgegebene Tetris-Raute fertiggestellt hat, und ein böser Mitspieler eines der zugehörigen, vorgeschriebenen Bauplätten überbaut, dann sind die Siegpunkte erst einmal aufs Eis gelegt.
Zu Bauen braucht man Arbeiter, Bauplättchen und Geld, die man sich mit Hilfe seiner Aktionskarten, Anwerber, Planer und Schatzmeister geheißen, peut-a-peut besorgen kann. Der Aufseher bestimmt dann noch, in welcher der drei Gelände-Rechtecke man bauen darf, der Baumeister tut es und rechnet die Fertigstellung ab.
Es gibt noch ein paar mehr Schnörksel, die das Spielgeschehen etwas bunter machen sollen, uns kam es heute aber ziemlich grau vor. Noch dazu ist die Übersetzung der deutschen Regeln und die Druckqualität des deutschen Spielmaterials eine echte Zumutung. „Schrott“ war heute der etwas überspitzt dafür gebrauchte Ausdruck. Vielleicht lag das auch an der mitgebrachten Stimmung, den oben erwähnten Entzugserscheinungen und den hohen Erwartungen nach Aarons „Nobiles“.
Nach anderthalb Runden fragte sich Peter, wieviel Lust er am Weitergang des Spiels noch hatte. Nach einer weiteren halben Runde fragte er das uns. Zwei waren für einen lustlosen Abbruch, nur Moritz hätte noch gerne ein paar Feinheiten des Spiels kennengelernt. Dabei „war ich gerade dabei zu gewinnen“. Dieses Siegergefühl gönnten wir ihm noch eine Spielrunde, dann brachen wir ab. Zu diesem Zeitpunkt stand der Abbrecher Peter mit großem Abstand an der Spitze.
WPG-Wertung: Aaron: 4, Peter: 3 („Das sind Spiele, die jemand erfindet, der in seiner Nachtschicht genervt ist und nicht einschlafen kann.“ – Genau diese Erfindermotivation hat der Autor Bryan Johnson in seinen Designer Notes bekanntgegeben), Walter: 4 (abstrakt, langweilig, repetitiv, mit erheblichen Kingmaker-Effekten), Moritz: 7 („ich habe mich nicht gelangweilt, ich finde es echt nicht schlimm, es hätte sich noch vieles tun können“).
Kritische Leser mögen hier vorwurfsvoll anmerken, dann man nach einer Kostprobe von gerade mal zwanzig Prozent einer einzigen Durchführung ein Spiel noch nicht aburteilen kann / darf / soll. Alte Erwiderung: Ein Weinkenner kann nach einem einzigen Schluck ebenfalls schon feststellen, ob ihm der Wein zusagt. „Island Fortress” hat uns nicht zugesagt, zumindest 75 Prozent der Spieler unser heutigen Runde nicht. Das Spiel mag trotzdem gut sein. Andersgeschmackliche können sich in jedem Fall auf Moritz berufen.
Zum Schluss bekannte Aaron noch: „Ihr ahnt es sicherlich, dass es ein Kickstarter Spiel ist …“
3. “Stimmvieh”
Mein Gott, diesmal sind wir Wahlkampfmanagerinnen und setzten unsere Politikerinnen, Hinterbänklerinnen oder Spitzenkandidatinnen ein, um möglichst viel Geldinnen und/oder Stimminnen zusammen zu bekommen. Ein Spiel für 3-4 Spielerinnen von Andrea Meyer. Vier teils knackige, teils ausgeknackte Spielermännchen setzen sich an den Tisch, um Autorin Andrea auf den Zahn zu fühlen. Wohin den sonst …
Und womit? Jeder Spieler bekommt neun Karten mit Zahlen von 1 bis 9, die er reihum einzeln ausspielt, um damit aus einer offenen Auslage von insgesamt vier Geld- bzw. Stimm Karten sich eine davon anzueignen. Je höher die ausgespielte Karte, desto höher der erlaubte Wert der eingehandelten Karte.
Klar ist, dass jeder Spieler mit seiner gespielten Karte den zulässigen Höchstwert aus der Auslage nimmt, und klar ist, dass jeder Spieler eine solche Karte spielt, zu der in der Auslage eine genau passende Karte vorhanden ist. Solange die Auslage das bietet. Am Ende, wenn man nur noch wenige Karten in der Hand hat, kann die Diskrepanz zwischen dem Wert der gespielten Karte und dem Wert der bekommenen Karte ganz erheblich sein.
Die Zuordnung der Kartenwerte ist gerecht und einfältig, z.B. bekommt man für eine 1 immer 50 Tausend Euros, für eine 8 immer (maximal) 150 Tausend und für eine 9 immer (maximal) 200 Tausend. Die anderen Werte liegen nicht-linear aber proportional dazwischen. Ob ich jetzt eine 1 verfallen lassen muss, weil keine 1er Wertkarte mehr in der Auslage liegt, oder ob ich mit meiner 9 mangels Angebot nur eine 8er Wertkarte bekomme: das ist gehupft wie gesprungen, ich „verliere“ 50 Tausend Euros. So ist das ganze Spiel lediglich ein kurzes Gehupt-wie-Gesprungen, immerhin erfreulich schnell, und am Ende hat einer die Nase vorne. Bei uns war das zweimal Aaron! (Zweimal! Richtig, richtig, liebe Schnellmerker, nach dem ersten Durchgang haben wir sofort einen zweiten drangehängt. Wir waren einfach noch nicht schlüssig, ob unsere Politikerinnen wirklich so einfältig waren oder ob wir sie nur falsch behandelt haben.)
Halt, einen wichtigen Aspekt habe ich vergessen. Statt der Geld-Karten kann man ja auch Stimm-Karten aus der Auslage nehmen. Mit welchem Effekt? Wer am Ende die meisten oder zweitmeisten Stimmen einkassiert hat, darf in der Abrechnung den Wert seiner geldwerten Karten verdoppeln. Alle anderen Stimmkarten sind für die Katz.
Und die „Vorwahl“ ist ebenfalls noch erwähnenswert: Jeder Spieler muss aus seinen neun Handkarten vier Karten auswählen, die nach dem Spielen eine neue Stimmkarten in die Auslage bringen; die anderen fünf Handkarten bringen nach dem Spielen eine neue Geldkarte in die Auslage. Die jeweils nachzuziehende Karte liegt offen auf, so dass jeder ermessen kann, welche steile Vorlage er seinem Nachfolger in die Auslage legt. Gehupt oder gesprungen. Vielleicht nicht ganz so trivial, wie es der erste Durchgang suggeriert, aber immerhin noch reichlich …
Schon gar nicht trivial ist die Spielregel. Vier erfahrene Spielermännchen bissen sich fast die dritten Zähne daran aus, bis sie den trivialen Spielaufbau, die triviale Vorwahl und den trivialen Spielablauf verstanden hatten. Selbst unser knusprigster Geistes-Überflieger bekannte „Ich kapier’s nicht!“
WPG-Wertung: Aaron: 5 (möchte es nicht zu oft spielen), Moritz: 5 (sehr leichtes, sehr schnelles Kartenspiel, durchaus OK, aber mit beschissener Spielanleitung), Peter: 3 (1 Pluspunkt für die weibliche Spielanleitung. [Ob der Pluspunkt jetzt schon dabei gezählt wurde, verrate ich nicht]), Walter: 4 (kein großer Wiederspielreiz).
Auf den ersten Blick kommt das Spiel von der Aufmachung daher wie eine Kartenversion vom Polit-Seminar „Die Macher“ (ein super-geiles Spiel!), doch vom Ablauf ist es eher ein lockeres Kinderspiel, wenn das Kind erst einmal den Zahlenraum von 1 bis 9 beherrscht, und später 150 und 200 addieren kann.
4. “Bluff”
Peter gewann das 3:2 Endspiel gegen Walter in zwei Zügen.
Im letzten Zug fing er mit 1 mal die Eins an. Mit dem Rücken an der Wand hob Walter auf 3 mal die Vier. Welche Augenzahlen zeigten Peters drei Würfel und was setzte er, um Walter endgültig den Hals umzudrehen?
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
Als Absacker erzählte uns Peter noch etwas über die Fortpflanzung von Haien. Der männliche Hai habe zwei Penisse und zeuge damit recht eindringlich seinen Nachwuchs. Jetzt kann ich ihn mittels Wikipedia bei der ersten Übertreibung seines Lebens überführen: „Nur bei knapp 70% der zur Zeit lebenden Haien werden die Eier im oberen Eileiterteil des Weibchens befruchtet.“
Außerdem haben Haie keine Penisse, sondern Klaspern: https://de.wikipedia.org/wiki/Klaspern
http://bit.ly/1DBnuy6