07.09.2015: Nord im Gegenwind

Liebe treue Leser unserer Seite, Ihr braucht jetzt nicht weiter zu lesen, dies ist nicht einer unserer üblichen Session-Reports. Die Betreuung der Enkeltochte hat die normale Rentnerfreizeit für Spielkritiken erheblich eingeschränkt. Zudem hat Moritz die Beschreibung unseres spielerischen Hauptprogramms gleich wieder mit nach Hause genommen, so dass jede lustvoll-böse Kritik leicht ins Auge gehen kann. Nur damit die Kontinuität über die Berichterstattung zu unseren Spielabenden – wer war da und was wurde gespielt – gewahrt bleibt, hier eine kurze Zusammenfassung zum letzten Mittwoch.

1. “Nord”

„Nord“ : Kämpfe mit dem Aufbau, Kämpfe mit dem Kampf!
„Nord“ : Kämpfe mit dem Aufbau, Kämpfe mit dem Kampf!

Moritz hatte das Spiel schon im Vorfeld vorgeschlagen. In der Kronberger Spieleschmiede wurde es entwickelt. Unser Freund Christoph Tisch hat die Graphik gemacht. Der Autor (?) Roland Goslar hatte sich gewünscht, dass wir es einmal spielen. Was war seine Motivation? Sollten wir unsere Freude daran haben? Sollten wir unsere Kritiker-Meinung dazu abgeben? Sollten wir seinen Geschäftserfolg fördern? Wer weiß!

„Nord“ hat einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen. Erst rund und schön, dann unausgegoren und broken. Da, wie gesagt, Moritz vergessen hat, das Spiel hier am Westpark zu lassen, kann ich hier nur ganz oberflächlich darüber schreiben, was subjektiv in der Erinnerung hängen geblieben ist.

  • In 60 Minuten soll das Spiel über die Bühne sein. Solange brauchten wir allein, um das Spielbrett zusammen zu bauen! Eigentlich ganz einfach: Acht orthogonale Polygonflächen, die Feld, Wald und Wiese-Landschaften enthalten, sollen in beliebiger Ausrichtung aneinander gelegt werden. Eine Sekundenaufgabe. Doch die leichten lockeren Lösungen scheitern alle an den Randbedingungen, die so nach und nach auftauchen. Da müssen Mindestabstände eingehalten, Land- und Seegrenzen beachtet, und unklare Verteilungsvorschriften für „Schatzkästchen“ berücksichtigt werden. Ständig mussten wir unsere aktuelle Zusammensetzung modifizieren, um neu entdeckten Bedingungen zu genügen. (Oder war hier nur unser Moritz bei der Interpretation des Regelheftes überfordert?)
  • Ausgehend von frei gewählten Start-Städten bevölkert jeder Spieler sein Umland, zieht mit seinen Nordmännern zu seinem Nachbarn oder zu den neutralen Jarls, die wie die Moai-Köpfe auf den Osterinseln in der Landschaft herumstehen: zuerst friedlich und Wege bahnend, dann erobernd und Siegpunkte einheimsend.
    Theoretischer Konstruktionsfehler: Der Startspieler! Wer bestimmte Felder zuerst besetzt, mahlt zuerst. Er kann seinen Mitspielern ganz schön das Wasser abgraben. Wenn er dann noch als erstes genug Masse für seine Heldenkämpfe beisammen hat und eine Schlacht beginnt, löst er eine Wertung aus, bei der er natürlich am besten dran ist. Da der Startspieler dazu auch noch als Erster sich die strategisch beste Start-Stadt aussuchen kann, hat er von seinem Privileg ausschließlich Vorteile. Das dürfte bei einem “gerecht” ausbalancierten Spiel grundsätzlich nicht so sein!
  • ”Nord” ist ein Denkerspiel. Kronsberger behauptet sogar “ohne große Glückselemente”. Warum liegen dann die Schatzkästchen, deren passende Sortierung eine quadratisch steigende Punkteausbeute mit sich bringt, verdeckt auf dem Spielplan herum, so dass es reine Glücksache ist, ob man dreimal nur einen Punkt oder einmal gleich zehn Punkte dafür kassiert?
  • Bei einem Denkerspiel sollten der Aufbau und die Entwicklung des Spielgeschehens recht “stetig” von sich gehen. In “Nord” kann mit einem einzigen Zug die gesamte Position eines Mitspielers zunichte gemacht werden. So geschehen, als Moritz den ersten Kampf absolvierte, seinen hoffnungsvollen Nachbarn Horst dabei in jeder Beziehung übertrumpfe, gleich sieben Siegpunkte einstrich und Horst mit null Wertungspunkten in die Röhre schauen ließ. Das ist reines Mitspielerchaos und sollte durch einfache, lustige, zufällige Winkelzüge ausgelöst werden, aber nicht durch erzwungene Denkprozesse mit dem Pseudo-Eindruck von Planbarkeit.
  • Warum liegen eigentlich auf dem Walboot, das die erschlagenen Helden nach Walhall bringt, ständig ein paar Geister-Jarls herum? Zuviel übriges Spielmaterial oder haben wir da etwas falsch gemacht? Vielleicht steht darüber etwas im Regelheft.

Kurz und gut, nach der ersten Wertung bekundete Horst, dass er KEINERLEI Spaß an diesem Spiel habe. Unter Rücksichtnahme auf unseren Kriegerfreak Moritz gestanden wir noch eine Fortsetzung bis zur zweiten Wertung zu, dann brachen wir ab.

Das Kampfprinzip in „Nord“ ist zweifellos neuartig und bemerkenswert. Doch eine Balance von Aufwand und Nutzen, eine Stimmigkeit von Mitteln und Effekten ist nicht erreicht!

Die Spielregel empfiehlt drei Mitspieler. Eine bessere Formulierung: „Zu viert nicht spielbar“! Zumindest nicht am Westpark

WPG-Wertung: Aaron: 4 (bis ich wieder am Zug bin, ist so viel passiert, wogegen ich mich nicht schützen kann), Horst: 3 (ich hasse diese Art von Spielen, langweilig, ich habe keinerlei Motivation, hier irgend einen Zug zu machen), Moritz: 8 (fand das abstrakte erst Verbindungen-Schaffen dann Angreifen sehr gelungen), Walter: 4 (leider extreme Effekte in chaotische Richtungen)

Das nordgermanische Thema fanden wir nicht wieder. Horst erkannte darin eher die Rotten von syrischen (islamischen!) Flüchtlingen wieder, die das christliche Abendland (München) überrollen. Eine heiße Debatte über Gefahren und Gebaren der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik schloss sich an, die der Gastgeber mit einer Runde

2. “Looping Louis”

erfolgreich abkühlen konnte. Zehn Minuten mechanisches Tasten-Drücken, um zu verhindern, dass ein routierenes Flugzeug nicht die eigenen Chips abschießt, sondern eher die der Mitspieler, bringt selbst die erregtesten cholerisch angehauchten Hitzewallungen wieder in ein normales Mentalgleis.

Keine neue WPG-Wertung für ein 7,2 Punkte Spiel.

3. “Hamsterbacke”

Noch ein kleiner Absacker, diesmal nicht mechanischer Art sondern als richtig gehendes Kartenspiel. Letzte Woche zum ersten Mal gewogen und keineswegs für zu leicht befunden, sollte es diesmal den Trend der ansteigende Spiellust-Kurve weiter fördern. Was nur mit Einschränkungen gelang; die Notengebung der Neulinge konnte mit der Euphorie der ersten Nacht nicht mithalten.

WPG-Wertung: Die bisherigen unisono 7 Punkte von Aaron, Günther und Walter wurden um eine ganze Stufe nach unten gedrückt: Horst: 6 (es plätschert unkompliziert vor sich hin; es fehlt die Herausforderung; ragt aus der Masse der vielen konstruierten Kartenspiele nicht heraus), Moritz: 5 (nicht so prickelnd; zu eindimensional; die Spannung hält nicht bis zum Schluss).

4. “Diggers”

Aarons Eigenentwicklung ist unter Dach und Fach. Vertragsgemäß musste er bis Ende August alle Änderungswünsche des Verlags bedienen. Jetzt ist der Startschuss für Beschreibung, Design und Produktion gegeben. Im Januar nächsten Jahres auf der Messe in Nürnberg soll das Spiel der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Noch keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Produktionsphase. Doch ganz gewiss wird Horst nicht sagen können, dass es nur eines der „vielen konstruierten Kartenspiele“ ist. Es enthält eine Menge Pfiff, ist spielerisch, gibt Raum für Planung und Kartenpflege, gewährt dem Zufall einen angemessenen Einfluss, und ist absolut stimmig in Zeit und Idee.

8 Gedanken zu „07.09.2015: Nord im Gegenwind“

  1. Liebe Westparkgamer,
    ich freue mich, dass ihr das Spiel von meinem Sohn Johnny und mir ausprobiert habt. Zugeschikt habe ich es, weil ich Euren Blog sehr schätze insbesondere die schönen Verrisse.
    Ein paar Kleinigkeiten:
    Für den Aufbau liegen 3 Standardsetups bei. Mit etwas erfahrung kann aber auch ein variabler Aufbau leicht in 3 Minuten geschehen.
    Den Startspielervorteil sehe ich nach ein paar hundert Partien etwas anders insbesonder durch die Möglickeit Arbeiter anderer Spieler für eigene Züge zu nutzen.
    Der Einsatz eines Aktionsplättchens kann leicht 2 bis 6 Punkte wert sein. Da scheinen mir 10 Punkte für das Sparen von 3 Schätzen nicht sehr viel.
    Die Geisterjarls auf dem Spielfoto entstammen der beigelegten Erweiterung und ersetzen auf Wunsch nach Wahl einen neutralen Jarl. Bei 4 Spieler ist das Drachenboot bei Spielstart immner leer. Im Lauf des Spiels kann es sich mit Jarelen füllen, was zu forcierten Wertungen führt.
    Wer mag ist gerne zu einer schnellen Partie am Heidelberger Stand 1-B103 in Essen eingeladen.
    Fröhliche Grüße
    Roland Goslar

  2. Hallo Roland, danke, dass Du meinen “Verriss” mit Humor genommen hast.
    In unserer 4er-Runde war das Drachenboot nicht leer, sondern Moritz hat dort einige Plätze an irgendwelche überflüssigen Jarls vergeben, so dass wir ganz schnell zur ersten Wertung gekommen sind. Dauert die erste Wertung tatsächlich deutlich länger, so will ich meine “Startspielerkritik” zum großen Teil zurücknehmen.
    Hast Du auch noch ein Argument gegen meine Aussage, dass die Geographie in “Nord” ziemlich ungleichmäßig ist, und dass es demnach bevorzugte Startpunkte gibt (Wald für Ernährung, 3er bzw. 5er Abstand zu den nächsten Jarls, u.ä.), bei denen der Spieler, der sich den ersten Startpunkt aussuchen kann, in messbarem Vorteil ist?

  3. Hallo Walter,
    bei der Geographie gibt es Unterschiede, die aber alle gleichzeitig Vor- und Nachteile bieten.
    Viele Nahrungsfelder in der Umgebung machen meine Startsiedlung zu einem einfacheren Schmarotzerziel. Wenn ich die Nahrungsversorgung stelle, können andere Spieler in der Hälfte der Züge die gleichen Punkte erreichen/die gleiche Kämpfermenge versorgen. Auch ist es unattraktiver einen Spielerjarl anzugreifen, wenn dessen Nahrungspotenzial gering ist, da ich mir tendenziell eine andauerende Versorgungsabhängigkeit schaffe oder die investierten Kämpfer verlieren werden.
    Die Abstände sind sehr wichtig, da diese klare Zeitvorteile bedeuten, Ein einfacher 3/5-Angriff ist zumindest in den ersten 2 Runden oft spiegelbar, sodass sich nicht unbedingt ein Vorteil erzeugen lässt. Und sobald ich in einer SIedlung mit drinnen bin, kann ich viel besser die Züge des Gegners ausnutzen.
    Ein punkteträchtiger Zug ist: 5-er Angriff, Verbindung, Jarl umbringen Hier sollten die Mitspieler aufpassen und dies nach Möglichkeit verhindern (da der Startspieler zuerst wählt, können die anderen Spieler die Möglichkeiten analysieren).
    Im Generellen ist ein zentrales Element die Spielvermengung und gegenseitige unfreiwillige Unterstützung. Sofern jeder Spieler sich standard-kriegsspielmäßig sein Gebiet absteckt, kommt dieses Element leider nicht zur Entfaltung.
    Wenn ihr doch noch Interesse hättet eine Runde zu spielen, würde ich die 3-Spieler-Variante empfehlen.
    Liebe Grüße
    Johnny

  4. Hallo Johnny, die “Spielvermengung und gegenseitige unfreiwillige Unterstützung” ist tatsächlich eine schöne, neuartige Idee, für die ich “Nord” einen Konstrukteurspreis vergeben würde. Allerdings kommt, wie Du selber schreibst, “dieses Element leider nicht zur Entfaltung”, wenn sich die Spieler falsch verhalten. Soll man also darauf verzichten, sich eine sichere Basis zu schaffen, und eher wie ein Teenager in der Disco locker vor sich hinpfeifend auf Eroberung ausgehen, mit dem Risiko, dabei von Konkurrenten unsanft zur Strecke gebracht zu werden? Nur damit man die verdeckten Schönheiten von “Nord” entdecken und genießen kann?

  5. Hallo Walter, es gibt keine sichere Basis.
    Falls du mit eigenen Zügen für die Versorgung deiner Stadtmänner sorgst, können Gegenspieler mit weniger Zügen gleichziehen.
    Ausserdem kannst du die Sonderpunkte für den Jarl in deiner Startsiedlung niemals bekommen.
    Vom Design haben wir versucht, dass es eigentlich nie direkt Punkte für einen zug gibt, wie bei vielen andrene Spielen üblich (Carcassonne, Marco Polo etc…), sondern dass die andren Spieler immernoch reagieren können. Mit einer eindeutigen Strategie wird man gegen erfahrene Spieler verlieren. Als Ausgleich für destruktive Spielweise hilft man aber meist auch noch den anderen. Das Spiel ist seltsam – für mich.
    Fröhliche Grüße
    Roland

  6. Leute, Leute, ich habe mir gerade mal die Spielregeln durchgelesen und muss sagen, wir haben so viele Dinge falsch gespielt, dass eine weitere Diskussion über das Spiel m.E. solange hinfällig ist, bis wir das Spiel mit den richtigen Regeln noch einmal gespielt haben. Viele unserer Kritikpunkte wären bei richtigem Spiel gar nicht erst entstanden.

    Zu Moritz’ Ehrenrettung muss ich allerdings sagen, dass die Regeln nicht leicht zu verstehen sind. Ich bin mir z.B. immer noch nicht sicher, ob ich das mit den Kämpfen richtig verstanden habe. Selbst mehrfaches Durchlesen hat keine Erleuchtung gebracht. Bis kurz vor Ende des Regelhefts hatte ich geglaubt, alles verstanden zu haben, dann steht da ganz unten auf Seite 12 dieses Beispiel, dass zeigen soll, wer welche Stadt angreifen kann. Dieses Beispiel verwirrt mich total, offenbar habe ich doch das Kämpfen und die Bündnisse nicht richtig verstanden. Ganz abgesehen davon, dass ich nicht verstehe, wie es überhaupt zu dieser Situation auf dem Spielbrett kommen konnte. Rätsel über Rätsel.

    Ach ja, was haben wir außer (vermutlich) den Konflikten/Kämpfen/Bündnissen noch falsch gespielt: die Startbesetzung im Drachenboot (zu viele), einen Jarl bezwingen (Verbindung zum kleinen Drachenboot über beliebige fremde Kämpfer), Rohstoffwertung (Arbeiter liefern u.U. mehrfach).

  7. Die Regeln sind nicht ganz ohne, das muss man schon zugeben. Was die Möglichkeit des Kämpfens angeht ist es aber dann auch wieder nicht soo schwierig. Man muss halt auf die Bedingungen für einen Kampf achten (so wie sie auch in den Kurz-Ubersichten stehen).
    1. Man muss in der Startsiedlung mind. 1 Kämpfer haben
    2. Mann darf in der Zielsiedlung keinen Kämpfer haben
    3. Vor dem Angriff dürfen die Siedlungen nicht verbunden sein.

    Vielleicht kannst du mal genauer sagen, Aaron, welcher Punkt des Beispieles dich irritiert hat.

    Gruß
    Christof

  8. Christof, nachdem wir gestern Nord noch einmal gespielt haben, ist jetzt alles klar (obwohl wir auch gestern wieder einen gravierenden Fehler gemacht haben). Ich war bisher davon ausgegangen, dass es ausreicht, wenn man in einer Siedlung nicht vertreten ist, um sie angreifen zu dürfen. Die Zusatzbedingung, dass die beiden kämpfenden Siedlungen nicht miteinander verbunden sein dürfen, hatte ich so interpretiert, dass sich das nur auf EIN Tor bezieht, sprich, falls ich noch über ein weiteres Tor die Stadt anbinde (über dasselbe Bündnis) gibt es wieder einen Kampf. Dem ist aber wohl nicht so. Damit ist das Beispiel am Regelende klar.

    Ich denke, die Probleme, die wir hatten, sind letztendlich eine Konsequenz der wenig intuitive, künstlich wirkenden Mechanismen, die so gar nicht mit dem Thema zu tun haben.

    Gestern vor Spielbeginn gab es übrigens noch eine längere Diskussion über ein Regeldetail, das von den Spielern unterschiedlich interpretiert wurde. Das führte dann soweit, dass wir aus lauter Verzweiflung versuchten Roland und dich anzurufen. Ihr ward aber leider beide nicht erreichbar.

    Worum ging es:

    Bei Jarl bewingen steht als Bedingung: Diese Siedlung und das kleine Drachenboot müssen durch beliebige Arbeiter verbunden sein.

    Die Frage war jetzt, ob es ausreicht, von einer Siedlung eine Verbindung nur zum Drachenboot zu haben, oder muss diese Verbindung auch noch zu einer anderen Siedlung gehen. Wir sind dann letztendlich der streng logischen Auslegung dieses Satzes gefolgt, sprich es reicht die einfache Verbindung. Unser Problem war, dass im Beispielbild gelbe Bündniskreuze eingezeichnet sind und der Begriff “Bündnis” von uns als Bündnis zwischen zwei Siedlungen interpretiert wurde, es aber laut Regel nur die Verbindung einer Siedlung mit 1 oder mehreren Kämpfern ist.

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