Wilhelm aus Unna, Vielspieler, Gutspieler, Allesspieler, hat uns nach zwei Jahren Abstinenz mal wieder am Westpark besucht. Als eifriger Leser und sporadischer Kommentierer unserer Berichte konnte er nur sein Bedauern darüber ausdrücken, dass wir spielerisch nichts Lokales auf dem Markt finden. Wir hier im Süden quälen uns über die „Peloponnes“ durch „die Tore der Welt“ bis in die „Galaxis“, er als Nord-Ruhrgebietler kann allein mit den drei Thomas-Spitzer-Produkten „Ruhrschifffahrt“, „Kohle & Kolonie“ und „Haspelknecht“ nächtelang im Heimatkolorit schwelgen.
Zum Ausgleich hat er uns als Gastgeschenk das besten Spiel der Welt als einen kleinen, unsere Defizite vermindernden Eigenbau mitgebracht (siehe Foto). Um welches Spiel handelt es sich? Wieviel würde es kosten, alle Würfel auch noch stilgerecht durch die Orginalwürfel eines autorisierten Suppliers zu ersetzen?
1. “Loot Island”
Aaron Eigenentwicklung hat schon viele Metamorphosen mitgemacht. In den Regeln und im Titel. Wilhelm hatte es schon vor Jahren als kleines, feines, logisches „Ur-Diggers“ kennen und sogar schätzen gelernt. Jetzt ist eine Menge italienische Familienspiel-Substanz hineingekommen, und Wilhelm war sehr interessiert daran, die aktuelle Fassung kennen zu lernen. Trotz seines Outing: „Ich habe schon so viele Prototypen getestet, ich habe heute dazu keine Lust mehr“.
Das Spiel hat was. Auch wenn es ganz leicht aussieht und eine gehörige Portion Zufall eingebaut ist, schälen sich in Laufe einiger weniger Spiele immer mehr taktischen Finessen heraus, mit denen man dem Glück doch noch ein Schnippchen schlagen kann. Zumindest kann man es zu versuchen. Die intellektuellen Herausforderungen des Spiels bestätigten sich heute allerdings nicht: Walter gewann, Günther wurde Letzter!
Keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entstehungsphase. Wilhelms Schlusswort: „Ich habe gut mitgespielt, aber es hat mich nicht gepackt“ und „Für ‚What’s your game’ ist es ein erstaunlich eingängiges, d.h. ein überschaubares und nicht das übliche komplexe bis hoch-komplexe Spiel.“
2. “Steam Works”
Eines der Spiele, mit denen Wilhelm uns hier am Westpark mal wieder auf den Zahn fühlen wollte. „Ein Worker-Placement-Spiel bei dem die Spieler die Placements erst im Laufe des Spieles zusammenbauen.“ Aaron war begeistert, er brütet auch gerade über einer solchen Spielidee. Aber wahrscheinlich hat er sich im Endeffekt doch etwas ganz anderes darunter vorgestellt.
Jeder Spieler bekommt eine private Tafel mit den ersten drei Basis-Arbeitsplätzen für seine Mitarbeiter:
- sich aus einer offenen Auslage ein neues Komponentenplättchen zulegen
- sich ein neues Energieplättchen vom Typ Mechanik, Dampf oder Elektrizität zulegen
- aus einem Komponentenplättchen und einem Energieplättchen eine primitive erste Maschine bauen
Energie ist notwendig, um eine Maschine zu betreiben, was dabei herauskommt bestimmen aber ausschließlich die Komponenten, aus denen sie zusammengesetzt ist. Die ersten, den Spielern in der Grundausstattung mitgegebenen Komponenten können gerade mal eine zweite primitive Maschine bauen oder eine primitive Maschine zu einem Dreiteiler upgraden. Mit fortschreitendem Spielverlauf kommen immer mächtigere Komponenten ins Angebot, die dann erlauben:
- sich gleich mehrere Komponentenplättchen aus der offenen Auslage zuzulegen
- sich gleich mehrere Energieplättchen zulegen
- Maschinen mit gleich mehreren (passenden) Komponenten zu bauen
- Maschinen um immer mehr (passende) Komponenten zu erweitern
- Maschinen gleich zweimal auf einmal zu betreiben
- Maschinen zu bauen und im gleichen Atemzug auch sofort zu betreiben
- Geld zu generieren
- Siegpunkte zu generieren
- Besitztum in Siegpunkte zu verwandeln
- und vieles mehr. Neben der Anfangsausstattung gibt es 32 verschiedene weitere Komponenten.
Beim Bauen und Upgraden ist darauf zu achten, dass die Komponenten zur Energiequelle passen und dass die Stückelung stimmt. Wenn man nämlich z.B. eine drei-teilige Maschine zu einer vier-teiligen erweitern darf, dann muss man genau das tun (falls man alle notwendigen Teile passend hat), und darf nicht eine kleinere zwei-teilige Maschine zu einer drei-teiligen erweitern. Das klingt vielleicht logisch, in Sinne von einfacher Inklusiv-Potenz muss man sich aber erst daran gewöhnen.
Um eine Maschine zu betreiben muss der Spieler einen seiner Mitarbeiter auf das zugehörige Energieplättchen setzen. Jetzt darf er alle daran angeschlossenen Komponenten in beliebiger Reihenfolge nutzen. Das Besondere dabei ist, man darf auch die Maschinen der Mitspieler nutzen. Kostenlos! Der benutzte Mitspieler bekommt dann – von der Bank – einen Siegpunkt zugeschustert und ggf. komponente-abhängig noch weitere Vorteile. Jede Maschine darf pro Runde nur einmal genutzt werden, nur der Benutzer darf sie ggf. ein zweites Mal nutzen. Hier ist also eine gewisse Konkurrenz gegeben. Manchen nennen das sogar schon Interaktion.
Und jetzt fängt die Krux von „Steam Works“ an: Im Laufe des Spieles liegen auf dem Tisch um die zentrale Auslage herum immer mehr (zwischen zehn und zwanzig!) private Maschinen mit lauter unterschiedlichen Effekten. Die Maschinen liegen bis zu zwei Metern auseinander, und es gilt, sie alle mit allen ihren Effekten und Nebeneffekten abzuchecken, und die für die eigene Entwicklung augenblicklich beste Maschine herauszufinden. Dabei ist ggf. noch zu berücksichtigen, ob andere Spieler auf diese Maschine ebenfalls scharf sind, und ob die von der Bank ausgezahlten Vorteile an den Maschinenbesitzer die Fremdnutzung wert sind.
Wilhelm kannte das Spiel. Er baute sich in den letzten zwei oder drei Runden eine umwerfende Siegpunkt-Generiermaschine, und war damit auch von unserem Optimierungs-Maschinen-Optimierungs-Crack Günther nicht zu schlagen. Knapp nicht! Das spricht für die geistigen Anforderungen an das Spiel. Zweifellos ein Qualitätskriterium (westpark-scher Art), aber solche Anforderungen sind zweifellos ja nicht die einzigen Qualitätskriterien eines Spiels. Hier ist jetzt noch genügend Platz für Wilhelms Elogen.
WPG-Wertung: Aaron: 6 (ein reines Puzzle, ich mag diese Art von Spielen nicht), Günther: 7 (die Maschinen und ihre Komponenten sind überschaubar, aber es sind zu viele), Wilhelm 8 (fast 9, vor über einem Jahr zum letzten Mal gespielt, bin ich schnell wieder reingekommen, alles passt zusammen, die Aufbau-Idee ist hübsch, Übersichtlichkeit und Komplexität sind noch OK, es artet nicht in Arbeit aus), Walter: 6 (empfand das Spielgeschehen mit der gnadenlosen kalkulatorischen Optimierungsaufgabe doch als schweißtreibende Arbeit; schöne, gelungene, fehlerlose Ingenieur-Leistung des Autors, doch das Spielerische kommt zu kurz).
Aaron fand bei Boardgamegeek einen Kommentar, für ihn wie auf den Leib geschrieben: „Not unpleasant, not broken, not problematic, just not my kind of game.“
3. “Flaschenteufel”
Nein, wir haben es nicht gespielt. Walter schlug es in der seltenen Viererrunde als Vor-Absacker vor, aber Wilhelm war dagegen: „Es ist ein gutes Spiel, aber es liegt nicht in meiner Geschmacksrichtung.“ Sinngemäß das gleiche wie der BGG-Kommentar. Vielleicht werden wir alle älter, die Weichteile verkalken und die freie Auffassungstoleranz wird enger. Vielleicht waren wir aber schon immer so.
4. “Bluff”
Im ersten Spiel war Wilhelm als erster ausgebootet, es gewann Walter im Endspiel gegen Aaron. Im zweiten Spiel war Walter als erster ausgebootet, es gewann Wilhelm in Endspiel gegen Günther. Ein reines Glücksspiel … :-)
Für die Erstpartie Steam Works kann ich nur empfehlen, eine Dreier-Runde einzuplanen. Mit mehr Mitspielern wird es schnell zu unübersichtlich. Denn wer die Übersicht verliert und sich damit abfindet, nur noch einsehbare Maschinen zu nutzen, dann verflacht das Spiel allzu schnell. Zudem hilft es, im Zug der Mitspieler, seine Maschinen mit ihren Vorteilen anzupreisen, weil schliesslich möchte man ja, dass die Mitspieler diese nutzen.
“Verflacht” – das ist genau der Eindruck, den ich von meiner eigenen Spielanteilnahme hatte. Die eigenen Maschinen anpreisen – eine gute Idee, und zweifellos dem Spiel angemessen. Aber: Diplomatie und Marktschreierei besitzen am Westpark keine große Wertschätzung. Könnte den Spielablauf auch ziemlich verlangsamen. Zudem muss man das Spiel auch schon einigermaßen gut kennen, um zu wissen, a) warum und wie man seine Maschinen anpreisen kann und b) welche der angebotenen Maschinen für die eigenen Spielentwicklung die besten sind.