Die USA sind, was die Verfolgung und Hinrichtung von „Hexen“ betrifft, keinesfalls so unschuldig, wie die alten Europäer dies auf den ersten Blick vermuten. Im Jahre 1692 kam es in dem kleinen Dorf Salem an der Ostküste schlagartige zu extensiven Hexenverfolgungen, bei der innerhalb eines Jahres 20 Beschuldigte hingerichtet, 55 Menschen unter Folter zu Falschaussagen gebracht, 150 Verdächtigte inhaftiert und weitere 200 Menschen der Hexerei beschuldigt wurden.
1957, also vor nur ca. 60 Jahren, wurde die als Hexe gehängte Ann Pudeator für unschuldig erklärt. Am 5. November 2001 unterzeichnete die Gouverneurin von Massachusetts die Unschuldserklärung für die fünf letzten Frauen. Der HErr sei ihnen und ihren Mördern gnädig.
1. “Salem”
Diese Salemer Hexenprozesse hat der Spieleautor Joshua Balvin als Thema für sein Spiel gewählt. Da ich grundsätzlich sowohl gegen Spiele mit Atombomben und Metatoten, also auch gegen Spiele zum Thema Hexenverfolgung bin, weil in Letzteren die Hexenmorde der christlichen Kirchen verharmlost und die verbrecherischen Verleumdungen einen harmlosen, spielerischen Hintergrund bilden sollen, werde ich mich jetzt von der Salem-Terminologie trennen und das Spiel so abstrakt darstellen, wie es sich in Wirklichkeit auch spielt.
Innerhalb einer verdeckten 7 mal 7 Matrix gibt es in jeder Reihe und in jeder Spalte genau je 3 Kringel und 4 Kreuze. Sie sind nach einem reinen Zufallsverfahren darauf verteilt worden, und die Aufgabe der Spieler ist es, für jedes Feld der Matrix herauszufinden, ob es ein Kreuz oder einen Kringel enthält.
Welches Rüstzeug, welche Techniken gibt es dazu? Wir habe die Regeln nicht genau verstanden und nicht genau eingehalten; selbst der geniale Regelerklärer Moritz war außerstande, die zehn dick-bedruckten Seiten englischer Regelanweisungen aus dem Stregreif fehlerfrei vorzutragen, zu übersetzen und gleichzeitig zu interpretieren. Glücklicherweise ist Detailtreue auch nicht lebensnotwendig, um einen Eindruck von diesem Deduktionsspiel zu bekommen, das zu einem Drittel aus statistisch gestützten Vermutungen und zu zwei Dritteln aus konsequent erarbeiteten Schlussfolgerungen besteht.
Jeder Spieler bekommt gleich zu Beginn die Verteilung von Kreuzen und Kringeln auf einer kompletten Zeile offengelegt. Jeder Spieler natürlich die von einer anderen Zeile. Die Felder der nicht-offengelegten Zeilen werden reihum den Mitspielern zugewiesen, bis mehr oder weniger alle verteilt sind. Die Spieler dürfen bei den “adoptierten” Feldern aber nicht nachschauen, ob diese Kreuze oder Kringel enthalten.
Reihum darf jetzt jeder Spieler auf ein beliebiges Feld der Matrix deuten und den zugehörigen Feldbesitzer fragen, welche Informationen er dazu preisgeben will. Der Besitzer hat drei Antwortmöglichkeiten, die er wrap-around verwenden muss:
- Er deutet auf ein beliebiges, frei zu bestimmendes Feld und sagt: “Hier ist das gleiche Symbol wie auf dem abgefragten Feld.”
- Er deutet auf ein beliebiges, frei zu bestimmendes Feld und sagt: “Hier ist ein ungleiches Symbol wie auf dem abgefragten Feld.”
- Er deutet auf zwei weitere beliebige, frei zu bestimmende Felder und sagt: “Insgesamt gibt es auf diesen drei Feldern 0 [, 1, 2 oder 3] Kreuze.”
Da der Besitzer von adoptieren Feldern evtl. noch nicht weiß, welches Symbol auf dem fraglichen Feld abgebildet ist, darf er es sich zu diesem Zwecke anschauen.
Bei 7 Abfragen muss aus jeder Zeile genau ein Feld abgefragt werden. Danach geben alle Spieler eine informatorisch leicht verschmierte Summenauskunft darüber, wieviele Kringel auf den 7 abgefragten Feldern abgebildet sind. Anschließend muss jeder Spieler zu einem jedem der abgefragten Felder die verdeckte Aussage machen, ob es einen Kringel enthält oder nicht. Richtige Aussagen liefern Pluspunkte, falsche Aussagen Minuspunkte.
Die Aussagen werden allerdings nicht sofort verifiziert, sondern insgesamt vier mal müssen solche 7er Abfragen getätigt und die Kringel-Aussagen getroffen werden, bis die gesamte Matrix aufgedeckt, die Richtigkeit erkannt und die Siegpunkte verteilt werden.
Nach der ersten 7er Abfrage ist das Ganze noch eine ziemliche Raterei; nach der zweiten 7er Abfrage hat jeder Spieler aber schon soviel Querbeziehungen in seine Lösungsmatrix eintragen können, dass seine Aussagen schon mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit richtig sind. Danach wird alles praktisch richtig gewußt.
Walter jubilierte als erster über die vollständigen Sicherheiten, die er in seiner Lösungsmatrix entdeckt hatte. Aaron folgte in geringem Abstand. Nur Moritz tat sich da noch schwer. Walter war allerdings auch der Erste, der erkennen musste, dass einige seiner Schlussfolgerungen falsch gewesen sein mussten, und dass damit seine gesamte Lösungmatrix obsolet war. Was jetzt tun? Dafür gibt es im Prinzip nur die Sudoku-Rettung, wenn man dort die erste Inkonsistenz entdeckt: Alles ausradieren und von vorne anfangen.
In Salem gibt es allerdings kein Ausradieren. Es gibt auch keine praktikable Möglichkeit, die Fragen und Antworten sowie die zugehörigen Schlussfolgerungen zurückzuverfolgen und/oder wieder vorwärts zu drehen. Das wäre erst ganz am Ende des Spiels möglich. Bis dahin muss man wie ein bescheuerter Sudoku-Spieler ein Feld nach dem anderen taxieren, die Inkonsistenz der bisherigen Eintragungen bedauernd zur Kenntnis nehmen und hilflos aber hoffnungsvoll weiterraten.
Der am langsamsten und am sichersten schlussfolgernde Moritz besaß am Ende die wenigsten Inkonsistenzen in seiner Lösungsmatrix und hatte dementsprechend gewonnen. Glückwunsch zu seiner Logik und seiner Statistik!
WPG-Wertung: Aaron: 3 (nach zuerst 5, Riesenbrimborium für ein reinrassiges Deduktionsspiel, möchte es nicht noch einmal spielen, nichts hat ihn daran gereizt, für die eingebauten Zufallseffekte ist es viel zu lang), Moritz: 6 (es funktioniert, ist vom Design her in Ordnung, besitzt aber keine Steigerung. Ich habe Zweifel, ob ich das dringend tausendmal spielen müsste. [AbN: Die habe ich auch!]), Walter: 4 (eigentlich akzeptabel, aber wer sich einmal vertan hat, muss bis zum Ende des Spiels auf seinen Fehlern herumreiten, eine Aufdeckung der Fehlschlüsse oder der Fehlinformation der Mitspieler ist leider nicht möglich, das ist für mich das größte Manko).
Aaron fand bei BGG einen Kommentar zu einer 1-Punkte-Wertung, die er uns nicht vorenthalten wollte:
„This is a 7 player fragile deduction activity (I don’t see the game here) where in the first two rounds players start guessing 50/50 odds to earn points. In the 3rd and 4th round, enough information has been revealed that all players simultaneously have everything they need to guess correctly (barring math mistakes) to earn points. There is little to no player choice in this game. Assuming players are of equal logic skill, you could have the same experience guessing the result of a coin flip twice and then calling it a day.
The components are awful. Brown and orange are similar, the tokens are teeny and the pencils don’t have erasers.”
Dem schließt er sich vollinhaltlich an. Ich auch.
2. “Via Nebula”
Der FCB hatte Red Bull bereits mit 3:0 in die Schranken verwiesen, als wir nach dem Salem-Abenteuer anfangen konnten, uns über den Rest des Spielabends zu orientieren. Martin Wallace bekam mit seinem “Via Nebula” nochmals die Ehre.
WPG-Wertung: Moritz reihte sich unisono in die 7-Punkte vom Westpark ein (eines der liebevollsten Spiele von MW. Zur Spielidee hat er bei seinem eigenen “Age of Steam” Anleihen genommen. Es gibt ein paar taktische Überlegungen, die im Prinzip aber banal sind. Ein echtes Familienspiel, wenig Konkurrenz, wenig Miesnickeligkeit; die Spezialeffekte der Aufträge bringen einen gewissen Pepp hinein. [AbN: der Pepp reichte, um Moritz zum Sieger zu küren.])
3. “Tiefseeabenteuer”
Ebenfalls ein Spiel, das bereits letzte Woche am Westpark gefallen hatte. Heutige Erkenntnis: “In einer 3er Runde darf man tiefer tauchen als in einer 4er Runde.” Banal oder trivial?
Das Spiel ist schnell (+), stimmig (+), enthält ein eingebautes, kalkulierbares Würfelrisiko (+) und ist höchst interaktiv (++).
WPG-Wertung: Moritz vergab mit 7 Punkten einen Punkt weniger als die Unisono-Runde von letzter Woche (fast 8 Punkte, aber dafür fehlt ein bisschen Originalität).