1. “Symphonie No 9”
Jedem Musikschaffenden läuft ein Schauer über den Rücken, wenn er sich an seine eigene 9. Symphonie heranmacht. Seit Beethovens epochalem Werk steckt in diesem Namen etwas Heiliges, Erschaudernd-Ehrwürdiges. In jedem Fall sind die Anstrengungen von Frank Liu und Hung-Yang-Shen anzuerkennen, die diesen Namen jetzt auch mit einem Spiel gewürdigt haben.
Sechs Musiker deutsche Zunge werden unserem Mäzentatentum empfohlen. In der ersten Phase eignen wir uns „Spendenwürfel“ an. Sie liegen auf farbigen Laufbahnen, die jedem der Musiker zugeordnet sind: Händel ist rot, Haydn grün und Mozart blau. Zwei Spendenwürfel bekommen wir pro Runde gratis. Optional können wir uns zwei weitere zulegen, müssen dafür aber (teils erheblich) bezahlen.
Mit dem Entfernen von Würfeln von der Laufbahn eines Musiker, geht ein Schwanken seiner Popularität einher. Im Prinzip eine hübsche didaktische Information, lernen wir doch daraus, dass auch) die Popularität eines (klassischen) Musikers a) keine Konstante ist und b) keine lineare Ab- oder Zunahme erfährt, sondern eine wellenförmige Größe darstellt, und dass es eine Zufalls- oder auch Modeerscheinung ist, wie hoch ein Komponist aktuell geschätzt wird.
Hier hätte es unserem allseits nicht unbeleckten Musikverständnis allerdings besser gefallen, wenn die jeweiligen Popularitätskurven eine gewisse Korrelation mit der Realität gehabt hätten. Dann hätten – nicht nur – wir sichtbar vor Augen geführt bekommen, dass es z.B. um Bach unmittelbar nach seinem Tod nahezu still geworden ist, bis ihn Mendelssohn wieder aus der Versenkung geholt und ihn ideel (und real) auf das Podest gestellt hat, das ihm gebührt. (Wikipedia: „Insbesondere von Berufsmusikern wird er oft als der größte Komponist der Musikgeschichte angesehen.“) Oder z.B. dass Schubert zeitlebens und noch hundert Jahre länger als zweitklassig am Katzentisch der Popularität sitzen musste, bis er im 20 Jahrhundert mit einem Schlag in den Musiker-Olymp emporgehoben wurde. Mit den gegebenen Popularitätskurven in „Symphony No 9“ waren wir jedenfalls nicht einverstanden.
Sei es wie es sei: Nachdem wir alle unsere Spendenwürfel genommen und ggf. auch bezahlt haben, gibt es für jeden Musiker einen Mehrheits-Mäzen. Wer von ihm die meisten Spendenwürfel erworben hat, erhält als Gegengabe das Manuskript einer Komposition, was bei der Siegpunkt-Berechnung am Spielende einen gewaltigen Einfluss ausübt.
Claro, mit maximal vier Würfeln in der ersten Runde zu insgesamt sechs Musikern, bewegt sich unser Besitztum in der Größenordnung von 0 bis 2 Würfeln pro Musiker. Gleicher Besitzstand zu einem Musiker ist bei vielen Spielern die Regel. Hier wird der Tiebreak in Startspieler-Reihenfolge aufgelöst. Je nachdem, welche Position man hier in einer Runde einnimmt, muss man einen bis alle Mitspieler im Auge haben, um wenigstens bei einem der Musiker die Majorität zu haben und ein Manuskript zu ergattern. Die Startspieler-Position spielt eine große Rolle, und – mein Kritikpunkt – eine „gerechte“ Handhabung im Regelwerk ist bei 6 Durchgängen für 4 Mitspieler einfach nicht möglich.
Jetzt wird der aktuelle Popularitätsstand eines jeden Komponisten angeschaut. Der einzige populärste Komponist kommt in die Elite-Kategorie, die beiden am wenigsten populären Komponisten kommen in die Arme-Leute-Kategorie, und die drei übrigen Komponisten in das Mittelfeld.
Danach beginnt die zweite Phase des Spiels: Wir müssen ein königliches Konzert finanzieren. Blind (BLIND) spendiert jeder einen beliebigen Betrag in die öffentliche Aufführungskasse. Kommt hier nur wenig Geld zusammen, reicht es nur für die am wenigsten populären Musiker. Nur von ihnen werden Stücke in das königliche Konzert übernommen. Bei etwas mehr Geld in der Kasse, kommen die Komponisten aus dem Mittelfeld zu Zuge, und bei noch mehr Geld, wird ausschließlich der Elite-Komponist aufgeführt.
Die Spielregel empfiehlt, sich hierbei Zeit zu lassen und darüber zu diskutieren, welchen Betrag ein jeder zusteuern soll. Ansatzweise haben wir das auch versucht, aber am Westpark sind solche Diskussionen ziemlich verpönt. In „Symphony No 9“ nochmals ganz besonders, denn je nach eigenen Engagement in Spendenwürfeln und je nachdem, in welcher Aufführungs-Kategorie unsere geförderten Musiker gelandet sind, hat jeder Spieler unterschiedliche Ambitionen. Warum soll man für „die anderen“ die Kohlen aus dem Feuer holen? Ein Engagement hier ist mehr oder weniger Geldverschwendung.
Es gibt dabei allerdings einen kleinen Fallstrick: Wenn weniger Aufführungsgeld zusammenkommt, als für die Arme-Leute-Kategorie mindestens gefordert ist, fällt das Konzert ganz aus. Wer am geizigsten war, verliert einen Spendenwürfel. Etwas Ähnliches kann sogar passieren, wenn zuviel Geld gespendet wurde, mehr als für die Höchstgrenze des Elite-Komponisten angegeben ist. Dann „randalieren die Bauern gegen den hier gezeigten Luxus“ und das Konzert findet ebenfalls nicht statt. Jetzt werden diejenigen Spieler bestraft, die am meisten für die Aufführung hingelegt haben. Eine seltene Konstellation, aber wenn ein Spieler als einziger mit z.B. drei Würfeln den aktuellen Elite-Komponisten gefördert hat, dann kann er problemlos schon mal 15 Geldeinheiten für dessen Konzert hinblättern, um danach 27 Geldeinheiten ausgeschüttet zu bekommen. Und die Mitspieler können ihm diesen sicheren Gewinn vermasseln, indem sie alle zusammen ein paar wenige Geldeinheiten für die Aufführung dazulegen.
Damit sind wir auch schon bei der Refinanzierung der Mäzene: Nach dem Konzert fließt auch etwas Geld zurück in ihre Privatschatullen. Für jeden Spendenwürfel eines aufgeführten Komponisten bekommen wir “Gönner“ drei, vier oder gar neun Geldeinheiten zurückerstattet. Zusätzlich erhält derjenige, der am meisten in die Aufführungskasse spendiert hat, eine erkleckliche Provision in klingender Münze oder in Spendenwürfeln.
Am Ende des Spiels werden Siegpunkte ausgeschüttet. Für jeden Musiker gibt es ein eigenes Ausschüttungsmodell, aber Basis ist immer der Besitz an Manuskripten. Einmal wird jedes einzelne Manuskript honoriert, einmal die Mehrheit darin. Einmal wird für einen Musiker die Anzahl der erworbenen Manuskripte mit der Anzahl von verbliebenen Spendenwürfeln multipliziert, ein andermal wird mit der Anzahl von Manuskripten anderer Musiker multipliziert. Und was dergleichen mehr ist. Für den Sieg muss man sich diese sechs verschiedenen Berechnungsmodelle genau anschauen. Für Walter, der erst in den letzten fünf Jahren seine Liebe zu Schubertscher Kammermusik entdeckt hat, hatte Schubert in allen seinen Entscheidungen die höchste Priorität. Damit wurde er weit abgeschlagen Letzter. Ist Schubert denn schon wieder out? Günther gewann, und Aaron kommentierte treffend: „Dann ist Symponie No 9 also kein Glücksspiel“.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (zuviel Chaos, die Behandlung der Beliebtheit ist ein hübsches Element), Günther: 4 (möchte es eigentlich nicht noch einmal spielen, das Bieten ist ein Chaos, ich habe nur zufällig gewonnen), Moritz: 5 (maximal 5; das Spiel ist nicht schlecht designed, das Bieten ist spannend aber zufällig, thematisch ist es ein Quatsch, abgesehen davon, dass Händel und Bach keine Symphonien geschrieben haben), Walter: 5 (dabei bereits ein Sympathiepunkt für Schubert eingerechnet; das blinde Bieten steht in krassem Widerspruch zu den strengen Anforderungen an die Planung von Würfel-Mehrheiten. Würde es nur noch ein einziges Mal spielen wollen, um dann für die Aufführungskasse keinen einzigen Pfennig mehr zu opfern).
2. “Carpe Diem”
Auf sieben Feldern liegen je vier Bauteile aus, Villen, Kulturlandschaften, Märkten, Unterkünfte, Backstuben, Brunnen und ähnlichem. Mit seinem einen Pöppel läuft jeder Spieler vorwärts oder rückwärts durch die topologische Struktur der Felder, nimmt sich jeweils ein Bauteil und baut es in sein privates Grundstück ein. (Die gegebene „topologische Struktur“ der Felder dient rein der Verschleierung, welche der Felder benachbart sind, bzw. welche Felder ich und welche meine Mitspieler in ihrem nächsten Zug erreichen können. Funktionell ist das identisch damit, dass jeder Pöppel zu genau dem rechten oder linken Nachbarfeld laufen kann.)
Viermal werden die Felder gefüllt und viermal dürfen wir sie komplett „abernten“, d.h. die gewünschten Bauteile in unsere Grundstücke einlegen. Darin entstehen dann Häuser und Betriebe, und werfen bei ihrer Fertigstellung Güter ab: Hühner, Fische, Trauben und Gemüse, Brot oder auch Geld. Viermal, nach jedem kompletten Abernten der Spielfelder, dürfen wir mit unseren erworbenen Gütern verschiedene Siegpunkt-Bedingungen finanzieren. Diese Bedingungen sind auf Kärtchen festgelegt, die in einer drei mal vier Matrix als Wertungstableau ausliegen, z.B. „3 Hühner ergeben 7 Siegpunkte“, oder „2 Brunnen ergeben 3 Siegpunkte“.
Die Crux dabei ist, dass man bei jeder Wertungsaktion gleich zwei nebeneinander liegende Bedingungen erfüllen muss, nach dem obigen Beispiel also 3 Hühner und zugleich 2 Brunnen erworben haben muss. Das ist besonders in den ersten Runden fast nicht zu schaffen. Dann muss man sich also eine erfüllbare und eine nicht-erfüllbare Wertung aussuchen, und für die nicht-erfüllbare Bedingung Strafpunkte bezahlen.
Welche „nicht-erfüllbaren“ Wertungen sind hierbei von Interesse? Natürlich diejenigen, die ein Mitspieler ggf. erfüllen könnte. Wir müssen also das gesamte Besitztum aller Mitspielers danach abscannen, welche Siegbedingungen sie damit erfüllen könnten und welche dieser erfüllbaren Bedingungen auch noch nebeneinander liegen. Davon reißen wir dann eine an uns, obwohl wir sie nicht erfüllen können und dafür Strafpunkte bezahlen müssen. Und dabei muss unser Scannen so gründlich sein, dass wir auf dem Wertungstableau keine Kombination übersehen, die der zu schädigende Mitspieler dann doch noch erfüllen kann. Ein hässliches Prinzip!
WPG-Wertung: Aaron: 6 (die Siegpunkte-Bedingungen sind „interessant“. [AbN: Habe gerade vom Sternenkoch Lafer die Belehrung bekommen, die Aussage, das Essen habe „interessant“ geschmeckt, komme einer Backpfeife gleich.], nichts Neues, mal wieder ein Feldsche Siegpunkt-Salat), Günther: 7 (besitzt erhebliche Interaktion), Moritz: 7 (man ist ständig „engaged“), Walter: 6 (die privaten Landschaftsgärten und das Zusammentragen der Bauteile sind hübsche Spielelemente, die Konkurrenz auf dem Wertungstableau dagegen ist blödsinnig).
” Eine seltene Konstellation, aber wenn ein Spieler als einziger mit z.B. drei Würfeln den aktuellen Elite-Komponisten gefördert hat, dann kann er problemlos schon mal 15 Geldeinheiten für dessen Konzert hinblättern…” Würde er gerne, aber darf er nicht (max. 8 zulässig).
Hallo Christwart, da wollen wir mal nicht päpstlicher sein als der Papst …