1. “Rurik – Kampf um Kiev”
„Ein Wargame“ unkte Aaron. „Nein, ein Area-Control-Game“ widersprach Moritz. Was ist der Unterschied? Richtig: im Wargame versucht man den Gegner zu vernichten und die Erde möglichst alleine zu bevölkern, im ACG reicht es, den Bürgermeister zu stellen und damit überall sein doppeltes Süppchen mit halbem Aufwand kochen zu können. In diesem Sinne ist „Rurik“ ein ACG.
Wir bringen neue Krieger aufs Spielbrett. Wie üblich immer nur dort, wo schon welche sind. Wir breiten uns aus. Allerdings dürfen wir in echter Koexistenz mit beliebig vielen fremden Kriegern auf einem Feld stehen. Wir ziehen Steuern ein, d.h. wir nehmen wie ein echter Herrscher den Bauern die Butter vom Brot, wir bauen Festungen (zur Verteidigung), Kirchen (um fremde Krieger zu Proselyten zu machen), oder Märkte (um beim Steuern-Eintreiben noch jeweils ein Gut mehr zu bekommen). Und wir führen im Notfall auch mal ein kleines Scharmützel aus, um in einer Region die Mehrheit zu besitzen. Dafür rücken wir dann, egal ob wir gewonnen haben oder nicht, auf der Heldenskala eine Stufe höher. Wer bei Spielende hier am höchsten steht, bekommt Siegpunkte. Ein paar wenigstens, das Mütchen zum Kriegern sollte nicht ausufern.
Haben wir in einer Region die Mehrheit, so brauchen wir sowohl beim Steuereinziehen als auch beim Bauen nur die halbe Kraft, ansonsten gibt es keinen Unterschied, ob wir alleine unter potentiell lauter feindlichen Mitstreitern stehen oder ob wir unter lauter eigenen Heerscharen dort herumstehen.
Bemerkenswert, um nicht zu sagen originell und sehr hübsch, ist der Mechanismus, wie wir unsere Aktionen auswählen. Dazu besitzen wir zu Spielbeginn vier Ratsherren vom Stärkegrad 1, 2, 4 und 5, die wir pro Runde reihum auf ein Aktionstableau stellen, und damit die jeweils zugeordnete Aktion (neue Krieger, Bewegung, Angriff, Steuern, Bauen und Intrigieren – letzteres kriegen wir später) auswählen. Ein stärkerer Ratherr drängt einen schwächeren nach hinten, eine schwächerer muss sich a priori hinten anstellen. Ein Ratherr kann mit Geld seinen Positionierungsrang erhöhen (gilt nur für jeweils eine Runde) und damit einen vorderen Platz beanspruchen.
Die vorderen Plätze dürfen alles vermehrt, also mehr Krieger, mehr Bewegung, mehr Steuern etc., aber auch der Letzte innerhalb einer Spalte des Aktionstableaus darf auch noch etwas.
Sind alle vier Ratsherren positioniert (in den letzten beiden Runden kommt noch jeweils ein weiterer Ratsherr dazu), dann fängt – in Startspielerreihenfolge – der schwächste Ratsherr mit seiner Aktion an. Da muss man beim Platzieren schon aufpassen, dass man z.B. nicht mit einem schwächern Ratherrn das Laufen beginnen muss, bevor man mit einem stärkeren Ratherrn erst die Kriegerzahl erhöht hat. Oder dass man nicht kämpfen muss, wenn man das gewünschte Kämpferpotential noch gar nicht aufgebaut hat.
Das wichtigste Positionierungs- und Aktionsziel ist es, bei einem der vier Rundenenden auf den drei „Anspruchsleisten“ jemals einen der vorderen Plätze belegt zu haben:
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- als Herrscher mindestens einmal in 5 Regionen dominiert zu haben.
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- als Bauherr in 7 benachbarten Regionen gebaut zu haben. (Das sollte das leichteste Zwischenziel sein, denn ein einmal errichtetes Gebäude wird bis zum Spielende nicht wieder vom Spielbrett genommen.
- als Steuereintreiber mindestens einmal 11 eingetriebenen Güter auf sein Boot geladen zu haben.
Dann hagelt es regelrecht Siegpunkte ins Kontor.
Und was macht man als Intrigant? Als Intrigant bekommt man jeweils eine Intrigantenkarte. Die Oberintriganten dürfen sie sich aus einer gegebenen Anzahl aussuchen, die Unterintriganten müssen damit vorlieb nehmen, was ihnen das Schicksal zuteilt. Die Intrigantenkarten können gesammelt oder auch so schnell wie möglich wieder ausgegeben werden. Damit darf ein Spieler zu einem beliebigen Zeitpunkt innerhalb seine Zuges eine zusätzliche Aktion (Kampf, Bewegung etc.) aufführen, oder er bekommt auch mal lediglich ein bisschen Geld dafür.
Es gibt auch noch „Tatenkarten“, wenn man deren Aufgabe innerhalb des Spiels irgendwann mal erledigt hat, bringen die ebenfalls Siegpunkte. Aber wenn die Erfüllung von Taten uns nicht mehr oder weniger von in den Schoß fällt, dann brauchen wir uns nicht weiter um sie zu scheren, sie kleckern eher mit Siegpunkten als dass sie klotzen.
Fazit: 2 Stunden leicht wogendes Area-Kontrollieren. Sehr viel hübsches, didaktisch ausgezeichnetes Material.
WPG-Wertung: Moritz: 7 (die Ratsphase ist interessant, komplex und gut), Walter: 7 (viel Interaktion, sehr klare Aktionen und Prioritäten, das Spiel ist rund), Aaron: 5 (das Spiel ist überhaupt nicht rund, die Balance zwischen Denken-Müssen und Zufall stimmt nicht, nur die Ratsherrn-Phase ist gut).
2. “Flügelschlag”
Aaron: „Spiele mit einer Solovariante sind zu einem hohen Maße nicht mein Ding. Das ist immer wieder meine Erfahrung.“ – Bei Flügelschlag bestätigt.
Heute kam es nach Jahren mal wieder zu einem Spielabbruch in Unfrieden. Als Walter in der zweiten Runde seinen dritten Zug machen wollte, behauptete Moritz steif und fest, hartnäckig und unnachgiebig, Walter habe seinen dritten Zug bereits gemacht, und er sei jetzt an der Reihe.
Wollen wir mal Walters gesamten Züge rekonstruieren. Das geht im „Flügelschlag“ ja noch leichter als das Kartenabspiel beim verlorenen Großschlemm auf der letzten Bayerischen Paarmeisterschaft.
Walter war Startspieler und hatte vom Start weg „billige“, d.h. wenig fressende Vogelkarten auf die Hand bekommen. Er behielt sich 2 davon und dazu 3 Nahrungschips, nämlich Korn, Wurm und Fisch.
1/1) Im ersten Zug legte er für 1 Korn eine Carolin-Ameise in den Wald. Eine läppische Karte, auf die man bei Aktivierung gerade ein einziges mal 1 Korn aus dem Vorrat legen darf, um in der Endabrechung 1 Siegpunkt zu erhalten.
1/2) Im zweiten Zug holte er sich 2 Eier.
1/3) Im dritten Zug legte er für 1 Ei und 1 Wurm eine Singammer in die Wiese. Eigentlich eine recht potente Karte, denn man darf sie bei Aktivierung – falls sie immer noch die rechteste Karte in ihrem Lebensraum ist – in einen beliebigen anderen Lebensraum bewegen. Damit kann man sie immer dorthin schieben, wo man für die nächsten Aktionen die meiste Potenz braucht.
1/4) Im vierte Zug holte er sich Nahrung, und zwar einen Fisch. Damit wurde zugleich seine Ameise aktiviert und bekam das erste und letzte Mal ein Korn gereicht.
1/5) Im fünften Zug legte er für 1 Ei und 2 Fische einen Braunpelikan ins Wasser und bekam dafür „beim Ausspielen“ sogleich 3 Fische aus dem Vorrat zurück. Eine positive Nahrungsbilanz.
1/6) Im sechsten Zug holte er sich nochmals 2 Eier.
1/7) Im siebten Zug besorgte er sich eine weitere Vogelkarte.
1/8) Im achten Zug legte für 2 Eier, 1 Korn und 2 Fische (Ersatzkost für 1 Wurm) eine Lincolnammer in den Wald. Sie besitzt den gleichen Vorteil wie die Singammer, nämlich dass man sie bei Aktivierung in einen beliebigen anderen Lebensraum verschieben kann. Zwei Karten dieser Art sind allerdings eher kontraproduktiv.
Frage: Woher nahm denn Walter alle diese Vögel, zu Spielbeginn hatte er doch nur zwei Vogelkarten auf der Hand? Klare Antwort: Moritz hatte einen Drosseluferläufer oder ein Zwergsultanhuhn oder einen ähnlichen Geier ausgelegt und zweimal aktiviert, so dass jeder Spieler ohne eigene Zugvergeudung zweimal eine Vogelkarte ziehen durfte.
Und wie sieht die Nahrungsbilanz aus, zum Auslegen dieser 4 Vögel fehlt doch 1 Korn? Richtig: Aaron hatte so etwas wie einen Annakolibri ausgelegt und aktiviert, so dass alle Spieler einmal kostenlos ein Futter aus dem Vogelhäuschen, sprich aus dem Würfelbecher, erhalten hatten. Für Walter war das genau das gesuchte Korn.
In der zweiten Runde war Moritz der Startspieler und Walter der Letzte am Zug.
2/1) Nachdem Moritz und Aaron ihren ersten Zug getan hatten, besorgte sich Walter in seinem ersten Zug Vogelfutter, und weil er bereits 2 Vögel im Wald hatte, bekam er gleich 2 Nahrung. Er wählte die für seine Ambitionen glücklicherweise noch vorhandenen 1 Wurm und 1 Korn.
Moritz fragte noch, ob denn jetzt noch braune Aktivierungseffekte fällig wären. Waren nicht! Die Singammer war bereits eingekornt und die Lincolnammer lag nicht mehr auf der rechtesten Stelle in ihrem Lebensraum.
2/2 Nach Moritz’ und Aarons zweitem Zug legte Walter für die gerade gezogenen 1 Wurm und 1 Korn einen Pappelwaldsänger in den Wald. Fertig. Moritz fing an, an seinem eigenen dritten Zug zu laborieren.
Jetzt wies Aaron Walter auf den Zusatztext seines ausgespielten Pappelwaldsängers hin: „Beim Ausspielen ziehe 2 Bonuskarten und behalte 1 davon“. Solche „Nachzügler“ sind am Westpark normal und werden geduldet; wir wollen ja nicht noch länger darauf warten, bis ein Spieler a) seine optimalste Optimierung herausgefunden und b) auch noch in Bürokratenmanier alle Nebeneffekte von seiner Checkliste abgehakt hat. Solange Spiele nicht in allen ihren Regeldetails beherrscht werden (wie z.B: “1830“), dürfen übersehene Nebeneffekte nachgenutzt werden.
Walter zog 2 Bonuskarten, unter anderem den „Vogelzähler“. Der verspricht ihm bei Spielende „2 Siegpunkte für jeden Vogel mit einer ?? Fähigkeit“. Diese Hieroglyphe ?? war nicht selbsterklärend, und noch lag keine einzige Vogelkarte mit so einem Symbol auf dem Tisch. Nach einiger Grübelei fragte Walter den Regelchef Aaron, was denn diese Karte bedeutete. Aaron war gerade mit einem eigenen dritten Zug beschäftigt und bat, bis zur Beendigung seines Zuges zu warten. Es dauerte auch nicht lange, dann konnte er die Kartenbedeutung im Regelheft nachschauen und erklären. Walter wählte dann aber lieber den Sperlingskundler als Bonuskarte (Siegpunkte für Vögel mit einer Spannweite kleiner 30 cm), denn er besaß bereits 4 Stück davon.
Jetzt wollte er seinen eigenen dritten Zug machen, doch ohne Wenn und Aber verwehrte ihm Moritz diesen Zug. Er behauptete, Walter habe seinen dritten Zug bereits gemacht und schlichtweg vergessen, ein drittes Klötzchen als Marker dafür zu legen. Welche die drei Züge waren, das konnte und wollte Moritz nicht sagen. Auf Walters Argumentation, mit der er a) seine Züge plausibel rekonstruieren wollte (4 Vogelkarten-Legen, 2 mal Eier, 1 mal Futter und 1 Vogelkarte in der ersten Runde) und b) dass es doch ausgeschlossen war, dass Walter bereits mit seinen dritten Zug einschließlich den Bonuskarten zu Gange gewesen war, während Aaron seinen dritten Zug noch gar nicht beendet hatte, weil er ja gerade eben bei der Bedeutungs-Nachfrage um Geduld gebeten hatte, ging Moritz gar nicht ein. Ohne jegliche Einsicht in seine potentielle (und real stattfinden sollende) Zugklauerei verbat er Walter den dritten Zug.
In dem anschließenden Hick-Hack ging Walter der Hut hoch. Das ist genau eine Verhaltenskombination (dumm plus frech), gegen die er bei allen seinen Mitmenschen höchst allergisch ist, schon seit 57 Jahren, als sein Mathematiklehrer einmal diese Kombination als von ihm nicht toleriert aufgezählt hatte. Walter brach ab!
Keinem Spieler von uns würde es einfallen, einem anderen glattweg einen Spielzug abzustreiten. Jeder würde im Zweifelsfall dem Mitspieler einen Irrtum zu seinem Gunsten zugestehen. Nur einer nicht. Und nicht einmal dann, wenn er selber absolut im Unrecht ist.
Diese Darstellung hier mag etwas subjektiv sein. Lieber Moritz, Du darfst alles anders darstellen, und zwar so, wie es in Deinen Augen gewesen ist. Ich warte darauf!
Der Spielabbruch hat das Spielgefühl, das man in Flügelschlag entwickelt, nicht beeinträchtigt. Aaron und Walter konnten überzeugend darlegen, dass wir in den 1 ¼ Runden bereits alles kennengelernt hatten, was es im Flügelschlag kennenzulernen gibt. Wie der 169te Gelbbrust-Waldsänger tickt und der 170te Blaumückenfänger vögelt, das interessiert am Westpark ohnehin niemanden.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (bleibt), Moritz: 5 (die taktische Auswahl beim Vogelkarten-Ziehen ist begrenzt, der Sieg hängt stark vom Zufall der Vogelhand in Korrelation mit dem verfügbaren Futter ab. Es gibt viel unnötigen Frust), Walter: 7 (bleibt).