Wir Westpark-Gamer sind keineswegs ein eingefleischter Männerverein. Wenn wir in unseren Archiven graben, so finden wir unter den bisher 35 Mitspielern immerhin 9 Mitspielerinnen. Aber irgendwie machen sie sich rarer als diese Quote vermuten lässt. Bei einigen haben die Mutterpflichten brutal zugeschlagen, eine schreibt am laufenden Band Romane, eine begleitet den besten aller Ehemänner ständig zu seinen Ausgrabungen von alten Mumien, eine fängt Ganoven – nicht nur jetzt zur Zeit des Elmauer G7 – und eine andere fängt Grillen.
Heute hat uns mal wieder Andrea beehrt. Vor fast drei Jahren, am 27.11.2019 war sie das letzte Mal bei uns; aber sie zählt zur ganz alten (jungen) und eifrigen Garde: bereits vor 24 Jahren hat sie uns zum ersten Mal beehrt und damals mit „Die Macher“ gleich einen ganz dicken Brocken vorgesetzt bekommen.
Heute gab es leichtere Kost.
1. “Top Ten”
Ein Favorit für den Titel „Familien-Spiel des Jahres 2022“. Letzte Woche zum ersten Mal bei uns auf dem Tisch. Wir waren damals nur zu viert, und Günther hatte bemängelt, dass die kooperative Lösung der gestellten Aufgabe wohl erst ab 6 Mitspielern eine akzeptable Herausforderung sein wird. Aber brauchen wir überhaupt eine Herausforderung, wenn wir uns schon an der Phantasie beim Erfinden von Begriffen zu gegebenen Kriterien und beim Zuordnen ihrer Relevanz erfreuen und sogar belustigen können?
Heute waren wir zu fünf, also schon fast an Günthers Minimumzahl. Den ersten Durchgang haben wir verloren. Vielleicht hat Walters „Stichel“ dazu beigetragen, der als Mitbringsel bei einem Zurück-Gebiemt-Werden in ein prähistorisches Zeitalter wohl nicht von mittlerem Nutzen, sondern eher von überhaupt keinem Nutzen ist. Genauso wenig wie Aarons Kugelschreiber.
Im zweiten Durchgang war Moritz zweimal in der Lage, alle fünf Antworten fehlerfrei in die richtige Reihenfolge zu bringen, und auch Andrea schaffte dies in ihrem Durchgang als Kapitän. Grandioser kooperativer Sieg! Ich habe eine größere Herausforderung nicht vermisst, auch wenn (oder weil) es mir bei „Top Ten“ überhaupt nicht darauf ankommt, gegen das Spiel zu gewinnen.
WPG-Wertung: Keine Änderung für ein 6,8 Punkte Spiel.
2. “They Live: Assault on Cable 54”
(Auf gut Deutsch: „Sie leben: Angriff bei Kabel 54“. Oder so ähnlich.)
Moritz hatte das Spiel mitgebracht, einen nagelneuen Kick-Starter, der als Adaption eines von ihm geschätzten Kinofilmes entwickelt worden war. Der Film erschien bereits 1988. Außer Andrea und Moritz kannte ihn keiner von uns, wahrscheinlich auch kaum einer unserer Leser. Da darf man doch mal im Internet nachschauen, was dazu berichtet wird.
Ein Stadt wird – ohne dass es die „normalen“ Bürger wahrhaben – von einer Bande unkenntlicher Invasoren heimgesucht, die an allen Ecken und Ende lauter böse Sachen treiben: Überfälle, Schlägereien, Menschenraub, Vergewaltigung und was man sich noch alles Verbrecherisches ausdenken kann. Einer der Gutmenschen stößt zufällig auf mehrere Kartons mit „Sonnenbrillen“, und als er eine davon aufsetzt, entdeckt er den ganzen Horror und seinen Verursacher: lauter Monster mit hässlichen Fratzen. Er berichtet diese Erkenntnis seinen Freunden, aber die wenigsten von ihnen sind bereit, ihm das zu glauben. Die meisten weigern sich auch strikt, überhaupt durch die Brille zu schauen.
Gesellschaftskritik: Viele Menschen ähneln diesem Profil. Ihr Urteil über die Welt steht fest. Eine neue Sichtweise wird erst gar nicht zugelassen. Sie sind also die perfekten Opfer für die Lügen, die sie umgeben. Doch alles einfach hinzunehmen ist der falsche Weg. Am Ende gibt der Film eine Warnung ab: Man sieht eine Frau, die Spaß im Bett mit einem der Monster hat. Auch wenn die Wahrheit manchmal offensichtlich ist, lassen sich viele weiter von der Elite bumsen und haben noch Freude daran.
Warum der vielen Worte? Weil zu den Spielregeln von „They Live“, auch wenn sie über 20 Seiten gehen, nicht viel zu sagen ist. Würfeln, um besser zu werden, würfeln, um Hilfsmittel zu erwerben, würfen, um den Endkampf zu gewinnen.
Wir Spieler werden verdeckt eingeteilt in „Normalos“ und „Invasoren“, tun aber alle das Gleiche: Wir wandern – jeder nach einem individuellen Gesetzbuch – durch die Stationen der Stadt und treffen dabei auf böse Szenen, die durch die unsichtbaren Invasoren angestellt wurden. Mit eleganten Kampfwürfeln mischen wir uns in das Geschehen ein und werden dabei je nach Kampfausgang stärker oder schwächer. Als Sieger bekommen wir in der Regel auch noch gute oder bösen Accessoires, von denen wir die guten im eleusischen Speicher für den Endkampf deponieren sollen. Auch hier tun die Invasoren das Gleiche, nur sind sie eher bestrebt, die bösen Accessoires zu deponieren.
Aber was ist schon gut, und was ist schlecht? Jetzt kommen die Sonnenbrillen ins Spiel. Bei unserem Umherschweifen durch die Stadt erhalten wir immer mal wieder eine Sonnenbrille zugeteilt, und wenn wir sie aufsetzen, erkennen wir, welche Accessoires gut (oder böse) sind, und wenn wir auf dem gleichen Feld wie ein Mitspieler stehen und erfolgreich gegen ihn gekämpft haben, erkennen wir mittels dieser Sonnenbrille auch, ob er selber gut ist oder böse.
Zum Endkampf begeben wir uns dann alle auf ein definiertes Feld und führen mit unseren eleganten Kampfwürfeln und den gespeicherten Accessoires einen multiplen eleganten Würfelkampf gegen gleich eine ganze Reihe von Invasoren. Schlussendlich haben wir Normalos alle gewonnen. Oder alle verloren. Mit den Invasoren ist es genau umgekehrt.
WPG-Wertung: Aaron: 4 (das Thema sagt mir leider gar nichts), Andrea: 6 (der Film war charmant, und das Spiel hat ihn liebevoll umgesetzt), Günther: 4 (das Ganze ist nur ein narratives Thema, nichts für mich), Moritz: 6 (spielerisch nicht ganz überzeugend, aber das Thema stimmt), Walter: 4 (bei dem gewaltigen Material ist das Spiel für 56 Euro ganz schön billig, aber im Grunde ist es mehr oder weniger nur ein reines Würfelspiel).
Hey, stimmt was nicht, Walter?