1. “Kick mich raus”
Aaron bastelt mal wieder an einem neuen Spiel. (Wahrscheinlich sogar an mehreren.) Seine Jugendleidenschaft für „18xx“-Spiele wird wohl immer grünen, auch wenn sein jetziges „k-m-r“ (Arbeitstitel) nur ganz von der Ferne Ähnlichkeiten mit diesem Spieltypus hat. Es liegen Firmen aus, die wir gründen, deren Produkte aber noch gar nicht existieren, sondern die erst mit teuren Investitionen zur Marktreife gebracht werden müssen. Dann kommt die Gewinnphase, und wenn wir erfolgreich sind, können wir uns eine weitere eigene Firma einverleiben oder eine fremde Firma feindlich übernehmen und damit spielentscheidende Siegpunkte einheimsen.
In der heutigen Test-Runde ging es darum, die Balance zwischen der Finanzierung einer Firma und der Gewinnausschüttung unter die Lupe zu nehmen. Können Firmen durch Unbilden des Schicksals erst spät „floaten“ und schütten sie zu wenig aus, gehen sie alle in Konkurs, bevor sie überhaupt zum Leben erweckt wurden. Schütten sie dagegen zu viel aus, dann können alle neu auf den Markt erscheinenden Firmen unverzüglich gegründet und ihre Produkte auf den Markt gebracht werden. Dann kommt es nicht mehr auf das Timing bei Gründung und Beteilung an, dann ist es nur noch Run auf die ersten Merger. Ein Spagat zwischen zwei Möglichkeiten zum Scheitern.
Wohl dem Spiele-Design, das ohne einen Spagat über solche tödlichen Extreme auskommt.
Keine WPG-Wertung über ein Spiel in der Entstehungsphase.
2. “Cat in the Box”
Ein geiles, ganz neuartiges Stichkartenspiel. Auf den Karten sind Zahlen von 1 bis 9 aufgedruckt, und jeder Spieler bekommt 10 Stück davon auf die Hand. Erst mal legt jeder eine Karte davon verdeckt auf den Ablagestapel, dann werden wie üblich die restlichen Karten zu Stichen abgespielt. Wer die höchste Karte der ausgespielten Farbe zugibt, bekommt den Stich und spielt zum nächsten Stich aus. Wer die ausgespielte Farbe nicht bedienen kann, kann mit einer Karte der Trumpffarbe den Stich übernehmen. Soweit ist alles Standard.
Das Besondere daran ist, dass die Karten gar keine Farbe besitzen, sondern jeder Spieler kann beim Zugeben beliebig sagen, welche Farbe das jetzt sein soll. Das klingt fast chaotisch, ist es aber keineswegs. Auf einem Markierbrett wird markiert, welche Karten bereits gespielt wurden. Hat z.B. ein Spieler eine Sieben ausgespielt und gesagt, dies sei die „gelbe“ Sieben, dann wird ein Spielermarker auf das Feld „7-gelb“ gelegt, und kein Spieler kann mehr hinterher eine seiner Siebenen als „gelb“ deklarieren.
Wenn ein Spieler eine Farbe nicht mehr bedienen kann (oder will), dann kann er seine Kartenhand als „farbefrei“ erklären und eine beliebige Karte zugeben. Allerdings darf er später auch keine weitere Karte seiner Hand als eine von dieser freien Farbe deklarieren.
Siegpunkte gibt es für jeden gemachten Stich (es ist keine schlechte Strategie, bei einer Kartenhand mit vielen hohen Karten auf dieses Kriterium loszugehen) und für das richtige Vorhersagen der eigenen Stichzahl: dann bekommt man Siegpunkte entsprechend dem größten zusammenhängenden Gebiet mit eigenen Spielermarkern auf dem Markierbrett.
Da es von jeder Kartenzahl fünf Exemplare gibt, auf dem Markierbrett aber nur vier Plätze für jede Kartenzahl vorhanden sind, kann es passieren, dass alle möglichen Plätze für die Restkarten in der Hand eines Spielers belegt sind und der Spieler keine Karte zugeben kann. Dies gilt als „pradox“ und beendet sofort eine Runde. Der Spieler, der den Paradoxfall ausgelöst hat, bekommt Minuspunkte für jeden Stich, den er bereits gemacht hat. Wer also auf Teufel-komm-raus Stiche kassiert hat, muss aufpassen, dass er nicht paradox wird.
Alles wohl-designt, alles wohl-ausbalanziert. Dazu zählt auch, dass die Stichzahl, die man für sich vorhersagen muss, auf die Werte 1, 2 oder 3 begrenzt ist. Wer also eine wirklich „gute“ Kartenhand hat und damit fast alle Stiche, zumindest aber mehr als 3 macht, bekommt keine Vorhersagepunkte. Wer dagegen beim Kartenausteilen mit niedrigen Werten bedacht wurde, kann versuchen, ein möglichst großes zusammenhängendes Gebiet auf dem unteren Bereich des Markierbrettes abzustecken und dann wenigstens den einen vorhergesagten Stich, notfalls per Trumpf, zu machen.
WPG-Wertung: Aaron: 6 (eigentlich kann man das Spiel nach einmaligem Spielen noch nicht bewerten), Günther: 8 (ein extrem innovatives Kartenspiel), Moritz: 8 (viel Handlungsfreiheit bei der variablen Nutzung der verschiedenen Kartenaspekte; das Spielergebnis wird zu 95% durch Einschätzung und Können, und nur zu 5 % von Kartenglück und Mitspielerchaos bestimmt), Walter: 8 (eine sehr gute Mischung aus Planung, Rechnerei, Beobachtung und Glück).
3. “Bluff”
Nachdem wir lange und erfolgreich den Friedensvertrag zwischen Russland und der Ukraine beraten, beschlossen und verabschiedet hatten, belohnten wir uns zur Entspannung und zum mentalen Ausgleich mit einem Absacker. Das konnte doch nur unser Leib-und-Magen-„Bluff“ sein, das vor mehr als zwei Jahren, am 1. Juli 2020 zu letzten Mal bei uns auflag.
Walter war im Nu draußen, David Moritz musste mit zwei Würfeln gegen die Goliaths Aaron mit fünf und Günther mit vier Würfeln antreten. Stein für Stein konnte er seine Widersacher schädigen und schlussendlich das 1:1 Endspiel gegen Günther gewinnen. Günther war hier mit Walters 1-mal-die-Vier-Strategie angetreten, 1-mal-die-Drei wäre erfolgreich gewesen.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.