Ein reicher Kaufmann hatte einen Sohn, der hatte sich allen möglichen Sünden und Lastern ergeben. Unter anderen Greueln fand er auch am Würfelspiel Wohlgefallen. Alle seine Verwandten schämten sich deshalb seiner. Endlich faßte der Kaufmann den Plan, achtzig auf dem Lande aufgewachsene biedere fromme Männer für eine gewisse Zeit mit seinem Sohne in einem Haus zusammenzubringen. So meinte er, ihr Umgang würde auf ihn einen guten Eindruck machen und er von seinem schlechten Wandel ablassen.
Gesagt, getan, der Kaufmann suchte achtzig fromme Männer auf, die er unter tausend Versprechungen reichlicher Belohnung mit seinem Sohne in ein Haus einsperrte, wo man ihnen Speise und Trank von draußen hineinreichte. Um es kurz zu machen: nach siebzig Tagen öffnete man die Tür und forschte nach dem Zustande der Eingeschlossenen. Und siehe da, die Frömmigkeit hatte auf den Burschen keinerlei Eindruck gemacht, aber umgekehrt hatte sein Laster auf die achtzig Frommen eine solche Wirkung gehabt, dass sie samt und sonders zu Würfelspielern geworden waren.
(aus dem tausend-jährigen „Papageienbuch“)
1. “Trajan”
In Essen hatte das Spiel Furore gemacht und stand in allen Bestseller-Listen an der Spitze. Aaron hatte das Spiel deshalb blind gekauft, Günther als Halbblinder. Heute legte er es mit deutlichen gebremstem Schaum auf den Tisch: „Es ist ein 3-stündiges Solitärspiel.“
Nach dem Regelheft befinden wir uns im römischen Imperium auf dem Höhepunkt seiner Macht. Auf 12 klar und massiv bedruckten Seiten wird uns die Aufgabenstellung beschrieben. Dicke, deutlich, didaktisch. 60 Spielfiguren, 4 Feldherren, 4 Trajansbögen, 56 Aktionssteine, 60 Warenkarten, 54 Trajansplättchen und 70 Forumsplättchen sind erst die Hälfte des gebotenen Spielematerials. Wir drehen an ungezählten Rädchen, um im Hafen, im Senat, auf dem Forum, beim Militär, auf dem Markt oder in den Arbeitslagern unsere Potenz zu steigern oder gleich direkt Siegpunkte zu notieren.
Bemerkenswert ist das Auswahlprinzip für unsere Aktionen: Auf einem Rundkurs versetzt jeder Spieler kalah-artig die verschiedenfarbigen Aktionsteine jeweils einer Mulde und bestimmt dadurch seine nächste Aktion.
In “Trajan” hat der Autor Stefan Feld gleich eine ganze Handvoll verschiedener Optimierungsaufgaben zusammengefaßt:
- Das Kalah-Prinzip, um die gewünschte Ziel-Aktion zu treffen
- Das Kalah-Prinzip, um in einzelnen Mulden die notwendige Farbkombinationen für die Sondereffekte zu erreichen
- Diversifizierung und Kumulierung im Arbeitslagen
- Kleckern oder Klotzen im Senat
- Transportoptimierung in den Provinzen
- Sammlung und Nutzung einer effizienten Kombination von gleichen und ungleichen Symbolen
- und noch viel mehr
Nach 4 Quartalen mit jeweils 4 Großrunden hat ein erfolgreicher Römer ca. 100 Siegpunkten auf die Seite geschafft. Dazu kommen in der Schlußwertung mit Glück nochmals ca. 20 Siegpunkte hinzu. Alles schön konstruktiv und sprudelnd. Eigentlich ein Super-Spiel. Eigentlich! Leider ist es entschieden zu solitär. Wir sitzen zwar zu viert um den Spieltisch, aber miteinander (oder gegeneinander) spielen wir nicht. Jeder könnte (fast) genauso gut alleine in seiner Studierstube sitzen und über seinen Kalah-Steinen brüten, um damit eine Maximalausbeute an Siegpunkten zu erlangen. Hinterher tauscht man die Ergebnisse per Telefon aus. Das bißchen Konkurrenz um den jeweils besten Platz aus lauter guten anderen Plätzen in den verschiedenen Operationsgebieten verdient nicht den Namen Interaktion. Michelin würde deshalb gewiß den zweiten Stern verweigern.
Den ersten Stern kann ein verwöhnter Gourmet auch noch verweigern, weil eine spiel-kulinarische Steigerung fehlt. Nach der ersten halben (von 16) Großrunden hat sich das Spiel eingeschwungen und plätschert dann nur noch mehr oder weniger linear vor sich hin. Der gesamte Spielverlauf für die nächsten zwei bis drei Stunden liegt vor unseren Augen. Ein bisschen zu lang.
Tom Felber, Vorsitzender der Jury Spiel des Jahres schreibt über den Trend bei den Spielen 2011: „Im Vormarsch sind logische Denksportaufgaben unter Zeitdruck und das Element des gleichzeitigen Spielens.“ Wie steht „Trajan“ zu diesem Trend? Es stellt uns zweifellos vor logische Aufgaben: tausend Rädchen im optimalen Takt zu drehen ist schließlich ein anspruchsvoller Denksport. Und wenn man zuvorkommend ist und seine Mitspieler nicht warten lassen will, steht man unweigerlich unter einem erheblichen Zeitdruck. Da in „Trajan“ auch noch die Interaktion fehlt, könnten alle mehr oder weniger gleichzeitig spielen. Fazit: „Trajan“ ist absolut trendy!
WPG-Wertung: Horst: 7 („spannend“, vor allem in Anbetracht der vielen sprudelnden Siegpunkt-Quellen), Aaron: 6 („nicht spannend“, schließlich ist es solitär), Günther: 7 (immerhin wird eine Menge Spiel geboten), Walter: 5 (als Solitärspiel bekäme es 8 Punkte).
2. “Bluff”
Im ersten Spiel schlachtete Günther als Goliath ohne einen einzigen Würfelverlust alle seine Mitspieler ab.
Im zweiten Spiel war er als David mit einem Würfel im Endspiel gegen Goliath Aaron mit dreien. Hier konnte er jetzt dreimal den ungleichen Zweikampf für sich entscheiden. Dreimal mit der Immer-5-Strategie. Sollte hier doch etwas dran sein?
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
Die Spieldauer reduziert sich nach der ersten Partie deutlich (wir hatten in Essen 1 Partie zu Viert begonnen, waren da aber nach ca. 45 min. nicht mal mit dem ersten der 4 Durchgänge durch. Folgepartie zu dritt: in 1,5h “erledigt”), aber deshalb gefällt mir das Spiel auch nicht viel besser. Es ist anstrengend, hat zu viele Elemente, die irgendwie zusammen hängen und die man berücksichtigen sollte. Der Kalaha-Mechanismus ist nett, ich krieg ihn aber nie auf die Reihe – irgendwie passt die Ausgangssituation nie zu dem, was ich aktuell eigentlich machen sollte. Alternativ könnte man natürlich auch versuchen, ein paar Spielzüge voraus zu hirnen, bzw. sollte das auch tun. Aber dann wären wir vermutlich wieder bei den 3 Stunden…
Insgesamt erzeugt das Spiel bei mir eher Frust als Lust und nach mittlerweile 3 Partien denke ich, dass es recht unwahrscheinlich ist, dass weitere folgen werden.