Regelerklärungen sind für viele “Normalspieler” ein Horror. Aber auch Vielspieler haben damit eine Last, besonders wenn sie sich verpflichtet fühlen, einen Großteil der 300 bis 600 Spiel-Neuheiten eines Jahres selbst auszuprobieren. Bei uns sind es ca- 50 bis 100 neue Spiele, die wir alljährlich kennenlernen und allein mit den Regelerklärungen können wir leicht 2-3 Mannwochen pro Jahr verbringen. (Pro Nase, wohlgemerkt!)
Einer ist dann immer von Natur, Wissenstand oder Besitztum her auserkoren, die Regeln vorzutragen. Stefan Ducksch von der SdJ-Jury hat einen sehr hübschen Artikel veröffentlicht, in denen er die Menschentypen vorstellt, die sich dann zeigen. Hier davon eine kurze Zusammenfassung:
Der Autoritäre: Hat beim Erklären eine klare Linie und weicht davon keinen Millimeter ab.
Der Oberflächliche: Hat beim Erklären nicht nur Lücken, sondern auch ein schlechtes Gewissen.
Der Verwirrte: Hat die Regel zwar gelesen, kann sie aber nicht strukturiert wieder geben und vergisst beim Erklären zentrale Spielmechanismen.
Das Pärchen: Unterbricht sich gerne gegenseitig: “Du musst dazu sagen, dass
”
Der gute Gastgeber: Lässt die Mitspieler schon mal auspacken und aufbauen, holt derweil die Getränke.
Der Autodidakt: Hat die Regel gelesen und für schlecht befunden. Erklärt daher gleich mal seine Hausversion des Spieles.
Der Erzähler: Nimmt die Spielgeschichte auf und kleidet die komplette Erklärung in die Story ein.
Der Nüchterne: Für ihn ist die Spielgeschichte völlig überflüssig, er beginnt generell mit den Worten “Ziel des Spiels ist es,
”
Der Kenner: Verwirrt Wenigspieler mit permanenten Hinweisen auf andere Spiele. “Das läuft ab wie bei El Grande”
Der Vorleser: Liest die Spielregel inklusive Materialaufzählung und Texten unter allen Beispielen von A bis Z vor.
Der Versierte: Erklärt Regeln und gibt zu ihrer Anwendung bereits detaillierte taktische Hinweise.
Am Westpark ist das Regelerklären niemals eine Last sondern immer eine Lust. Dabei zeigen die Westparker folgende Gesichter:
Moritz zählt zu den Autoritären. Er mag keine Nachfragen und wir auch schon mal böse, wenn man etwas nicht verstanden hat, was er in mindestens einem Nebensatz erklärt hat. Opfer seines Unwillens ist oft genug seine Frau, in zweiter Linie der Gastgeber, der beim Getränke holen und Kartoffelchips- bzw. Gummibärchen-Auspacken schon leicht mal den Anschluß verlieren kann.
Aaron und Peter zählen zu den Didakten (ohne Auto, bitteschön!): Sie haben die Regeln gelesen und verstanden und bringen sie mit ihrem didaktischen Geschick gekonnt in solchen Portionen auf den Tisch, daß sich selbst die Schluckspechte nicht daran verschlucken. Aaron hält sich meist linear an das Regelheft, Peter bevorzugt einen eigenen roten Faden, und den kappt er auch noch, wenn er meint, daß die erste Spielphase eine angemessene und nützliche Verdauungspause darstellt. Digist by Doing.
Walter macht uns den Versierten: Während seiner unvermeidlichen taktischen Ausflüge streut er immer auch Hinweise über die Qualität des Spieles ein. Da er zugleich aber auch die Rolle des Oberflächlichen und Verwirrten zu spielen versucht, bekommt er kaum mehr eine Chance, sich zu produzieren. Seine heutigen Beiträge beschränken sich daher auf die eine Hälfte des Pärchens. Auf Dankbarkeit bei der anderer Hälfte wartet er immer noch vergebens.
Günther ist unser Vorleser: Er konzentriert sich zwar auf die Regeln, läßt hierbei aber läßt er keine einzige Zeile aus. Doch ärgerlich oder langweilig wirkt das nie. Ganz im Gegenteil: seine Erzählstimme ist so faszinierend, daß selbst die Tiere im Walde zusammenlaufen und ihm zuhören. Noch Monate später erzählen die Nachbarn von den paar wenigen Gelegenheiten, in denen sie von der Nachbarterrasse aus seinen Ausführungen lauschen durften. Und die Ehrfurcht in ihrer Stimme verrät deutlich, daß sie gerne mitgespielt hätten.
Andrea und Loredana, sowie ein paar weitere Mitspieler bilden unsere schweigende Mehrheit. Sie halten es mit Paulus der da sagt: “Die Frauen sollen schweigen in der Gemeinde der Heiligen, denn sie sollen sich unterordnen, wie es auch das Gesetz sagt.”
Kenner sind wir alle. “Das läuft wie bei EL GRANDE” und ähnliche Analogien werden ständig in die Regelerklärung eingeworfen. Zum Glück aber weniger um die jeweilige Weisheit loszuwerden, eher um diese Rolle bei uns auf die Schippe zu nehmen. Schon wenn ein Würfel in der Schachtel sichtbar wird, kann die Bemerkung fallen: “Genau wie bei BLUFF!”
1. “Zeitalter der Entdeckungen”
Eine Neuheut bei Phalanx von Alfred Viktor Schulz. Moritz durfte die Regeln erklären. Wie immer aus dem Stregreif. Aber mit einer unerreichten Begabung, die Spielregeln, das Spielmaterial und die websigen Mitspieler stets im Griff zu behalten.
Auf dem Tisch werden Karten für Handelsaufträge und Entdeckungsreisen ausgebreitet. Die Spieler müssen Schiffe kaufen, Handelsaufträge erfüllen, und damit Geld machen. Mit dem Geld muß man weitere Schiffe kaufen und sich gegen Ende auch noch auf Endeckungsreisen um Siegpunkt-Multiplikatoren kümmern. Es gibt eine Zwischen- und eine Endwertung wie bei EVO. Alle Züge kosten Geld, freiwilliges Aussetzen bringt Geld ein, ist aber garantiert nicht der winning Move. Das Geld ist knapp wie bei ZOOLORETTO. Es liegen jede Menge Karten auf dem Tisch, deren Bedeutung eine Menge Gedächtnisleistung erfordert. Ihre “Symbolik ist Scheiße”! Wie bei PHALANX.
Walter ging mit seinem potentesten Handelsschiff gleich auf Entdeckungsreise, doch das Opfer für die Wissenschaft zahlte sich nicht aus. Als er langsam eine Ahnung davon bekam, wohin der Hase läuft, war die Meute schon längst über alle Berge. Er konnte sich nur noch mit Aussetzern über die Runden schleppen.
Günther hatte ihn eindringlich vor diesem KO-Zug in der ersten Runde gewarnt. Aaron konnte ihm beim Nachtarocken nur noch Altersstarrsinn attestieren. Aber immerhin hatte er noch seinen Ehrgeiz, mit einer Gesamt-Denkzeit in der Größenordnung von Null auszukommen, weitgehend befriedigen können.
Moritz machte uns ausnahmsweise den Hans und den Walter zugleich. Er überlegte an seinen Zügen so lange wie Hans und nahm sie so oft zurück wie Walter (üblicherweise). Doch wir waren alle großzügig. Kein einziges Mal wurde der Arpad vom Fensterbrett geholt. Moritz’ Podcast über die “10 Gebote eines Spielers” machte sich positiv bemerkbar.
Etwas lauter wurden die Stimmen, als die Zwischenwertung nahte und Walter behauptete, der Startspieler habe bei den Wertungen einen Vorteil und er, als Letzter, einen Nachteil: Zu drei Vierteln hatte er einen Zug weniger gemacht als alle anderen und höchstensfalls zu einem Viertel gleichgezogen. Moritz verwies mit Vehemenz auf die Schlußwertung. Doch dort liegen die gleichen Verhältnisse vor. Wissen gegen Meinung? Günther gestand wenigstens einen Effekt von Prozent-Bruchteilen zu. Aaron warf lässig ein: “Dies ist genau das, was die Finnen den Deutschen vorwerfen: Sie wüßten alles besser!”
Im Grunde waren die ganzen zwei Stunden Spielzeit lediglich eine Demo-Runde zu den Spielregeln. Es gibt so viele Randbedingungen, gegen die ein jeder ankämpfen muß, so daß man erst nach einer vollständigen Abrechnung erkennen kann, welche Engpässen man unbedingt vermeiden muß, um nicht a priori alle Siegchancen zu verlieren:
– Geld
– Schiffe in den richtigen Farben
– Handelsaufträge mit den richtigen Farben
– Engagement bei den Enddeckungsreisen
– Anzahl erfüllter Handelsaufträge
– Sonderbedinung für die Majorität an den Entdeckungsreisen
In den ersten beiden Dritteln der Spielzeit sollte man mit der Spirale Schiffe-Handel-Geld-Schiff
soviel Substanz aufbauen wie möglich, im letzten Drittel muß man seine Besitztümer dann optimal auf die Siegpunkt-Quellen verteilen. Und dabei hoffentlich alle tödlichen Engpässe vermieden haben.
WPG-Wertung: Aaron: 7, Moritz: 7, Walter: 7, Günther: 7 (Solidarität)
Wir haben in den letzten Wochen unzählige Emails über Definition und Bestimmung des Glückfaktors von Spielen ausgetauscht. Noch ist unsere Meinungsbildung nicht abgeschlossen. Nur das eine ist anerkannt: Roulette hat einen Glücksfaktor von 1 und Schach einen von 0. Beim “Zeitalter der Entdeckungen” konnte Günther dazu eine neue Erkenntnis einbringen: “Wenn Walter gewonnen hätte, dann hätte das Spiel einen Glücksfaktor von 1”. Hat er aber nicht, ganz im Gegenteil.
2. “Anno 1503”
Mit seinen vier Lenzen schon etwas angejährt. Die Umsetzung eines Computer-Spieles in eine Brettspiel-Version. Aaron war grundsätzlich skeptisch gegenüber den dabei erzielbaren Ergebnissen, doch Günther konnte ihn beschwichtigen. Schließlich steht der Altmeister Klaus Teuber dahinter.
Gegen Rohstoffkarten tauschen die Spieler Schiffe und Pioniere ein. Die Schiffe fahren aufs Meer und bringen Handelskontore oder Rohstoffquellenveredelungskarten mit, die Pioniere muß man mittels Rohstoffkarten in Siedler, Bürger und Kaufleute und Gebäude verwandeln. Die Rohstoffkarten werden ausgewürfel wie bei SIEDLER VON CATAN. Wer als erster drei von fünf Siegbedingungen bezüglich Geld, Kontoren oder Häusern erfüllt, gewinnt das Spiel.
Jeder Spieler hat eine ganze Menge von Aktionsmöglichkeiten, doch Interaktion gibt es keine, es sei denn, man will die “Klaukarte” dazu rechnen, mit der man von einem Mitspieler eine Ware klauen kann.
Die Spieler können unbegrenzt Denkzeit investieren, um sich die leichtesten Siegpunktbedingungen herauszusuchen und die optimalsten Verwandlungstechniken anzuwenden. Doch im Grunde sind sind alle Effekte gleich. Unisono haben wir das zu dritt immer wieder behauptet, und immer wieder hat Günther heftig widersprochen.
Wie sprachen von keinen Entscheidungsmöglichkeiten und von minimalen Entscheidungsmöglichkeiten, Günther legte jedesmal sein Veto ein. Erst als wir das Wort “banal” in die Waagschale warfen, gab er sich geschlagen. Die letzte Runde gab den Ausschlag. Jeder hatte mit oder ohne Plan am Entwicklungs- und Verwandlungsprozeß teilgenommen, der Sieger war aber schlußendlich nur das Produkt von Zufall und Würfel: Jeder der viel Teilnehmer hätte bei anderen Würfelergebnissen oder anderer Zufallsverteilung der Meeresgaben noch gewinnen können.
Auf der Schachtel steht ein Glücksfaktor von 5. Soviel billigt ein Westparker nicht mal dem Roulette zu!
WPG-Wertung: Aaron: 4 (Sieger!), Günther 6 (Spielebesitzer), Moritz: 5, Walter: 5
3. “Bluff”
Im Endspiel stand zweimal ein einzelner David gegen eine Vielzahl von Goliaths. Beidesmal mußte er sich der mehrfachen Übermacht der Philister geschlagen geben.