Ginkgo Biloba
Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie’s den Wissenden erbaut.
Ist es ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt,
Sind es zwei, die sich erlesen,
Daß man sie als eines kennt.
Solche Frage zu erwidern
Fand ich wohl den rechten Sinn,
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Daß ich Eins und doppelt bin.
Dieses Gedichtchen schrieb der 66 Jahre alte Goethe in einem Anfall von Tändelei an eine junge Ehefrau, die 31-jährige Marianne von Willemer. Wer mehr über diese junge Suleika erfahren will, und wieweit sie der alte Hafis noch rumgekriegt hat, der lese die Anmerkungen zu seinem „West-östlicher Divan’’. Vor allem zwischen den Zeilen.
1. “Ginkgopolis”
Der Baum, dessen Blätter Goethe zu tändelnder Philosophie anregten, hat dem Spiel seinen Namen gegeben. Den Versuch des Autors, in das Spiel auch noch eine Gingko-Geschichte einzubauen, kann man vergessen.
Wir fügen quadratische Gebäudeplättchen zur einer gemeinsamen Landschaft in der Tischmitte. Dabei können wir erstens die Landschaft in die Breite erweitern und kassieren dafür – abhängig von der Umgebung, in die wir bauen, Gebäudeplättchen, Pöppel und/oder Siegpunkte (GPS). Wir können auch zweitens in die Höhe bauen, d.h. die Plättchen aufeinander legen; dafür kassieren wir dann GPS abhängig von dem Plättchentyp, das wir legen. Und drittens können wir auch nur „Planen“, d.h. eine „Urbansierungskarte“ ohne Plättchen legen, dann bekommen wir GPS abhängig von …
Ach, es ist schwer zu verstehen, welche Vorteile uns die verschiedenen Aktionen einbringen. Mal zählt die Auslage an „Urbanisierungskarten“ vor jedem Spieler, mal die gespielte Karte, mal die Umgebung, mal der Ort selber, auf den wir bauen. Zwei ganze Seite hat die Spielanleitung zu diesen drei simplen Legemöglichkeiten und dem daraus resultierenden Profit geopfert. Günther hat sie ziemlich radebrechend vorgetragen. Wenn ich mich jetzt in der After-Party-Time bemühe, Günthers Ausführungen und die Erklärungen in der Spielregel auf einen Nenner zu bringen, bin ich nicht sicher, ob ich richtig liege. High-sophisticated bzw. mühselig und beladen; selbst für Freaks eine Herausforderung.
Die zulässigen Aktionen werden durch vier „Urbanisierungskarten“ bestimmt, die jeder Spieler in der Hand hält. Wem seine aktuelle Auswahl nicht gefällt, darf seinen Kartenhand gegen Karten aus dem verdeckten Nachziehstapel austauschen. Gut oder schlecht? Diese Option verzögert den Spielablauf. Jeder Spieler muss zunächst seine Hand analysieren, ob ihm darin eine besonders gute Aktion geboten wird, und ob seine GPS-Mittel dazu ausreichen. Dann muss er abwägen, ob er beim Kartentausch vielleicht vom Regen in die Traufe kommen kann. Und tauscht er schließlich, so fängt die Analyse von vorne an. Nachdem hier grundsätzlich keine Superangebote zur Verfügung stehen, sondern alle Aktionen schlußendlich doch nur mit Wasser kochen, könnte ich sehr gut auf diesen Tausch verzichten.
Um etwas Gerechtigkeit in die Verteilung der „Urbanisierungskarten“ zu bringen, muss jeder Spieler – gemäß dem „7-Wonders“ Prinzip – nach seinem Zug seine restlichen Handkarten an den Nachbarn weiterreichen. Jeder Spieler darf sich dann im Glauben wähnen, er habe sein Schicksal (und das des Nachbarn) wenigstens zu einem gewissen Anteil in der Hand. Wie weit das stimmt, lasse ich mal offen. Zumindest sinkt die Vorausplanbarkeit von Zügen mehr oder weniger auf den Nullpunkt, weil neben der ohnehin nicht überschaubaren Landschaftsentwicklung in der Tischmitte nicht kalkulierbar ist, welche Karten man im nächsten Zug in der Hand hält. Aber vielleicht ist das spielerisch.
WPG-Wertung: Aaron: 6 (eigentlich ein 8-Punkte-Spiel, aber zu fehleranfällig und die Karten passen oft nicht (sic!) zu den Ambitionen, Günther: 6 (man ist ständig mit organisatorischem Klimbim belegt: ungültige Karten heraussuchen, nachmischen …), Horst: 7 (das Spiel-Korsett stimmt, die Mechanismen greifen gut ineinander), Moritz: 6 (man wird ein bißchen gespielt, die Aktionen sind in sich nicht stimmig), Walter: 6 (konstruktiv, aber solitär).
Aaron gibt einen Punkt weniger, weil der, der heute gewonnen hat, den weitaus meisten Alkohol getrunken hat.
2. “Hanabi”
Vor einem Monat in einer 3er Runde angetestet, sollte das Spiel heute seine Vorzüge in einer 5er Runde auf den Teststand bringen. Fünf bis sechs Kartensätze mit den Zahlen 1 bis 5 werden an die Spieler ausgeteilt und die Spieler müssen die Karten aus ihrer Kartenhand in einer solchen Reihenfolge auf gemeinsame Stapel in der Tischmitte ablegen, dass am Ende möglichst alle Kartensätze wohlgeordnet streng aufsteigend auf dem Tisch liegen.
Das Problem dabei ist, dass die Spieler ihre Kartenhand verkehrt herum halten müssen, sie sehen also nicht die eigenen Karten, sondern nur diejenigen der Mitspieler. Wenn ein Spieler einfach blindlings eine Karte aus seiner Hand zieht, um sie an einen Stapel anzulegen, dann paßt sie mit größter Wahrscheinlichkeit nicht dorthin und es gibt für alle empfindliche Minuspunkte.
Damit die Spieler überhaupt eine Chance haben, die gemeinsame Herausforderung zu bestehen, müssen (und dürfen) sie sich gegenseitig Tips über die Qualität (Farbe oder Zahl) von Karten in ihrer Hand geben. Die Anzahl der zulässigen Tips ist eng begrenzt, deshalb ist es notwendig, bei der Tip-Vergabe sehr gut zu haushalten. Und man muß ein intelligentes Urvertrauen in Logik und Gutmütigkeit der Mitspieler haben. Wenn z.B. der weiße Stapel auf dem Tisch aus den Karten 1 und 2 besteht, dann bedeutet der Tip „Dies ist eine weiße Karte“ implizit, dass es eine 3 ist, die zum Stapel paßt. Sind auf dem Tisch aber z.B. alle Farbstapel bis auf einen bereits angefangen und man bekommt den Tip „Dies sind zwei Einsen“, dann sind beide wohl obsolet und können abgeworfen werden. Kein Tip-Geber wird uns dem Risiko aussetzen, nur zu raten, welche Karten gut oder schlecht sind. Die Spannung, ob die klugen Mitspieler auch die nützlichsten Tips finden, und ob die klugen Tip-Empfänger daraus auch die richtigen Schlußfolgerungen ziehen, ist der Witz des Spiels.
Moritz: „Als kooperatives Spiel rette ich lieber eine Burg vor Orcs!“
WPG-Wertung: Die Neulinge Horst und Moritz teilten nicht die bisherigen positiven Eindrücke: Horst: 5 (eignet sich vielleicht als Turnierspiel), Moritz: 3 (kein Thema, reißt mich nicht vom Hocker).
Nachdem Horst und Moritz genug gestänkert hatten, ließ sich Aaron zu einem „fucking cooperative“ hinreißen.
3. “Tweeeet”
Moritz bemängelte, dass unsere Session Reports oft genug nicht jugendfrei sind. Doch schon beim Auslegen des Spielmaterials kommentierte er: „Wie Mississippi-Queen mit Vögeln“. Wie recht er hat.
Wir schlüpfen in die Seelen von Rot- und Blaukehlchen und fliegen von unseren Startplätzen über eine mittels Hexagonketten ständig erweiterte Fläche (analog „Mississippi-Queen) bis zum Paarungsgipfel am Ende der Strecke. Für die jeweils zurückgelegte Strecke verbrauchen wir Nahrung; die auf dem jeweiligen Landeplatz liegende Nahrung dürfen wir in unseren Kehlchenvorrat einsacken.
Unsere Inkarnation als Rotkehlchen und die Nahrungsteile (Nuss, Erdbeere, Traube, Made, Käfer) sind hübsch anzusehen, ihre unterschiedliche Wertigkeit (von 1 bis 5), ist ihnen aber nicht auf die Stirne geschrieben. Mit dem Bezahlen des Nahrungspreises ist jedesmal eine unhandliche mathematische Aufgabe verbunden: Wieviele Nüsse bekomme ich zurück, wenn ich eine zurückgelegte Strecke der Länge 4 mit einem Käfer bezahle und dort eine fade Made aufnehme?
Das Spiel geht von 7 bis 99 Jahre. Moritz hält es aber bereits für seinen 5 jährigen Milo als angemessen, und dann bis maximal 7 Jahre. Aaron ergänzte: Und dann wieder ab 80! Walter zog den Kopf ein. Horst resignierte: Er hätte das Spiel gerne für seine Frau als Weihnachtsgeschenk unter den Christbaum gelegt, aber „das Spiel spielt nicht einmal Brigit“.
WPG-Wertung: Unsere schwache Punktwertung will ich hier nicht wiedergeben. Es ist nicht Stil unseres Hauses, ein fälschlich in harte Männerfäuste geleitetes Kinderspiel hämisch zu zerpflücken. Aaron: a (einschließlich 1 Punkt für die Niedlichkeit des Spielmaterials), Günther: b (nur wegen des Materials), Horst: c (trotz des Materials), Moritz: d (würde sogar „1830“ noch lieber spielen – fast ein Kompliment), Walter: e (das Material ist wirklich hübsch).
Hübsche chinesische Plastikfiguren machen noch kein gutes Kinderspiel. Klare Abwertung für die unhandliche Käfer-Madenwährung und für die fremden Federn vom Mississippi. Sonst ist in Tweeed nichts drin.
4. “Bluff”
Nichts Neues im Westen. Ein Spieler mußte mal wieder in einer einzigen Runde alle 5 Würfel abgeben. Aber nicht weil er zu hoch gesetzt hatte, sondern schon viel zu früh zu zweifeln anfing.
Könnte man hier den Bluff-Tip Nummer 5321 formulieren: Wenn Du unsicher bist, ob die Würfelvorgabe noch stimmt, dann lieber erhöhen als anzweifeln?
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
Zu Ginkgopolis: Eigentlich treffen viele Eurer Kritikpunkte zu (die Karten passen oft nicht, man wird ein bißchen gespielt, etwas solitär), andererseits finde ich, dass andere überhaupt nicht zutreffen (man ist ständig mit organisatorischem Klimbim belegt, die Aktionen sind in sich nicht stimmig).
Auch “zu fehleranfällig” würde ich nicht unterschreiben – denn woher kommt das? Weil die Mechanismen (zumindest für mich) schon sehr neu und ungewöhnlich sind. Man muss sich einfach kurz (oder etwas länger) hinein finden. Eigentlich ist es doch genau das, was wir Spieler wollen: Nicht den siebenunddrölfzigsten Aufguss des “wir sind Händler oder Städtebauer im Mittelalter”, sondern neue, frische Mechanismen mit möglichst neuen Themen. OK, das Thema ist etwas – öhh – merkwürdig, aber die Mechanismen sind m.M.n. neuartig, elegant, funktionieren gut und sind tadellos ins Spiel eingebettet (vergleiche Eggerts “Monte Cristo” mit dem Action-Slide: Das Action-Slide ist genial, die Einbettung ist aber völlig Banane und das Spiel dadurch nicht mal Durchschnitt. Schade – toller Mechanismus absolut “verheizt”…).
Zu Tweet: Egal wie Ihr bewertet, ich gebe einen Punkt weniger ;-)
Das Spiel selbst ist ziemlicher Käse, aber ich finde auch das Material schrecklich: In meinen Augen sehen die “süßen” Figuren nach billigstem China-Flohmarktramsch aus. Brrrr – schauderhaft…