Um seiner dahinsiechenden Rubrik “Juwel des Monats” neue Impulse zu verleihen, hatte Moritz am Dienstag zu einem zusätzlichen Spielabend in den Herkulessaal der Maxvorstadt eingeladen. Ausnahmsweise gab es diesmal keinerlei Teilnahmebeschränkungen. Jeder durfte mitmachen und war zudem aufgefordert, “the one game”, sein Leib- und Magenspiel aus Kindheit und Jugend vorzustellen.
Moritz fing den Abend sogleich mit “Schwerter statt Pflugscharen” an, einem taktischen Hieb- und Stichspiel aus dem Bellum-Verlag, mit dem schon zu Sions Zeiten sich die Völker die Köpfe eingeschlagen haben. Aber Moritz wäre nicht Moritz, wenn er nicht noch einen zweiten Pfeil im Köcher gehabt hätte. Die “Venus von Milo” ist ein traditionelles Gesellschaftsspiel, dessen Hauptreiz darin besteht, durch eine gelungene Kombination von fest vorgegebenen Regeln mit frei erfundenem Beiwerk ein Maximum an Lustgewinn zu erzielen.
Andrea’s Augen glänzten, als sie ihren Favoriten “Before the Pampers” auf den Tisch legen durfte. In dem spannenden Zwei-Personenspiel muß einer die Gedanken des anderen erraten, um mit ihm im Endspiel das zu machen, was der andere ohnehin schon immer gewollt hatte.
Hans trat mit “Schlaraffenland” an, einem von McDonalds gesponsorten Partyspiel, bei dem es darum geht, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Chicken and Wings zu vernichten. Früher hatte er im Freundeskreis Tag und Nacht damit verbringen können. Heute sind seine Mitspieler meist schon nach der Haribo Vorspeise abgeschlafft.
Günther schwelgte in Erinnerungen an “Zeppelin“, einem Reisespiel aus dem Ravenshafener Aero Verlag. Was waren das doch für herrliche Zeiten – lange vor 1830 -, als man noch unabhängig von den engstirnigen schwarzen Linien auf gelben Hexagons, unbehindert von gegnerischen Tokens, quer durch den Äther seine Reise von Baltimore nach Ohio antreten durfte!
Loredana brachte eine alte Schuhschachtel mit, in der sie die Reste vom “Haus des Volkes” aufbewahrte, einem Wirtschafts- und Aufbauspiel aus dem längst vergessenen Conducator-Verlag. Dieses Spiel hatte einst in ihrer Heimat sogar zum Pflichtunterricht gehört; jeden Morgen wurde damit die euphorische Weichenstellung für eine unerreichbare Zukunft gelegt.
Peter träumt immer noch von “Weiß-blaue Bananenrepublik“, einer Realutopie des präpotenten Selbstverlages “Tiger-und-Trapez” aus Wildpark-Kreuz. Hier spielen die Ananaszüchter aus Alaska gegen die Globalplayer aus Wittelsbach um die Weltherrschaft in der Lazarettstraße. Schon früh hatte er sich hier regelmäßig die begehrte Rolle des Megaphonogogen unter den Nagel reißen können. Unerwarteterweise hat sich die Erde inzwischen schon so viele Male weitergedreht, daß schon allein mit der Lokaltopologie heute keiner mehr zurechtkommt.
Walter hatte in seiner Mördergrube noch ein gut erhaltenes “Mit Gift und Galle” entdecken können. In seiner Jungzellenzeit hatte er sich mit gleichgesinnten Freunden nächtelang daran aufgeilen können. Auch heute noch versucht er zuweilen, ein paar Prinzipien dieses Spiels in den Abenden am Westpark zur Geltung zu bringen, doch nimmt ihn damit keiner mehr ernst.
Aaron packte sein “Robin Hood und die 40 Räuber” aus. Mit diesem vorzüglichen Feld-Wald-und-Wiesen-Spiel hatte er vor ca. 50 Jahren die Westpark-Gamers begründet. Das Spiel enthält ungezählte individuell geformte Zinnfiguren, die in der Originalausstattung leider alle unbemalt sind. Schon vor Jahren hatte Aaron begonnen, die Hauptfiguren eigenhändig zu bemalen. Jetzt hoffte er, das Werk mit den vereinten Kräften der Teilnehmer aus dem Herkulessaal vollenden zu können.
Er hatte sich nicht getäuscht. Wir steckten mental alle noch ganz tief in unserer gerade erst bewunderten Ostereierkunst und vertauschten mit Feuereifer die Würfel gegen den Pinsel. In Fließbandtechnik machten wir uns über Sherwood-Ali, Maid Marian und Tricky-Morgane her, und als das kreisende Rad der Sonne den Rappen der Nacht mit goldenem Huf beschlagen hatte, waren wir alle genauso blau wie die englischen Araber von Nottingham.