Auf dem Fernseher im Erdgeschoß lief die Champignons Lieg. Im Dachgeschoß versammelte sich ein harter Kern der Westpark-Gamers und ignorierte die Meisterschaftsentscheidung in der höchsten Flußball-Klasse mit der gleichen Ignoranz wie der Präsident des FC Bayern die Meisterschaftsfeier auf dem Marienplatz. Vom Kaiser von China ganz zu schweigen. Wir nahmen uns statt dessen die Kaiser des alten Roms zur Brust.
1. “History of the Roman Empire”
Moritz versprach eine verkürzte Version von “History of the World”. Nur 7 Runden dauert das Spiel, falls Peters U-Bahn einen Strich durch die Rechnung machen sollte, könnten wir immer noch nach 6 Runden abbrechen. Es käme dann ohnehin nichts spektakulär Neues mehr ins Spiel.
Die Freude an der Art dieser Simulations-Würfel-Kampfspiele schwang bei jedem Satz mit, mit dem er die Regeln vortrug. Er konzentrierte sich dabei sogar auf die sachlichen Fakten und war in knapp 20 Minuten damit durch. So im Groben und Ganzen. Dann übernahm Peter das Regelheft und das Korrekturlesen, sowie das begleitende Nachschauen. Jeder tat halt das, was er kann, jeder im Sinne des Spiels und des Spielens; der eine ein Quentchen mehr für den eigenen Vorteil, der andere ein Quentchen mehr für die juristische Unanfechtbarkeit.
Die Spieler führen je einen Barbarenhaufen und einen römischen Legionsverband. Jeder darf gegen jeden kämpfen, die Barbaren natürlich vorwiegend gegen die Römer und ungekehrt, aber auch Römer gegen Römer ist an der Tagesordnung. Wie im richtigen Leben.
Die Bodenkämpfe werden mit Würfeln ausgetragen, je nach Geländemerkmal oder nach ausgespielter Zusatzkarte mit 1, 2 oder 3 Würfeln gegen 1, 2 oder 3 Würfel des Gegners, wobei für jeden Kampf noch Würfelbonus und Tiebreaker-Vorteil in Ansatz gebracht werden können. (Eine neue leichte Übung für unseren Günther, die Gewinnchancen bei jeder Würfel-Konstellation zu berechnen. Beispielsweise gewinnt man gegen den Tie-Breaker mit 1:1 Würfeln in ca. 42% aller Fälle, mit 2:1 Würfeln in ca. 58 % aller Fälle und mit 3:1 Würfeln in ca. 66% aller Fälle.)
Nach seinem Zug zählt jeder Spieler seine Siegpunkte zusammen. Einfache Präsenz, relative Mehrheit und absolute Kontrolle in Provinzen und Dekanaten ergeben Multiplikationsfaktoren zum Besitzstand auf dem Spielbrett. Dazu kommen Bonusse für wohlbehaltene und zerstörte Städte, wobei Barbaren und Römer sowie Rom und der Rest der Welt jeweils nach eigenen Schemata vergütet werden.
Ein jeder Spielzug kann ganz schön lange dauern, bis man seine 6 bis 12 Legionen und seine abzählbar vielen Barbarenhorden auf die Schlachtfelder geführt und die jeweiligen Kämpfe ausgewürfelt hat. Selbst Moritz, der in dieser Spielkategorie der unbestrittene Meister ist, konstatierte eine gewisse “unnötige Kompliziertheit”. Als Loredana zum ersten Mal dran war, hatte sie bereits zum zweiten Male herzhaft gegähnt. Dabei war Walter noch überhaupt nicht zum Zug gekommen. Der ist mit solchen Spielen ohnehin rettungslos überfordert und war froh, die anderen beim lustigen Eroberungswürfeln beobachten zu können, bevor er sich selber in das Schlachten stürzen mußte. Anschließend würfelte er wie ein Quadrat-Aaron und nur die Pietät gegenüber dem heiligen Moritz hielt ihn davon ab, nach jedem Wurf in das defätistische Westpark-Gamers-Stöhnen “I like it” auszubrechen.
Peter strahlte wie ein Honigkuchen-Titus, als er den Tempel in Jerusalem zerstören konnte. Gleich darauf, nicht ganz in historischer Chronologie, ließ er als Jubel-Nero auch noch Rom in Flammen aufgehen. Dabei ging es ihm nicht mal um die besten Bauplätze, sondern nur um schnöde Augenblickspunkte, denn als Moritz ihn kurz darauf wieder aus Rom verdrängte, bekannte er in der ihm eigenen Lustmolch-Pyromanie. “Ich wollte ja nur Rom anzünden”.
Moritz beschloß ganz kaltblütig, als Römer sogar seine eigene Stadt zu plündern, doch Peter konnte mit dem Regelheft in der Hand noch rechtzeitig darauf hinweisen, daß dies in der “History”, ganz im Gegensatz zu den üblichen Verfahren der damaligen römischen Halbstarken, nicht honoriert wird. Hier ist es eine Null-Summen-Elimination, es sei denn, man kann sich dabei en-passant noch zum Alleinherrscher in einer Provinz aufschwingen.
Das Spiel bietet ausreichend Gelegenheiten zur Kingmakerei, denn mit seinen Zusatzkarten kann man willkürlich irgendwelche Mitspieler schädigen. Daß dies meistens zu Lasten des Führenden eingesetzt wird, dürfte man jedoch wohlwollend als gelungenes Spielprinzip anerkennen. Es mag aber auch Zufall sein.
Überhaupt gibt es eine Menge Zufall: nicht nur beim Kampfwürfeln, beim Zerstören von Städten, bei Rebellionen, beim Zuteilen der mächtigsten Anführer, beim Auftreten neuer Barbarenhorden, sogar beim Auswürfeln von Siegpunkten. Wenn allein die Kampfentscheidungen etwas rationaler durchgeführt würden, hätte das durchaus substanzträchtige Spiel von uns sicherlich höhere Noten bekommen. Es hat selbstverständlich einige handwerkliche Regelprinzipien für spannende Endspiele eingebaut:
– Von Runde zu Runde steigendes Kampfpotential mit steigenden Siegpunkt-Quoten
– Ausgleich von zugeteilten Potenzschwächen durch Vorteile in der Zugreihenfolge. Der schwächste darf immer zuerst ran.
– Limitierungen des Handlungsspielraums der Führenden
In unterhaltsamem Kampfwürfeln spielten wir drei Stunden lang drei Runden lang und beschlossen dann einstimmig aufzuhören. Wir hätte es problem- und frustlos, plan- und hoffnungsvoll auch noch länger ausgehalten. Doch dann stand das Elfmeterschießen an, und das bekam sogar noch eine höhere Priorität eingeräumt als Peters Wunsch nach einem verlängerten Ausklang mit Bluff.
WPG-Wertung: Loredana: 6 (zu lange für den irgendwann monoton werdenden Splelablauf), Moritz: 6 (die originellen Ideen waren in “History of the World” alle schon mal vorhanden), Peter: 7 (funktioniert, aber es fehlt ein Pfiff), Walter: 6 (gigantischer Zeitvertreib).
Sicherlich wird Moritz die “History” irgendwann in irgendeinem Podcast nochmals erwähnen.
2. “Bluff”
Rinaldo verschoß seinen Elfmeter, trotzdem haben die Blauen nicht gewonnen und Ballack hat seinen Traum vom Sieg in der Königsklasse immer noch nicht Wirklichkeit werden lassen können. Bei uns reichte es reichte noch zu einem Bluff.
Moritz begann, seine Erstansagen auszuwürfeln. Er hatte – a priori vermutbar, a posteriori erwiesen – immer genügend Sterne unter dem Becher. Im Endspiel mit 4:2 gegen Peter zog er plötzlich seine Vorgabe von 2 mal Stern auf 1 mal Stern zurück. Was kann man daraus schließen? Peter zweifelte an, doch Moritz hatte nur eine durchschnittliche Sternzahl auf eine sichere Sternzahl reduziert.
Bei Stand von 2:1 hatte Peter mit seinem einen Würfel selber einen Stern gewürfelt und fing mit 2 mal die Fünf an. Das war eine Siegwahrscheinlichkeit von zwei Dritteln minus die Hälfte von einem Sechstel (ungefähr). Moritz mit einer Zwei und einer Vier unter dem Becher hatte keine Probleme, das Spiel für sich zu entscheiden.
Wie wäre es gekommen, wenn Peter mit 1 mal die Eins begonnen hätte? Hätte dann die Siegwahrscheinlichkeit für ihn auch nur bei ca. 58 % gelegen?
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.