Ist Brettspielen eine männliche Domäne? Man sollte es nicht vermuten. Traditionsgemäß sind es in Deutschland doch die Mütter, die ihren Sprößlingen die ersten Würfelspiele beibringen und vor dem zu-Bett-Bringen noch schnell ein Gänsespiel einlegen.
Bei uns am Westpark stehen aber zweifellos die Männer im Vordergrund. Wochenlang reine Männerrunden. Bei dreien von uns bleiben die einstens mitspielenden Ehefrauen heute meistens bis immer zuhause. Der Nachwuchs ist dran schuld. Oder vielleicht auch das rauhe Klima am Westpark?
Immerhin haben wir manchmal doch noch ein Exemplar des schönen Geschlechts am Tisch. Und das sind dann auf einen Schlag gleich 20 bis 25 Prozent. Auf dem diesjährigen Autoren-Treff waren unter 45 Teilnehmern gerade mal zwei Damen dabei. Auf Aarons Spiele- Test-Seminaren waren es drei von 22. Und bei den Münchener Spuiratzn, einem lockeren Kreis von Spielern lockererer Brettspiele, sind es auch nur im zwei bis drei von 30. Ist das symptomatisch? Für was?
Es ist ein Klischee und es trifft auch die Realität, dass in Bridgeclubs 70-80% der Kartenspieler weiblichen Geschlechts sind. Da sieht man mal wieder den Unterschied.
1. “Brügge”
Aaron apostrophierte das jüngste Kind von HiG als „Kartenspiel“, obwohl es ein richtiges Spielbrett, jede Menge Holz- und Pappteile und sogar fünf reguläre farbige Würfel besitzt.
Bemerkenswerterweise hat man in der Spielregel keinen einzigen der lumpigen Themen-Sätze a la „Wir sind Kaufleute in Brügge“ verschwendet. Was wir sind und was wir in dem abstrakten Brett- bzw. konkreten Kartenspiel tun, das darf sich jeder selber ausdenken.
Im Wesentlichen geht es darum, von zwei offenen Kartenstapeln die richtigen Karten zu ziehen und sie in der richtigen Reihenfolge auf den angebotenen Ablagemöglichkeiten so abzulegen, dass sie optimal eingesetzt sind.
Pro Runde stehen einem Spieler fünf Karten zur Verfügung. Damit bestreitet er die vier Aktionen, die aus dem Ausspielen jeweils einer Karte bestehen. Die letzte Karte bleibt übrig und kann / muss in die nächste Runde übernommen werden.
Die Vorderseite einer Karte zeigt ein Haus in fünf verschiedenen Farben. Wenn wir die Karte mit dieser Seite vor uns auslegen, haben wir ein Haus gebaut. Als Baupreis müssen wir einen Handwerker von der gleichen Farbe wie das Haus abgeben.
Auf den Rückseiten der Karten sind lauter verschiedene Personen abgebildet, mit lauter verschiedenen Eigenschaften, die im weiteren Spielverlauf unsere Züge effizienter machen und mehr Geld und Siegpunkte einbringen. Die Personenseite darf nur auf ein bereits ausliegendes Haus gelegt werden. Zudem kostet das Geld, unterschiedliche Summen, abhängig von der Mächtigkeit der Person. Ein fester Anteil diese Summe wird am Ende allerdings auch in Siegpunkte umgewandelt.
Anstatt ein Haus zu bauen oder es mit einer Person zu besetzten, können wir eine Karte auch einfach auf den Abwurfstapel legen und erhalten damit Handwerker oder Geld, mit denen wir unsere weiteren Züge finanzieren können.
Ein spielerischer Modifier des ganzen Spielverlaufs sind die farbigen Würfel, die pro Runde einmal für alle Spieler geworfen werden. Die Summe der Augenzahlen von Einsern und Zweiern bestimmt den Preis, für den wir im Rathaus um eine Stufe vorwärtskommen. Damit ist während des Spiel kein besonderer Vorteil verbunden; bei Spielende bekommen wir dafür ein paar Siegpunkte.
Alle Würfel mit Fünfern und Sechsern erzeugen bei allen Spielern „Plagendrohungen“. Eine Plage tritt endgültig ein, wenn ein Spieler drei gleichfarbige Plagendrohungen auf seine Seite gebracht hat. Als Plagen sind der Verlust einer Personen, eines Hauses, des gesamten Geldes, aller Handwerker oder von ein paar Siegpunkten vorgesehen. Ärgerlich.
Dass die „richtigen“ Karten angeboten werden, dazu gehört eine Portion Glück. Dass die Würfel auch die richtigen Faktoren liefern, dazu gehört auch Glück. Der Rest ist dann das geschickte Schicksal beim Zopfe fassen.
Interaktion wird klein geschrieben. Lediglich mit ein paar der ausgelegten Personen bzw. derer Karteneigenschaften können wir unsere Mitspieler ärgern: Sie müssen eine Karte ablegen, ein Haus einreißen, eine Person entlassen oder bekommen eine Plagendrohung zugesteckt. Manche mögen’s fies. Es gibt nicht viele dieser Ärgerkarten, doch da sie das einzige Interaktionselement darstellen, kommentiert unser guter Bernd Eisenstein bei BGG wohl mit einer gewissen Berechtigung: „Only for people who have fun destroying other players turns. Some nice elements, but in general this is not a good Feld’ [Autor des Spieles]”.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (angenehme Spiellänge), Günther: 7 (die Interaktion könnte besser sein), Horst: 8 (locker, überschaubar, ausgereiftes Kartenspiel), Walter: 7 (gelungene Mischung aus Glück und Können).
2. “Snowdonia”
Horst hatte seinen Archipelago-Frust von letzte Woche aufgearbeitet und legte unverdrossen ein neues Spiel auf den Tisch. Der „Snowdon“ ist der höchste Berg in Wales und in „Snowdonia“ spielen wir den Bau der Eisenbahnlinie auf seinen Gipfel nach.
Wir
- räumen das Geröll von der Strecke
- beschaffen Rohmaterial (Kohle, Sand und Eisen)
- schmieden Gleisteile und pressen Steine
- legen Gleise
- bauen die Stationen aus
- verschaffen den Säufern im Pub einen geregelten Arbeitsplatz
- legen uns Bonuskarten zu, mit denen wir während des Spiels eine (für die Mitspieler chaotische) Sonderaktion durchführen dürfen und nach denen die Gesamtleistung unsere Bautätigkeit bei Spielende besonders honoriert wird
Um eine Aktion auszuführen setzen wir einen unsere Pöppel auf ein entsprechendes Aktionsfeld. Die Aktionsfelder können von verschiedenen Spielern, oder auch vom gleichen Spieler mehrfach besetzt werden. Dabei kann jeder Spieler wählen, ob er als Erster, Zweiter oder Dritter die entsprechende Aktion ausführt.
Ein erfolgreiches Vorgehen in „Snowdonia“ erfordert in eine exakte Abstimmung in der Zugreihenfolge. Gleise kann man z.B. nur bauen, wenn auf dem entsprechenden Abschnitt das Geröll vollständig abgeräumt ist. Ist aber das Geröll aber gerade abgeräumt und ein andere Spieler ist am Zug, so kann der den Gleisbau übernehmen (falls er beim benötigten Baumaterial vorgesorgt hat), und man selber schaut in die Röhre.
Ja, neben der eigenen optimalen Reihenfolge-Planung muss es geradezu ein wesentliches Ziel des Spieles (und des Spiel-Spaßes) sein, die Reihenfolge-Planung seiner Mitspieler durcheinander zu bringen. Dadurch wird der Spielablauf, insbesondere nach einer gewissen friedlichen Einschwungphase ziemlich undurchsichtig, eine sichere Spielplanung schwierig bis unmöglich. Fehler verzeiht „Snowdonia“ nicht. Aber vielleicht ist das – in einer gewissen Zocker-Stimmung – auch gut so.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (die planerischen Elemente sind durch zuviel Mitspielerchaos getrübt), Günther: 6 (fast 7, extreme Karten-Effekte; nicht fehlertolerant), Horst: 7 (solide), Walter: 7 (erhebliche aggressive Spieler-Interation – kann man auch mögen).
Nanana, lieber Walter, es ist genauso richtig, dass der Anteil männlicher Bridgespieler mit der Klasse steigt, in der man spielt. In Clubturnieren ja, da sind wir Mädels in der Überzahl. Das ist auch eher das Wahrnehmen eines gesellschaftlichen Events. Viele spielen dort eher der sozialen Kontakte wegen. In den höheren Ligen jedoch, bei größeren Turnieren, wo die Ambitionen steigen, da ist der überwiegende Teil männlich – so mein Eindruck.
Dass Ihr am Westpark meistens unter Euch Männern seid, liegt meines Erachtens daran, dass Ihr Jungs dort spielt, um Euren Intellekt zu fördern und zu fordern. Ich wage jetzt mal die Behauptung, dass wir Mädels meist aus anderen Gründen spielen. Wir kommunizieren lieber zweckungebunden und nehmen das Spiel lediglich als “Vorwand” zusammen zu kommen. Ihr kommuniziert dagegen lieber zweckgebunden und stellt das Regelwerk des Spiels, seine Logik und seine Spielbarkeit in den Vordergrund. Im Grund genommen analysiert Ihr eher, als dass Ihr spielt.
Wie dem auch sei. Es war beide Male sehr nett bei Euch. Ab und zu meinen Denkapparat gefordert zu sehen und keinen Small talk pflegen zu müssen – das hat schon was.
Übrigens: Wer behauptet, der Aggregatszustand eines Lustobjekts bestimme den Grad der möglichen Befriedigung, oder dass jedes Beißen zum Schreien führen muss, dem fehlt es entweder an Phantasie oder an Erfahrung.
Brügge:
Für mich ist es tatsächlich ein sehr gutes “Feld”.
Kein in der letzten Zeit so übliches Strategiemonster, sondern Familien tauglich… Man muss nicht beliebig weit vorplanen, sondern kann tatsächlich einfach los spielen, ohne am Ende völlig abgeschlagen zu sein. Es lädt zu Wiederspielen ein!
Hallo!
Wenn ich schon zitiert werde, dann muss ich mich ja dazu auch melden.
Meine Meinung zeugt von nur einer Partie. Möglicherweise bestätigen oder ändern weitere Partien diese Meinung.
Hätte besser schreiben sollen “nicht der beste Feld” statt “kein guter Feld”.
Grüße
Bernd
Melanie: Vielleicht kann man Ada Blitzkrieg mit ihren 27 Jahren mangelnde Erfahrung unterstellen aber sicherlich nicht ein Mangel an Phantasie. Das Schokoladenzitat stammt aus ihrem Buch “Dackelkrieg”.
Hallo Bernd,
wenn Du nach einer einzigen Partie schon fundierte Kritiken abgibst, dann ist das sehr tröstlich: Wir machen das nämlich überwiegend auch so. Einem Alles-Gespielt-Haben-Wollenden bleibt ja wohl nichts anderes übrig.
Grüße Walter