Vor dreißig Jahren haben sich Wilhelm und Günther als Komilitonen in Bielefeld kennengelernt. Neben der Mathematik war damals Doppelkopf das verbindende Element. Die Verbindung ist nie auseinandergerissen. Seit zwanzig Jahren treffen sie sich jährlich mindestens einmal auf Spielermesse in Essen. Bei uns am Westpark war Wilhelm heuer zum dritten und vierten Mal dabei. Immer ein gern gesehener Gast. Mit Esprit, Lust und Leidenschaft.
1. “Olympus”
Das klassische Worker-Placement-Spiel wurde schon letzte Woche in einem leicht veränderten Kreis erstmals auf den Tisch gebracht. In drei Humankategorien (Wissen, Population und Kampfesstärke) und drei Produktionskategegorien (Getreide, Fleisch und Fisch) dürfen wir uns recht frei und unabhängig entwickeln. Lediglich die Population muß ausreichend vorhanden sein.
Gut konstruiert ist das Setz-Tableau. Wer ein Entwicklungs- oder Erntefeld als Erster besetzt hat, kann den doppelten Effekt nutzen. Falls die Mitspieler das gleiche Feld nutzen wollen, müssen sie umgehend mitziehen, bekommen dafür aber nur den einfachen Effekt. Es gibt also keinen totalen Engpass, und in einer Vierrunde bekommt jeder auch genügend Gelegenheit für einen sinnvollen eigenen Doppler-Effekt.
Gegen mögliche Entwicklungsengpässe gibt es auch noch die zusätzlichen Setzfelder „Zeus“ und „Hera“, mit denen man sich beliebige andere der gebotenen Entwicklungsoptionen zu eigen machen kann. Neben der – beschränkten – Konkurrenz um die besten Alpha-Plätze gibt es noch zwei weitere Setzfelder, die zur Steigerung der Interaktion dienen: Mittels „Ares“ kann man ein bis zwei Mitspielern den Krieg erklären und ihnen Produkte rauben. Mittels „Apollon“ bekommt man unmittelbar Siegpunkte und/oder man kann seinen Mitspielern die Pest auf den Hals hetzen und ihre Bevölkerung dezimieren. Das hat dann als Nebeneffekt auch Auswirkungen auf ihre Limits in den anderen Entwicklungskategorien.
Günther fand das Apollon-Konstrukt überhaupt nicht gut. Jeder Spieler kann sich nämlich durch das Beta-Feld des Apollon gegen die Pest schützen. Dann läuft das ganze nur auf eine Verlangsamung des Spiels hinaus: Ein Spieler investiert seine Zugpriorität, um dafür einen Siegpunkt zu bekommen und bei seinen Mitspielern die Pest auszulösen. Die Mitspieler opfern einen Spielstein (ohne Zugverlust), um den Schaden von sich abzuwenden. Endergebnis: Die Zugpriorität hat dem Spieler in summa summarum einen einzigen (!) Siegpunkt eingebracht.
Ist man weniger pestig aufgelegt, kann man auf dem Apollon-Feld auch gleich zwei Siegpunkte einstreichen und die Pest bleibt unter Verschluss. Dies ist die sogenannte „Affenstrategie“: So oft als möglich zu Apollon gehen und ausschließlich Siegpunkte bei ihm abholen. Falls kein Mitspieler diese Strategie fährt, bekommt man einmal pro Runde zwei sichere Siegpunkte, mit seinen anderen Pöppeln wird man problemlos auch noch je einen Siegpunkt an Land ziehen, im Durchschnitt also vier Siegpunkte pro Runde. Das ist in Olympus schon eine ganze erkleckliche Menge.
Zu ergänzen ist, dass man aus geernteten Produkten „Gebäude“ bauen kann, die ihrerseits Siegpunkte und Entwicklungsvorteile einbringen, und ggf. auch noch die Mitspieler schädigen. Z.B. bewirkt der Besitz vom „Tempel der Athene“, das bei jedem Setzen auf das Athenefeld alle Mitspieler in einer ihrer Entwicklungskategorien um einen Schritt zurück fallen. Ein ganz schön mächtiges Gebäude; in jedem Fall eine Empfehlung wert.
Günther als erfahrener Harung hatte sich den Athene-Tempel unverzüglich unter den Nagel gerissen, anschließend innerhalb seiner Entwicklungskategorien aber zu sehr diversifiziert. Er endete weit abgeschlagen als Letzter. (Solche Jahrhundertereignisse dürfen am Westpark nicht unerwähnt bleiben.) Walter versuchte sich in der Militär-Strategie. Weil die Mitspieler ihre Rohstoffe aber jeweils umgehend investierten, konnte er damit vordergründig aber keine erfolgreichen Beutezüge starten. Immerhin setzte er damit seine Mitspieler in ihrer Rohstofflogistik unter Druck. Zudem diente ihm seine üppige Militär-Ausstattung ab dem Mittelspiel auch noch als ein willkommener Plünderungsfundus bei Zwangsopferungen für die Zivilisation. (Wäre dieses ökonomische Prinzip nicht auch einer Überlegung im realen politischen Leben wert? Wobei man die Ausstattung der Nachrichtendienste gleich mitabwracken könnte.) Es reichte mit 27 Punkten zum Sieg.
Wäre hier die „Affenstrategie“ erfolgreicher gewesen? Jawohl! Sieben Runden a vier Punkte hätten in Summe 28 Siegpunkte ergeben. Hallo Ralf (ravn): Kannst Du uns verraten, wieviel Punkte Deine Spielrunde pro Spielrunde durchschnittlich macht? Die zwei Apollon-Punkte pro Pöppel kommen mir hier im Vergleich zu anderen Strategien keineswegs „kümmerlich“ vor.
WPG-Wertung: Günther: 6 (Pest und Kampf hätten besser gelöst werden müssen; die Stärke der Affenstrategie macht bedenklich), Moritz: 7 (ein italienisches Spiel mit „deutschen“ Design-Qualitäten), Walter: 8 (das Spiel ist rund, konstruktiv und vielseitig), Wilhelm: 7.
2. “Yunnan”
Zwischen Urlaubskofferpacken und Abendgebet brachte Aaron noch schnell sein „Yunnan“ vorbei, um Frischling Wilhelm eine Kostprobe davon zu ermöglichen. Gegen drei Experten. Doch der Experten waren zuviele. Vor allem, weil sie nur Halbwissende waren. Die professionellen Designer vom Argentum Verlag, der das Spiel in zwei Monaten in Essen herausbringt, haben den Spielplan optimiert, viele gewohnte Formalien geändert und an vielen kleinen Balance-Rädchen gedreht. Statt konsequent die fertige Spielregel durchzuarbeiten, gab jeder sein – nicht immer sattelfestes – Wissen zum Besten, so dass Wilhelm einen guten Eindruck davon bekam, wie schnell sich rein sachliche Erinnerungen in Mathematiker- und Künstlerköpfen verflüchtigen. Statt fünf Minuten dauerte es eine gute halbe Stunde, bis das Spiel in geordneten Bahnen verlief und die Mechanismen von Zugeihenfolge und Verdrängungs-Prioritäten der Händler und Kommissare auf der Tee- und Pferderoute wieder rund liefen.
Dann gewann Wilhelm mit einem klaren Vorsprung vor den Experten. Was kann man daraus schließen? Yunnan wird nicht unbedingt von Experten gewonnen, sondern von dem, der im Händlerkampf sein Pulver trocken hält und zum richtigen Zeitpunkt das Schicksal beim Schopf faßt und den Siegpunkt-Endspurt einläutet. Jede Partie verläuft anders. Obwohl das Spiel keine Glückselemente enthält, ist man selbst beim Argentum-Verlag auch nach vielen hundert Testspielen noch nicht hinter das Geheimnis gekommen, wie man „Yunnan“ gewinnt. Eine lang-andauernde Herausforderung.
Noch keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entstehungsphase
3. “Potato Man”
Ein hübsches kleines Stichkartenspiel mit ein paar neuen pfiffigen Ideen. Die Karten sind Zahlen von 1 bis 18 in unterschiedlichen Farben. Wieviele Spieler, soviele Farben. Zu einem Stich muss man nicht bedienen, ganz im Gegenteil, man darf keine Karte einer Farbe zugeben, die schon daliegt.
Die höchste Zahl gewinnt und erhält eine Prämienkarte in der Farbe, die den Stich gemacht hat. Fast wie bei “Diggers” in der Experten-Version! Ein listiges Spekulieren auf die richtige Farbe zum richtigen Zeitpunkt. Damit das Ganze noch etwas choatischer wird, sind die schwächsten gelben Karten auch noch stärker als die stärksten roten Karten, d.h. die gelben 1, 2 und 3 stechen die rote 16, 17 oder 18. Naturlich nur dann, wenn eine dieser roten Karten im Stich liegt. Und damit auch diese Konstellationen nicht allzu einfach durchgerechnet und abgepaßt werden können, werden nur etwa drei Viertel aller Karten ausgeteilt, so daß niemand weiß, welche Karten überhaupt im Spiel sind.
Taktik? Strategie? Kartenpflege? Die Mitspieler zwingen, ihre besten Karten zuzugeben, ohne dafür dicke Prämien einzustreichen? Eine Menge Wissen und Erfahrung ist notwendig, um das Spiel zu gewinnen. Systematisch zu gewinnen! In Worte fassen kann ich das noch nicht. Auch der in hunderten von Kartoffel-Partien erfahrene Wilhelm konnte das noch nicht. Oder liegt Sieg und Niederlage doch nur an der ausgeteilten Kartenhand? Ausschließlich?
Zumindest kann man bei jedem Spiel etwas über gutes und besseres Spiel dazulernen. Das ist doch schon etwas. Schnell geht es auch. Unter Umständen ist eine Runde schon beendet, bevor sie überhaupt begonnen hat, nämlich dann, wenn ein Spieler nur (noch) Karten in der Hand hat, die im aktuellen Stich bereits vorhanden sind. Das kann u.U. sogar gleich im ersten Stich passieren. Überraschend aber durchaus stimmig.
WPG-Wertung: Günther: 6 (große Kartenabhängigkeit, fühlt sich zu oft gespielt), Walter: 7 (schnell, unbeschwert, neuartig und stimmig), Wilhelm: 7 (unterhaltsam).
“Es reichte mit 27 Punkten zum Sieg.” => Ich kann zwar nicht genau sagen, wie viele Punkte der jeweilige Sieger in meinen bisherigen Partien mit 3, 4 oder auch 5 Spieler hatte, da ich da keine Statistik führe, aber ich bin mir recht sicher, dass es weitaus mehr als nur 27 Punkte waren. Die müssten eher im Bereich von 40 bis 50 Punkten gelegen haben – mindestens.
Habt Ihr beachtet, dass es bei Spielende je 1 Punkt für zwei Fortschritts-Schritte auf den persönlichen Spielplänen gibt? Wer eine seiner Aktionen für Apollon einsetzt und nur 2 Punkte damit bekommt, könnte stattdessen auf den Rohstoff-Leisten zwei Schritte nach vorne gehen und damit die Grundlage für bessere Ernte-Erträge schaffen, die dann auch bessere Bauwerke ermöglichen.
“Günther fand das Apollon-Konstrukt überhaupt nicht gut. Jeder Spieler kann sich nämlich durch das Beta-Feld des Apollon gegen die Pest schützen. Dann läuft das ganze nur auf eine Verlangsamung des Spiels hinaus: Ein Spieler investiert seine Zugpriorität, um dafür einen Siegpunkt zu bekommen und bei seinen Mitspielern die Pest auszulösen. Die Mitspieler opfern einen Spielstein (ohne Zugverlust), um den Schaden von sich abzuwenden. Endergebnis: Die Zugpriorität hat dem Spieler in summa summarum einen einzigen (!) Siegpunkt eingebracht.”
=> Meiner Meinung seht Ihr das zu eindimensional. Nicht jeder Spieler kann sich vor der Seuche schützen, sondern nur die Spieler, die zu dem Zeitpunkt auch noch einen Priester-Spielstein übrig haben. Das hat aber nicht jeder, sofern man zu oft anderen Priestern gefolgt ist und deshalb seinen letzten Priester setzen muss, wenn andere Mitspieler noch Priester übrig haben. Jetzt könnte man kontern, dass man eben immer einen Priester zurückhalten sollte zur Seuchen-Abwehr oder um selbst zwei Apollon-Siegpunkte abzugreifen, um zu verhindern, dass später ein Mitspieler selbst die Seuche auslöst. Aber laut meiner Spielerfahrung kann man sich diese zögerliche Spielweise nicht erlauben, weil man anders eben weitaus mehr Siegpunkte machen kann. Teilweise habe ich auch schon erlebt, dass man bewusst die Seuche nicht abgewehrt hat, weil die negativen Auswirkungen geringer waren, als man an anderer Stelle mit seinem Priester erreichen konnte.
So oder so bleibt aber Olympus ein – je nach Spielrunde – äusserst konfrontativ-interaktives Spielerlebnis. Das muss man mögen und das bedingt auch, dass man nicht einfach seinen Plan von A bis Z durchziehen kann, sondern immer auf die Aktionen der Mitspieler achten sollte, um mögliche Fallstricke im voraus erkennen zu können. Im Idealfall zieht man sogar noch einen Vorteil daraus, weil man im Gegenzug den Mitspielern voraus kommen kann und selbst Fallen stellt. Alles eine Frage des Timings der Priester-Aktionen. Zum Beispiel ganz bewusst gebaut, wenn man als Einziger ausreichend Rohstoffe besitzt. Einen Krieg vom Zaun gebrochen, wenn die Mitspieler eigentlich ihre Rohstoffe verbauen wollen. Vieles ist möglich und deshalb gefällt mir persönlich Olympus von Partie zu Partie immer besser.
Hallo ravn, danke für Deine Meldung.
1) Den einen Punkt für je zwei Fortschritts-Schritte haben wir uns wohl vergeben.
2) Die Anzahl der Siegpunkte am Ende ist natürlich abhängig von der Länge des Spiels. Wenn mehrere Spieler auf das Spielende hin arbeiten und je eine Kategorie bis zum Maximum entwickeln (was bei uns diesmal der Fall war), dann kann ein Spiel sehr schnell zu Ende gehen. (Ich sehe in diesem variablen Ende einen Vorteil des Spiels.)
3) 1 mal Apollon für 2 Siegpunkte ist – auf den ersten Blick – ganz eindeutig besser als ein doppelter Entwicklungsschritt, für den es dann am Ende doch nur halbe, also insgesamt einen Siegpunkt gibt.
4) Schutz vor Pest: Wer viel zu schützen hat, d.h. wer eine hohe Population hat und auch noch andere gleichhoch entwickelte Kategorien, darf nicht den letzten Spielstein ausgeben, solange das Apollon-Feld noch frei ist. Notfalls muss er dieses Feld mit seinem letzten Spielstein selber besetzen.
OK, das gibt dem Spiel etwas Spannung bzw. es ist ein – weiterer – Punkt, auf den mal als Olmypier aufpassen muss (Pluspunkt). Aber weil das Beta-Feld hier den Schaden so total neutralisieren kann, ist die Gesamtkonstruktion nur halb gelungen. Günther hat das zum Ausdruck gebracht, ich stehe dahinter.
Eines gebe ich noch zu bedenken: Das Spiel gibt es seit 2010 in der internationalen/englischen Version, die ansonsten inhaltsgleich ist. Wenn die von Euch angesprochene Apollon-Siegpunkte-Strategie so erfolgreich wäre, dass man damit überdurchschnittlich gewinnen könnte, dann wäre das sicher schon längst aufgefallen. Auch weil es einige Strategie-Diskussionen (in Einbeziehung der Autoren) gibt, die den Wert von Apollon im Gesamtzusammenhang bewerten.
Ich meine, dass gute Gebäude-Kombinationen viel mehr Siegpunkte in der Summe ergeben. Zumal man sich es eigentlich nicht wirklich leisten kann, besonders zu Beginn des Spiels, eine seiner drei Aktionen darauf zu verwenden, nur 2 Siegpunkte zu bekommen. Weil damit wird man zwar erstmal auf der Siegpunktleiste davonziehen, aber baut im Gegenzug zu langsam seine Infrastruktur aus, die dann im Mittelspiel den 2 Siegpunkten überlegen sein kann – wenn man effektiv seine Fortschrittsleisten ausbaut und Gebäude baut. Dazu muss man aber das Kartendeck ausreichend gut kennen (oder anfangs eine gute Intiution beim Bauen haben), was mit jeder Spielpartie besser gelingt. Zumindest nach meiner Spielerfahrung. Deshalb kann in Erstspielerrunden eventuell die Apollon-Strategie übermächtig wirken. Aber gegen erfahrene Spieler hat man meiner Meinung nach damit keine Chance auf den Spielsieg, auch weil man damit zu ausrechenbar wird.
Noch ein Tipp für Drei-Spieler-Runden: Lasst die Anbetungsfelder des Zeus weg. Damit wird das Spielgeschehen wesentlich konfrontativer und interaktiver, weil man sich mehr in die Quere kommt und nicht zu viele Anbetungs-Aktionen immer frei zur Verfügung stehen. Damit wird das Timing der Aktionen noch wichtiger. Zu viert oder fünft geht es automatisch enger auf dem Spielplan zu, so dass es diese Verknappung der Aktionsmöglichkeiten nicht braucht.
Euch – so oder so gespielt – aber weiterhin viel Spass mit Olympus.