In seinem zweiten Hobby ist Horst ein DJ. Er besitzt eine riesige Plattensammlung und legt auch gerne auf. Dabei weiß er genau, wie man das Publikum zum Tanzen bringt: ABBA und Bee Gees. Ach, was waren die 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts doch für goldene Zeiten! In der musikalischen Entwicklung ab es förmlich eine Explosion! Viele der damals geschaffenen Produkte sind echte Klassiker geworden. Und wie sieht es heute aus, mit House und Mouse und Rapp und Bumm-bumm? …
Genauso wie auf dem Spielesektor gibt es auch in der Unterhaltungsmusik ein Lamento über das Ausbleiben neuer Impulse. Oder klagen hier wie dort nur die gleichen älteren Semester? Also die über 30-Jährigen?
Viele Grüße an den ABBA-Fan Birgit! Wachsen und Gedeihen für Maximilian als Vertreter der allerjüngsten Generation.
1. “San Juan”
Ein echter Klassiker! Schon im März 2004 wurde es zu unserem dritten Titelträger von „Spiel des Monats“ gekürt. Ein paar (keineswegs unübersichtlich viele) verschiedene „Schienen“ gibt es, auf denen man sein Glück versuchen kann: Produzieren und Handeln, Privilegien an Land ziehen oder zielstrebig auf die siegpunktträchtigen Gebäude losgehen. Alles ist in jeder Richtung ausblanciert: die Effekte der wählbaren Aktionen, ihre unterschiedlichen Auswirkungen innerhalb der Mitspieler und die Progressionen im Zuge der allgemeinen Weiterentwicklung.
In zehn Minuten ist alles erklärt, in weiteren fünf Minuten auch verinnerlicht, und schon kann man auf vertrauten Pfaden seine Spiellust ausleben. Ein echtes KartenSPIEL! Und während man sich noch über die hübsche Konstruktion freut (und ggf. räsoniert, warum heute alles um so viel komplexer und freudloser geworden ist, ist ein Spiel auch schon wieder vorbei. Die Kinder können ins Bett gehen und die Erwachsenen zur vorletzten U-Bahn.
WPG-Wertung: Horst hatte das Spiel heute zum ersten Mal gespiel; er vergab 9 Punkte, einen Punkt mehr als unser ohnehin guter Median (schnelle Erklärung, stimmig, locker, konstruktiv, akzeptabler Glücksanteil.
2. “Craftsmen”
Günther kündigte beim Auspacken des Spieles schon prophylaktisch an: „Jetzt müssen wir wieder eine Stunde lang erklären“. Und so war es denn auch. Mindestens! Eine Menge Material, Szenerie, Effekte und Randbedinungen gilt es zu erläutern.
Lassen wir das Königreich, in dem wir agieren, mal beiseite, ebenso das versprochende Denkmal und den ewigen Ruhm, die dem Sieger winken, all das trägt zum Verständnis das Spielablaufs nichts bei. In einem „Gehilfenplacementspiel“ dürfen wir in zwölf Runden je fünf Aktionen ausführen, in denen wir
- Geld abholen – es liegt kostenlos in der Bank herum
- ein bis zwei Werkstätten bauen, in denen wir später Rohstoffe, Halbfertiges oder Ganzfertiges produzieren können
- uns eine neue Werkstatt aussuchen – die wir leider aber frühestens erst in der nächsten Runde bauen können
- in unseren Werkstätten produzieren, die Produkte veredeln, auf den Markt bringen und vielleicht sogar auch noch verschiffen
- handeln, um Zubehörteile für unsere Fertigprodukte zu erwerben, die wir selber nicht herstellen
Acht verschiedene Produktionsketten gibt es, die früher, aber eher später von Holz, Erz, Vieh und Ähnlichem über Papier, Eisen, Leder und Ähnlichem zu Bier, Waffen, Kleidung und Ähnlichem führen. Zuerst tröpfeln unsere einsamen Trauben nur spärlich in die Tröge, und wir sind froh, wenn wir auf dem Markt noch genügend Platz zum Unterbringen finden. Später können wir ihre Öchslegrade mit Bienenhonig anreichern, und sie nach ihrem Reifeprozess in selbstgemachten Bierfässern zum Export rollen.
Bau- und Produktionsengpässe gibt es eigentlich nicht. Wir sind von Haus aus mit genügend Geld ausgestattet, um uns die nächstbesten Produktionsstätten leisten zu können. Falls im späteren Spielaufbau mal ein Glied zu einer vollständigen Produktionskette fehlt, können wir es durch Nachkäufe aus Markt oder Speicher problemlos, d.h. mit geringem zusätzlichem Gehilfenaufwand zukaufen.
Eigentlich läuft alles ziemlich solitär ab. Beim Placieren der Gehilfen auf den – für mehrfach Belegung zugelassenen – Aktionsplätzen genießt der Erstplacierte zwar bestimmte Privilegien, doch die Unterprivilegierten können sich diesen Vorteil durch verbriefte Urkunden, die an mehreren Stellen des Spielbretts recht wohlfeil angeboten werden, babyleicht in gleichem Maße zunutze machen. Entsprechend kann jeder unabhängig vom anderen planen und agieren.
Die Konkurrenz beim Verschiffen ist marginal. Da Fertigprodukte sowieso nur sporadisch erzeugt werden, und es weder freudvoll noch angemessen ist, auch noch bei allen Mitspielern nachzurechnen, wann ihr Brot und Wein zur Verschiffung anstehen wird, darf man es mehr oder weniger dem Zufall überlassen, wann welcher Spieler hier die Prämien für Präsenz und Dominanz bekommt.
Eine absolut neue Erfindung ist die Mehrfachwertung des Geldes. Die Geldkarten kommen in Stückelungen zu einer, zwei oder drei Einheiten vor, jede Einheit dann auch noch in vier verschiedenen Farben. Zwei Geldkarten der gleichen Farbe, unabhängig von der Stückelung, sind 5 Einheiten wert, drei gleichfarbige Geldkarten 10 Einheiten, usw. in einer arithmetischen Reihe. Das Geld kann man außerdem, wenn man Geldkarten von allen vier Farben besitzt, in einer bestimmten Phase des Spiels direkt in Siegpunkte umwandeln.
Soweit so gut. Das Spiel ist rund und schön, das Spielmaterial von erlesener Qualität, die Regeln klar, die möglichen Spielzüge durch Bilder und Symbole auf Karten und Spielbrett mnemotechnisch verständlich dargestellt. Die verschiedenen Effekte in sich sind gut ausbalanciert, es gibt keine Mangelerscheinungen und keine Sackgassen. Nur: die Spieldauer ist viel zu lang! In drei Stunden Spieldauer – ohne Erklärung – haben wir nur knapp zwei von drei Runden zu Ende gebracht. Dann musste Horst glücklicherweise zur U-Bahn und wir konnten ohne Affront abbrechen.
Eine ganze Latte von Regelchen bringen Umständlichkeit ins Spiel, ohne dass damit ein spielerischer Mehrwert gewonnen wird. Die Behandlung der Geldkarten ist an sich schon kompliziert. Dazu muss man für bestimmte Kaufgeschäfte auch noch Geldscheine einer bestimmten Farbe hinblättern. Zu diesen unnötigen „Regelchen“ gehört auch, dass man darf nur farbgleiche Gebäude nebeneinander bauen darf, eine Erschwernis, die man mit trival zu bekommenden Privilegien auch schon wieder unterlaufen kann.
Mehrere Karten ziehen (Geldkarten von der Bank, Werkstattkarten von drei verschiedenen Stapeln), sich davon die besten heraussuchen und den Rest wieder abzugeben, erfordert Auswahlzeit, die eigentlich nur Tempo kostet. Wir waren glücklicherweise nur zu dritt. Wie wäre die Wartezeit für die Mitspieler erst geworden, wenn wir das Spiel zu fünft gespielt hätten?! Länger als zwei ausgewachsene „1830“-Sessions hätte ein Spiel gedauert!
Trotz Aufbau und verkürzten Wegen bei der Produktion besitzt das Spiel keine wirkliche Dynamik. Alles geht gemächlich seinen Weg. Wir warten auch nicht in Spannung, ob uns gleich ein besonders geiler Zug gelingen wird. Es gelingt immer alles. Dazu sind viel zu viele Sicherungen eingebaut, die ein Mißlingen verhindern. Außerdem gibt es ohnehin keine „besonders geilen“ Züge: niemand kann einem Mitspieler etwas wegnehmen oder verbauen, und umgekehrt können wir das auch nicht. Jederzeit wird jedermann eine erschöpfende Palette ähnlichwertiger Züge angeboten. Früher oder später muss das doch recht einförmig wirken.
Mehr Kritik möchte ich zum Erstlingswerk (?) von Krzysztof Matusik nicht äußern. Wenn eine Gruppe von Freak-Spielern gerne zusammenkommt, um sich fünf bis sechs Stunden lang beim konstruktiv Aufbau einer blühender Craftsmen-Gemeinschaft miteinander zu messen, dann können sie sich mit „Craftsmen“ ausgiebig verlustifizieren. Uns dreien war das heute etwas zu lang und zu langatmig.
WPG-Wertung: Günther: 6 (das Spiel funktioniert, ist übersichtlicher als ein „Rosenberg“, enthält aber trotzdem noch viele unnötige Verkomplizierungen), Horst: 5 (eigentlich ganz sympathisch, aber zu lange Spieldauer und zu langes Warten), Walter: 5 (langer Aufbau ohne wirkliche Dynamik, kein Spannungsbogen).