Walter hat im Freundeskreis an einem Tipp-Wettbewerb zur Fußballweltmeisterschaft teilgenommen. Jedes Spiel aus Qualifikation und KO-Runden musste getippt werden. Für ein richtiges Ergebnis gab es drei Siegpunkte, für die richtige Tendenz (Sieg oder Niederlage) einen Siegpunkt.
Geld gab es auch zu gewinnen. Für jedes Spiel musste ein Beitrag zwischen 50 Cent und 1.50 Euro eingesetzt werden. Die gesetzten Summen wurden jeweils nach einem wohldefinierten Schlüssel aus Siegpunkten und Geldeinsatz wieder unter die Teilnehmer verteilt.
In einer Mischung aus Mutwillen, Faulheit und Spielwitz tippte Walter für alle Spiele einen Spielausgang von 0:1! Auch bei den deutschen Spielen, also ein 0:1 gegen Portugal, Ghana und die USA. Gegen die USA war dieser Tipp ausnahmsweise mal für Deutschland. Das 0.1 gegen Algerien, Brasilien und sogar im Endspiel gegen Argentinien stempelte ihn dann schon fast zum Vaterlandsverräter!
Was kam dabei heraus? Nach den ersten beiden Verlustspielen brachte ihn die 1:5 Niederlage Spaniens gegen Holland mit einem Gewinn von 9.28 Euro schon weit in die Gewinnzone. Die 0.1 Siege Costa Ricas gegen Uruguay und Italien hoben ihn dann auf den ersten (Geldgewinn-)Platz, den er bis zum Endspiel verteidigen konnte. Und das mit seinen stumpfsinnig-sturen 0:1-Tipps! Fazit:
- Fußball ist doch nur ein Glücksspiel. (Aarons Predigt)
- Mit ein bißchen vager Spieltheorie kann man gegen solide Spielpraktiker immer noch jede Menge Boden gutmachen. (Günthers Predigt)
Happy End? Leider nein! Im Endspiel wurde Walter von zwei Tipp-Konkurrenten noch überholt, die den 0:0-Stand nach 90 Minuten richtig getippt hatten, und sich mit den jeweils dafür verbuchten 15,52 Euro an die Spitze aller 165 Teilnehmer setzen konnten.
1. “Istanbul”
Horst kannte das gerade frisch gekürte „Kennerspiel des Jahres 2014“ noch nicht und hatte es schon im Vorfeld auf seine Wunschliste für den heutigen Abend gesetzt. Günthers Exemplar lag noch am Westpark herum und Aaron nahm die Einführung vor.
Horst war begeistert: „Das Spiel macht schon beim Erklären Spaß. Locker flocker. Von einer erfrischenden Leichtigkeit.“ Walter: „Es ist vielleicht nicht ganz so leicht, aber die Züge sind vom Spielmaterial her alle sehr leicht gemacht.“ Aaron: „Vor allem ist es schnell.“
WPG-Wertung: Den bisherigen Schnitt von 8-WPG-Punkten toppte Horst mit 9 Punkten (Endlich mal wieder ein Spiele-Highlight!)
Herzlichen Glückwunsch, lieber Rüdiger Dorn, zu Deinem Meisterwerk!
2. “Blöder Sack”
Ein Würfelplatzierungsspiel. Jeder Spieler hat insgesamt 10 Würfel, würfelt jeweils zwei davon und legt die Ergebnisse einzeln oder gemeinsam auf fünf „Sackkarten“ in der Mitte des Tisches. Zu jeder Sackkarte gibt es eine Qualifikation darüber, wer diese Karte in den unregelmäßig auftretenden Wertungen erhält, z.B.
- Diese Sackkarte erhält der Spieler, der zuletzt eine 4, 5 oder 6 hingelegt hat
- Diese Sackkarte erhält der Spieler, der hier die meisten Würfel platziert hat
- Diese Sackkarte erhält der Spieler, dessen Würfel die höchste Summe kleiner als 10 bilden
- Und was dergleichen Kombinationsmöglichkeiten mehr sind, insgesamt 27 Stück.
Eine Wertung erfolgt, wenn
- auf einer Sackkarte 9 Würfel liegen
- ein Spieler alle seine Würfel auf den Sackkarten verteilt hat und nicht nachwürfeln kann
- ein Spieler einen Pasch wirft. Jedem Pasch ist genau eine Sackkarte zugeordnet, die dann gewertet wird.
Schnell, rund und … fragwürdig! Aaron beklagte den Mangel an Wahlfreiheit beim Platzieren seiner Würfel. Eigentlich sei es ganz eindeutig, wohin jeder seine Würfel legen muss. Unausgesprochen: Damit läßt das Spiel keinerlei Raum für jegliches Versprühen von Geist.
Aarons Auffassung blieb nicht unwidersprochen. Wir führten unseren zweiten Durchgang daher ausschließlich unter dem Aspekt, die jeweilige Entscheidungsfreiheit zu verifizieren. Jeden Wurf begleitete eine sachliche Diskussion darüber, wohin die Würfel jetzt am sinnvollsten platziert werden müssten. Doch selbst die sachlichstes Sachlichkeit führte nicht zu grundsätzlichem Einverständnis. Der Blöde Sack hat auch ein erhebliches, unwägbares Potential für Platzierungen, die sich nicht unmittelbar auszahlen, sondern in der Hoffnung auf nachgewürfelte Paschs oder als Basis für zukünftige Mehrfronten-Angriffe angesehen werden können.
Die Regeln zur Schlußwertung brachten Aaron aber vollends auf die Palme. Sobald ein Spieler die vierte Sackkarte eingeheimst hat, läutet er das Spielende ein. Die Runde wird zu Ende gespielt, d.h. die Spieler bis rechts vom Startspieler dürfen je noch einmal würfeln und ihre Ergebnisse platzieren. Natürlich hat der letzte Würfler hier nochmals unverhältnismäßig höhere Chancen, noch schnell z.B. „die letzte 4, 5, oder 6“ an eine Sackkarte zu legen und diese dann einzustreichen. Wer das Spielende eingeläutet hat, ist naturgemäß von diesem möglichen Schlußsegen ausgenommen. „Die Schlußwertung ist broken.“
Fast unkommentiert hier noch ein biografischer Auszug aus dem Regelbeiblatt zum Blöder-Sack-Autor Ralf zur Linde: Er studierte Mathematik und Theologie und lebt heute die meiste Zeit auf Mallorca, mitunter aber auch sehr zurückgezogen auf einer kleinen Insel auf den Seychellen. Wenn das kein blöder Sack ist … (Entschuldigung!)
WPG-Wertung: Aaron: 3 (habe keine Wahl), Horst: 6 (Klassischer Absacker), Walter: 5 (lockeres Würfelspiel).
3. “Caylus – Magna Carta”
2006 bekam „Caylus“ den ersten, neugeschaffenen „Sonderpreis Komplexes Spiel“ der Jury von SdJ. Ein Jahr später wurde unter dem Namen „Caylus – Magna Carta“ eine leichtere Kartenspiel-Variante herausgebracht, die ebenfalls sehr gut punkten konnte und mit einem Durchschnitt von 8 Punkte im Juni 2007 auch unser „Spiel des Monats“ wurde.
Zweifellos eine gute Kartenumsetzung eines sehr guten Brettspiels. Alles funktioniert, alles ist gut ausbalanciert, es gibt viel Interaktion und Konkurrenz, und jeder hat eine reichliche Auswahl von strategischen Plänen für seinen Sieg.
Heute ging es allerdings ziemlich zäh über die Bühne. Die Frondienste für den Schlossbau wurden nur widerwillig abgeleistet, und das Schloss wurde und wurde nicht fertig. Das lag aber zum Großteil daran, dass wir hier eine wichtige Regel falsch gelesen und falsch gehandhabt haben. Wer in einer Runde die meisten Rohstoffpakete für das Schloss abgeliefert hat, bekommt nicht einen läppischen Gulden dafür, sondern ein ganzes batziges Goldstück, das unsere Spielerseelen viel heller zum Erstrahlen gebracht hätte. Als wir den Irrtum bemerkten, war es leider schon viel zu spät für eine Korrektur.
Trotzdem bleibt die Frage, ob unsere heutige lediglich Zufriedenheit mit dem Spiel und unsere Begeisterung von vor sieben Jahren richtig miteinander korrelieren. Zumindest Aaron reduzierte seine Wertungsnote von 8 auf 7 Punkte.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (füher 8, eine Note, die ihm heute „komisch“ vorkommt), Horst: 6 (kein Spiel zum Lachen [, eher zum sich ab und zu mal Ärgern]), Walter: 8 (bleibt, auch innerhalb der heutigen, Überdruß erzeugenden Flut von Workerplacmentspielen noch klares Leuchtfeuer brillanter Konstruktion).
4. “Nobiles”
Aaron wickelt weiter an seiner Neuentwicklung über den ostfriesichen Kampf gegen Hunger, Sturmflut und für Amt und Würden. Die Verlagerung der Aktivitäten gegen Spielmitte von der Naturfront an die Sozialfront klappt schon ganz gut. Vielleicht zu gut. Opportunisten können selbst im letzten Augenblick noch umschwenken und die Macht im Rathaus an sich reißen. Hier wird weiter an den Rädchen gedreht. Aaron hat schon eine Menge passender Ideen dazu.
In der jetzigen Fassung muss der Häuptling oft genug seine Kastanien selber aus dem Feuer holen, wenn die für seine Kampfgenossen in Aussicht gestellten Erfolgsprämien zu mickrig ausfallen. Vielleicht ist das gewollt und gut so. Vielleicht wird auch daran noch gedreht. Gut Ding will Weile haben.
Keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entstehungsphase.
Hallo, liebe Westparkler,
schon viele Jahre lese ich Eure Berichte mit großem Interesse und häufigem Einverständnis. Nur bei ISTANBUL haben wir in mehreren 4er- und 5er- Runden immer wieder erleben müssen, dass der Startspieler bei schneller Entnahme des Plättchens zum Würfelzinken letztlich auch der Sieger war. Weder konnte jemand schneller an dieses Plättchen gelangen noch hat sich irgendeine andere Startegie je als effizienter erwiesen. Um es etwas abzuschwächen: Die Spieler, die von den Plätzen 3-5 starteten, hatten immer das Nachsehen. Wir waren enttäuscht, halten das Spiel für “broken” und haben es schon wieder verkauft. Die Wahl zum SdJ hat bei uns nur Kopfschütteln ausgelöst und ich bin gespannt, ob Eure Begeisterung länger anhält… Herzlicher Gruß aus Peißenberg! Andreas
Hallo Andrea, Eure Beobachtung ist in der Tendenz durchaus richtig. Der Startspieler hat den großen Vorteil, sich zu Beginn des Spiel einen unverbaubaren Weg über eines der Lager zur Moschee auszuwählen, wo er dann als Erster in den Genuss des besten Moschee-Plättchens kommt. Wahrscheinlich wird dieser Vorteil durch das geringere Startgeld nicht vollständig ausgeglichen.
Glück auf dem Markt und Glück beim Gouverneur oder Schmuggler kann hier allerdings noch etwas korrigierend einwirken.
Auf jeden Fall hat uns das Wandern durch die Straßen von Istanbul immer Spaß gemacht, egal, wer warum gewonnen hat.
Jetzt haben wir es bereits dreimal am Westpark gespielt, öfters als 90% aller unserer Spiele. Da kann die Begeisterung zwangsläufig nicht mehr lange anhalten, neue Erfahrungen winken …
Viele Grüße Walter
Sorry, “Andrea” ist natürlich ein Schreibfehler. “Andreas” sollte das heißen …
Hallo Walter, Deine letzten Sätze verdienen eine tiefere Betrachtung: Natürlich spielen wir, spiele ich auch immer aus Freude am Spielen, aber als dritter bis fünfter Startspieler in ein Spiel zu gehen, dass ich wegen dieser Position von vorneherein nicht gewinnen kann, dazu hat glaube ich niemand Lust. Insofern nein: Es ist nicht “egal, wer warum gewonnen hat.”! Die Freude am Spielen ist genommen, wenn ich potentiell nicht gewinnen kann. Das heißt ja nicht, dass ich gewinnen muss – dazu spiele ich wiederum zu gerne…
Herzliche Grüße, Andreas
Hallo Andreas,
Ich habe noch keine 5er Partie gespielt, daher hier nur Aussagen zum 4er Spiel:
1) Wenn du unbedingt das Wuerfelzinken brauchst, hol dir über die Handkarrenerweiterung als zweiter diese Eigenschaft.
2) Aus meiner Sicht entscheidet sich das Spiel aber über geschickte Ausnutzung der Begegnungen und optimaler Wege- und Reihenfolgeplanung.
3) Am Spielende liegen zwischen erstem und letztem Platz meistens nur 2 Spielrunden. Jeder ueberfluessige Zug wäre daher spielentscheidend und ist daher zu vermeiden…
4) Wenn der Startspieler immer gewinnen würde, fände ich das Spiel auch broken und würde ihm weniger als 5 Punkte geben … Ich glaube, dass gilt auch fuer Walter. Aber meiner Meinung nach stimmt diese Aussage nicht.
Nebenbei: Ich nehme an, ihr habt auch mit variabler Startaufstellung gespielt?
Hallo Andreas, Günther hat Deiner Startspieler-Sieg-Behauptung heftig widersprochen. Ich stehe da eher in der Mitte. Was ich aber vermute, dass der 5-te Spieler einer Runde erheblich eingeschränkte Siegchancen hat. Dazu haben wir allerdings keine eigene Erfahrung.
Klar ist natürlich: Wenn der Startspieler blöd spielt, gewinnt er nicht. Da Du aber so sicher Deine (Hypo-)These über eine sichere Gewinnstrategie vertrittst, bitte ich Dich, in wenigen (oder auch vielen) Zügen mitzuteilen, wie der Startspieler vorgehen muss, damit er ohne eine Einwirkungsmöglichkeit seiner Mitspieler unbedingt gewinnt.
Gruß Walter
Hallo Andreas, wir haben den Autor Rüdiger Dorn um eine Stellungnahme zu Deiner Grundsatzkritik gebeten. Dankenswerterweise hat er bzw. der verantwortliche Redakteur Ralph Bruhn uns – trotz aktueller Arbeitsüberlastung – kurzfristig folgenden Kommentar zukommen lassen:
„Aus unserer Sicht gibt es hier keinen allgemeinen signifikanten Vorteil für das rote Moscheeplättchen. Natürlich kann es vorkommen, dass der, der sich dieses Plättchen als Erster sichert, am Ende auch das Spiel gewinnt – aber genauso gut kann immer noch einer der anderen Spieler gewinnen.
Ich persönlich bin da deswegen sehr sicher, weil ich mich ungerne dem Würfelglück aussetze und daher sowohl dieses Plättchen als auch die Würfelfelder gerne ignoriere. Trotzdem gewinne ich eine überdurchschnittliche Menge meiner Partien, und zwar unabhängig von meiner Sitzposition. Ehrlich gesagt sitze ich sogar lieber auf einer der hinteren Positionen, weil ich das zusätzliche Startkapital gut einsetzen kann, um flexibel auf die vielleicht nicht mehr ganz so tolle Auswahl des ersten Zuges zu reagieren.
Weiterhin hängt es sehr von der Startauslage ab, ob eine bestimmte Spielweise zum Erfolg führen kann. Selbst bei der Standardaufstellung “Kurze Wege” ist das nicht der einzige Weg zum Erfolg – der wird auch dadurch beeinflusst, welche Bonuskarte ich zusätzlich auf der Hand habe. Habe ich z.B. die “+5 Lira”-Karte auf der Hand, erweitere ich früh meinen Handkarren und bin viel effizienter bei den ersten Besuchen der Lager. Oder ich habe die Verdoppler-Karte für das Postamt, was ebenfalls einen sehr schnellen Start erlaubt. Also da gibt es so viele Möglichkeiten, dass es fast schon wieder keinen Sinn macht, einzelne hervorzuheben.
Noch anders sieht es aus, wenn man zufällige Aufstellungen wählt. Wenn das rote Moscheeplättchen und das passende Lager in entgegengesetzten Ecken liegen, kann das so viel Zeit kosten, dass es nicht lohnt, als Erstes darauf zu spielen …”
Soweit die Istanbul-Experten. Auch Aaron hat bei seinem “Yunnan” erlebt, dass blitzschnell – unberechtigte – Kritik über alleinseligmachende Gewinnstrategien kam. Ich glaube, auch wir Westparker haben hin und wieder ähnlich reagiert. Es liegt wohl in der Natur von analytischen Spielern, im Eifer (Frust) des (Miss-)Erfolges ihre Spielerfahrungen etwas zu ungeprüft zu verallgemeinern.
Allen Spielern weiterhin viel Spaß beim Spielen mit herausfordernden Spielen, sei es nun “Istanbul” oder ein anderes Meisterwerk.
Gruß Walter
Lieber Walter,
1. Zunächst zur Frage von Günther: Wir haben erst mit der festen, dann aber bereits beim 2. Test (zu viert) jedesmal die variable Aufstellung gespielt.
2. Ralph Brun irrt, wenn er bei zufälliger Aufstellung meint, der Weg vom Startfeld zur Moschee sei dann zu lang, denn auch wenn er länger ist, bleibt es dabei, dass der Startspieler normalerweise eben doch das Feld als Erster erreicht.
3. Die weitere Erfahrung wird ja zeigen, ob wirklich jeder Spieler dieselbe Gewinnchance hat, Fakt ist jedenfalls, dass
a) der Vorteil des Startspielers durch das geringere Startkapital nicht ausgeglichen wird (völlig richtig, Walter), und
b) dass bei unseren ca. zehn Tests niemals einer der weiter hinten platzierten Spieler gewann, was nach 30 Jahren Spielen defintiv nicht an mangelnder Erfahrung liegt. Trotz fortgeschrittenen Alters ist auch noch niemand dement.
4. Ich kann keinen genauen Nachweis aller Züge wie beim Schach mehr erbringen (also doch schon ein bisschen dement), da ich das Spiel schon vor Wochen wieder verkauft habe. Ich teile nur unsere Erfahrungen mit.
Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass dieses schöne Spiel durch Erweiterungen oder auch eine bessere Ausbalancierung des Startspielervorteils einfach noch reizvoller wäre und werden wird…
Herzlicher Gruß, Andreas