„Zwei Wochen vor der US-Präsidentschaftswahl liegt Hillary Clinton in den Umfragen klar voran. Während sie im Popular Vote an einem zweistelligen Vorsprung kratzt, hat sie auch im Electoral College eine relativ sichere Staatenkombination auf ihrer Seite. Donald Trump punktet derzeit in Ohio und Iowa, steckt aber in vielen republikanischen Staaten im Umfragetief, wodurch auch ein Erdrutschsieg Clintons plötzlich möglich ist.
Laut derzeitiger Prognose hätte Hillary Clinton 333 Wahlmänner hinter sich. Wenn man ihre sicheren und relativ sicheren Staaten zusammenzählt, liegt sie auch bereits bei 272 Stimmen und somit der Präsidentschaft. Das heißt im Klartext: Clintons Führung ist derzeit einzementiert. Nach drei desaströsen TV-Debatten und Sexskandalen am laufenden Band, ist es für Donald Trump zwei Wochen vor der Entscheidung aus eigener Kraft wohl kaum noch möglich, die Wahl zu gewinnen.
Wie schon erwähnt, bräuchte Trump wohl einen großen Skandal Clintons und fehlerhafte Umfragen, um noch Chancen auf den Wahlsieg zu haben. Derzeit hat er nämlich keine. Selbst, wenn alle (relativ) engen Staaten am Ende ihn wählen, gewinnt Clinton die Präsidentschaft.“
Warum müssen wir solchen und ähnlichen Schwachsinn monatelang über uns ergehen lassen? Hallo Fernseh-, Rundfunk- und Zeitungs-Journalisten, schreibt uns doch lieber jeden Tag ein Kapitel aus Grimms “Haus- und Kindermärchen”. Da wissen wir wenigstens, dass es am Ende immer ein Happy-End gibt!
1. “First Class”
Helmut Ohley kommt vom Erfinden von Brettspielen zum Thema Eisenbahnen einfach nicht los. Bei Luding sind schon 16 solcher Spiele von ihm aufgeführt. Er ist immer noch auf dem Höhepunkt seiner Zeugungsskraft und bringt jedes Jahr ein neues Kind in diese unsere Spielewelt. Vor zwei Jahren waren es die „Russian Railroads“ und letztes Jahr eine deutsche Variante davon „Russian Railroads: German Railroads“. Dieses Jahr erhielt das Kind mal wieder einen neuen Namen: „First Class“. Gemäß Spielanleitung sind wir mit dem Orient-Express unterwegs.
„Brettspielpoesie“ schrieb über „Russian Railroads“, das 2014 mit dem „Deutschen Spielepreis“ ausgezeichnet wurde: „Ein großartiges Workerplacement-Spiel mit vielen verschiedenen Strategien, welche richtig eingesetzt zum Sieg führen können.“ Diese Charakterisierung trifft auf alle Spiele von Helmut zu. Ganz ehrlich! Aber wie lang hält eine Begeisterung an, wenn sich das auslösende Objekt immer nur wiederholt? Wie lange können wir uns über Sachertorten freuen, wenn jeden Tag eine neue auf den Tisch kommt? Wieviele Nächte können wir die Freuden eines Harems genießen, wenn die freudevollen Mechanismen doch immer nur ähnlich oder gleich sind?
„First Class“ hat zweifellos viel Ähnlichkeit mit den „Russian Railroads“.
- Jeder Spieler baut an zwei (drei) Zügen (Strecken), dargestellt durch Karten (Klötzchen), verlängert sie, erhöht die Wertigkeit der einzelnen Waggons (Gleisabschnitte), und bekommt dafür Punkte, wenn der Schaffner in den Waggons entsprechend vorwärts gegangen ist (wenn die Lokomotiven die entsprechende Reichweite bekommen haben). – In Klammern steht hier kursiv jeweils die entsprechende Terminologie aus RR.
- Hat hat die Anzahl der Waggons (Gleisabschnitte) eine bestimmte Länge erreicht, werden Bonuspunkte ausgeschüttet.
- Analog der Industrien in RR bauen wir eine separate Strecke für unsere einzige Lokomotive und lassen uns auf ihr mit direkten einmaligen sowie kumulativen wiederholten Prämien überschütten.
- Anstatt wie bei RR mittels fünf Arbeitern auf dem Worker-Placement-Tableau unsere Aktionen zu wählen, liegen bei “First Class” die möglichen Aktionen als Kärtchen offen auf dem Tisch; jeder Spieler darf reihum dreimal eine daraus auswählen, an sich nehmen und sofort die entsprechende Aktion ausführen.
- Wie bei RR gibt es Doppler-Kärtchen, mit denen wir die Siegpunkte für Waggons bzw. die Prämien für Lokomotiv-Felder verdoppeln dürfen. Sehr empfehlenswert, fast schon der Winning-Move.
- Es gibt Geld, mit dem wir Zusatzaktionen finanzieren können, d.h. uns neue Waggons zulegen oder Schaffner bzw. Lokomotive zusätzlich bewegen dürfen.
Zusammen mit den Bonus-Effekten beim Überschreiten der Waggonanzahl bzw. beim Erreichten von Bonus-Feldern mit unserer Lokomotive können wir dadurch richtig lange Kettenzüge entstehen lassen und ausgiebig darin schwelgen, während unsere Mitspieler entsprechend lange zuschauen und ggf. lange Gesichter machen. – Das machen sie aber nur bedingt, weil ihnen unser Gehabe und unser Besitztum nicht besonders zu Herzen geht. Jeder ist viel mehr auf sich selber konzentriert, plant seinen eigenen mobilen Ausbau, und freut sich auf die nächsten Punkte, die unweigerlich mit seinem nächsten Zug auch ihm zugute kommen werden. - In zwei Zwischenwertungen und einer Schlusswertung wird das individuelle Besitztum mit Siegpunkten honoriert.
Alles schön und gut, alles gekonnt durchkonstruiert, alles ausbalanziert. Alles trägt die Handschrift eines begnadeten Eisenbahn-Brettspiele-Erfinders. Bestes Material, klare, verständliche Spielregel, fast ein 10 Punkte-Spiel. So müsste es ein neugeborener Spieler des 21. Jahrunderts zweifellos bewerten.
Für (einen Großteil von) uns gilt allerdings zu „First Class“ genau das gleiche, was wir schon zu „Russian Railsroads“ geschrieben haben: Unbestritten ist es ein sehr schönes Spiel ist. Es ist rund und gibt jedem Spieler genügend Handlungsspielraum. Alles schwelgt in Siegpunkten, es gibt nur positive Effekte. Der Spielplan ist selbsterklärend, und wenn man die Symbole alle verstanden hat, ist jeder Zug leicht und durchsichtig. Zwei Stunden Spielzeit sind heutzutage keinesfalls mehr abschreckend und selbst bei den Grüblern am Westpark durchaus zu schaffen. Doch das Spiel hat auch Schwächen. … ”
Die größte Schwäche ist mangelnde Interaktion; sie beschränkt sich auf das konkurrierende Auswählen der Aktionskärtchen. Deren Wertigkeit ist aber so ausbalanziert, dass es sogar kaum lohnenswert ist, sich – fast kostenlos – die Startspieler-Karte zu reservieren. Der Rest ist ein solitäres Aufbauspiel.
Wie bei RR widersprach Günther auch hier heftig jedem einzelnen dieser Kritikpunkte. Für ihn ist halt jede Haremsdame immer wieder ein neuer, ungetrübter Genuss. Gott erhalte ihm diese Begabung!
WPG-Wertung: Aaron: 6 (viel zu viel [ungeliebte] Puzzelei; bei RR ist die dynamische Entwicklung der Siegpunkte und Prämien klarer und übersichtlicher), Günther: 8 (übersichtlich, [hübsches] Fiebern beim Auswählen der Aktionskärtchen, viele Wege führen nach Rom), Horst: 8 (ein „gutes“ Spiel [im Sinne von Barmherzigkeit], alles wird honoriert, man muss sich anstrengen, keine Punkte zu kriegen), Walter: 7 (aus dem déjà-vu-Gefühl heraus eigentlich nur 6 Punkte, schnell, dynamisch wachsende Siegpunkt-Ausschüttung, was aber nicht darüber hinweg täuschen soll, dass „die Tauben auch immer nur dorthin fliegen, wo schon welche sind“).
Für Genies und andere scheint es offensichtlich ein größerer Genuss zu sein, ein Leben lang „18xx“ und davon abgeleitete, fern oder nahe verwandte Spiele zu erfinden, als für alte Hasen, selbige ein Leben lang zu spielen.
2. “Azuchi Castle”
„Die Sengoku-Era: Die Autorität der Zentralregierung war geschwächt und die Lokalherren ringen um Macht. … Als der Kriegsherr Oda Nobunaga im Kyoto ankam, hofften die Menschen, dass nur endlich Frieden einkehren würde. Oda wollte das Land vereinigen, indem er die Regierung umstrukturierte und die alleinige Macht wieder in die Hand des Kaisers legte.“ – Mein Gott, diese Einleitung in der Spielregel hat mit “Azuchi Castle” genauso wenig zu tun wie die US-Wahlprognosen mit dem Wahlausgang.
Drei Aktions-Karten liegen offen auf dem Tisch mit den Aktionsmöglichkeiten:
- einen Rohstoff in den Farben grau, braun oder schwarz zu bekommen,
- einen Rohstoff aus einer beliebigen Farbe in einen anderen Rohstoff umzutauschen
oder
zwei beliebige Rohstoffe gegen eine Münze oder einen Zusatz-Arbeiter einzutauschen, - eine Verteidigungskarten zu nehmen.
Wofür die ist, das kriegen wir später.
Natürlich liegen in der Regel nicht drei verschiedene Aktionskarten aus, statistisch gesehen sind nur zwei davon verschieden. Wir können schon glücklich sein, wenn wir überhaupt eine davon gebrauchen können, denn ohne Besitz von Rohstoffen können wir auch nicht umtauschen, und wenn wir noch keine Siegpunkte auf dem Konto haben, brauchen wir auch keine Verteidigung. Ebenfalls macht es nicht gerade fett, einen braunen Rohstoff so mir-nix-dir-nix in einen schwarzen zu verwandeln, oder umgekehrt. Freiheitsgrad in der Größenordnung von Null!
Zweimal dürfen wir eine der ausliegenden Aktionskarten auswählen (es wird jedesmal eine neue Karte aufgedeckt) und danach unsere beiden Arbeiter auf ihnen platzieren, sonst rollen die Rohstoffe nicht heran und ein Umtausch wäre auch nicht erlaubt. Für einen evtl. eingehandelten Zusatz-Arbeiter ist zunächst kein Platz. Eine ganze Weile lang nicht, und im Nu, nach einer kleinen Verteidigungsaktion ebenfalls nicht mehr. Sein Einkauf gegen zwei Rohstoffe war dann wohl etwas voreilig. Wenigstens verrostet der Arbeiter nicht, und eilig ist eh nix.
Nach den Aktionskarten wird eine einzige Ereigniskarte gezogen, die alle Spieler betrifft. Auch hier gibt es drei Möglichkeiten:
- drei verschiedenfarbige Rohstoffe können in 3 Siegpunkte umgewandelt werden,
oder
der Zusatz-Arbeiter kann in 2 Siegpunkte umgewandelt werden, - eine Münze darf in zwei Siegpunkte umgewandelt werden,
- es erfolgt ein “Angriff”!
Aha, dafür also die Verteidigungskarte: Wer eine Verteidungskarte besitzt und darauf einen Arbeiter platziert hat, bekommt Siegpunkte, andernfalls werden ihm welche abgezogen.
Anschließend wird alles wieder abgeräumt: Unsere beiden Aktionskarten kommen in den Orkus, eine verteidigt habende Verteidigungskarte ebenfalls. In der nächsten Runde fangen wir wieder ohne Besitztum von vorne an, suchen uns zwei Aktions-Karten aus, und lassen unseren Zusatz-Arbeiter weiterhin rosten. Falls wir inzwischen nicht die Nase von seiner Nichts-Tuerei voll haben und ihn bei einer passenden Ereigniskarte für zwei Siegpunkte über den Jordan schicken.
Wo ist der Witz? Fehlanzeige! Wo ist Gaudi? Resignierender Trost: „In unserem Alter verstehen wir solche Spiele halt nicht mehr!“ Das Spiel wurde in Essen 2016 als Geheimtipp gehandelt, Aaron war seinen geheimen Verführern erlegen und hatte es gekauft. 8 Euro darf man schon mal in der Isar versenken. Aber in Zukunft sollte man solche Freunde schon etwas genauer unter die Lupe nehmen.
Bei BGG steht über “Azuchi Castle” : „excellent quick game in an adorable little box“. Dem haben wir nichts mehr hinzuzufügen. Höchstenfalls: „lieber noch hundertmal mit dem Orient-Express First Class nach Istanbul.“
WPG-Wertung: Aaron: 3, Günther: 3 (vielleicht sollte man nochmals die Regeln lesen! [Das hat aber leider auch keinen Mehrwert zutage gefördert], Walter: 3 (lieber noch japanische Burgen als amerikanische Präsidenten).
Das Schöne am Internet ist, dass jeder dort jede Information finden kann, die er sucht. Das gefährliche am Internet ist, dass jeder dort jeden Blödsinn verzapfen kann. Und deshalb findet man dort auch die Homepage eines jungen Österreichers, der vor weniger als 1 ½ Jahren noch die Schulbank der FH für Journalismus in Wien drückte. Wenn der dann 2 Wochen vor der US-Wahl krude Dinge schreibt, die von allen anderen Umfragen deutlich abweichen und dazu noch via 270towin.com merkwürdige Maps erstellt, um das seriöser aussehen zu lassen, dann hat das mit Journalismus nichts zu tun. Wir sollten uns davor hüten, solche Menschen mit erfahrenen Journalisten gleichzusetzen.