1. “Nieuw Amsterdam”
2012 erschienen, ein Jahr später in einer Dreierrunde am Westpark erstmals gespielt und für (sehr) gut befunden, wurde es, noch bevor Moritz auch nur sein Placet geben konnte, schon unser „Spiel des Monats“. Dann war sieben Jahre Ruhe. Heute hat es Aaron aus seinem Fundus noch einmal hervorgeholt. Auch Günther, der bisher nie dabei war, sollte sein Urteil dazu abgeben können. Kurz und gut, er reihte sich am unteren Ende unserer Wertungsskala ein.
Was soll ich zum Spiel sagen? Im Internet haben wir es bereits zweimal beschrieben und auch andere Spielefreunde haben Kritiken dazu veröffentlicht. Das Spiel ist nicht mehr im Handel, wen interessiert es da noch, welches Material geboten ist und wie man damit umgeht? Schauen wir doch mal nach, was andere Kritiker dazu bemerkt haben, und ob wir etwas daraus lernen können. Bei H@LL9000 habe ich mich umgesehen.
Als Kurzeinführung zunächst ein Satz aus unserem eigenen Spielbericht: Wir sind Mitglieder der Niederländischen Westindien-Kompanie und treiben Fellhandel mit den nordamerikanischen Indianern. In der Grundidee tauschen wir Waren gegen Felle, verschiffen die Fälle und erhalten dafür Geld, Siegpunkte und neue Waren.“
Sandra Lemberger hat vor allem das Thema sehr gut gefallen, endlich mal „keines der sich oft wiederholenden Mittelalter- oder Italienspiele. Zur Abwechslung taucht man gerne mal in die Geschichte der von den Siedlern immer mehr vertriebenen Ureinwohner Amerikas ein.“
Aber wo findet sich das Thema? Machen Felle, die man vor der Landkarte von Manhattan mit konkreten Schiffskarten in ein abstraktes Nirgendwo verschifft, bereits die Geschichte der nordamerikanischen Indianer aus? Wohl kaum. Sandra findet „das Ganze optisch recht schön dargestellt, indem bei jedem Länderkauf durch einen Spieler ein Langhaus der Indianer weiter flussaufwärts versetzt wird.“ Ja, wenn man die Geschichte kennt, kann man hier die Indianer-Vertreibung nachvollziehen und für die Beerdigung von Red Cloud’s Herz an der Biegung des Flusses noch ein paar Tränen vergießen. Wenn man sie nicht kennt, bleiben die Indianer hier genauso unsichtbar wie in der Verfassung der Vereinigten Staaten.
Mahmut Dural: “ Es ist ein thematisch toll umgesetztes Bietspiel, wobei hier das Bieten einen außergewöhnlichen Reiz hat.“ Michael Andersch: „Der Auktionsmechanismus gefällt mir ausgezeichnet, ebenso die thematische Umsetzung.“ Sandra: „N.A. besticht durch ein ausgetüfteltes Versteigerungssystem.“
Doch man kann es auch anders sehen. Maik Bretschneider: „Dem mit Resourcenmanagement und Eintauschoptionen mittlerweile totgeprügelten Spielschema wurde ein Bietmechanismus aufgesetzt, der zwar recht innovativ daherkommt, aber mit zunehmender Spieldauer einen immer tieferen Keil zwischen erfahrenen Durchrechnern und Neueinsteigern treibt. Wieso? In den ersten beiden Runden ist es unabdingbar, zu siedeln und zu roden. Wem das verwehrt bleibt, der verharrt bis zum Spielende in Mangel.“
Maik’s „Muss“ können wir nicht bestätigen. Bei uns bekam Walter in der ersten Runde zwei Handels-Aktionen. Mit einer davon konnte er seine Grundausstattung an Waren bei den Indianern günstig in Felle eintauschen, mit der anderen verlud es sie auf ein Schiff und wurde dafür mit Geld, Siegpunkten und Neuwaren-Potential reichlich belohnt. Ein Grundstein für seinen späteren Sieg.
Nora: “Wir haben Nieuw Amsterdam zu viert gespielt und dabei festgestellt, dass die Versteigerung mehrmals ziemlich schief gehen kann, wenn zu viele gleichartige Plättchen in einer Spalte liegen; insbesondere die Stadt. Wir konnten auch mit hohen Geboten nicht verhindern, dass einer drei Stadtplättchen bekam, der er gut brauchen konnte. Den Rest des Spiels haben wir damit verbracht, ihn wieder einzuholen. Das macht keinen Spaß.“
So war es auch bei uns: Walter führte gerade in der Stadt, als er mehr oder weniger billig 3 Stadt-Aktionen ersteigern konnte. Das war der zweite Grundstein für den Sieg: 36 Punkte, ein Drittel seines Gesamt-Punkte-Erlöses fielen ihm in einer einzigen Runde allein durch die 3 Hauptaktionen in den Schoß. Und Aaron und Günther verbrachten den Rest des Spieles damit, ihn wieder einzuholen.
Es machte ihnen aber trotzdem Spaß. 3 geschlagene Stunden lang! (Plus 1 Stunde Regeleinführung und Regelwiederholung.) Warum wir für ein Spiel, das nach der Verlagsvorgabe in 90 Minuten zu absolvieren ist, und dem Mahmut eine „knackige Spieldauer“ attestiert, glatt das Doppelte brauchen, das ist ein unerforschtes alltägliches Phänomen am Westpark. Es tritt selbst dann auf, wenn unsere expliziten Paralysten – keine Namen genannt! – nicht dabei sind.
Warum bekam Walter überhaupt die 3 Stadt-Aktionen? Warum besaß er zu diesem Zeitpunkt gerade in Manhattan so viele Mehrheiten? Haben die Mitspieler dort die Geschäfte verschlafen? Hätte ihm ein Mitspieler nicht die Preise verderben müssen? Mit einer Stadt-Aktion ein paar Mehrheiten in Manhattan zu kippen und dann selber 2 mal zur Bürgermeisterwahl anzutreten, dafür hätte jeder ein paar mehr Kröten springen lassen können! Offene Fragen, aber klare Erkenntnis: Man muss den Spielablauf schon gut kennen, um Chancen und Risiken des Bietprozesses richtig zu kalkulieren. Unser Nicht-Wissen dürfen wir keineswegs dem Spiel anlasten.
Dazu müssen wir noch gestehen: wir haben eine Regel übersehen, die wir eigentlich genau kennen mussten, denn sie wurde früher schon einmal in unserem eigenen Spielbericht erwähnt: „Jede Art von Überflussgut kann ohne Umtauschverlust als Geld im Bietprozess eingesetzt werden.“ Damit können selbst monetäre Armhälse, die aber gesegnete Kornbauern oder holzige Siedler sind, beim Bietprozess als Krösus auftreten. Schade um dieses Übersehen, denn dadurch geriet die gesamte Biet-Balance ins Wanken,
Vielleicht sind Regelunsicherheiten mit beteiligt, wenn Solveig Zaeske konstatiert: „N.A. ist eigentlich ein thematisches und atmosphärisches Spiel, aber nach einer Weile bleibt doch der Eindruck, dass doch einiges an Potential verschenkt wurde, und das Spiel nicht fertig ist. Schade drum, denn so ist es nur Mittelmaß.“
Nochmals Mahmut: “Neben Suburbia und Tzolkin ist Nieuw Amsterdam das Highlight der letzten Messe [2012]. Leider etwas unterschätzt, befürchte ich.“ Diese Befürchtung von Mahmut Dural war leider berechtigt. Der Markt ist über „Nieuw Amsterdam“ hinweggegangen. Nach unserer 3-Stunden Orgie fürchte ich, dass auch wir über dieses im Prinzip doch sehr schöne Spiel hinweggehen.
WPG-Wertung: Aaron: 7 ([nach 8 Punkten vor 7 Jahren:] das lästige, genaue Vorausplanen beim Eintauschen der reichlich vorhandenen Ressourcen in für die nächsten Züge notwendige Ressourcen geht auf Kosten des Spielflusses), Günther: 6 (Man könnte auch schon mal 7 Punkte vergeben; der Bietprozess ist zweifelhaft, die Sonderaktionen stören den Spielfluss, man hätte das flüssiger einbauen können; ich bin mit dem Spiel nicht warm geworden), Walter: 8 ([bleibt] der Bietprozess ist gut, dem Vorteil des Startspielers beim Ziehen wird durch seinen Nachteil beim Bieten in der nächsten Runde entgegengewirkt, reichlich Interaktion durch Konkurrenz, gute Balance innerhalb einer Vielzahl von verschiedenen „Schienen“, die man durch die heuristischen Ergebnisse des Bietprozessen fahren muss).