Das bescheuerte Kartendeck „Startspieler“, mit dem angeblich jeglicher „Streit darum, wer anfängt“ vom Tisch sein soll, liegt immer noch auf unserem Fensterbrett. Moritz zieht es zu Beginn unserer Spieleabende regelmäßig zu Rate, wenn er seinen Stammplatz am Fenster eingenommen hat. Sehr zum Leidwesen von Walter, der dieses Produkt zutiefst haßt, wie alles, was in Politik, Wirtschaft und Spiel großmäulig Versprechen abgibt, von denen selbst die Verkünder wissen, daß sie nicht gehalten werden.
Heute soll Startspieler werden, „wer das lockigste Haar hat“. Wir sind zwar keine Kojak-Runde, doch die konkurrenzfähigen Schnittlauchlocken sind alle kein akzeptables Entscheidungskriterium. Die nächste Karte bestimmt den zum Startspieler, „der als letztes eine Karte gezeichnet hat“. Diesmal fühlt sich Walter berufen, auch wenn es nur eine Himmelskarte ist, mit der er demnächst seinen Großneffen das Sternbild Stier am Firmament, samt oder sonders aufsitzender Europa, verklickern will.
Sicherheitshalber zieht Moritz noch eine Karte. „Wer am ältesten ist“ führt dann zu einer eindeutigen Entscheidung. Der Stier wird bestätigt. Doch das Kartendeck wird wohl keine Woche mehr auf dem Fensterbrett am Westpark überleben.
1. “Navegador”
Wir sind Seefahrer im entstehenden portugiesischen Weltreich und müssen unsere Schiffe in Richtung beider Indien aussenden, Länder entdecken, Kolonien gründen, Märkte erschließen, Fabriken errichten, Produkte verkaufen und so eine Handelsdynastie begründen, die am Ende hoffentlich umfassender ist als die unserer Mitspieler.
Das Herzstück des Spiels ist ein Aktionsrondell (wie man es schon von einigen anderen Spielen, z.B. von „Hamburgum“, her kennt, auf dem wir mit unserem Aktionsstein mit einer variablen aber begrenzten Schrittweite im Kreise herumwandern und damit auswählen, ob wir
Alles kostet oder bringt Geld. Alles ist gut, alles bringt Siegpunkte. Manches verändert die Preise für zukünftige Aktionen, das ist dann eine Investition in die Zukunft. Wer sich z.B. Fabriken zugelegt hat – ausreichend viele für die Warenproduktion aus seinen Kolonien -, kann veredelte Produkt zu angenehm hohen Preisen verkaufen. Wer keine Fabriken hat, muß seine Rohstoffe zu – früher oder später – traurigen Kellerpreisen verkaufen.
Sehr viele Wege führen nach Rom, d h. zu einem Besitztum, das sich am Ende in den meisten Siegpunkten ausdrückt. Man kann auf Entdeckungen ausgehen, und sie sich – über geeignete Privilegien – am Ende mit dem Faktor 7 vergüten lassen. Man kann Kolonien gründen (davon gibt es sehr viel mehr als von Entdeckungen) und sie sich am Ende mit einem Faktor bis zu 4 vergüten lassen. Erbaute Kirchen (sie erleichtern das Anwerben von Arbeitern) und Werften (wofür sind wohl?) können es sogar auf einen Faktor bis zu 9 bringen. Deutliche Schwerpunkte in seiner Entwicklung zu setzen, ist für eine erfolgreiche Schlußabrechnung unbedingt notwendig.
Geld bewegt die Welt. Damit kann man seinen Aktionsspielraum auch über die vorhandene Infrastruktur hinaus erweitern, z.B. pro Zug mehr Arbeiter anwerben, mehr Schiffe kaufen, mehr Märkte erschließen und größere Schritte auf dem Aktionsrondell zurücklegen, um schneller wieder die Felder zu betreten, auf denen die Musik spielt. Diese Möglichkeit sollte man konsequent nutzen und seinen erwirtschafteten Gewinn nicht nur in die kostengünstigen Kanäle fließen lassen.
Jeder hat einen Plan und fiebert darauf, wieder am Zug zu sein, um ihn umzusetzen. Ein klares Zeichen für ein gefälliges Spiel. Hoffentlich verfolgt man seinen Plan auch dann, wenn man gerade nicht am Zug ist. Sonst dauert das Spiel geschlagene zwei Stunden. Wie heute bei uns.
WPG-Wertung: Aaron: 6 („gutes Durchschnittsspiel“), Günther: 7 („könnte bei häufiger Wiederholung seinen Reiz verlieren“), Moritz: 7 (ungern vergeben, aber „das Spiel funktioniert“ halt; vermißt etwas Spannung), Walter: 7 („großer Freiheitsgrad“).
2. “Kaigan”
Vor zweihundert Jahren begann ein tüchtiger japanischer Ingenieur damit, die erste maßstabsgerechte Landkarte der japanischen Küste zu erstellen. Nach 21 Jahre wurde sein Werk fertiggestellt, bei einem Maßstab von 1:3600 immerhin 300 mühevolle Meter lang.
Diese Ingenieursleistung wurde „Kaigan“ zugrunde gelegt, d.h. wir sind Kartografenteams und schicken unsere Kartografen zu den verschiedenen Landesteilen, um Stück für Stück zu dieser Gesamtkarte beizutragen. Das Thema schlägt allerdings nicht durch. Eher haben wir es mit einem abstrakten Optimierungsspiel zu tun, in dem wir unsere Aktionen so wählen, daß wir auf den verschiedenen möglichen Entwicklungslinien gut punkten. Wir können
Technik, Beziehungen und Mobilität sind verschiedene abstrakte (verzeiht die Wiederholung dieses Begriffs, es ist nicht böse gemeint) Entwicklungslinien, auf denen unsere aktuelle Position in Einkommen und Siegpunkte umgesetzt wird.
Eine absolut neue und sehr hübsche Erfindung in „Kaigan“ ist die Art, wie wir unsere gewünschten Aktionen mit Hilfe von Aktionskarten auswählen. Jeder hat den gleichen Satz von Aktionskarten mit den oben angedeuteten Aktionsmöglichkeiten und legt reihum jeweils eine Karte auf ein freies Feld in einem karierten Teil des Spielbretts, bestehend aus 4 Zeilen zu 5 Spalten. Im Laufe dieses Setzen liegen demnach in jeder Zeile (und Spalte) Aktionskarten verschiedener Spieler. Sobald ein Spieler meint, in einer Zeile liegen genügend für ihn günstige Aktionskarten, so steigt er aus dem Setz-Prozeß aus und wählt für sich diese Zeile. Alle Aktionskarten dieser Zeile bestimmen dann die Aktionen, die er im folgenden ausführt. Sind in der Zeile noch leere Spalten, darf er dafür nur entsprechend weniger Aktionen ausführen.
Es klingt ein bißchen kompliziert und wir wollten sogar eine Probe-Setzrunde durchführen, um dieses Prinzip zu verstehen und unliebsame Überraschunen zu vermeiden. Doch dann verzichteten wir darauf (es ist alles doch nur ein Spiel), und es klappte auch ganz vorzüglich. Jeder versucht in jede Zeile ein paar verlockende Aktionskarten zu legen, damit die Mitspieler anbeißen und aus dem Rennen ausscheiden. Unter weniger Konkurrenz kann man dann versuchen, mit seinen restlichen Karten eine Aktionszeile vollständig mit guten Aktionen zu füllen und zu ergattern. Wirklich vorzüglich ausgedacht.
Das Spiel läuft sehr schnell. Zumindest kam uns die eine Stunde Spielzeit sehr kurz vor. Kaum hatten wir angefangen, fragte Günther entsetzt: „In welcher Runde sind wir denn?“ Wir hatten gerade die dritten Runde absolviert und das Spielende drohte mit Riesenschritten heranzukommen.
Die Schlußabrechnung mit dem reichlichen Siegpunktsegen wirbelte den Spielstand nochmals gehörig durcheinander. Die krassen Plus-Minus-Effekte für den besten bzw. schlechtesten Entwicklungsstand muß man beherrschen, um zu gewinnen. Befriedigt mitspielen kann man aber auch ohne dieses Wissen.
WPG-Wertung: Aaron: 7 („erfrischend kurz“), Günther: 6 („für ein lockeres Spiel zu kompliziert“), Moritz: 7 („anspruchsvoll; Punktabzug wegen der undurchsichtigen Schlußabrechnung“), Walter: 7 („vorzüglicher Setz-Mechanismus“).
3. “Sieben unter Verdacht”
Dieses Spiel ist eine Mogelpackung. (Wie halt so oft auch in der Spielbranche.) Es firmiert als „Krimi-Kartenspiel für clevere Ermittler“ und verlockt so vielleicht ein paar Jünger von Donna Leone zum Kauf. Dabei ist es ein simples „Mastermind“, d.h. eine Logikaufgabe, in der es gilt, durch Abfragen von Musterkombinationen eine vorgebene Konstellation von Einheiten (hier sind es „Verdächtige“, woanders sind es Farben, Zahlen oder Buchstaben) zu ermitteln.
Selbst Günther war über diesen Ettikettenschwindel erbost. Als Mathematiker plädierte er kompromisslos für das „Mastermind“ mit Zahlen.
Ich selber habe bei diesen Logikprinzip die allerbesten Erinnerungen (40 Jahre zurück), an Christina Voss, eine äußerst attraktive Kollegin, mit der ich mich in der Mittagspause regelmäßig „auf ein Wort“ zusammensetzte, und wir dann gegenseitig um die Wette vierbuchstabige Worte errieten. Diese literarische Variante konnte den zahligen Günther natürlich nicht vom Hocker reißen. Ist es aber nicht viel reizvoller, über „Auge“ und „Mund“ bis zum „Herz“ eines charmanten Gegenüber vorzustoßen?
WPG-Wertung (für den Verdacht): Aaron: 3 („Mastermind ist funktioneller“ , Günther: 4 („1 Punkte weniger für das Mogeletikett“), Walter: 3 (träumt von der romantischen Variante).
Dem Walter, als Wort-Mastermind Fan, sei mal ein Blick auf My Word (Zig-Zag) von Gamut of Games empfohlen.
Dies war neben “Bridgette” einer der großen Erfolge von “Prince” Joli Kansil !
Hallo Günther,
das Schielen auf Punkte für richtige Buchstaben bei „Zig-Zag“ finde ich gar nicht gut. Da gibt es überhaupt kein Taktieren mit dem gewollten Ausschluß von Buchstaben, denn dafür kriegt man ja gar keine Punkte. Das logisch geschickte Einkreisen beim Raten (sogar noch unter Konkurrenzdruck, weil mein Gegenüber gleichzeitig Zug um Zug mein Wort zu erraten versucht) und das Finden des richtigen Wortes (mit oder ohne Herzensbotschaft) erzeugt eine Freude, die durch das mechanistische Punkten für getroffene Buchstaben keinesfalls erreicht werden kann. Nicht bei romantischen Literaten!
Ein Detail muß ich allerdings noch zu Gunsten von „Sieben unter Verdacht“ nachtragen: die Solitär-Variante. Man kann die Logik-Aufgabe gegen sich allein spielen, indem man eine Aufgabenkarte verdeckt zieht und mit dem Rücken auf den Tisch legt. Die Lösungskarten sind so genial gelocht und mit einem Punktmuster versehen, dass man beim Aufeinanderlegen der jeweiligen Karten im Lochausschnitt die Anzahl Treffer ablesen kann.
In dieser Variante für einsame Grübler kann „Sieben unter Verdacht“ problemlos mit jedem Kreuzworträtsel oder Sudoku mithalten.