Sollen und Wollen
Das Sollen wird dem Menschen auferlegt, das Muß ist eine harte Nuß; das Wollen legt der Mensch sich selbst auf, des Menschen Wille ist sein Himmelreich. … Betrachte man als eine Art Dichtung die Kartenspiele; auch diese bestehen aus jenen beiden Elementen. Die Form des Spiels, verbunden mit dem Zufall, vertritt hier die Stelle des Sollens; das Wollen, verbunden mit der Fähigkeit des Spielers, wirkt ihm entgegen. In diesem Sinn möchte ich das Whistspiel antik nennen. Die Art dieses Spiels beschränkt den Zufall, ja das Wollen selbst. Ich muß bei gegebenen Mit- und Gegenspielern mit den Karten, die mir in die Hand kommen, eine lange Reihe von Zufällen lenken, ohne ihnen ausweichen zu können; beim L’hombre und ähnlichen Spielen findet das Gegenteil statt. Hier sind meinem Wollen und Wagen gar viele Türen gelassen; ich kann die Karten, die mir zufallen, verleugnen, in verschiedenem Sinne gelten lassen, halb oder ganz verwerfen, vom Glück Hilfe rufen, ja durch ein umgekehrtes Verfahren aus den schlechtesten Blättern den größten Vorteil ziehen, und so gleichen diese Art Spiele vollkommen der modernen Denk- und Dichtart.
Diese Passage aus einem Aufsatz von Goethe kann auf die kurze Formel gebracht werden:
Bridge ist Sollen, Skat ist Wollen!
Hat der alte Frauenversteher hier auch die Kartenspiele richtig verstanden?
1. “Poseidon”
Wenn es im alten Griechenland vor 2500 Jahren bereits (schwimmende) Eisenbahnen gegeben hätte, dann wäre „Poseidon“ ein Eisenbahn- und Aktienspiel aus der Familie der „18xx“-Spiele. Helmut Ohley und seine Kumpels haben in dieser Familie schon mehrere Kinder gezeugt und ausgetragen, und haben auch in „Poseidon“ dieses ihr geschätztes Erbgut einfließen lassen. Um aber den technischen Anachronismus zu vermeiden, haben sie das Eisenbahnmilieu auf die Seefahrt übertragen. Wohl gelungen.
Anstatt Eisenbahngesellschaften zu gründen und Verkehrswege auf dem festen Lande zu erschließen, gründen wir griechische Stadtstaaten und befahren mit Schiffen das östliche Mittelmeer. Schienenwege brauchen wir dazu naturgemäß nicht, stattdessen besitzt jeder ein Erkundungsschiff, mit dem die Seewege eröffnet werden. Wir sind keine Präsidenten von Wirtschaftsunternehmen, sondern Könige von antiken Reichen. Wir handeln nicht mit Aktien, sondern mit Ämtern, wir kaufen keine Lokomotiven sondern Schiffe, unsere Aktien steigen nicht im Kurs, sondern unser Volk in seinem Ansehen.
„Poseidon“ ist gegenüber den richtigen „18xx“-Kindern leicht vereinfacht. Die verschiedenen Schiffe eines Reiches müssen keine disjunkten Strecken befahren, sondern ihre Reichweite wir schlichtweg addiert und bestimmt die Länge der Gesamtstrecke, die ein Reich befahren kann. Das erleichtert die Routenplanung und die Ermittlung des Rundeneinkommens.
Das Königstum (die Präsidentschaft) kann niemandem angedreht werden. Wenn ein Spieler in einem fremden Reich die Ämtermehrheit erworben hat, kann er freiwillig entscheiden, ob er sich zum König macht oder lieber den alten Regenten in einer Minderheitsregierung beläßt. Der alte König muß mindestens drei Ämter (Aktien) behalten, hat also ein gewisses Interesse am Blühen seines Reiches, und trägt auch alle pekuniären Risiken, falls das Reich in finanzielle Strudel geraten sollte.
Die wirtschaftlichen Härten beim Verfall der frühen, billigen Schiffe (Loks) wurden gemildert: ein Reich kann in jeder neuen Spielphase (Verkauf des ersten 4-er Schiffs, Verkauf des ersten 6er-Schiffs) neue Ämter (Aktien) vergeben, und sich damit neue liquide Mittel besorgen. Dabei ist die Anzahl der Ämter nicht fest vorgeschrieben, sondern der Präsident kann in gewissen Grenzen wählen, wielviele er beim Start bzw. bei der Erweiterung seines Reiches vergibt.
Sehr geschickt ist dabei eine neue Optimierungsaufgabe gestellt: Die Anzahl der Ämter und die Anzahl der Handelsstationen ist für jedes Reich konstant. Wer sich über eine Inflation von Ämtern zu viele Mittel besorgt, hat am Ende nicht mehr genügend freie Stationen, um sein Handelsnetz auszudehen und seine Einnahmen zu maximieren. Wer zu früh seine Ämter auf den Markt bringt, erzielt nur geringe Preise, analog dem aktuellen Volksansehen (Aktienkurs), die späteren Ämter eines florierenden Volkes erbringen natürlich erheblich mehr.
Die Beteiligung bzw. der Verkauf von fremden Ämtern hat keinerlei Einfluß auf den Kurswert; damit entfällt das hübsche bzw. miesnickelige Kaufen und Verkaufen fremder Anteile, das bei den üblichen 18xx-Spielen einen großen Teil der Bankrundenaktivitäten in Anspruch nimmt. Das bringt eine gewisse Beschleunigung im Spielablauf, geht aber auf Kosten von Spannung und Überraschung.
In unserem Spiel fand kein einziger Königswechsel statt; Aktien wurden nur marginal verkauft, und nicht aus gehobenen spieltaktischen Gründen, sondern lediglich, um einer potentiellen Entmachtung als König vorzubauen. Jeder hatte reichlich damit zu tun, seinen eigenen Spielaufbau zu planen und seine Freiheiten zur Optimierung zu nutzen; keinem kam der Gedanke, einem Mitspielern in den Karren zu fahren. Vielleicht kann man das auch gar nicht.
Walter setzte zu Spielbeginn sein neu gegründetes Reich auf den teuersten Kurswert und war damit immer erster Spieler in den „Operation Rounds“. Sofern verfügbar erwarb er auch ausschließlich Ämter seines eigenen Reiches. Günther meinte dazu bewundernd: „Er investiert in Qualität“, Aaron meinte weniger bewundernd: „Er macht in Selbstbefriedigung!“. Zum Glück hat er damit nicht gewonnen, sonst wäre die Siegstrategie ganz zu einfach: Setze Dein Reich am höchsten ein und fahre es solide bis zum Ende. So aber muß man auch die nicht ganz so leichte Optimierungsaufgabe lösen: Setze Dein Reich zu einem solchen Preis ein, dass es alle notwendigen Kosten bestreiten kann und dass dabei zugleich die Rendite, d.h. die Rundeneinnahmen plus Kursgewinn im Verhältnis zum Einstandspreis, optimal ist. Aaron war es, der hier intuitiv die beste Linie gefahren war.
WPG-Wertung: Aaron:8 (Einschränkung, weil „die Aktienmanipulationen fehlen“), Günther: 8 (Honorierung, „dass man an einem Spielabend hinterher noch Zeit für ein anderes kleines Spielchen hat“), Moritz: 7 (Einschränkung: „es fehlen Seeschlachten und Eroberungsfeldzüge“), Walter: 7 (vermißt die peppigen Elemente wie feindliche Übernahmen, betrügerischen Bankrott und Aussperrung von lukrativen Zielen. Seine Ingenieursseele vermißt den konstruktiven Gleisbau).
2. “Alex & Co”
Die Europäische Spielesammler Gilde (ESG) und die Spiele-Autoren-Zunft (SAZ) präsentierten in Essen 2010 dieses kleine Kartenspiel mit limitierter Auflage.
Im Prinzip handelt es sich um eine Kombination aus Quartett- und Memory. Wir können von unseren Mitspielern Karten abfragen und sie im Erfolgsfall von ihnen ersatzlos übernehmen, oder wir können mit unseren Mitspielern reell Karten tauschen im Verhältnis 1:1, oder wir können aus der Auflage von verdeckten Karten auf dem Tisch vier Stück umdrehen, und falls ein Pärchen dabei ist, dürfen wir es behalten. Hier schlägt dann der Memory-Charakter durch.
Die Motive der Karten sind Spiele und Spielautoren der Welt; insofern besitzt das Spiel einen spielhistorischen Wert. Doch die Regeln weisen für einen Gerechtigkeitsfan einige Ungereimtheiten auf. Beim Tauschen wird die normale Spielreihenfolge verändert. Wer Pech hat, um den wird ständig herumgetauscht und er kann warten, bis er schwarz wird.
Wer sich mit einem funktionierenden Gedächtnis aus der Auflage gerade verdientermaßen oder per Zufall ein Pärchen zusammengesucht hat, verliert es anschließend – mit hoher Wahrscheinlichkeit – ersatzlos an einen seiner Mitspieler, der sich per „Abfrage“ an ihn wendet.
So ging es Walter, dessen Gedächtnis ohnehin dem Memory-Alter entwachsen ist. Aaron erlöste ihn und stieg aus. Mit größter Freude zog Walter mit. Günther war leidenschaftslos, nur Moritz hätte seinen schon in wenigen Runden gewaltig ausgebauten Quartett-Vorsprung gerne ins Ziel gebracht.
WPG-Wertung: Aaron: 2, Günther (enthält sich als ESG-Mitglied der Stimme), Moritz: 3 („das Spiel ist nicht broken“), Walter: 2 (einseitige subjektive Ablehnung).
3. “Sieben unter Verdacht”
Wiederholung von letzter Woche, damit Moritz schneller in sein gerade erworbenes Exemplar reinkommt.
Mastermind mit Personen. Kein neuer Kommentar.
Die bisherige kritische WPG-Wertung übertraf Moritz mit seinen 6 Punkten fast um das Doppelte .
4. “Bluff”
Vorzeitiges Anzweifeln brachte überraschend viele und hohe Verluste.
Später konnte Aaron mit einem Superbluff Günther gleich um vier Würfel kürzen und das Bluff-Lebenslicht ausblasen. Etwas länger dauerte das Endspiel gegen Walter, das schließlich in einem Kantersieg 5:0 endete.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
Zweite Partie Poseidon
Am Freitag war Lonny zu Besuch in Muenchen – da bot es sich natürlich an, mit Lonny, Helmut (den beiden Autoren von Poseidon) und Andreas eine Partie zu spielen!
Es gefiel mir diesmal fast noch besser als bei der ersten Partie, denn es hat noch etwas mehr Gerangel um die besten Handelsstationen gegeben.
Natuerlich haben Helmut und Lonny sich am Ende die beiden ersten Plaetze geteilt – ich bin nur Dritter geworden.
Kleine Regelerlaeuterung: Auch schon in der gleichen Aemterrunde verkaufte Aemter dürfen wieder erworben werden! Ansonsten war unsere erste Partie aber regelkonform.
Mittlerweile gibt es auch schon eine FAQ: http://lookout-games.de/wp-content/uploads/FAQs_V3.pdf
Hmm, habe mir gerade mal die FAQ angeschaut und festgestellt, dass wir doch einen (kleinen) Regelfehler gemacht haben: der vorletzte Punkt der FAQ beschreibt deutlich, dass man bei der Gründung eines Volkes auch ALLE Ämter kaufen darf. Wir haben, meine ich, immer 50% der gekauften (abgerundet) in die “Bank” gelegt.
Soweit ich mich erinnern kann, haben wir das auch so verstanden und gehandhabt. Ein Spieler durfte bei der Gründung eines Reiches beliebig viele Ämter “auswerfen”, er musste allerdings mindestens die Hälfte davon selber erwerben.
Das “MINDESTENS” beißt sich nicht mit dem “ALLE”. Ich glaube, wir haben bewusst mehr Ämter auf den Markt geworfen, als wir selber kaufen wollten, damit die Gesellschaft liquider ist, ohne dabei unsere Privatschatulle allzu sehr zu strapazieren. Sicherlich steckte dahinter bei jedem auch eine gehörige Portion “1830”-Unterbewusstsein.
Genau: wir haben immer 50% (aufgerundet) der auf den markt geworfenen Ämter selber gekauft. Und was mich wunderte (und zu meinem Statement oben verleitete) ist, dass bei meinem ersten Volk Günther mir 3 Ämter gab und 2 in die Bank legte und in dem Moment als ich ein weiteres Amt kaufte, er mir das aus dem Vorrat gab und gleichzeit ein weiteres in die Bank legte. Ich will nicht abstreiten, dass es sinnvoll ist, möglichst viele Ämter auf den Markt zu werfen, aber Günthers Vorgehensweise hat mir suggeriert, dass man immer nur 50% bei Gründung selber kaufen darf. War wohl ein Missverständnis.
Du hast Recht, daran kann ich mich auch erinnern: Günther hat gleich zwei Ämter nachgelegt ohne Dich auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass Du alle fünf Startämter selber aufkaufst.