Ein Workerplacement-Spiel. Auf den ersten Blick. Wir setzen unsere Arbeiter in Feld, Wald und Wiese ein und produzieren mit ihnen Holz, Stein oder Erz. Beim Silberschmied können sie sich sogar geprägte Münzen abholen.
Die erste Besonderheit dieses Workerplacement besteht darin, das wir – nacheinander, reihum – mehrere Arbeiter an die gleiche Produktionsstätte bringen können und ihr Ertrag progressiv wächst: der erste Arbeiter erbringt eine Einheit, der zweite zwei, der dritte drei usw. Da fließen ganz schnell viele Ressourcen in unsere Taschen.
Auf die drei Anlaufstellen im „Schwarzmarkt“ darf nur jeweils ein einziger Arbeiter gehen. Er bekommt für sein Geld auch gleich eine ganze Menge Waren, klebt dann aber dort fest und kann erst wieder via Gefängnis in der Arbeitskreislauf eingeführt werden.
Im „Warenhaus“ können wir Waren ineinener umtauschen. Aus den drei Grundstoffen können wir somit auch Marmor und Gold erwerben. Das Zeug brauchen wir alles, um Häuser zu bauen oder an der Kathedrale mitzuwirken. Zuvor müssen wir uns noch die richtigen Handwerkergesellen zulegen, die eine Voraussetzung für das Bauen sind (, ansonsten aber zu gar nichts nutze).
Alles ganz normales Workerplacement. Alles rund und schön.
Die zweite und entscheidende Besonderheit dieses Spiel ist das Rückholen unserer Arbeiter. Es ist ein eigener Zug, den wir zum einen selber ausführen können und damit den Pool unserer verfügbaren Arbeiter wieder füllen. Aber auch unsere Mitspieler können unsere Arbeiter zurückholen, nur kommen sie bei denen in eine Quarantäne und müssen von uns per Geld ausgelöst werden. Die Mitspieler können unsere „gefangenen“ Arbeiter aber auch an das Gefängnis verkaufen. Das bringt ihnen ebenfalls Geld ein. Wir holen unsere Leute auch wieder per Geld aus dem Gefängnis, müssen aber weniger hinblättern als wenn wir sie direkt aus der Quarantäne unsere Mitarbeiter auslösen würden.
Dieses Rückholprinzip könnte ein interessantes Element des Spiels sein. Bei den 20 Arbeitern, die jedem Spieler zur Verfügung stehen, kann man aber leicht verkraften, dass immer einige davon irgendwo blockiert sind. Man hätte mehr daraus machen können. Dann hätte sich der Workerplacment-Eindruck des ersten Augenscheines durchaus in Richtung eines bemerkenswerten andersartigen Spieletyps verschieben können. War aber nicht so.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (ich hab mir von dem Rückhol-Mechanismus mehr versprochen), Moritz: 6 (gut, aber nicht zu dritt, irgendetwas fehlt), Walter:7 (würde gerne noch einmal einiges ausprobieren; das war’s dann aber auch).
2. “Festo”
Schon letzte Woche zum ersten Mal gespielt. Diesmal in einer Dreierrunde, was natürlich auf Kosten des Witzes vom Ganzen geht: die Konkurrenz um die Mehrheiten.
Die vielen eingebauten Nebeneffekte zum Aufweichen dieser nackten Konkurrenz, z.B. die Ereigniskarten, die Charakterfähigkeiten und die magischen Effekte der fertiggestellten Gerichte ließen diesmal Walters Mehrheiten-Phobie etwas zurücktreten. Er hob seine Wertung von 5 auf 7 an.
WPG-Wertung: Der akzeptable Schnitt wurde von 6,2 auf 6,8 angehoben.
3. “Tiefseeabenteuer”
Minimales Spielmaterial, minimales Regelwerk, maximale Interaktion, maximale Spannung. Keine Schwäche!
Bei der Welle der Trend-Spiele, die jeweils über Markt und Spieler hereinbricht, läßt es immer wieder Bewunderung aufkommen, wenn in einem neuen Spiel eine wirklich zündende neue Idee umgesetzt ist.
Der arme Moritz quält sich Woche für Woche geduldig und ohne Klagen durch unsere „Eisenbahn-Aktien-Spiele“, die ihm ein Gräuel sind, und durch die Welle von Workerplacement-Spielen, die schon sein Jahren die Spieleszenerie überflutet. Wenn er nach vielen Leidenswochen dann mal seines seiner „Passionsspiele“ vorsetzt, ziehen die drei Mitspieler demütig ihre Köpfe ein und signalisieren ihm eine schweigende Zustimmung, egal um welche Passion es sich handelt.
Diesmal war „Quartermaster General : The Cold War“ dran, eine Überarbeitung des „Quartermaster General“, das mit einem Durchschnitt von 4 Punkten von Aaron, Günther und Walter vor zwei Jahren nicht gerade Begeisterungsstürme ausgelöst hat. Damals war Moritz mit 8 Punkten unangefochtener Spitzenreiter.
Im „Cold War“ wird uns wieder eine geschichtliche Welt-Szenerie vorgesetzt, die es zu gestalten gilt. Asymmetrisch spielt ein Spieler den „Westen“, d.h. mehr oder weniger die USA, der zweite Spieler spielt die UdSSR, und der dritte Spieler die „Neutralen“, sprich Indien, China und Serbien. Jeder Spieler hat ein spezielles Kartendeck für Aktionen, mit denen er aufrüsten und Militärschläge gegen die anderen ausüben kann, um nach insgesamt 19 Runden mit 10 Wertungen seinen Besitzstand an Panzern, Versorgungsbasen und Sondereigenschaften in Siegpunkte umzumünzen.
Alles ist äußerst statisch. Die Armeen bewegen sich nicht, zumindest nicht zum Angriff und können für einen Angriff nicht konzentriert werden; sie werden höchstens auf freien Gebieten locker verteilt: 1 Panzer maximal pro Feld. Nur wenn neue Armeen geboren werden (via „Create Army“ Karte), dürfen sie Seite an Seite mit einem Feind zur Welt kommen. Wer dann zufällig noch eine „Battle-Karte“ in der Hand hat und diese Karte auch noch ausspielen darf – ein höchst seltenes Ereignis – hat einen Feind geschlagen, d.h. seine Einheiten um 1 reduziert. Der „Feind“ darf aber anstelle eines Panzers ein Flugzeug opfern, so dass sein Panzer benachbart zu unserem stehen bleibt, und seinerseits in seinem nächsten Battle-Zug unser Neugeborenes in die Ewigen Jagdgründe befördern. Timing ist alles.
Mit ihrem Kartendeck sind die Russen leicht bevorteilt. Sie haben von der Startaufstellung her schon die meisten Panzer auf dem Brett, mit denen sie in den Wertungen auch gleich die meisten Siegpunkte einheimsen. In ihrem Deck sind zugleich auch noch mehr weit mehr „Build Army“-Karten als im Westen und bei den Neutralen zusammen. So tun sie sich mit ihrer Ausbreitung (und weiterem Siegpunkte Abgrasen) leichter als alle anderen. Die USA sind ihnen an Landstreitkräften unterlegen. Vielleicht könnten sie mittels „Air Power“ und „Navy“ den Russen zu Leibe rücken, aber Günther, der die USA führte, hatte keine Lust, sich mit ihnen, d.h. mit Aaron, einzulassen, denn ein mathematisch ausgerichteter Spieler kennt die Weisheit: „Wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte“. Er war damit zufrieden, naturgegeben Runde für Rund ein, zwei, drei Siegpunkte weniger zu kassieren als Aaron und sich auf dem zweiten Platz einzuzementieren. Das war immerhin noch besser, als Moritz mit seinen Neutralen, der Runden für Runde um drei, vier,fünf Punkte hinter Aaron zurückfiel. Und das, obwohl er unbestritten bei uns der beste Wargamer ist. Das Kartendeck der Neutralen gab einfach nicht mehr her.
Moritz empfand Günther Verhalten mehr oder weniger als Spielverderberei. „Ist das alles, was du gegen Aaron tust?“ war sein entsetzter Kommentar nach jedem friedlichen Zug von Günther. Wie konnten die USA es nur zulassen, dass die Russen sich unbehindert auf Kuba und in Panama niederließen (und Siegpunkte dafür kassierten). Es musste doch ihr leidenschaftlichstes Bestreben sein, die Russen, das „Reich des Bösen“ (Reagan) „hinter die tatarischen Steppen“ (Göbbels) zurückzutreiben. Es musste doch auch aus Günther ureigensten Gewinner-Ambitionen heraus in seiner höchsten Priorität liegen, den führenden Aaron klein zu kriegen. Mit Engelszungen beschwor Moritz die USA, doch ihre Gott-gegebene Rolle auszufüllen, aber Günther segelte seelenruhig auf seinem zweiten Platz durch das Spiel.
So konnte Moritz nur zähneknirschend zuschauen, wie Aaron linear zu seinem unangefochtenen Sieg davonschwamm, Günther linear seinem unangefochtenen zweiten Platz und er selber linear auf der Verliererstraße dahindümpelte.
Bemerkenswert: Wenn der führende Spieler mehr als 20 Punkte Vorsprung vor dem dritten und letzten Spieler hat, so muss der zweite Spieler dem dritten Spieler so viele Punkte abgeben, bis die Differenz zum Führenden nur noch den Maximalabstand von 20 Punkte beträgt. Warum? Damit der zweite Spieler genügend Motivation besitzt, sich gegen den Führenden zu wenden und sich nicht faul auf seinem zweiten Platz ausruht. Günther ruhte sich trotzdem weiterhin aus, auch als er in der vorletzten Wertung durch diese Regel ganz schön gerupft wurde.
Wo war eigentlich Walter?
Der Verlag behauptet, das Spiel sei ein 3 bis 6 Personen-Spiel. Aber das ist eine glatte Lüge! Drei Mitspieler können die genannten Gruppierungen führen, jeder weitere Mitspieler muss diesen Part mit einem der bisherigen Mitspieler teilen: gemeinsames Kartendeck (jeder kriegt die Hälfte davon), gemeinsame Aktionen (keine einzige mehr als in der 3-Personen-Konstellation) und ausschließlich gemeinsame Punkte. Das ist keine Kooperation, das ist eine Krankheit-im-Doppel.
Walter teilte sich mit Moritz die Rolle der Neutralen. Da aber Moritz die englischen Aktionskarten besser lesen und einordnen konnte, dazu auch einmütig zugestanden der bessere Wargamer war, spielte Walter in dem bescheidenen Handlungsspielraum, den das Spiel via Aktionskarten überhaupt bietet, gerne den Neger. Er ordnete sich allem unter, was Moritz vorschlug. Er hätte sich problemlos auch ausklinken und nur als Zuschauer am Kalten Krieg beteiligen können. Lust und Freude wären wohl in der gleichen Größenordnung geblieben.
WPG-Wertung: Aaron: 2 (erinnert mich an [stumpfsinnige] Ereigniskarten-Spiele der 60er Jahre. 1 Punkt weniger als das Vorbild „Quartermaster General“), Günther: 4 (ohne Kommentar, aber er fängt grundsätzlich keinen Streit an, wenn beide Streithähne unweigerlich verlieren), Moritz: 7 (das Spiel ist thematisch und besitzt einfache Wargamer-Mechanismen), Walter: 2 (hatte gehofft, als Junior-Partner eines geborenen Kriegers mal wieder zu gewinnen, es war aber nichts. Das Spiel ist für amerikanische Geschichtsfreunde, die mit Herzklopfen wahrnehmen müssen, wie die Russen in Kuba einmarschieren, und sich fest vornehmen, das im nächsten Spiel zu verhindern.).
In der Nacht kam Aaron die Vermutung, dass die Kooperation der Neutralen, so wie sie Moritz und Walter praktiziert hatten, nämlich eine weitgehende Abstimmung über die zu spielenden Aktionskarten, nicht den Regeln entsprechen konnten. Am nächsten Morgen nahm er er sich die Spielregeln noch einmal genauer vor und fand dazu u.a.:
“Strictly, you cannot disclose the contents of your hand … to other players, even teammates.”
und “Teammates cannot use each other’s Status, WMD, or Espionage cards.”
Das hatten wir großzügiger gehandhabt. Allerdings meinte Walter dazu, der Spielraum innerhalb der Kartenhände sei so eng, dass durch unsere Regelabweichung Mit- und Gegenspieler nur unwesentlich geschädigt wurden. Aber sicherlich war das „vielleicht nicht 100% regelkonform“ (Moritz’ Wording).
Aaron fand in der Spielregel aber noch eine andere Information, bei der sich ihm die Haare sträubten: “The Non-Aligned Bloc … need to encourage conflict between the Soviets and the West, as normally the Non-Aligned Bloc will take a bit of steam to catch up to the other two Blocs.”
Sein Kommentar: „The Cold War ist also ein 3-Spielerspiel, bei dem ein Spieler in der Rolle der „armen Sau“ ist, die nur dann eine Chance hat, wenn die beiden anderen Spieler ihn in Ruhe lassen und er es schafft, sie gegeneinander aufzuhetzen. Für mein Empfinden ist das Spiel alleine schon aus diesem Grund „broken“. Der blödsinnige Kartenmechanismus und der schwachsinnige Punkteausgleichmechanismus zwischen Zweitplatziertem und Letztem verstärkt das alles nur noch.
Zugegebenermaßen, ein gut funktionierendes 3-Spielerspiel zu designen ist schwierig und ein asymmetrisches 3-Spielerspiel zu entwickeln schon eine kleine Kunst. Leider ist für mich dieser Versuch mit “The Cold War” klar misslungen.
Ich reduziere meine Wertung daher auf 1.“
Dem widersprach Moritz: „Ich hatte nicht das Gefühl, dass Walter und ich nicht gewinnen konnten. Ich würde beim nächsten Mal mit besserer Kenntnis der Karten tatsächlich anders spielen. Zum Beispiel sollten die Non-Aligned tatsächlich früh eher viele Armeen und Luftwaffen bauen und sehr defensiv spielen, dann haben sie durchaus eine Chance. Bei Spielen dieser Art ist die Kenntnis der Karten absolut entscheidend, und es geht einfach darum, die zur Verfügung stehenden Karten gut zu timen und vom Timing her gut einzusetzen. Das würden wir beim zweiten Spiel deutlich anders machen, und es würde ganz anders verlaufen. Gerade diese Vielfalt finde ich sehr reizvoll und auch nicht frustrierend. Also für mich weiterhin Daumen eher hoch, auch wenn es jetzt für mich auch nicht direkt ein „Klassiker“ ist :-)“
2. “Festo!”
„Wir sind fleißig beim Kochen und Backen“, steht im Regelheft. Wo, das wage ich jetzt gar nicht hinzuschreiben. Es kann durchaus auch München und der Viktualienmarkt sein. Jeder Spieler besitzt 6 Pöppel, die er auf beliebige der insgesamt 6 verschiedenen Märke schickt, um dort die sechs verschiedenen Zutaten (verschiedenfarbige Holzwürfel) zu ergattern, die er für seine späteren Rezepturen braucht. Diese Setzphase besteht aus zwei Phasen, bei denen – ausgewürfelt – jeweils verschiedene Märkte offen bzw. geschlossen sind.
Es geht darum, auf den richtigen und ggf. auch auf möglichst vielen Märken die alleinige relative Mehrheit an Pöppeln zu haben. Der Mehrheitsbesucher darf sich nämlich auf Wunsch die gesamte ausliegende Warenauslage aneignen. Den restlichen Besuchern stehen dann pro Markt nur noch eine Ersatz-Aktion zur Verfügung: Verschieben von Würfeln, Versetzen von Pöppeln, Zuteilung von Joker-Zutaten und ähnliches.
Der Mehrheitsbesucher braucht aber auch nicht die gesamte Warenauslage an sich reißen, er kann sich pro Pöppel mit einer einzigen Zutat begnügen und mit dem letzten seiner Pöppel die – keineswegs vernachlässigbare – Ersatz-Aktion durchführen.
Danach wird gekocht und gebacken. Falls man die richtigen und ausreichend viele Zutaten hat. Große Brötchen bringen überproportional viel Ehre ein, kleine Brötchen entsprechend unterproportional wenig.
Wie spielt man also richtig?
Erstens sollte man immer Letzter sein, damit man mit seinen letzten Pöppeln die Mehrheitssituation auf den Märken dominiert. Zweitens sollten man alle seine Zutaten bis zum Schluss zurückhalten, und erst am Ende – oder zu einem anderen späten Zeitpunkt, der durch geeignete Ereigniskarten das Kochen und Backen ratsam erscheinen lässt – alle zu den teuersten, höchsthonorierten Brötchen verbacken.
Günther praktizierte diese Siegstrategie. Die erste Verhaltensmaßnahme fiel ihm in den Schoß, weil Walter die Startspielerrolle falsch verstanden hatte und sie sich regelmäßig unter den Nagen riss. Die zweite Verhaltensmaßnahme wuchs auf seinem eigenem Acker. Er wurde mit großem Abstand Sieger.
WPG-Wertung: Aaron: 7, Günther: 6 (1 Minuspunkt für die Ereigniskarten), Moritz: 7 (lustiges Workerplacment-Spiel; der Wiederspielwert ist wohl nicht so hoch), Walter: 5 (solche Mehrheits-Haschereien liegen nicht auf meiner Linie).
Jedem Musikschaffenden läuft ein Schauer über den Rücken, wenn er sich an seine eigene 9. Symphonie heranmacht. Seit Beethovens epochalem Werk steckt in diesem Namen etwas Heiliges, Erschaudernd-Ehrwürdiges. In jedem Fall sind die Anstrengungen von Frank Liu und Hung-Yang-Shen anzuerkennen, die diesen Namen jetzt auch mit einem Spiel gewürdigt haben.
Sechs Musiker deutsche Zunge werden unserem Mäzentatentum empfohlen. In der ersten Phase eignen wir uns „Spendenwürfel“ an. Sie liegen auf farbigen Laufbahnen, die jedem der Musiker zugeordnet sind: Händel ist rot, Haydn grün und Mozart blau. Zwei Spendenwürfel bekommen wir pro Runde gratis. Optional können wir uns zwei weitere zulegen, müssen dafür aber (teils erheblich) bezahlen.
Mit dem Entfernen von Würfeln von der Laufbahn eines Musiker, geht ein Schwanken seiner Popularität einher. Im Prinzip eine hübsche didaktische Information, lernen wir doch daraus, dass auch) die Popularität eines (klassischen) Musikers a) keine Konstante ist und b) keine lineare Ab- oder Zunahme erfährt, sondern eine wellenförmige Größe darstellt, und dass es eine Zufalls- oder auch Modeerscheinung ist, wie hoch ein Komponist aktuell geschätzt wird.
Hier hätte es unserem allseits nicht unbeleckten Musikverständnis allerdings besser gefallen, wenn die jeweiligen Popularitätskurven eine gewisse Korrelation mit der Realität gehabt hätten. Dann hätten – nicht nur – wir sichtbar vor Augen geführt bekommen, dass es z.B. um Bach unmittelbar nach seinem Tod nahezu still geworden ist, bis ihn Mendelssohn wieder aus der Versenkung geholt und ihn ideel (und real) auf das Podest gestellt hat, das ihm gebührt. (Wikipedia: „Insbesondere von Berufsmusikern wird er oft als der größte Komponist der Musikgeschichte angesehen.“) Oder z.B. dass Schubert zeitlebens und noch hundert Jahre länger als zweitklassig am Katzentisch der Popularität sitzen musste, bis er im 20 Jahrhundert mit einem Schlag in den Musiker-Olymp emporgehoben wurde. Mit den gegebenen Popularitätskurven in „Symphony No 9“ waren wir jedenfalls nicht einverstanden.
Sei es wie es sei: Nachdem wir alle unsere Spendenwürfel genommen und ggf. auch bezahlt haben, gibt es für jeden Musiker einen Mehrheits-Mäzen. Wer von ihm die meisten Spendenwürfel erworben hat, erhält als Gegengabe das Manuskript einer Komposition, was bei der Siegpunkt-Berechnung am Spielende einen gewaltigen Einfluss ausübt.
Claro, mit maximal vier Würfeln in der ersten Runde zu insgesamt sechs Musikern, bewegt sich unser Besitztum in der Größenordnung von 0 bis 2 Würfeln pro Musiker. Gleicher Besitzstand zu einem Musiker ist bei vielen Spielern die Regel. Hier wird der Tiebreak in Startspieler-Reihenfolge aufgelöst. Je nachdem, welche Position man hier in einer Runde einnimmt, muss man einen bis alle Mitspieler im Auge haben, um wenigstens bei einem der Musiker die Majorität zu haben und ein Manuskript zu ergattern. Die Startspieler-Position spielt eine große Rolle, und – mein Kritikpunkt – eine „gerechte“ Handhabung im Regelwerk ist bei 6 Durchgängen für 4 Mitspieler einfach nicht möglich.
Jetzt wird der aktuelle Popularitätsstand eines jeden Komponisten angeschaut. Der einzige populärste Komponist kommt in die Elite-Kategorie, die beiden am wenigsten populären Komponisten kommen in die Arme-Leute-Kategorie, und die drei übrigen Komponisten in das Mittelfeld.
Danach beginnt die zweite Phase des Spiels: Wir müssen ein königliches Konzert finanzieren. Blind (BLIND) spendiert jeder einen beliebigen Betrag in die öffentliche Aufführungskasse. Kommt hier nur wenig Geld zusammen, reicht es nur für die am wenigsten populären Musiker. Nur von ihnen werden Stücke in das königliche Konzert übernommen. Bei etwas mehr Geld in der Kasse, kommen die Komponisten aus dem Mittelfeld zu Zuge, und bei noch mehr Geld, wird ausschließlich der Elite-Komponist aufgeführt.
Die Spielregel empfiehlt, sich hierbei Zeit zu lassen und darüber zu diskutieren, welchen Betrag ein jeder zusteuern soll. Ansatzweise haben wir das auch versucht, aber am Westpark sind solche Diskussionen ziemlich verpönt. In „Symphony No 9“ nochmals ganz besonders, denn je nach eigenen Engagement in Spendenwürfeln und je nachdem, in welcher Aufführungs-Kategorie unsere geförderten Musiker gelandet sind, hat jeder Spieler unterschiedliche Ambitionen. Warum soll man für „die anderen“ die Kohlen aus dem Feuer holen? Ein Engagement hier ist mehr oder weniger Geldverschwendung.
Es gibt dabei allerdings einen kleinen Fallstrick: Wenn weniger Aufführungsgeld zusammenkommt, als für die Arme-Leute-Kategorie mindestens gefordert ist, fällt das Konzert ganz aus. Wer am geizigsten war, verliert einen Spendenwürfel. Etwas Ähnliches kann sogar passieren, wenn zuviel Geld gespendet wurde, mehr als für die Höchstgrenze des Elite-Komponisten angegeben ist. Dann „randalieren die Bauern gegen den hier gezeigten Luxus“ und das Konzert findet ebenfalls nicht statt. Jetzt werden diejenigen Spieler bestraft, die am meisten für die Aufführung hingelegt haben. Eine seltene Konstellation, aber wenn ein Spieler als einziger mit z.B. drei Würfeln den aktuellen Elite-Komponisten gefördert hat, dann kann er problemlos schon mal 15 Geldeinheiten für dessen Konzert hinblättern, um danach 27 Geldeinheiten ausgeschüttet zu bekommen. Und die Mitspieler können ihm diesen sicheren Gewinn vermasseln, indem sie alle zusammen ein paar wenige Geldeinheiten für die Aufführung dazulegen.
Damit sind wir auch schon bei der Refinanzierung der Mäzene: Nach dem Konzert fließt auch etwas Geld zurück in ihre Privatschatullen. Für jeden Spendenwürfel eines aufgeführten Komponisten bekommen wir “Gönner“ drei, vier oder gar neun Geldeinheiten zurückerstattet. Zusätzlich erhält derjenige, der am meisten in die Aufführungskasse spendiert hat, eine erkleckliche Provision in klingender Münze oder in Spendenwürfeln.
Am Ende des Spiels werden Siegpunkte ausgeschüttet. Für jeden Musiker gibt es ein eigenes Ausschüttungsmodell, aber Basis ist immer der Besitz an Manuskripten. Einmal wird jedes einzelne Manuskript honoriert, einmal die Mehrheit darin. Einmal wird für einen Musiker die Anzahl der erworbenen Manuskripte mit der Anzahl von verbliebenen Spendenwürfeln multipliziert, ein andermal wird mit der Anzahl von Manuskripten anderer Musiker multipliziert. Und was dergleichen mehr ist. Für den Sieg muss man sich diese sechs verschiedenen Berechnungsmodelle genau anschauen. Für Walter, der erst in den letzten fünf Jahren seine Liebe zu Schubertscher Kammermusik entdeckt hat, hatte Schubert in allen seinen Entscheidungen die höchste Priorität. Damit wurde er weit abgeschlagen Letzter. Ist Schubert denn schon wieder out? Günther gewann, und Aaron kommentierte treffend: „Dann ist Symponie No 9 also kein Glücksspiel“.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (zuviel Chaos, die Behandlung der Beliebtheit ist ein hübsches Element), Günther: 4 (möchte es eigentlich nicht noch einmal spielen, das Bieten ist ein Chaos, ich habe nur zufällig gewonnen), Moritz: 5 (maximal 5; das Spiel ist nicht schlecht designed, das Bieten ist spannend aber zufällig, thematisch ist es ein Quatsch, abgesehen davon, dass Händel und Bach keine Symphonien geschrieben haben), Walter: 5 (dabei bereits ein Sympathiepunkt für Schubert eingerechnet; das blinde Bieten steht in krassem Widerspruch zu den strengen Anforderungen an die Planung von Würfel-Mehrheiten. Würde es nur noch ein einziges Mal spielen wollen, um dann für die Aufführungskasse keinen einzigen Pfennig mehr zu opfern).
2. “Carpe Diem”
Auf sieben Feldern liegen je vier Bauteile aus, Villen, Kulturlandschaften, Märkten, Unterkünfte, Backstuben, Brunnen und ähnlichem. Mit seinem einen Pöppel läuft jeder Spieler vorwärts oder rückwärts durch die topologische Struktur der Felder, nimmt sich jeweils ein Bauteil und baut es in sein privates Grundstück ein. (Die gegebene „topologische Struktur“ der Felder dient rein der Verschleierung, welche der Felder benachbart sind, bzw. welche Felder ich und welche meine Mitspieler in ihrem nächsten Zug erreichen können. Funktionell ist das identisch damit, dass jeder Pöppel zu genau dem rechten oder linken Nachbarfeld laufen kann.)
Viermal werden die Felder gefüllt und viermal dürfen wir sie komplett „abernten“, d.h. die gewünschten Bauteile in unsere Grundstücke einlegen. Darin entstehen dann Häuser und Betriebe, und werfen bei ihrer Fertigstellung Güter ab: Hühner, Fische, Trauben und Gemüse, Brot oder auch Geld. Viermal, nach jedem kompletten Abernten der Spielfelder, dürfen wir mit unseren erworbenen Gütern verschiedene Siegpunkt-Bedingungen finanzieren. Diese Bedingungen sind auf Kärtchen festgelegt, die in einer drei mal vier Matrix als Wertungstableau ausliegen, z.B. „3 Hühner ergeben 7 Siegpunkte“, oder „2 Brunnen ergeben 3 Siegpunkte“.
Die Crux dabei ist, dass man bei jeder Wertungsaktion gleich zwei nebeneinander liegende Bedingungen erfüllen muss, nach dem obigen Beispiel also 3 Hühner und zugleich 2 Brunnen erworben haben muss. Das ist besonders in den ersten Runden fast nicht zu schaffen. Dann muss man sich also eine erfüllbare und eine nicht-erfüllbare Wertung aussuchen, und für die nicht-erfüllbare Bedingung Strafpunkte bezahlen.
Welche „nicht-erfüllbaren“ Wertungen sind hierbei von Interesse? Natürlich diejenigen, die ein Mitspieler ggf. erfüllen könnte. Wir müssen also das gesamte Besitztum aller Mitspielers danach abscannen, welche Siegbedingungen sie damit erfüllen könnten und welche dieser erfüllbaren Bedingungen auch noch nebeneinander liegen. Davon reißen wir dann eine an uns, obwohl wir sie nicht erfüllen können und dafür Strafpunkte bezahlen müssen. Und dabei muss unser Scannen so gründlich sein, dass wir auf dem Wertungstableau keine Kombination übersehen, die der zu schädigende Mitspieler dann doch noch erfüllen kann. Ein hässliches Prinzip!
WPG-Wertung: Aaron: 6 (die Siegpunkte-Bedingungen sind „interessant“. [AbN: Habe gerade vom Sternenkoch Lafer die Belehrung bekommen, die Aussage, das Essen habe „interessant“ geschmeckt, komme einer Backpfeife gleich.], nichts Neues, mal wieder ein Feldsche Siegpunkt-Salat), Günther: 7 (besitzt erhebliche Interaktion), Moritz: 7 (man ist ständig „engaged“), Walter: 6 (die privaten Landschaftsgärten und das Zusammentragen der Bauteile sind hübsche Spielelemente, die Konkurrenz auf dem Wertungstableau dagegen ist blödsinnig).
Günthers Spiel lag noch von letzter Woche hier am Westpark auf der Couch, entweder als Info-Quelle für den Session-Report oder um uns dieses Spielemonster doch tatsächlich noch einmal antun. Bis auf den Hausherrn war die Belegschaft total disjunkt von der letzter Woche, was lag also näher, als die Gelegenheit gleich beim Schopfe zu packen und “Teotihuacan” nochmals auf den Tisch zu bringen, um die Anzahl der Wiederholungstäter möglichst klein zu halten.
Moritz war dafür und Aaron nicht dagegen. Er biss in den sauren Apfel, den er sich schon bereitgelegt hatte, als er einstens einer ersten Runde paralysierter Teotihuacanisten vom Nebentisch aus zuschauen musste. Wenig Spiel, viel Arbeit war damals sein Eindruck, von dem er auch heute keinen Deut abweichen wollte.
Diesmal verlief das Spiel glücklicherweise ganz anders als letzte Woche. (Das ist doch ein Zeichen für ein gutes Design!) Damals sind wir über die Spielfelder geschlendert und haben uns nur so en passant mit den notwendigen Rohstoffen eingedeckt. Entsprechend langsam kam der Pyramidenbau vorwärts. Diesmal ging alles sehr viel schneller vor sich. unverzüglich wurde mit dem Bau der Pyramide begonnen, und wir hatten auch blitzschnell – nach zweieinhalb Stunden – die zweite Eklipse noch nicht vollendet, da war sie auch schon fertig, das Spiel zu Ende und Aaron erlöst.
Moritz hatte sogleich die Zeichen der Zeit erkannt. Als Startspieler mit ausreichend Gold ausgestattet, ging er gleich in der ersten Runde die beiden höchst profitablen Technologien an: die Zusatzressource für das Arbeiten in Wald, Steinbruch oder Goldmine und das geschenkte Fortschreiten bei einem beliebigen Tempel ansehen für jeden Baustein in der Pyramide. (Sich letzteres so früh wie möglich zuzulegen, erscheint fast als eine Killerstrategie. Mögen uns Teotihuacan-Experten doch bitte eines Besseren belehren!)
Moritz eiste auch als einziger den vierten Pöppel-Würfel los (Aaron und Walter hofften, mit ihren nur drei Würfel schneller die begehrten Alterungen abschöpfen zu können) und ging konsequent die Rohstoffe mit drei eigenen Würfeln an. Massen von Ressourcen fielen ihm dabei in den Schoß; zugleich kam er durch den zusätzlichen vergebenen Alterungsprozess trotz seiner vier Würfel noch schneller in die ewigen Jagdgründe als seine Konkurrenten. Mit großem Vorsprung wurde er Sieger!
WPG-Wertung: Aaron: 4 (insgesamt extrem langweilig, kein Spannungsbogen, elende Fummelei und Fieselei; nur Schweiß, keine Steigerung; super Solitär-Spiel, was die anderen machen, ist schnurzegal), Moritz: 7 (bei jedem Zug gibt es – leider – sehr viele Abhängigkeiten, von denen man leicht einige übersehen kann; fast eine Rosenberger-Maschinerie; man hat aber tatsächlich auch taktische Möglichkeiten gegen die Mitspieler), Walter: 7 (bleibt; der Pöppel-Würfel-Zugmechanismus spielt sich wirklich sehr schön, auch wenn der Psalmist Recht hat mit seiner Erkenntnis:
und wenn es hoch kommt, so ist es doch nur Mühe und Arbeit gewesen
2. “Barbara”
Aaron brachte die Spiele-Erfindung eines Autoren-Freundes mit, die erst noch hoppelt. Ein Party-Spielchen für möglichst viele Teilnehmer. Es gibt Kärtchen und es gibt Würfel. Und es gewinnt das Team, das am schnellsten „Barbara Schöneberger“ sagen kann.
Na ja, nicht ganz, aber Aaron hat mir verboten, mehr davon zu verraten. Es ist ja überhaupt noch nicht entschieden, wer gewinnt und wie man gewinnt. Daran wird es dereinst liegen, ob die „Barbara“ erfolgreich sein wird oder nicht.
Keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entwicklungsphase.
3. “Ohanami”
Für Nicht-Japanologen unter uns Deutschen hat Doris Dörrie mit ihrem Film „Hanami“ einen bleibenden Eindruck von der Kirschblüte in Japan hinterlassen. „Ohanami“ scheint die englische Version dieser Kirschblüte zu sein. Das gleichnamige Spiel von Steffen Benndorf hat allerdings wenig mit Kirschen oder Blüten zu tun, auch wenn einige Graphiken das suggerieren möchten; es ist ein ausgewachsenes, abstraktes Kartenspiel.
Jeder Spieler bekommt drei mal acht Karten auf die Hand, auf denen die Zahlen von 1 bis hoch-genug aufgedruckt sind. Davon darf er jeweils zwei Karten behalten, die anderen muss er nach bekannter Drafting-Weise an seine Mitspieler weitergeben. Die beiden behaltenen Karten darf / muss er vor sich auslegen, und zwar an ein bis drei Stapeln. Die Karten dürfen oben oder unten an einen der vorhanden Stapel angelegt werden oder es wird mit ihnen ein neuer Stapel angefangen. Die Zahlen auf den Karten müssen mit vorhandenen Zahlenkarten eines Stapels eine streng aufsteigende Zahlenreihe bilden. Karten, die nicht an den Anfang oder an das Ende der Stapel eines Spielers passen, müssen wirkungslos abgeworfen werden.
Dieses Zwei-Karten-Auswählen-und-Ablegen wird jetzt mit den Karten fortsetzt, die man von seinen Mitspielern bekommen hat, so dass jeder Spieler am Ende eine Menge Karten in den maximal drei Spalten vor sich liegen hat.
Diese Stapelkarten werden gewertet: Jede blaue Karte liefert – von der ersten Runde an – drei Siegpunkte, jede graue (oder grüne ?) Karten liefert sieben Punkte, aber erst ab der zweiten Runde, und in der Schlusswertung liefern alle roten Karten zusammen Siegpunkte gemäß ihrer Gesamtzahl nach der bekannten arithmetischen Reihe: 1, 3, 6, 10 …
WPG-Wertung: Aaron: 6 (ein leichtes Gefühl von „6 nimmt!“), Moritz: 5 (keine Spannung, kein Reinreißen der Gegner, es fehlt ein Schaubild über die Verteilung der Farben, so wie beim „Flaschenteufel“, würde es maximal noch 1 mal spielen wollen), Walter: 6 (mag Kartenspiele mit Gesamt-Abhängigkeiten, würde es gerne noch einmal spielen, um es besser zu spielen).
Ein Workerplacement-Spiel der neueren Art. Vieles ist anders, alles ist gut.
Wir laufen mit unseren drei Pöppeln (Würfeln) um das Spielfeld herum, besorgen uns Ressourcen, erhöhen unsere Effizienz, verschaffen uns Privilegien, bauen an der gemeinsamen schönen Stufenpyramide und steigen in der Gunst der Tempelgötter.
Das Besondere, Schöne und Spielerische daran ist der Zugmechanismus. Wir können einen beliebigen unserer Würfel-Pöppel um beliebig 1, 2 oder 3 Felder vorwärts ziehen und dann die Zielfeld-spezifische Aktion ausführen. Eigentlich sind zwei, wenn nicht gar drei Aktionen möglich:
die Basis-Aktion ist “Kakao ernten”, auf Kapitalisten-Deutsch: Geld einnehmen. Dies ist auf allen acht Feldern möglich.
die sakrale Aktion ist “beten”: d.h. unsere Potenz in einem der drei Tempel erhöhen und dazu noch einen variablen Profit einstreichen
die Haupt-Aktion besteht aus Ressourcen-Nehmen, Pyramide-Bauen und den üblichen Workerplacement-Effekten.
Soweit ist alles noch ziemlich normal. Das Ganze wird erst spannend durch eigene und fremde Pöppel, die bereits auf dem Zielfeld stehen. Je mehr verschiedene Mitspieler dort sind, desto höher ist der Kakao-Ertrag. Stehen wir alleine auf einem Feld, gibt es nur eine einzige Einheit. Das wäre dann ein Zug, denn man nur im größten Notfall tun würde. Stehen aber z.B. bereits drei verschiedenfarbige Pöppel dort, dann bekommen wir für unseren vierten Pöppel, der auf dieses Feld zieht, gleich 4 Kakao-Einheiten. Damit können wir schon ein paar unserer weiteren Aktionen finanzieren.
Wollen wir die Hauptaktion ausführen, müssen wir Kakao bezahlen, und zwar abhängig von der Anzahl der verschiedenfarbigen Pöppel, die bereits dort stehen. Falls wir unbedingt eine bestimmte Ressource brauchten, auf dem betreffenden Feld aber einige Mitspieler stehen und stehen und stehen, kann es ganz schön in den Kakao gehen, bis wir hier zum Zuge kommen.
Die Anzahl von Ressourcen (Holz, Stein oder Gold), die wir auf einem Ressourcenfeld bekommen, ist von zwei Faktoren abhängig:
Von der Anzahl unserer eigenen Pöppel-Würfel, die wir auf dem Feld haben.
Von der Augenzahl, die unsere Pöppel-Würfel dort haben.
Je mehr Pöppel und je höher die Augenzahl, desto größer die Ausbeute.
Und damit kommen wir zu einem anderen wichtigen Mechanismus in “Teotihuacan”: Mit jeden Zug, den ein Pöppel-Würfel tut, wird seine Augenzahl um 1 erhöht. Mit niedrigen Pöppen auf Ressourcen ausgehen, ist ein ziemliches Pyrrhus-Geschäft. Niedrige Einheiten sind eher zum Beten zu gebrauchen.
Hat ein Würfel die Augenzahl 6 erreicht, so geht er mit großem Pomp in die ewigen Jagdgründe ein und hinterlässt seinen Nachkommen ein erkleckliches Erbe an Siegpunkten, Geld, Tempel-Potenz und ähnlichem. Zugleich ist die Anzahl gestorbener Pöppel ein Faktor, mit dem später in der Eklipsenwertung die ausgeschütteten Siegpunkte multipliziert werden.
Ich will hier jetzt nicht die weiteren Effekte von Tempelbau, Verzierungen und Eklipsen alle aufzählen. Das Regelheft umfasst 24 ausreichend instruktive, intensiv bebilderte Seiten, in denen alles dargestellt wird. Nur zum Spielgefühl: Einerseits spielt jeder für sich, lässt seine Würfel „altern“ und sterben, besorgt Kakao und Rohstoffe und plant, an welchen Felder er kleckern und wo er klotzen will. Andererseits sind Kosten- und Nutzen aller Züge durchaus abhängig von den Positionen der Mitspieler, was zwar manchmal reines Mitspielerchaos sein kann, aber durchaus auch vernünfig kalkulierbar und beherrschbar ist.
Natürlich darf man in „Teotihuacan“ denken, sollte es auch, doch die einzelnen Züge sind leicht, übersichtlich, erfordern wenig Regel-Merkleistung und halten keine unvorhersehbaren Überraschungen bereit. Wenn Aaron es einmal nur vom Nebentisch aus sehen konnte und den Eindruck bekam, „es sah nach viel (Solitär-) Arbeit und Grübelei aus“, so mag das zwar in der Tendenz stimmen, doch auch bei jedem Zug jedes Mitspielers kann man mitdenken und an seiner eigenen Zugplanung feilen, so dass diese fremde Denkzeit nicht als verloren angesehen werden muss.
WPG-Wertung: Günther: 8 (schön, rund, zügig, hohe Variabilität), Horst: 7 (tolles Spiel, gute Autorenleistung, für mehr Punkte müsste man mit den Würfeln aber auch würfeln dürfen …), Walter: 7 (gelungenes, dynamisches Workerplacement-Spiel, für mehr Punkte hätte man ein paar der absolut unnötigen Querwirkungen weglassen müssen, u.a. auch die Richtungsorientiertheit der „Verzierungen“).
Außer Konkurrenz:
Am Wochenende war meine Schwägerin aus Ungarn da. Schon im Vorfeld hatte sie sich ein „Programm“ gewünscht. Gleich am ersten Tag legte ich ihr ein „AZUL“ vor. Wir spielten es – zuerst viermal in einer dreier Runde, dann noch achtmal nur zu zweit – mit wachsender Begeisterung. Sie brauchte kein weiteres Programm, keine Oper und kein Sternerestaurant. Drei Tage lang gierte sie schon gleich nach dem Abendessen auf die nächste AZUL-Session. Zu zweit. Zehnmal pro Abend. Anschließend durfte sie mein Exemplar auch mit nach Ungarn mitnehmen. Ich wünsche ihr dort die gleichen begeisterten Mitspieler.
Lange Diskussion vor, während und nach des Spielabends, was eigentlich „Strategie“ im Vergleich zu Taktik ist. Was dazu im Internet angeboten wird, ist teilweise widersprüchlich und fand keine einhellige Zustimmung. Günther rutschte beim Wort „Strategie“ immer sofort auf das „Gewinn-Strategie“-Gleis, was innerhalb der Spiel-Theorie wenig Freiheiten offenlässt. Die anderen sahen in ihrer Strategie eher eine “Vorliebe”, einen freien Ausprobier-Luxus, den man sich hin und wieder halt auch mal gönnen kann.
Ist Schach jetzt ein Strategiespiel oder „nur“ ein Taktik-Spiel. Man wählt zwar willkürlich eine Eröffnung, geht also in Richtung des Ausprobier-Luxuses, hinterher ist aber alles Taktik: auf jeden Zug des Gegners wird mit dem Bilderbuch Gegenzug reagiert. Freiheitsgrad für kreative neue Wege sind in der Größenordnung von Null.
1. “Mystic Vale”
Eine neue Variante von Deckbuilding: Die Herausforderung besteht nicht mehr darin, durch Nehmen und Ablegen von Karten unser Kartendeck in die gewünschte Richtung zu optimieren, sondern durch Hinzunehmen von Teileigenschaften unser vorgegebenes Deck von 20 Karten so aufzupäppeln, das wir uns damit optimale „Einkaufsbedingungen“ für die nächsten Teileigenschaften sowie für ausgesprochene Siegpunkt-Karten schaffen.
Eine hübsche Fertigungsidee steckt in den Teileigenschaften: Sie sind als durchsichtige Folien mit aufgedruckten Eigenschaften realisiert. Dies Folien werden in die Schutzhüllen der Standard-Karten des Decks eingesteckt, so dass man jederzeit immer alle Eigenschaften einer Karte auf einen Blick erkennen kann, und diese Karten mit allen ihren Funktionserweiterungen immer noch als gut hantierbare Einheit vorliegen.
Wir spielen unser Deck konsequent von Anfang bis Ende durch. Wenn alle Karten verbraucht sind, mischen wir sie und spiele sie erneut von Anfang bis Ende.
Für einen Zug können wir beliebig viele Karten unseres Decks aufdecken und alle darin enthaltenen Einkaufsoptionen ausnutzen: Manna (= Geld) sowie verschiedene Symbole für entsprechende Forderungen auf den einzukaufenden Zuwachskarten. Natürlich muss in diesem Aufdecken ein Can’t Stop-Effekt eingebaut sein: Manche Karten besitzen ein „Feuersymbol“, und maximal 3 Feuersymbole dürfen in den zu nutzenden Karten enthalten sein. Hat man bereits 3 Feuersymbole aufgedeckt, dann muss man entweder sicherheitshalber aufhören, oder man zieht mit Risiko beliebig viele Karten einzeln nach. Taucht dabei ein viertes Feuersymbol auf, hat man verkackt, der Zug ist vorbei und man bekommt als Entschädigung lediglich eine Einheit Manna.
So zieht man fröhlich durch sein Kartendeck, geht ein kalkuliertes Risiko ein oder nicht, kauft mit den sichtbar gewordenen Einkaufmöglichkeiten das, was von der offenen Auslage auf dem Tisch möglich oder individuell erstrebenswert ist, überlegt kurz, welche der eigenen Karten man damit aufpäppeln will, und schon ist der nächste Spieler an der Reihe.
Viele der erworbenen Erweiterungskarten besitzen Nebeneffekte, die einen Einfluss auf Siegpunkte und Potenz der nächsten Züge haben. Doch ist es kaum möglich, hier eine sichere „Strategie“ (oder ist es nur eine „Schiene“) zu fahren, zu unsicher ist das zukünftige Angebot, und hat man sich erst mal ein paar hoffnungsvolle Eigenschaften zugelegt, ist das Spiel auch schon zu Ende. Gott-sei-Dank.
WPG-Wertung: Aaron: 6 (blitzschnell erklärt [das war ohne Zweifel auch eine Leistung von Helmut, der genau wusste, wieviel Detail-Information bis zu welchem Zeitpunkt jeweils nötig war!], ), Günther: 6 (als Dominion-Fachmann und Liebhaber würde er es gerne noch ein paarmal spielen, um die inneren Abhängigkeiten der Karten kennenzulernen und so besser in den Griff zu kriegen, aktuell hat er noch keinen Durchblick über eine zielführende Strategie), Helmut: 7 (flott, wenig down time, ein neuer Blick auf den Deckbuilding-Mechanismus), Walter: 6 (spielt sich leicht, aber von der Hand in den Mund, erheblicher Zufallseinfluss, und ein „to have a plan“ steht noch hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen).
2. “Carson Hill (= Diggers)”
Aaron hat seit letzter Woche wieder an ein paar Schräubchen seiner Erfindung gedreht. Als Merker für die Geschichte dieses Spiels:
Es gibt jetzt 6 anstelle von bisher nur 5 Schächten.
Jeder hat nur 6 Handkarten anstelle von 7 in der letzten Woche; allerdings darf er nach dem Passen seine Restkarten behalten, bekommt 6 neue dazu und darf sich dann aus dieser Gesamtzahl seine 6 Favoriten heraussuchen.
Meiner Meinung nach, die sicherlich nicht weit weg von der Gesamtmeinung am Westpark liegt, ist das Spiel, so wie es jetzt ist, perfekt.
Helmut hatte allerdings eine Regel missverstanden und fühlte sich mit seiner Kartenhand vom Schicksal nicht gut bedacht. „Spiel ist auch eine charakterbildende Maßnahme: man lernt, Frust auszuhalten“. Das gilt wohl generell und sollte keineswegs vom Charakter von „Carson Hill“ abgeleitet sein.
WPG-Wertung: keine Wertung für ein Spiel in der Entwicklungsphase.
3. “Puerto Rico: Das Kartenspiel”
Die offizielle Überarbeitung eines hochgelobten, hochverdienten Kartenspiels.
Bereits 7 Reports und Strategie-Analysen gibt es dazu bzw. für die namensgleichen Vorgänger auf unserer Internetseite. Wir haben im Durchschnitt 9 Punkte vergeben, Aaron ist sogar mit einer 10 dabei. In unserer ewigen Besten-Liste liegt das Spiel an elfter Stelle. Kann mir einer klären, warum das Spiel bei uns noch nie „Spiel des Monats“ war?
Keine neue WPG-Wertung, aber die bisherige hohe Punktzahl dürfte auch für diese überarbeitete Version keine Einbußen bekommen haben.
Wir transportieren Nutzfrachten in den Weltraum und gewinnen damit Siegpunkte. Die wesentliche Tätigkeit des Spiel ist es, die Utensilien zusammenzukratzen, die benötigt werden, um solche Raumtransporte durchzuführen. Im Einzelnen sind dies:
Eine Rakete; a priori hat jeder Spieler eine; per “Missionskarten” können es auch mehrere werden.
Einen Laderaum genügender Kapazität. Zu Beginn des Spieles können wir nur eine einzige Gewichtseinheit transportieren. Diese Kapazität müssen wir im Laufe des Spiels unbedingt erweitern.
Ein der Nutzlast entsprechendes Ingenieurwissen, das zu Spielbeginn noch bei Stufe 1 liegt, bis zum Spielende aber – um eine Siegchance zu haben – auf 3 bis 4 angehoben sein muss.
Ein der Nutzlast entsprechendes Technik-Niveau, das durch Technik-Karten in den Farben rot, gelb und blau erworben wird.
Einen Auftrag oder mehrere Aufträge über die zu transportierende Nutzlast.
Geld, denn jeder Transport kostet viel Geld.
Was bringt ein Transport ein? Selten bekommen wir Geld dafür, das müssen wir uns anderweitig besorgen. Grundsätzlich gibt es dafür Siegpunkte, ad hoc allerdings nur in beschränktem Maße, eher als Trostpreis für die hohen Aufwendungen. Die kleineren Nutzlasten bringen Technik-Karten sowie die Erlaubnis, verschiedenfarbige Technik-Karten ineinander umzutauschen, sie erhöhen die Einkommensklasse, vor allem aber erlauben sie den Ausbau der Rakete und die Erhöhung unseres Ingenieurwissens. Die größeren Nutzlasten sind insbesondere in der Schlusswertung wichtig und schütten massig Siegpunkte aus für die Bilanz unseres Gesamt-Transportes sowie für unseren Ausbau an Wissen und Technik.
Jetzt wäre alles so wunderschön, wenn wir unsere Missionen frei planen und darüber entscheiden dürften, in welcher Reihenfolge wir uns in welcher Reihenfolge entwickeln wollen: Erhöhung unserer Potenzen an Einkommen, Know-how und Transport, geeignete Nutzlasten auswählen usw. Das ist aber leider so nicht vorgesehen. Unsere Aktionsfreiheit wird mittels „Missionskarten“ kanalisiert, auf ihnen sind die aktuell erlaubten Aktionen aufgezeichnet. Nur mit den zugehörigen Missionkarten dürfen wir all das tun, was wir so gerne tun würden. Wir verfügen pro Runde über drei davon; sie werden uns rein zufällig zugeteilt, zwei davon dürfen wir nutzen. Das ist eine arge Fessel; wenn man z.B. nicht die nötige Technik hat, Transporte durchzuführen, dann bleibt alles still und arbeitslos am Boden. Das tut besonders am Anfang recht weh tun, wenn man noch nicht weiß, dass in „Lift Off“ bei allen Spielern irgendwann mal irgendetwas knapp ist und die Fortschrittsgeschwindigkeit ständig variiert und dabei enorme Spannweiten aufweist.
Später erkennt man, dass Nichts-Tun und Herumhocken-Müssen gar nicht so schlimm ist; man hortet halt die Aufträge für den späteren Ausbau seines Transportunternehmens und spart sich die relativ teuren Geldausgaben für die einfache Transporte. Und bekanntlich stinkt Geld nicht. So erging es Aaron, der in den ersten drei Runden keine einzige Technik-Karte erwerben konnte und deshalb keinen einzigen Transport durchführen durfte. Doch als er dann richtig flügge wurde, schwamm er in gehortetem Geld und Aufträgen. Am Ende war er der „gefühlte Sieger“. Der „ungefühlte Sieger“ wurde Günther, aber erstens ist das ja sein Markenzeichen, zweitens war er der Spielbesitzer und drittens hatte er das Spiel als einziger bereits schon einmal gespielt.
Moritz kam sehr gut aus den Startlöchern; er hatte recht bald sein regelmäßiges Einkommen auf den Höchststand gebracht, seine Rakete konsequent ausgebaut und investierte fleißig in die Raumstation. Im Mittelspiel holten ihn die natürliche Sperrigkeit der Aktionen aber wieder ein; er musste sich mit der Bronzenen zufrieden geben. Walter war auch dabei.
WPG-Wertung: Aaron: 7 (nichts Neues, der übliche Super-Pepp von HiG ist nicht drin; zuviel Gedöns. [Trotzdem 7 Punkte!]), Günther: 7 (fast 8, das Spiel ist geradlinig, im Aufbau keineswegs komplex), Moritz: 7 (das Spiel ist locker, aber weder exzeptionnel noch schlecht; man spürt die [erfahrene] Handschrift von HiG: die Siegpunkte-Verteilung ist gerecht), Walter: 6 (für die lange Spieldauer zu wenig planerische Durchsichtigkeit, in den Missionskarten steckt viel Zufälligkeit, genauso wie auch im Benefit der durchzuführenden Aufträge, eine Linie für optimales Spiel ist nicht erkennbar, und die Linie für normal-gutes Spiel ist trivial)
2. “Diggers”
Vor sieben Jahren stellte uns Aaron mit „Diggers“ ein wunderschönes, kleines, pfiffiges Kartenspiel vor, das auf Anhieb gute Noten bekam. Mit Glück bekommen wir eine gute Kartenhand, doch dies bringt uns alleine nicht weiter. Übersicht und Planung in Kooperation / Konkurrenz mit unseren Mitspielern ist erforderlich, um die Karten in unserer Kartenhand an den gerade richtigen der angebotenen Anlegestellen anzulegen, woraus Siegpunkte generiert werden.
In Zusammenarbeit mit “What’s Your Game?” ist daraus ein ausgewachsenes Brettspiel, „Loot Island“, entstanden, mit einem riesigen Überbau an Schätzen und Flüchen, der allein schon für sich eine eigene Herausforderung darstellt. Jedem Tierchen sein Pläsierchen.
Jetzt hat Aaron sich wieder auf seine ursprüngliche, genau das Westpark-Gamer-Feeling treffende Spielidee aus Witz und Interaktion besonnen, möchte sie noch etwas schleifen und polieren, vielleicht auch etwas an der Balance zwischen Glück und Können drehen, und das Ganze als kleines, windschnittiges Kartenspiel präsentieren.
Fast eine Stunden lang haben wir uns an einem einzigen Spiel erlabt, mit sehr viel Interaktion keine Sekunde Langeweile. Wir sind schon mal gespannt.
Kritik ist oft genug keine Wissenschaft, sondern ein Handwerk, wozu mehr Gesundheit als Geist, mehr Fleiß als Fähigkeit, mehr Gewohnheit als Begabung erforderlich ist.
La Bruyère (1645-1696)
1. “AZUL”
Moritz hatte seinen Sohn Milo mitgebracht, der zwar auch schon für anspruchsvolle Spiele kompetent ist, für den wir heute aber gerne auf Spiele-Klassiker (neuerer Art) zurückgriffen.
„AZUL“ ist so einer. Umwerfend gut. Das Material ist hübsch. Mit den gerade richtig griffigen, gerade richtig bunten Spielsteinen zu spielen, besitzt zweifellos sogar einen psychisch-therapeutischen Effekt. Jede Menge Interaktion. Jede Menge Vorausplanung. Jede Menge Vorsicht und Risiko. Gerade richtig viel Glücksanteil. Jede Menge Schadenfreude beim Hineinreißen eines unbedachten Hasardeurs in eine Fehlfarbe.
Das Spiel sieht ganz einfach aus und ist auch für Wenig-Spieler sofort spielbar. Aber es enthält auch Fallen, die ein Sieger unbedingt vermeiden sollte. Und wenn einer gewinnt, kann er sich berechtigt bei sich und den Seinen mit seiner Übersicht brüsten, während die Zweiten-Sieger mit der gleichen Berechtigung nach Hause gehen können und alles auf den Glücksanteil schieben können.
Ein großer Wurf! Vielleicht der größte innerhalb der letzten paar Jahre.
WPG-Wertung: Milo vergibt 8 Punkte. Walter erhöht seine Punkte von 8 auf 9, fast 10, aber unser abendfüllendes „1830“ soll doch noch einen kleinen Vorsprung behalten.
Heute war ich in einem Buchladen am Marienplatz. Offensichtlich will dieses Geschäft auch vom anhaltenden Spiele-Boom in Deutschland profitieren. In einer Krusch-Ecke neben der Eingangstür lagen ein paar Spiele aus. Direkt ins Auge stechend ein Stapel „Sebastian Fitzek Safehouse“. Das ist nach einem realen Krimi zusammengeschustert und passt in jedem Fall in einen Buchladen. Vielleicht wurden hier aber nur die unverkäuflichen Spiele des letzten Jahres verramscht. Der andere Stapel war „AZUL“. Kann es sein, dass dieses Superspiel des Jahres 2017/18 ebenfalls bereits auf dem Verramsch-Haufen gelandet ist? Oder möchte der Buchladen mit diesem „Spiel des Jahres 2018“ seinen Spieleverkauf ankurbeln. In beiden Fällen scheint mir – unmaßgeblichem Kritiker – die zweite Alternative die richtigere zu sein.
2. “Terraforming Mars: Kolonien”
Nach dem “Spielen” mit “AZUL” war das “Arbeiten” mit Terraforming Mars angesagt. Bei der ersten Begegnung vor anderthalb Jahren mit dem TM-Basis-Spiel gab es nur eine verhaltene Zustimmung, „zu lang, zu breit und zu solitär“ war eine Wertung. Inzwischen ist es – dank Günthers eifrigen Protegierens – mit 9 mal Gespielt-Worden auf den 11. Platz unserer – mehr als eintausend Einträge enthaltenen – ewigen Spiel-Frequenz-Liste angelangt.
Diesmal brachte Günther die “Kolonien-Erweiterung” mit. Anstelle eine der üblichen Karten aufzudecken und zu bezahlen dürfen wir jetzt auch eine „Kolonie“ gründen oder mit einer Kolonie Handel treiben. „Kolonien“ sind abstrakte Gebilde außerhalb des Spielbretts; sie liefern eine einzige, fest vorgegeben Ware, z.B. Eisen, Titan, Pflanzen oder auch Bargeld. Ihre Gründung kostet einen festen Betrag in Geldeinheiten. Das Handel kostet ebenfalls einen fest vorgegebenen Betrag, der aber auch mittels Titan oder Energie-Einheiten entrichtet werden kann.
Effekte:
Noch mehr Karten: je nach Vorliebe kann das positiv oder negativ bewertet werden.
Größere interne und externe Abhängigkeiten von eigenen und fremden Zügen (Karten): mehr Interaktion, mehr Konkurrenz, was grundsätzlich positiv ist; dafür können einem jetzt die Spieler aber auch besser in die Suppe spucken; das macht höchstenfalls dem Spuckenden Spaß.
Mehr Freiheit und Flexibilität innerhalb den Aktionen: uneingeschränkt positiv. (Die zweifellos erhöhte Wartezeit auf das Ende der Zug-Entscheidung eines Spielers wollen wir hier mal außer Acht lassen.)
Ein paar der gegen Spielende hin normalerweise nutzlos erzeugten Energieeinheiten kann immerhin noch beim Handeln eingesetzt werden: positiv.
Günther kam diesmal mit seiner Mars-Besiedelung ausnahmsweise nicht aus den Pötten. Dafür bewies er aber bei den Kolonien ein überaus glückliches Händchen. Zugleich konnte er sich konkurrenzlos Massen von siegpunkt-trächtigen Tieren auf seinen Karten aufladen und in der Endauswertung damit ungezählte Schritte nach vorne machen. Moritz hielt schon die Luft an. Er hatte im Prelude mit dem Helion-Konzert ein Super-Start-Unternehmen zugeteilt bekommen. Damit begann er unverzüglich mit einer Wärmeproduktion von 3 Einheiten pro Runde, und durfte zugleich jederzeit Wärme als Geldeinheit benutzen. Das kam schon fast einer Erlaubnis zum Geld-Drucken gleich. Kein Wunder dass er immer warm und flüssig war. Mittels der finalen Auszeichnungen landete er am Ende doch noch knapp vor Günther auf dem ersten Platz.
Vielleicht lag es an Milo, vielleicht am Neuen Jahr: ohne jeglicher Hetzerei oder Ketzerei ging eine friedliche WPG-Session mit Entspannung und konstruktivem Schweiß zu Ende.
WPG-Wertung: Milo vergibt 7,5 Punkte. [Aaron wird sie auf 8 auf- oder auf 7 abrunden müssen].
Aaron teilte mit, dass er vom Finanzamt als „Liebhaber“ anerkannt worden sei. Günther fragte, ob er jetzt seine Kondome absetzen könne. Leider ist genau das Gegenteil der Fall: er darf jetzt Materialen und Spesen nicht mehr absetzen. Dafür braucht er aber – bis auf Weiteres – die Erträge seine Lendenleistung nicht mehr zu versteuern.
1. “Ceylon”
Wir pflanzen und ernten Tee. In Ceylon, einem Land, das aus hexagonalen Feldern besteht. Abhängig von der “geographischen” Höhe, in der unsere Plantagen stehen, gibt es schwarzen, grünen oder weißen Tee. Wir ziehen mit unserem Pöppel durch die ceylonische Landschaft, bauen Plantagen, ernten sie ab und verkaufen den Tee . Bei der Ernte dürfen wir uns von allen an unseren Pöppel angrenzenen Plantagen bedienen; in einer Hexa-Landschaft sind das maximal immerhin 7 Plantagen. Allerdings fasst unser Lager nur 5 Tee-Einheiten. Was zuviel ist, verfällt.
Wir dürfen auch von den Plantagen unserer Mitspielern ernten. Dafür bekommen sie aber jedesmal einen Siegpunkt. Man muss jönne könne!
Beim Verkaufen müssen wir ausliegende Aufträge mit genau definierten Tee-Mengen und vorgegebenen Tee-Farben erfüllen. Als Erlös bekommen wir entweder Geld oder Siegpunkte.
Geld brauchen wir zunächst mal für die Anlage von Plantagen, recht bald aber auch, um die sonstigen bonus- und siegpunkt-trächtigen Sonderaktionen zu finanzieren:
Wir schreiten auf der Technologie-Achse fort und erhalten Siegpunkte, wenn wir hier ein gewisses Niveau erreicht haben. Der größte Effekt trifft hier allerdings den Führenden: Er gewinnt jedes Mehrheiten-Tie-Break an den Quellen, an denen die Siegpunkte sprudeln.
Wir finanzieren Ratsmitglieder und erhalten den jeweiligen Bonus, den sie vergeben: mehr Geld beim Standard-Inkasso, Siegpunkte plus (etwas) Geld beim Tee-Verkauf, Siegpunkte für jedes Fortschreiten auf der Technologie-Achse, usw.
Der entscheidende Motor für den Spielablauf sind Aktionskarten, die uns Säen, Ernten, Verkaufen oder Sonderaktionen erlauben. Jeder Spieler hat drei davon auf der Hand, jede Karten erlaubt eine von zwei verschiedenen Aktionen, die Auswahl sollte also nicht allzu eingeschränkt sein. Ist sie zuweilen aber doch.
Der Spieler wählt eine Karte, spielt sie aus und führt eine der beiden aufgedruckten Aktionen aus. Das Besondere daran ist, dass jetzt alle Mitspieler die zweite, nicht ausgeführte Aktion auf der ausgespielten Aktionskarte ausführen dürfen. Das geht natürlich nicht immer. Wenn ein Spieler z.B. ein volles Tee-Lager hat, kann er nicht ernten; wenn er ein leeres Warenlager hat, kann er nichts verkaufen. Und was dergleichen Handicaps mehr sind, die der aktive Spieler natürlich mit Vorliebe bei seiner Aktionsauswahl beachtet hat. Wer diese Aktion nicht nutzen kann, was zweifellos ein Nachteil ist, darf sich immerhin zwei Geldeinheiten nehmen oder seinen Pöppel zwei Schritte weit bewegen. Auch nicht schlecht.
Am Ende des Spiels werden zusätzlich zu den per Tee-Verkauf bereits erzielten Siegpunkten progressiv steigende Mengen an zusätzlichen Siegpunkten für Mehrheiten ausgeschüttet: Mehrheiten gibt es bei der Anzahl der Tee-Plantagen in jedem der vier Gebiete Ceylons, für die höchste Position auf der Technologie-Achse und für das meistes Restgeld. Beispielsweise bringt eine einzige Rupie mehr als die Mitspieler am Ende in einer 4er Runde 10 anstelle von 6 Siegpunkten. Und wer auf der Technologie-Achse führend ist, braucht in jedem Gebiet Ceylons nur genauso viele Tee-Plantagen wie seine Mitspieler, um für jede „Gleich-Mehrheit“ vier Punkte mehr zu kassieren. Hier ist eine scharfe Kalkulation unter Betrachtung des Mitspieler-Besitztums und der Mitspieler-Potenzen gefragt. Günther schaffte das weitaus am besten. Na klar!
WPG-Wertung: Aaron: 7 (gut ausbalanziert, gefällig, kurze Spielzeit, reichlich Interaktion), Günther: 6 (nichts Neues unter der Sonne), Walter: 6 (spielt sich sehr schön, ideal für Spieler, die gerne überall vorne sein wollen und können und entsprechend das Potential ihrer Mitspieler unter Kontrolle halten; mir persönlich wäre eine Siegpunktausschüttung nach absolutem, individuellem Besitztum lieber).
2. “Stockastic”
Wir kaufen Aktien von 1 bis 4 Gesellschaften und überlassen sie dem Spiel von Zeit und Markt. Wer am Ende das meiste Kapital erwirtschaftet hat, ist Sieger.
Ob die Konjunktur einer Firma gut oder schlecht ist, wird durch Hoch- oder Runter-Marker angezeigt. Die Marker werden pro Runde zufällig gezogen und verdeckt jeder Gesellschaft zugeordnet. Am Ende der Runde werden sie aufgedeckt und bewirken ein Steigen oder Fallen des zugehörigen Aktienkurses.
Für ein bisschen Geld kann man sich diese Marker ansehen und danach entsprechend entscheiden, ob man die zugeordnete Gesellschaft kauft oder nicht.
Während seines Zuges kann man sich auch „Gerüchte-Karten“ zulegen, die man einer beliebigen Gesellschaft zuschustern kann, wonach der Kurs dieser Gesellschaft ebenfalls steigt oder fällt.
In zwei Spielphasen kann man Aktien auch von Mitspielern kaufen oder verkaufen. Das wurde von uns in echter WPG-Manier kein einziges Mal praktiziert. Wie geht nochmal das Sprichwort? „Wer Lust hat zu tauschen, hat Lust zu betrügen“! In einem auch nur mittelmäßig planbaren Wirtschafts-SPIEL sind in solchen unwägbaren Situationen Tauschaktionen einfach unsinnig.
OK, wir kaufen also, warten ab, informieren und oder manipulieren ein bisschen: Am Ende hat einer gewonnen. Zur Demonstration eines Bruchteils dessen, warum und wie sich Aktienkurse bewegen, ist das Spiel sicherlich geeignet. Für Schüler mit echten wirtschaftspolitischen Ambitionen auf dem Aktienmarkt ist es hingegen viel zu eckig.
Dass man aber bereits in der ersten Spielrunde abgekackt hat, wenn man sich bei der Wirtschaftsentwicklung auf sein Glück verlassen hat und dabei verlassen wurde, musste Walter erfahren. Dumm gelaufen oder schlecht gespielt!
WPG-Wertung: Aaron: 4 (zu viel Chaos, das Spiel ist nicht planbar), Günther: 4 (die Mechanismen funktionieren. [AbN: Das ist wohl das einzige Positive, was dir dazu eingefallen ist?]), Walter: 4 (ein Lehrspiel für die Mittelschule über Marktmodelle und die zugehörige Statistik).
3. “Coffeetopia”
Da Günther beim Kauf von „Stockastic“ auf der Spiel-2018 in Essen schon mal in Indonesien gelandet war, nahm er mit „Coffetopie“ gleich auch noch „Indonesia’s Official Souvenir“ mit.
Jeder Spieler bekommt ein identisches Set von fünf „Aktionskarten“. Jeweils eine davon wählen wir – ohne nachlegen – aus und bestreiten damit unseren Zug.
Mit der “Income”-Karte bekommen wir eine Geldeinheit.
Mit der “Contract”-Karte ziehen wir aus der offenen Auslage einen Export-Auftrag, für den wir eine genau definierte Menge roter, grüner und/oder blauer Kaffeebohnen (Karten) abliefern sollen.
Mit der “Export”-Karte erfüllen wir den Export-Auftrag, nachdem wir mindestens die genau definierte Menge und Farbe an Kaffeebohnen (Karten) in unserem Speicher haben.
Mit der “Trade”-Karte tauschen wird eine bereits geerntete Kaffeebohnen-Karte von einer Farbe in eine andere. (Damit das geerntete Set natürlich zu dem bereits gezogenen Export-Auftrag passt.)
Mit der “Rest”-Karte tun wir nichts, sondern wir nehmen alle abgelegten Aktionskarten wieder auf die Hand.
Und wie ernten wir? Indonesien ist in drei Kaffee-Regionen unterteilt. Hier wachsen regelmäßig in zufälliger Menge rote, grüne und blaue Kaffeebohnen. Mit jeder ausgespielten Aktionskarte entscheiden wir als Nebeneffekt, in welcher Kaffee-Region wir tätig werden. Alle dort ausliegenden, sich ggf. auch angesammelt habenden Kaffeebohnen werden gerecht an alle dort anwesenden Mitspieler verteilt.
In diesem stets gleichen rhythmischen Ablauf von Saat und Ernte, von Auftrag entgegennehmen und erfüllen, läuft das Spiel ab. Kleines Problem: Unser Kaffeebohnenspeicher ist nur sehr begrenzt. Wenn er voll ist, müssen wir vor der nächsten Ernte entweder einige Bohnen entfernen oder wir können die neue Ernte nicht unterbringen. Das erschwert das Erfüllen von Aufträgen. Dagegen gibt es aber ein Hilfsmittel: Durch das Erfüllen bestimmter Aufträge wird unser Speicher erweitert. Lebensnotwenig, bzw. siegnotwendig. Aber trivial.
Manche Aufträge besitzen aber noch geilere Effekte. Z.B. gibt es den REWARD: “You may complete any Export Card form the Market at the end of your turn, if your Warehouse is full”! Mensch Meier, jetzt brauchen wir uns um nichts mehr zu kümmern: Die Kaffeebohnen flattern von alleine in unseren Speicher, reichlich! Und bei vollem Speicher gibt es mehr oder weniger immer erfüllbare Aufträge auf dem Markt. Aber hallo: Was ist denn der “Markt”? Ist das “nur” die Sammlung von Aufträgen, die ich mir bereits angeeignet habe (so hätte das Aaron gerne sehen), oder ist das die offene Auslage für alle (so hätte das Walter gerne gesehen, denn er hatte diesen Super-Auftrag erfüllt und erfreute sich im Dolce-fa-niente). Im gesamten Regelheft ist das Wort “Markt” nicht erklärt. Nicht nur deswegen brachen wir ab.
WPG-Wertung: Aaron: 3 (es funktioniert, ist aber langweilig und macht – nicht zuletzt auf Grund von Regeldefiziten – keinen Spaß), Günther: 4 (so ganz daneben ist es ja nicht; es lebt von den Eigenschaften auf den erfüllten Karten), Walter: 3 (außer den entweder trivialen oder aber extrem unausbalancierten Effekten auf den Karten besteht das Spiel nur aus einem stupiden, linearen Wiederholen gleichartiger Vorgänge.)
Maximilian Thiel alias Bauldric & Friends was here. Mit einem nagelneuen Prototyp. „Delphi“ als Lokalität, ja überhaupt ganz Griechenland ist nicht wichtig. Es hätte auch Atlantis oder irgendein Wolkenkuckucksheim sein können. Thematisch werden vor allem religiöse Aktivitäten betont. (Achtung, Maximilian, „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben!“ Für Orthodoxe steht bereits „Amun Re“ auf dem Index!)
Wir beten, meditieren, opfern, verrichten Tempeldienst, gehen in die Druidenschule, erwerben Schriftrollen, errichten Opferstätten und Manna-Steine, und das alles, um Material zu erwerben, das wir später in „Avatare“ (Wikipedia: „körperliche Manifestation eines Gottes“) für Schaffenskraft, Schönheit, Fruchtbarkeit, Zauberei, ewiges Leben und Ähnliches umsetzen.
Die Aktivitäten manifestieren sich durch ein „Manpower Placement“, in das ein pfiffiger Bag-Building-Mechanismus eingebaut ist. Man darf seine Pöppel nicht einfach auf die gewünschte Aktivität setzen, man muss dazu die richtige Kombination von bunten Aktivitätsscheiben besitzen und einsetzen. Diese Scheiben werden pro Runde in einer wachsenden Stückzahl zwischen 4 und 8 aus einem privaten Säckchen gezogen; nur entsprechend der gezogenen zufälligen Auswahl darf ein Spieler seine Züge tun.
Am Ende einer Runde kommen alle Aktivitätscheiben wieder zurück in das Säckchen, zusätzlich einige aktions-spezifisch gefärbte weiteren Scheiben. Jäger und Sammler haben schnell ihr Säckchen voll und sind damit dem Zufall ausgeliefert, der sie die richtige, meist aber auch die falsche Scheibenauswahl aus dem Säckchen ziehen lässt. Erfahrene Spieler nutzen die zahlreichen im Spiel gebotenen Möglichkeiten, gezielt einzelne Scheiben für immer und ewig aus dem Säckchen zu entfernen. Die Restscheiben sind dann leichter kalkulierbar.
„Die letzte Stunde“ : Delphi brennt schon lichterloh. Zumindest in den Außenbezirken. Wir sehen „wie am Horizont eine Feuersbrunst wütet“. Maximilan hat zwar die Spielregeln noch nicht fixiert, aber die Thematik ist im Stile der biblischen Erzählung von Sodom und Gomorrha auf einer ganzen DIN-A4-Seite bereits eindringlich dargelegt. Trygonen auf Chimären (oder umgekehrt) fordern uns auf, binnen einer Stunde, d.h. mittels Aktionen mit einem Gesamtzeitwert von 60 Minuten-Einheiten unsere eigene Haut zu retten.
Wer aktuell am wenigsten Zeiteinheiten verbraucht hat, ist jeweils am Zug. Man darf jederzeit passen, egal an welcher Stelle man steht. Dann ziehen nur noch die anderen, egal wie weit vorne sie stehen.
Üblicherweise denkt man, vorzeitig zu passen wäre ein Nachteil und müsste durch einen Bonus ausgeglichen werden. In „Delphi“ ist es gerade umgekehrt. Wer vorzeitig passt, muss als „Strafe“ noch eine zusätzliche Zeiteinheit bezahlen. Das ist aber sehr sinnvoll, denn in einer bestimmten – von Maximilian heute nur ansatzweise angewendeten – Taktik könnte man sich nämlich mittels Minimalzügen plus Passen beliebig weit zurückfallen lassen, um anschließend das gesamte Placement-Spektrum eine erhebliche Anzahl von Runden für sich ganz alleine nutzen zu können.
Ein gelungenes Spielelement sei hierbei noch erwähnt: Wenn das Spiel in die Endphase gerät, kommt eine geile Pendeluhr zum Einsatz. Jeder Spieler hat ab diesem Zeitpunkt für jeden Zug, d.h. für die Entscheidung, an welchem Placement er seine Manpower zu platzieren gedenkt, nur noch eine Minute Zeit. Hat er innerhalb dieser Zeitspanne seinen Mann noch nicht platziert, so rückt er in der Zeitleiste um eine Minute vorwärts. Dann ist der Spieler mit dem jetzt geringsten Gesamt-Zeitverbrauch an der Reihe. Es kann natürlich auch der gleiche Spieler sein.
„Delphi“ bietet eine ganze Reihe von Strategien und Taktiken, schneller und mehr Atavare auf die Seite zu schaffen als die Mitspieler. Eine genaue Beobachtung von deren Besitzstand und deren Ambitionen ist für den Sieg zweifellos notwendig. Dazu muss man natürlich die verschiedenen Effekte der Placements genau kennen, genauso wie die verschiedenen Atavare und ihre Preis/Leistungs-Änderungen im Verlaufe eines Spiels. Es gibt viel zu beachten. Ohne Maximilans engagierte, gut einstündige Einführung wäre für uns Uneingeweihte der Einstieg in das Spiel sehr mühsam gewesen. So war er es auch, aber es hat Spaß gemacht. Besonders natürlich für den Gastgeber, der diesen Jahrmarkt als fünftes Rad am Wagen mit pythagoräischem Abstand und sokratischem Gleichmut drei Stunden lang betrachten und seine Pflichten als Chips-, Gummibärchen- und Crossis-Nachfüller stressfrei erfüllen konnte.
Keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entwicklungsphase. Grundsätzlicher Eindruck: Eine schöne Spieleidee und hübsche Mechanismen für Freaks, die gerne auch einhundertmal das gleiche Spiel spielen, um immer tiefer in die Materie einzudringen und als Experten gegen Experten bestehen und gewinnen zu können. Nach Westpark-Gamers-Geschmack könnte man zur Vereinfachung einige Spielelemente ersatzlos weglassen, ohne dass darunter das Gesamt-Spielgefühl leiden würde.