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11.11.2015: Antarktisches Mombasa

Der Europäische Forschungsrat (European Research Council – ERC) ist eine von der Europäischen Kommission eingerichtete Institution zur Finanzierung von grundlagenorientierter Forschung. Unser Peter hat jetzt den ERC Starting Grant erhalten, die angesehenste aller Auszeichnungen für exzellente Nachwuchswissenschaftler. Die Universität Bamberg präsentiert Peter stolz als den ersten Wissenschaftler der Universität Bamberg, der diese Finanzierung erhält. Gefördert wird damit sein Projekt „The Proceedings of the Ecumenical Councils from Oral Utterance to Manuscript Edition as Evidence for Late Antique Persuasion and Self-Representation Techniques”. Mit anderen Worten: „Wie entwickelte sich in den frühen Ökumenischen Konzilien Selbstbewusstsein und Selbstdarstellung der Kirche.“ Für jeden Historiker ein fesselndes Thema. Mal sehen, welche schlafenden Hunde damit geweckt werden!

Peter, wir sind stolz auf Dich!

1. “Mombasa”

Wo liegt eigentlich Mombasa? Darf man dazu noch Schwarzafrika sagen oder muss das heutzutage schon Coloured-Africa nennen? Im Zeitalter der politikal Überkorrektness war Pegaus Spiele bei der Namensvergabe gar nicht so wohl. Explizit schließen sie jegliche Ähnlichkeiten ihres Spiels mit Geschichte und Szenerien des realen Mombasa aus. War aber gar nicht nötig.

Günther freut sich schon auf das Abmurksen des nächsten Schwarzen
Günther freut sich schon auf das Abmurksen des nächsten Schwarzen

Mombasa ist ein abstraktes Aufbau- und Optimierungsspiel. Aktien spielen eine Rolle und ein pfiffiger Kartennutzungs-Mechanismus ebenfalls. Jeder hat zunächst den gleichen Satz von Aktionskarten, mit denen er seine Spieleraktionen bestimmt. Später kann man aus einer offenen Auslage weitere Aktionskarten dazukaufen, und so die Auswahl seiner Aktionen flexibler und effizienter machen.

Verdeckt wählt jeder drei Aktionskarten aus seiner Hand aus und legt sie in einer definierten Reihenfolge vor sich ab. Alle Spieler decken dann alle gemeinsam ihre Karten auf und führen sie der Reihe nach aus. Jeder Spieler immer eine davon, bis alle möglichen Aktionen durchgeführt sind. Dann werden die Aktionskarten auf je drei verschiedene, der Kartenreihenfolge zugeordneten Ablagestapeln abgelegt. Vorher – vor dem Ablegen der aktuellen Karten – darf jeder Spieler noch die Karten eines seiner Ablagestapels auf die Hand nehmen. Eine aktuell genutzte Aktionskarten kann also niemals zweimal hintereinander genutzt werden. Dies stellt durchaus eine nicht zu geringe Anforderung an die Vorausplanung der Spielzüge dar.

Und welche Aktionen kann man ausführen? Leider viel zu viele!

  1. Mit einer oder mit mehreren Warenkarten kann man neue Aktionskarten erwerben. Übersteigt der Wert der eingesetzten Warenkarten den Preis für die neue Aktionskarten, darf man mit dem überschüssigen Preis auf einer oder mehren der Aktien-Besitz-Leisten (ABL) vorwärts ziehen. [Hallo: das mit dem überschüssigen Preis haben wir doch glatt übersehen!]
  2. Mit einer oder mit mehreren Warenkarten (Kaffee, Bananen oder Baumwolle) darf man – ohne auf Einkaufstour zu gehen – gleich auf einer oder mehreren ABL dem Warenwert entsprechend viele Felder vorwärts ziehen. [Haben wir eigentlich realisiert, dass man den Wert auf verschiedene ABL aufteilen kann?]
  3. Mit Ausbreitungskarten darf man eine der vier verschiedenen Handelsgesellschaften (rot, orange, schwarz und weiß) sich in die Nachbarfelder ausbreiten lassen. Das Ausbreiten an sich ist dabei gar nicht so wichtig; wichtig ist vielmehr, dass dabei Markierungsfelder in der Heimatbasis der aktiven Gesellschaft offengelegt werden, und damit den Wert der Handelsgesellschaft erhöhen.
    Wenn die Handelsgesellschaften an den Grenzflächen aneinander geraten, kommt es zum Verdrängen: die verdrängten Handelseinheiten müssen zurück in die Heimatbasis, verdecken dabei wieder die geldigen Markierungsfelder, und reduzieren den Wert der Gesellschaft.
    Dass beim Ausbreiten auch noch die Topologie des Untergrundes berücksichtigt werden sollte, weil damit jeweils unterschiedliche Vorteile verbunden sind (Geld, Diamanten, Bücher und Fortschritt auf der ABL), ist ein additives Design-Element. Eines von den ungezählt vielen, die in „Mombasa“ berücksichtigt werden müssen.
  4. Mit der Buchhalterkarte (und den erforderlichen Warenkarten) darf ein Spieler den Marker auf seiner individuellen Bücherleiste vorwärts ziehen. Für vordere Positionen werden in der Schlusswertung beträchtliche Siegpunkte ausgeschüttet. Zudem darf man ab einem gewissen Pegelstand bei den Büchern einen zusätzlichen Aktions-Slot beginnen, d.h. man darf jetzt pro Runde drei statt nur vier Aktionskarten ausspielen. [Hallo Freunde, dieser Zusatz-Slot ist mir mindestens dreimal entgangen!]
  5. Mit der Diamantenhändlerkarte darf ein Spieler den Marker auf seiner individuellen Diamanten-Leiste vorwärts schieben und zusätzlich noch Geld einkassieren. Die Anzahl von Feldern, die er vorwärts ziehen kann, wird durch die Größe des zugeordneten Handelsgebietes erheblich beeinflusst. Ein hübsches Zubrot. Wie beim Buchhalter werden bei Spielende auch für vordere Positionen des Diamanten-Markers beträchtliche Siegpunkte ausgeschüttet, und ab einem bestimmten Pegelstand ist ein weiterer Aktions-Slot zugelassen.
    Diamonds are Günther’s best friend!
  6. Wenn wir mit unseren ausgelegten Aktionskarten in einer Warensorte den höchsten (Summen-)Wert ausgelegt haben – oder wenn, nachdem die Mitspieler ihre Waren so peut a peut verbraucht haben, unsere noch nicht verbrauchten Karten plötzlich den höchsten Wert besitzen – dürfen wir einen unserer beiden Bonusmarker auf das zugehörige Max-Feld stellen, und als Belohnung dafür auf einer der ABL vorwärtsschreiten, sowie weitere Geld- oder Sach-Prämien in Empfang nehmen.
  7. Für unsere Bonusmarker stehen noch sieben weitere Profit-Felder zur Verfügung: Wir können uns die Startspieler-Position unter den Nagel reißen. (Sie hat nur Vorteile, wenn bei Rundenbeginn neue, begehrenswerte Aktionskarten zum Kauf angeboten werden.) Wir dürfen eine Aktionskarten mit Geld anstatt mit Warenwerten bezahlen, wir dürfen eine Aktionskarte in Geld umsetzen, … Ach ja, und noch vier weitere Möglichkeiten.
    Ein Vorteil dieser Bonus-Züge ist, dass wir damit unsere Aktionskarten nicht verbrauchen, beim Abwickeln unserer Spielzüge also Tempo gewinnen. Wer zuletzt lacht, lacht am besten!

Das Spiel wird im Wesentlichen über den Aktienbesitz entschieden. Der Fortschritt auf der ABL ist gleichbedeutend mit dem Besitz von immer mehr Aktien. Wenn wir dann noch unsere Aktionskarten dafür nutzen, der von uns favorisierten Handelsgesellschaft eine riesige Ausbreitung zu verschaffen, so können wir allein mit sechs Aktien im Wert von zwölf Pfund (= Siegpunkten) pro Stück insgesamt 72 Siegpunkte erzielen. Für Günther waren das 95% seines heutigen Sieges. Den Rest gaben ihm seine Diamanten.

“Mombasa” ist ein riesiges Räderwerk mit ungezählten Rädchen, über die man seine Züge optimieren muss. Jede Kartenwahl, jede Festlegung der Reihenfolge, jede Nutzung, jeder Zukauf, jede Ausbreitung, jeder Schritt auf der ABL muss über mehrere Runden in die Zukunft vorausgeplant werden. Für eine bestimmte Spielergemeinde ist das absolut geil! Äußerst sauber designed, ausblanciert, gerecht, konstruktiv, herausfordernd ist das Spiel allemal, eine reife Leistung von Autor und Verlag. Das muss selbst einer anerkennen, für den die gewaltige Optimiererei nur einen beschränkten Spielspaß bereitet. Einer wie ich.

Aarons Bewertungsmaßstab: „Spiele mit vielen Rädchen sind handwerklich; Spiele mit wenigen Rädchen sind elegant!“

WPG-Wertung: Aaron: 6 (besser als bei der Masse des Materials auf den ersten Blick befürchtet; trotzdem zu viele Rädchen; möchte es – wegen der befürchteten Totzeit – nicht zu viert spielen; der Zugmechanismus ist eine nette Idee), Günther: 7 (nicht so [progressiv-] kumulativ wir beim Rosenberg; die Fast-Linearität der Effekte ist positiv; die vielen Rädchen dienen der Verschleierung der Spielidee), Walter: 6 (sauberes Material, sauberes Design, aber die.elendige Optimierung ist nicht sein Fach)

Reflexion auf „504“: Alle Spielmechanismen in „Mombasa“ sind sehr gut aufeinander abgestimmt. Nach der Geburt der Spielidee hat sicherlich noch ein langer Balancierungsprozess stattgefunden, im dem die verschiedenen Teile ineinander eingepasst wurden. Hingegen hat bei allen künstlichen Spiele-Synthesen, die „504“ anbietet, eine solche Feinabstimmung naturgemäß nicht stattgefunden. Eines der Fakten, warum die fünfhundertundvier kombinierbaren Spiele von „504“ zwar eine Quantität, aber keines davon eine Qualität darstellen.

2. “Antarctica”

Vor Kurzem, im Jahre 2011, hat Sunny Games ein brandneues Spiel namens „Antarctica“ herausgebracht. Da müssen wir mit Patrouillenbooten um den Südpol herumfahren und Babyrobben sowie Babypinguine vor dem Zugriff böser Jäger schützen. Jetzt, gerade mal viel Jahre später, hat der Argentum Verlag ein neues, ganz anderes „Antarctica“ herausgebracht, und der Laie fragt sich, a) gibt es denn nur so wenige zugkräftige Spielenamen, und b) sind solche Namen denn nicht geschützt? Wann kommt ein Verlag auf die zündende Idee, seine neue Spielidee unter dem Namen „Monopoly“ zu vermarkten …?

In Argentums „Antarctica“ fahren wir ebenfalls mit unseren Schiffen um den Südpol herum, allerdings retten wir keine Pinguine, sondern errichten Camps, Forschungsstationen, Laboratorien, Fabriken, Schiffswerften, Kräne, Fördertürme für Kohle und Öl, Windräder und ähnlichen zivilisatorischen Schnickschnack, um damit an die Vorräte der Antarktis heranzukommen.

Bemerkenswert an unserer Aufbauleistung ist, dass sie grundsätzlich allen Mitspielern zugute kommt. Das entspricht in etwa dem Geist des internationalen Antarktisvertrages, der festlegt, dass die unbewohnte Antarktis ausschließlich friedlicher, wissenschaftlicher Nutzung vorbehalten bleibt. Wer thematisch guten Willens ist, findet diesen Geist in „Antartica“ wieder: Keines der dort errichteten Bauwerke gehört uns, jeder darf alles kostenlos nutzen.

Wie nutzen wir diese Bauwerke:

  • In Camps kriegen wir Kinder, d.h. wir dürfen neue Pöppel (Wissenschaftler) aus der öffentlichen Reserve in unseren persönlichen Vorrat nehmen. Je mehr Pöppel bzw. je mehr Schiffe wir in der Camp-Region haben, desto mehr neue Wissenschaftler werden uns geboren.
  • Beim Errichten von Bauwerken dürfen wir Pöppel aus unserem Vorrat in die Antarktis bringen. Zusätzlich dürfen wir damit auf einer von drei (oder vier) Fortschrittsleisten vorwärts ziehen. Dafür bekommen wir am Ende Siegpunkte, aber das kriegen wir später.
  • In Gebieten mit Schiffswerft dürfen wir jeweils ein neues Schiff bauen. Über die Schiffe wird ermittelt, wer den nächsten Zug machen darf. Viel Schiff – viel Zug. Aber das kriegen wir ebenfalls erst später.
  • Wir dürfen uns auch entscheiden, nichts zu tun. Das Regelheft sieht das vor und merkt dazu an, dass dieser Zug “fast immer nicht empfehlenswert” ist. Vielleicht wird damit der Ausweg aus einer Sackgasse im Spielgeschehen geschaffen, den der Autor nicht anders hinkriegen konnte. Wer weiß!
  • Innerhalb eines Zuges dürfen wir einen unserer arbeitenden Wissenschaftler oder ein Schiff in Rente schicken. Wir bekommen dafür sofort einen neuen Pöppel aus der öffentlichen Reserve in unseren Vorrat. [Diese Möglichkeit haben wir heute zwar nicht genutzt, aber haben wir auch realisiert, dass dies ein Zusatzzug zu unserem normalen Zug ist, und dass wir dafür neue Wissenschaftler rekrutieren dürfen?] Vor diesem Zug wird im Regelheft ebenfalls gewarnt: “Wenn wir unser letztes Schiff in Rente schicken, kommen wir im weiteren Spielverlauf NIE mehr zum Zug!” – Dumm gelaufen!

Jetzt zum Zugmechanismus, der zweifellos ansprechend ist. Der Südpol ist in acht Gebiete unterteilt. In jedem Gebiet gibt es Platz für maximal drei Schiffe. Diese haben die Rangfolge Erstes, Zweites und Drittes. Reihum wird aus dem jeweils nächsten Gebiet das Schiff gezogen, das an erster Stelle liegt. Der Spieler, dem dieses Schiff gehört, darf damit beliebig viele Felder vorwärts ziehen, solange im Zielfeld noch eine Position frei ist. Dort löst er eine der oben genannten Aktionen oder Nutzeffekte aus. In seinem Ausgangsfeld rücken alle verbleibenden Schiffe in der Rangfolge nach oben.

Wie weit soll man ziehen? Natürlich auf die Felder, auf denen für uns der größte Bonus wartet. Wenn dieses Feld allerdings sehr weit vorne steht, kommen wir erst sehr viel später damit wieder zu Zug. Außerdem ist es natürlich vorteilhaft, auf ein Feld zu ziehen, auf dem kein weiteres Schiff oder höchstenfalls nur eines steht. Damit besetzten wir eine höhere Rangfolge und kommen ebenfalls schneller wieder dran. (Und wenn wir, wie schon gesagt, uns in der Werft haben zusätzliche Schiffe bauen lassen, kommen wir ebenfalls häufiger und schneller wieder zum Zug.) Alles hübsch überschaubar und planbar.

Aber dann kommt die Siegpunkt-Ausschüttung! Ja kruzitürken, Herrschaftszeiten nochamoi! Alle acht Gebiete um den Südpol, alle drei (oder vier) Fortschrittsleisten, sowie eine Anzahl weiterer Kategorien werden alle nach dem gleichen Schema abgehandelt: Wer hier führt, bekommt für alle Einheiten, die er und alle Mitspieler in Summe hier angehäuft haben, einen Siegpunkt; der Zweite bekommt einen Siegpunkt für alle Einheiten des Ersten und sonst nix, der Dritte bekommen einen Siegpunkt für alle Einheiten des Zweiten, usw.

Kann das Sinn machen? Natürlich, insofern: Jeder muss sich auf eine einzige Kategorie konzentrieren; irgendwo Zweiter oder Dritter zu sein, bringt nur noch einen Bruchteil. Allerdings macht dieses Abrechnungsprinzip bei einer gemischten Beteiligung überhaupt keinen Sinn!. Zumindest ist es weder logisch noch gerecht. Wenn die Besitzverhältnisse einigermaßen stabil sind, und der Erste nicht mehr von seiner Position verdrängt werden kann, dann bringt jede Einheit, die der in der Rangfolge zweite Spieler hier hineinsetzt, allen anderen Spielern gleichmäßig einen Punkt mehr ein. Nur er bekommt nichts dafür, gar nichts! Nicht mal ein Nullsummenspiel! Und ein Außenseiter, der sich bisher an einer bestimmten Stelle noch gar nicht engagiert hat, bekommt durch eine einzige Einheit, die er am Ende dort noch einsetzt, gleich so viele Punkte, wie der Vordermann Einheiten hat. Beispielsrechung: In einer Kategorie habe sich nur ein einziger Spieler engagiert und bekäme am Ende für seine 10 Einheiten 10 Siegpunkte dafür. Setzt jetzt ein weiterer Spieler noch eine Einheit hinein, so bekommt der Erste 11 Siegpunkte und der Nachrücker 10 Siegpunkte. Sind solche Zahlenverhältnisse Ausdruck einer planbaren Strategie? Nein, das sind sie nicht! Da kämpft und plant man zwei Stunden lang, wie man seine Schiffe um den Südpol herumfahren lassen soll, wo man sich engagiert, wo man seine Wissenschaftler zur Welt und zum Einsatz bringt, und hinterher ist der dafür erzielte Punktesegen ein unberechenbares Ergebnis chaotischer Beteilungen. Nein, das ist nicht ausgedacht. Hallo, Ihr Spielefreaks, könnt Ihr mir diese (Un-)Logik erklären? Jetzt schon ein herzliches Dankeschön für jedes Licht, das in die Dunkelheit leuchtet.

Wir haben nach einer guten Stunde und etwa der Hälfte der absehbaren Spielzeit abgebrochen. Ohne Emotionen. Die Diskussion über Design-Fehler und über die Unklarheiten im Regelheft war interessanter als das Weiterspielen …

WPG-Wertung: Aaron: 5 (das Thema hat ihn nicht von den Socken gerissen [außer, dass er in der Antarktis kalte Füße bekam], der Zugmechanismus ist interessant, der Wertungsmechanismus ist problematisch), Günther: 5 (alles ist ein bisschen alles oder nichts), Walter: 5 (das altruistische Bauen für alle könnte ein hübsches, neues Spielchen hervorbringen; diese Idee ist aber nicht ausgereift; für ein Planspiel ist die Wertung absolut nicht geeignet; für ein Chaos-Spiel erfordert es zu viel Planung und dauert es zu lang)

28.10.2015: Generäle, Entdecker und Robber-Barons

Sieben Tage lang hatten vier Westpark-Gamers Zeit, sich so ihre Gedanken über Friedemann Frieses Jahrhundertwerk zu machen. Die Enttäuschung über die eingeschränkten, themenlosen Spielmechanismen war vergessen, die Erinnerung an unser stundenlanges Zusammensuchen der Spielregeln und das Rätselraten darüber war verblasst. Nur die Eindrücke von dem gewaltigen Harmonisierungswerk, das sich in „504“ präsentiert, waren geblieben.

Schon am Sonntag Abend fing Moritz mit einer antastenden Mail an:
„Was seltsam ist: ich fand 504 spielerisch richtig öd, aber aus irgendeinem Grund möchte ich es besitzen und mich damit beschäftigen, eben weil es irgendwie so knapp daneben und dann eben doch interessant ist. Geht euch das auch so?“

Auch Walter kam beim näheren Beschäftigen mit den Spielregeln zur Einsicht:
„Je mehr ich in die Gesamt-Spielregeln einsteige, desto mehr bewundere ich Idee und Ausführung von FF.
Für Moritz ist ’504’ fast ein Muss!“

Aaron steuerte einen Internet-Link zu den am höchsten bewerteten Kombinationen bei:
„Wer’s noch nicht gesehen hat: http://504-2f.de/
Hier kann man die gespielten Kombinationen bewerten. 981 führt zur Zeit (allerdings mit nur wenigen Votes).“

Walter schlug vor, sich am kommenden Mittwoch (heute) nochmals mit „945“, der zweitbesten Kombination zu beschäftigen: „Die Welt der börsennotierten Generäle auf dem Weg ins Unbekannte!“ – Geld, Bomben und die schöne Unbekannte, was kann ein Spiel verlockenderes bieten? Keine Widerrede. – Gesagt, getan.

Wie muss das Spielfeld für „945“ aufgebaut werden?
Modul 9 liefert dazu die Aussage: „Siehe andere Module. Außer I; Spielplan 1 für 4 Personen – alle 5 Städte dürfen als Hauptstädte verwendet werden.“
Modul 4 verlangt: „IV: Spielplan 5. Gemeinsame Hauptstadt „1“ im Zentrum.“
Modul 5 lässt wählen: I ENTWEDER Spielplan 1, wenn ein anderes Modul II/III fordert, verschiedene Hauptstädte außer der Zentralstadt ODER Spielplan 4, wenn ein anderes Modul IV fordert. Gemeinsame Hauptstadt „1“.

Was denn nun? Spielplan 1, 4 oder 5? Und wenn, wie in Spielplan 4 oder 5 die ganze Latte an Hexagons ausgebreitet werden muss, werden sie dann offen oder verdeckt hingelegt? Dazu schweigt der Meister. Zumindest beim ersten Hinsehen. Wie kann ich in die schöne Unbekannte vorstoßen, wenn sie schon aufgedeckt vor mir liegt? Im Spielplan 1 gibt es für drei Spieler nur vier Hauptstädte. Eine davon ist tabu. Wie kann ich da die Hauptstädte für fünf Aktiengesellschaften unterbringen? Von den „beiden nicht gewählten Hauptstädten“ kann schon gar keine Rede sein. Walter passt und überlässt Moritz und Günther a) die Entscheidung, ob „504“ überhaupt auf den Tisch kommt und b) das Zusammensuchen und Interpretieren der Spielregeln.

1. ” Die Welt der börsennotierten Generäle auf dem Weg ins Unbekannte!”

Die Kompagnons ließen sich nicht so schnell entmutigen. Opfern wir erst mal eine halbe Stunden und schauen, ob wir gemeinsam, friedlich und konstruktiv den Regelfluss aus den verschiedenen Textquellen unter einen Hut bringen können. Das Labyrinth über die Auswahl des Spielplans entflechtete sich zu einem simplen: „Nehmt Spielplan 1, und zwar den für 4 Personen.“ Da sind 5 Hauptstädte drauf, genau eine für jede Aktiengesellschaft. Und die Bestandteile des Spielfeldes liegen offen daneben und müssen nach einem gewieften Algorithmus (Moritz sei dank für seine Entschlüsselung) Zirkel für Zirkel entdeckt und in unsere Welt eingebracht werden.

Welches sind die Prinzipien der Kombination „945“:

  1. Ein Spielfeld, das zunächst nur aus einem Minimal-Skelett von Stadt- und Wasser-Flächen besteht, aber recht schnell mit viel Fleisch aus Feld-Wald-Wiese-Landschaftsplättchen bestückt wird,
  2. Aktiengesellschaften, die sich von einem individuellen Startpunkt aus mehr oder weniger ringförmig ausbreiten. Je größer und vielgestaltiger die Fläche ist, die sie besitzen, desto höher sind ihre Einnahmen
  3. Personal, das von den Einnahmen einer Gesellschaft rekrutiert wird, und an ihren Aussengrenzen rüttelt, d.h. Stück für Stück weitere Felder friedlich dazunimmt oder kriegerisch erobert.

Zu den Aktien: Nein, in „504“ ist auch im Ansatz keine „18xx“-Variante enthalten. Es werden keine stolzen Linien gebaut, deren Aktienwert eine Korrelation mit ihrer Präsenz auf dem Spielplan haben. Die Einnahmen der Gesellschaften liegen aus verschiedenen Konstruktionsprinzipien her viel zu nahe beieinander, als dass ihre Höhe einen Einfluss auf ihre Begehrtheit hätte. Ihre Aktien sind im Wesentlichen nur etwas für Spekulanten: Eine schnelle Mark machen, das ist die Devise. Die billigste Aktien kaufen und von ihren überproportionalen Kursgewinnen profitieren, das liegt für den herzlosen Finanzhai geradezu auf der Flosse; ein herzhafter Empire-Builder (Günther!) wird sich damit immer schwer tun.

Der General entdeckt, bezahlt und kassiert.
Der General entdeckt, bezahlt und kassiert.
Noch etwas Grundsätzliches zum bösartigen Drücken von Aktienkursen: Bei allen 18xx-Spielen wie auch bei den 504-Kombinationen mit Aktien kann man den Kurs einer Aktie durch Verkaufen von Anteilen gezielt drücken. Aktien rechtzeitig einzukaufen, um sich diese taktische Option offen zu halten, gehört zu einem guten Spiel. Doch in jeder Runde seine Barmittel dafür einzusetzen, um erst mal von jeder fremden Gesellschaft eine Aktien zu kaufen und wieder zu verkaufen, nur um miesnickelig (nicht taktisch) die Kurse zu drücken, das kostet unnötig Zeit, bringt Frust und hat zudem einen massiven Kingmaker-Effekt. Das könnte – zumindest in „504“ – verhindert werden, indem Aktien regelgerecht nicht in der gleichen Runde verkauft werden dürfen, in der sie gekauft wurden. Marginalien!

Bei uns stand Moritz schon unmittelbar vor dem Hauptquartier der orangenen Gesellschaft und hätte nur eine einzige Aktie dieser Gesellschaft kaufen und wieder verkaufen müssen, dann wäre er in der Zugreihenfolge vor ihr beim Agieren dran gewesen, hätte das Hauptquartier mit vier eigenen Pöppeln angreifen können und wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit Sieger geworden. Dann wäre die orangene Linie vorm Spielfeld verschwunden, und er hätte seiner weißen Linie auf einen Schlag fünf neue Felder zuschustern können. Das wäre ein taktisch gelungenes Kurs-Drücken gewesen und hätte Moritz einen nicht mehr einholbaren Vorsprung gebracht. Glücklicherweise für Walter, den Betreiber der orangenen Linie, hat er das übersehen.

Auf der anderen Seite hatte sich Günther vor der letzten Bankrunde über irgendein Gebaren von Moritz geärgert und als Rache dafür Moritzens Aktien systematisch um je zwei Stufen gedrückt. Das war eher miesnickelig (oder systemimmanent für einen Finanzmarkt). Jedenfalls kostete es Moritz im Endeffekt mehr als 200 Mark, ein ganzes Viertel seines Vermögens; so ein Verlust fegt selbst ein so ausgefuchstes Finanz- und Militärgenie wie Moritz vom Treppchen.

Zum Entdecken: Wir haben fälschlicherweise die Regeln nach TOP I gespielt: „Jeder Bewohner darf nur ein einziges Umfeld entdecken“. Dadurch dauerte der Aufbau des Gesamtspielfeldes deutlich länger als FF das vorgesehen hatte, und unsere Ausbreitungsmöglichkeiten waren ebenfalls stark eingeschränkt. Den negativen Eindruck, den dieser Ablauf hinterlassen hat, haben wir uns ganz allein selber zuzuschreiben.

Zum Erobern: Angriffe sind (fast) immer von Vorteil. Mit durchschnittlich einem Treffer pro Angreifer schädigen wir unser Gegenüber. Er darf nur zurückschlagen, wenn er überhaupt Verluste erlitten hat, und selbst dann hat er nur eine Trefferwahrscheinlichkeit von zwei Dritteln. Der Eroberer geht aus einem Kampf trotz der Vorteile meist auch selber geschwächt hervor und sollte von einem „vernünftigen“ Gegenüber sofort wieder zurückgedrängt werden können. Auf diese Weise sind, wie in jedem Krieg, alle Beteiligten gegenüber den Unbeteiligten im Nachteil. Das sollte eigentlich eine friedliche Gebietserweiterung in neutrales Gebiet vorziehen lassen. Warum man das nicht tut, ist reine Charaktersache. Bei uns fing – natürlich – Moritz mit der Aggression an; wir wollen ihm dafür aber diesmal ein Lob aussprechen, seine Aktivitäten dienten ausschließlich dazu, FFs General-Potenz auszuloten.

Auch hier haben wir leider ein entscheidendes Regeldetail übersehen: Die verschiedenen Geländeformen geben in Angriff und Verteidigung unterschiedliche Würfelvorteile. Wenn also die gesamte Palette der Umgebungsfelder recht schnell zur Verfügung steht, und wir uns entsprechend unseren Gelüsten auf Eroberung oder Verschanzen systematisch darauf einstellen können, dann bieten diese Elemente deutlich mehr Herausforderung, als wir sie uns mit unserem falschen, gleichförmigen Regelverständnis geleistet haben. Asche auf unser Haupt!

WPG-Wertung: Günther: 5 (es funktioniert, macht aber keinen Spaß. Ein Pluspunkt für die Regeldiskussion zu Beginn; das ist wohl der Hauptreiz des Spiels. [WS: Hier spricht ein „1830“-Profi, für den ein Mahl aus Aktien und Würfeln nicht koscher ist.] Zudem „funktionieren“ für ihn nur dann Spielmechanismen, wenn sie auch „gerecht“ sind!), Moritz: 5 (fast 6 Punkte, die beste unserer drei gespielten Kombinationen; aber wenn das wirklich die Beste war, dann „nee“ zum Gesamtkomplex; die Kampf-Entscheidungs-Regeln sind leider zu billig), Walter: 7 (alle grundsätzlich verschiedenen Module passen gut zueinander; die Lust am Kampf auf dem Aktienmarkt ist ja unser Markenzeichen; Eroberer können sich austoben, wogegen selbst Pazifisten keine Einwände haben können, da lediglich abstrakte Gesellschaften, aber keine Mitspieler angegriffen werden; das Entdecker-Prinzip kommt etwas kurz; es wird auch nur benötigt, um beim Aufbau des Spielfeldes bestimmte Symmetrie-Vorstellungen einzuhalten).

Günther: Warum heißt das Spiel „504“? Weil es in den FAQ mindestens 504 Regelergänzungen geben wird …!

Lieber Friedemann, Dein Spiel ist eine gewaltige Leistung. Eine Vielspieler-Gemeinde kann sich jahrelang damit auseinandersetzen und die Regeln-Kombinationen zusammentragen und zusammenrätseln. Das kann genug Spaß bereiten. Spielen braucht man dann nicht mehr! Egal, ob man die Regeln verstanden hat oder nicht.

14.10.2015: Geld für Land, Würfel für Schläge, Zahlen für Punkte

Enkelkinder sind schön. Enkelkinder sind süß. Enkelkinder sind ein Geschenk Gottes. Alles richtig, alles wahr. Doch in einer tagelangen 24 stündigen Betreuung sind Enkelkinder auch eine Belastung, die am Abend bei den Großeltern ziemlich leere Batterien zurücklässt.

Günthers Ausbeute aus Essen
Günthers Ausbeute aus Essen

Letzte Woche sind Aaron und Günther mit dicken Paketen und vielen Eindrücken von der Spiel-2015 in Essen zurück- und am Westpark eingekehrt. Es gab einen reichhaltigen Spielabend. Doch dank der leeren Enkelkinder-Batterien gibt es erst heute den zugehörigen Session-Report.

1. “Isle of Skye”

Jeder Spieler baut aus quadratischen Plättchen, die in einem systematischen Muster Wasser-, Wald- und Wiese-Flächen aufweisen, vor sich einen Landschaftsgarten auf. Die Plättchen, die in einer Runde prinzipiell für alle Spieler zur Verfügung stehen, werden verdeckt aus einem Säckchen gezogen. Jeder Spieler zieht drei Plättchen und legt sie offen vor sich aus. Verdeckt kennzeichnet er dann ein Plättchen, das er auf den Müll werfen will, und bietet auf die anderen beiden Plättchen je einen beliebigen Betrag, den er bezahlen wird, wenn das Plättchen nach der nun folgenden Kaufrunde noch ihm gehört.

Gleichzeitig werden von allen Spielern die verdeckten Gebote offengelegt, und reihum darf jeder Spieler genau ein Plättchen eines seiner Mitspieler kaufen. Dafür muss er mehr bieten, als der Mitspieler selbst dem entsprechenden Plättchen zugeordnet hat. Wer Pech hat, bekommt alle beide seiner ausliegenden Plättchen abgekauft, hat dann zwar Geld aber weniger Land; wer Glück hat, darf seine beiden Plättchen behalten und kann sich zudem noch ein drittes Plättchen von einem Mitspieler kaufen. Im Durchschnitt kann jeder Spieler pro Runde zwei neue Plättchen legen.

Inhalt und Struktur jedes Landschaftsgartens bringen Runde für Runde Einkommen und Siegpunkte. Für die zu vergebenden Siegpunkte sind eine Reihe von Kriterien vorgesehen, von denen pro Spiel vier Stück zufällig ausgewählt werden; z.B. gibt es Siegpunkte für jedes Plättchen, das über eine Straße mit dem Zentrum verbunden ist, oder für jedes abgeschlossene Gebiet aus Wasser, Wald bzw. Wiese oder für je drei Plättchen, die in einer Reihe nebeneinander liegen.

Das Spiel geht über fünf oder sechs Runden, und jedes Wertungskriterium kommt in verschiedenen Runden insgesamt dreimal zur Geltung. Alle Spieler können von vorneherein abschätzen, wann und wofür die Siegpunkte ausgeschüttet werden. Allerdings sind wir bei dem konkreten Plättchen, das wir bei uns einbauen können, nicht Herr unseres Schicksals. Die eigenen Plättchen können wir uns nicht sichern, weil mit einer entsprechenden Geldsumme sie jeder Spieler wegkaufen kann. Geld alleine macht aber nicht glücklich, auch nicht auf der Isle of Skye. Auch ein bestimmtes, begehrtes fremdes Plättchen steht nicht 100 %ig zur Verfügung: ein Spieler, der vor uns in der Zugreihenfolge dran ist, kann sich ebenfalls dafür interessieren und es wegkaufen, bevor wir es tun können.

Fazit: Die richtige Summe auf unsere eigenen Plättchen setzen und die richtigen Plättchen von unseren Mitspielern abzukaufen, dass ist der ganze Witz des Spiels. Doch was ist hier schon richtig? Das einfache Setzen und Abkaufen macht das Spiel schnell (wenn wir erst einmal unsere eigenen Plättchen richtig taxiert haben), doch das optimale Auswählen der Plättchen bei den Mitspielern, d.h. das Ausrechnen, wie viele Siegpunkte jedes der sechs ausliegenden Plättchen beim Einbau in unseren Garten in dieser oder einer der nächsten Runden einbringen wird, und welche additiven Chancen es für zukünftige Erweiterungen eröffnet, das ist mühselig und keineswegs spielerisch.

WPG-Wertung: Aaron: 7 (das Spiel funktioniert, auch wenn es nicht gerade wahnsinnig originell ist. In Essen gab es übrigens überhaupt keine wahnsinnig originellen Spiele!), Günther: 7 (alles ist offen, es gibt massig was zu berechnen, man muss auf Neben- und Chaos-Effekte höllisch aufpassen), Horst: 6 (das locker-flockige Spiel dauert nicht lange, es bietet allerdings nur beschränkte Einflussmöglichkeiten), Moritz: 7 (das Spiel hat mir gut gefallen [dieses Statement hat er von Loredana abgekupfert], die Biet- und Carcassonne-Elemente sind hübsch, wenn auch – zugegebenermaßen – nicht gerade originell), Walter: 6 (das Spiel ist sauber durchkonstruiert und alles funktioniert, er selber hat aber keinen nennenswerten Spaß an der Punkteklauberei).

2. “Auge um Auge”

Nach dem Fehlversuch in einer 3er Runde vor knapp zwei Monaten haben wir es diesmal in einer spielbaren 5er Runde gespielt. Wir würfeln, um uns bzw. unsere Bandenmitglieder gegenseitig totzuschlagen. (Im zivilen Europa reichen zwei blaue Augen, um eine Person außer Gefecht zu setzen.) Der Angreifer kann Mitspieler zum Draufschlagen (Draufwürfeln) einladen, der Angegriffene auch. Blaue Augen gibt es, wenn mehr Angreifer-Würfel mit einer bestimmten Zahl geworfen wurden als Angegriffenen-Würfel. Der Angegriffene tut gut dran, sich nicht zu verteidigen, d.h. die Angreifer-Würfel nicht auszupatten, sondern lieber seinerseits auf die Angreifer einzuschlagen. Denn nicht die heilen eigenen Bandenmitglieder zählen am Ende, sondern nur die Treffer auf fremdes Personal. Wer als Erster innerhalb aller sporadisch zu Gegnern deklarierten Mitspielern (egal ob es Angreifer oder Angegriffene waren) acht blaue Augen erzeugt hat, ist Sieger.

Mit Würfelmodifikationsoptionen (Neu-Würfeln, Augenzahl erhöhen oder erniedigen, Würfel auf beliebigen Wert setzen u.ä.) wird das Würfelglück eliminiert und zu einem uniformen Modifikationsbrei verschmiert. Wie gesagt: Es gewinnt der schnellste Blau-Äugler, wobei es ihm zugute kommt, wenn die Mitspieler ihrerseits – warum auch immer – am wenigsten auf ihn einschlagen.

WPG-Wertung: Aaron: 5 (ein echter Strategiebrüller: wir haben doch ein paarmal gelacht), Günther: 4 (mehrere Leute hatten am Ende gleichviel Punkte, das ist ein selbstverständliches Ergebnis dieses unzufälligen Würfelns), Horst: 3 (keinerlei Fun; für einen Nobrainer zu unlustig), Moritz: 5 (vom Würfelsystem her gar nicht so unausgewogen; die Kingmakereffekte sind allerdings nicht zu übersehen), Walter: 2 (gute Würfelidee, aber im dem angebotenen Würfelbrei einfach nur ein Zeitvertreib mit Zeittotschlagen).

3. “Qwinto”

Trotz einer Menge neuer Mitbringsel von der Spiel-2015 legte Günther ein Spiel aus dem Jahre 2003 (1994) auf. Rundum würfelt einer für alle. Jeder Spieler wählt dabei, ob er mit einem, zwei oder allen drei verschiedenfarbigen Würfeln würfelt. Es wird die Summe gebildet, die jeder ein seinem individuellen Formular vermerkt. Der aktive Würfler muss die Augensumme eintragen, die Mitspieler dürfen es, müssen es aber nicht.

In jedem Formular gibt es drei Zeilen mit neun Kästchen für die einzutragenden Augenzahlen. Die Augenzahlen müssen in jeder der drei Zeilen so eingetragen werden, dass eine streng aufsteigende Zahlenreihe entsteht. Wer eine Augenzahl nicht mehr in seinem Formular unterbringen kann, es als aktiver Würfler aber müsste, bekommt Strafpunkte.

Wenn der erste Spieler zwei seiner drei Zahlenreihen in seinem Formular komplett füllen konnte, ist das Spiel beendet. Dann werden die ausgefüllten Muster in jedem Formular nach einem vorgegebenen Punktesystem bewertet. Es gibt Sonderpunkte für Vollständigkeit sowie für bestimmte vertikale Eintragungs-Kombinationen. Wer die meisten Punkte bekommen hat, ist Sieger.

Das Spiel besitzt leider eine Regel für Warmduscher: Wer als aktiver Würfler sein Ergebnis nicht eintragen kann, oder wenn es ihm nicht gefällt, darf mit allen Würfeln nochmals würfeln. Eine unnötige Verlangsamung. Es wird doch gewürfelt, da sollte jeder Spieler problemlos mit Zufall, Risiko und Glück zurechtkommen können.

Das Spiel ist dem älteren „Choice“ aus dem Jahre 1989 verdammt ähnlich. Kein Wunder, hat es doch den gleichen Vater: Sid Sackson, einen genialen Spieleautor aus den 70er bis 90er Jahren. (Nach der Biographie bei Luding hat er mehrere hundert Spiele erfunden, von denen gut fünfzig in der ganzen Welt veröffentlicht wurden; u.a. bekam er 1993 für sein „Acquire“ die „Essener Feder“.)

Ich persönlich sehe in „Qwinto“ den erheblichen Nachteil, dass bewusste oder unbewusste Fehleintragungen der Spieler in ihrem individuellen Formular nicht entdeckt werden können. Auch wenn wir alle ehrlich spielen (wollen), so kann sich doch jeder irren, was bei den vielen Eintragungen in Qwinto sehr leicht geschehen kann. Eine solche Fehlerquelle darf in einem guten Spieldesign nicht enthalten sein. Bei „Choice“ konnte man wenigstens noch anhand der Anzahl aller eingetragenen Zahlen und anhand ihrer Summe, die in jedem Formular identisch sein musste, erkennen, ob ein Irrtum vorliegt.

WPG-Wertung: Aaron: 7, Günther: 8, Horst: 7, Moritz: 8 (besser als „Choice“; [hi, ist Dir klar, dass Du für „Choice“ nur 5 Punkte vergeben hast?!]), Walter: 8.

Als kleines Schmankerl gibt es ein Video mit unserer Abschlussdiskussion über die beiden letzten Spiele:

21.10.2015: Die Welt der fahrenden – Pioniere – mit Hang zum Individuellen

Friedemann Friese ist ein äußerst fleißiger, sehr begabter Spieleautor. Für unsere Leser ist diese Aussage nichts Neues, eher ein FEulen nach FAthen tragen. Nachweislich Luding sind bis heute von ihm – teilweise in Zusammenarbeit mit anderen Autoren – 44 verschiedene Spiele erschienen, plus weitere 25 Spiele-Modifikationen. 1992 hat er mit „Wucherer“ sein erstes Spiel herausgebracht, das gleich ein Verkaufsschlager wurde. Anfang dieses Jahrtausends (wer weiß das schon so genau?) kam sein „Funkenschlag“ heraus, mit dem er in der gehobenen Welt der prämierten Spiele landen konnte, einem gelungenen „1830“-Derivat auf Stromnetz-Basis, das auch in unserer mehr als eintausend Einträge starken ewigen Besten-Liste einen einstelligen Spitzenplatz einnimmt. Es ist bis heute sein Flaggschiff und hat insgesamt 16 Erweiterungen erlebt, die letzte davon, „Funkenschlag: Die Aktiengesellschaften“, erst in diesem Jahr.

Auch wenn nicht alles glänzt, was Friedemann’s Fold ist, so zeigt doch jedes Spiel die reife Handschrift des Meisters, Spielers, Experimentierers und Humoristen; jedes Spiel ist allemal eines Kennenlernens würdig.

Warum diese Einleitung? Das kriegen wir gleich …

1. “504”

Das, was Friedemann Friese (sic!) hier in der Schachtel anbietet, ist eigentlich kein Spiel, sondern eine Spiele-Factory: Spielmaterial und methodische Anleitung, um sich aus insgesamt neun Spiele-„Modulen“ selber ein Spiel mit den gewünschte Eigenschaften zusammenzustellen. 9 x 8 x 7 = “Fünfhundertvier”, die Anzahl der zulässigen Kombinationen; daher der Name des Pakets. Sicherlich hat Friedemann Friese an den Kombinationsmöglichkeiten solange gedreht, bis eine Fünfhunderterzahl herausgekommen ist. Warum? Ihr habt das schon vorher gewusst!

FF hat hier sein großes Wissen als Spiele-Erfinder und als Analyst fremder Spiele zusammengetragen, die Kernbestandteile der verschiedensten Spiel der Welt (Transport, Wettlauf, Privilegien, Militär, Entdecken, Straßen, Mehrheiten, Produktion und Aktien) herauskristallisiert, formalisiert, harmonisiert und so aufeinander angepasst, dass jedes Teil mit jedem kombiniert werden kann. Ein gigantisches Unterfangen, eine gewaltige Arbeit, und ein bemerkenswertes Ergebnis, wie immer man die Details im Einzelnen bewerten möchte.

WPG-Wertung: Das kriegen wir später.

1a. ” Die Welt der fahrenden Pioniere mit Hang zum Individuellen “

„504“ – gemeinsamer Kampf um Aufbau und Regelverständnis
„504“ – gemeinsamer Kampf um Aufbau und Regelverständnis

Dies ist die Einstiegskombination, mit denen Neulinge das Prinzip, die Technik und das Spielmaterial von „504“ kennenlernen sollen.

Mit 61 Hexagons (mit abgerundeten Kanten. Warum? Damit die Teile nicht so leicht auseinanderrutschen! Wie wahr, wie wahr! 1 Pluspunkt für FF!) bauen wir auf der Tischmitte unser Spielfeld auf. Aus dem in der Übermenge angebotenem Spielmaterial aus Pöppeln, Würfeln, Kasernen, Waren, Privilegien, Aktien, Einkommensplättchen, Kursmarkern, Abdeckern, Hauptquartieren, Siegpunktchips, Straßenstrichen, Stadtkarten, Transportwagen, Laderäumen, Spielgeld und vielen weiteren Komponenten (ein Schiff ist auch dabei, das aktuell in 0 % aller Spiele benötigt wird) suchen wir das für unsere Spielkombination notwendige heraus und verteilen es auf Tischdecke und Mitspieler.

Nachdem wir Westparker mit dem ganzen Material noch nicht vertraut waren, und uns die Unterscheidungen z.B. zwischen Bewohnern und Siedlungen erst erarbeiten mussten, dauerte es eine geschlagene Stunde, bis wir mit dem Aufbau fertig waren. Jetzt müssen wir nur noch den Spielablauf kennenlernen. Das dauert glücklicherweise nur noch eine halbe Stunde, schließlich haben wir uns beim Spielaufbau schon darüber Gedanken machen können, wie das alles zusammenwirkt. Allerdings verplempern wir während der nun folgenden fünf (eigentlich kurzen) Spielrunden die Hälfte der Zeit mit Regel-Rückfragen an den armen Regelerklärer Günther, weil wir den zuweilen seltsam konkurrierenden bzw. seltsam nicht-konkurrierenden Spielmechanismen nicht glauben können.

Im Prinzip geht es um eine Transport-Optimierung. Wir bewegen unseren Transportwagen über die Landschaftshexagons zu den Stadthexagons, liefern dort benötigte Ware ab und laden neue Ware auf, um sie zu anderen Städten zu bringen. Die meisten Lieferungen auf dem kürzesten Wege sind der Schlüssel zum Erfolg. Unser Geschäftseinkommen wächst ständig, und wir erweitern damit fortlaufend die Reichweite und die Ladekapazität unseres Transportwagens. Beim Bewegen über das Spielfeld gibt es keinerlei Konkurrenz, jedes Hexagon darf jederzeit von allen Spieler betreten werden, jeder bekommt hier gleichermaßen Einkommen. Beim Abliefern von Waren ist dagegen erhebliche Konkurrenz, da jede Stadt von jeder Warenart während des gesamten Spiels nur ein einziges Stück abnimmt. Wenn ein Mitspieler zur Stadt A gerade einen Fisch abgeliefert hat, können wir dort nicht auch abladen, sondern müssen mit unserem fische-beladenen Transportwagen zu einer der nächsten fische-bedürftigen Städte weiterziehen.

Das alles verläuft für alle Spieler ziemlich unisono bis monotono. Daran ändert auch nichts, dass jeder Spieler pro Zug ein individuelles Privileg kaufen kann, dass ihm Vergünstigungen in Bewegung, Einnahmen, Kosten oder direkten Siegpunkten bringt. Die Herausforderung des Spiels liegt in der Auswahl des Ausgangspunktes für alle seine Transportaktivitäten, und in einer ausgewogener Kombination beim Ausbau von Reichweite und Kapazität. Da die Kapazität aber nur von 1 auf 2 gesteigert werden kann, und man zu Beginn nicht genügend Kapital hat, diese Steigerung zu finanzieren, bleibt zu Beginn nur die Reichweite übrig. Damit hält sich diese Herausforderung in engen Grenzen. Eine weitere, entscheidende Herausforderung ist natürlich das optimierte Herumfahren auf dem Spielfeld, um Waren zu laden und abzuliefern. Hier ist man allerdings früher oder später komplett dem Mitspielerchaos ausgeliefert. Wem das Spaß macht, dem macht das Spaß.

WPG-Wertung: Aaron: 5 (4 Punkte für das Spiel, plus 1 Fleisspunkt für den Autor; Thema fehlt, die Mechanik ist dürftig), Günther: 4 ([kam da noch ein Sympathiepunkt für den Autor hinzu?] kein Spielspaß, könnte in eine ätzende Riesenrechnerei ausarten), Moritz: 4 (3 Punkte, plus 1 für die Gesamtidee des Autors; der Anfang ist ein einfaches Abklappern der Anlaufstationen, hinterher versinkt alles im Mitspielerchaos), Walter: 5 (4 Punkte für das Spiel, plus 1 Punkt für die Ingenieurleistung; die Mechanismen funktionieren, aber alle wirken ein bisschen kastriert.)

1b. “Die Welt der kampfeslustigen Aktiengesellschaften mit Verbindungen”

„504“ verdient einen weiteren Versuch. Vielleicht bringen die komplexeren Kombinationen etwas mehr Pfeffer in die Linearität. Schließlich gibt es in „504“ auch Verkehrsnetze, Gesellschaftsanteile und Dividenden wie bei „1830“, die man dann auch noch mit dem Militär-Modul aggressiv aufpäppeln kann. Moritz freute sich schon darauf, mit seinen Panzern und Bomben die Bahnhöfe seiner Konkurrenten in Schutt und Asche zu legen. Wir erarbeiteten uns die Kombination 496.

Doch das Durchdringen der Materie ist selbst (oder gerade?) für einen WPG-Normalverbraucher kein Zuckerschlecken. Die Regel-Querverweise auf Regelfragmente in anderen Modulen machen das Verständnis schon ziemlich sauer. Wie gerne hätte wir hier jetzt etwas mehr Linearität. Vielleicht hat sich FF die Formel ausgedacht:
Linarität (Spielablauf) + Linearität (Regel-Lesen) = konstant.

Als alte „1830er“ können wir uns keine Aktiengesellschaften ohne Einnahmen vorstellen! Im Regelheft heißt es dazu lapidar „Einnahmen … entsprechend des Moduls auf Top I“. Doch in „Top I“ finden wir keine Einnahmen, zumindest keine in unserem Verständnis von gut und schlecht wirtschaftenden Gesellschaften. Jede Gesellschaft bekommt unabhängig von ihrem Streckennetz und unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Lage pro Runde die konstante Summe von 20 DM. Kann das sein? In die Kreuz und in die Quer lesen wir uns hin und her. Und mit stummem Trauerblick, kehren wir zu Top II zurück.

„Die Bewohner dieser Welt gründen Gesellschaften.“ Sind wir Spieler die Bewohner oder sind die benutzten Pöppel die Bewohner? Haben wir Spieler sowohl Pöppel als auch Gesellschaften, oder haben wir nur Gesellschaften, und die Gesellschaften haben Pöppel; oder haben beide beides? Womit kämpfen wir denn? Mit unseren Spieler-Pöppeln oder mit denen der Gesellschaft. Alles ganz einfach, wenn man aus einer „504“-Welt kommt oder sie sogar geschaffen hat. Alles ziemlich schwer, wenn man mit einem vielfältigen Erbe von Spielerfahrungen anfängt. Weh’ Dir, dass Du ein Opa bist!

Eine Stunde lang durfte unser genialer Regelversteher Moritz mit dem Regelbuch, seinen Querverweisen und unseren Verständnisfragen kämpfen, dann übernahm Günther die Analyse. Es war aber schon klar, dass wir damit nicht fertig werden würden, bevor Moritz zur vorletzten U-Bahn abdüsen musste. Deswegen konnten wir locker, teils skeptisch, teils zynisch, teils tatsächlich gelöst-heiter das weitere Rätselraten über die kampfeslustigen Aktiengesellschaften über uns ergehen lassen.

Schließlich schlug Moritz ein „Leaning by doing“ vor: „Spielen wir doch einfach mal eine Runde!“ Gesagt getan. Jeder bekam 150 DM in die Hand gedrückt und im Nu waren die Aktien nach „1830“-Standard verkauft. Na ja, fast im Nu. Wir mussten uns noch darüber im Klaren werden, wohin das bezahlte Geld floss: In die Bank oder ins Gesellschaftskapital? Wie hoch ist das Startkapital einer Gesellschaft? Welche hat Priorität? Wie steigt der Kurs? Und ähnliche unbedeutenden Detailfragen.

Die Ausbreitung der Gesellschaften erfolgt bei allen Spielern identisch, zumindest in den Anfangszügen. Sicherlich hätten später die Kämpfe hier mehr Leben hineingebracht. Aber heute konnten wir ohnehin nicht mehr als ein anfängliches Aufblitzenlassen der Ideen erreichen.

Eine bemerkenswerte Änderung gegenüber dem „18xx“-Standard bestimmt das Vorgehen auf dem Aktienmarkt. Der Kurs der Gesellschaft, von der in der aktuellen Runde am meisten Aktien verkauft wurde, steigt um eine Stufe. Jetzt geht es also überhaupt nicht mehr darum, als „Empire-Builder“ den Kurs seiner Lieblingslinie auf eine stolze Höhe zu bringen, sondern an der Bewegung auf dem Aktienmarkt sein Geld zu machen.

  1. Sichere Dir den Priority-Deal
  2. Verkaufe das Aktenpaket mit den hohen Kurswerten – an dessen Kurssteigerungen Du hoffentlich gut mitverdient hast
  3. Kaufe Dich bei einer Gesellschaft ein, von der möglichst viele Aktien im Angebot liegen
  4. Vielleicht auch nicht

WPG-Wertung: FF hat einen total neuen Weg beschritten und eine anerkennenswerte, analytische Arbeit geleistet, um aus den Spielen der Welt 9 kombinierbare Prinzipen („Module“) herauszufiltern. Jedes Prinzip ist bekannt und erprobt, bietet für sich allein aber absolut nichts Neues, nichts Überraschendes, nichts Prickelndes. Die Regeln für die Kombinationen sind schwer zu lesen, wobei darinnen jedes einzelne Prinzip, der Kombinerbarkeit wegen, erheblich an Glanz und Gloria verliert.

Zwei Zitate eines ungenannt bleibenden Spielers:
„Oh, Friesemann, mir graut vor Dir!“ – Das war zweifellos im mephistophelischen Sinne positiv gemeint.

„Das Ganze ist vielleicht als Parodie gedacht. Damit wird dokumentiert, wie ein Großteil der heute herausgebrachten Spiele erfunden wird.“

Und hier ein paar Eindrücke von unserer Diskussion über das Spiel:

16.09.2015: Gelegenheit für „Nord“

Kleine WPG-Spielestatistik

Nachweislich unserer Session-Reports, die allerdings erst einige Jahre nach Beginn unserer regelmäßigen Spieleabende angefangen wurden, haben wir am insgesamt 745 verschiedene Spiele am Westpark gespielt. Gut 70% davon nur ein einziges Mal, knapp 20 % wenigstens ein zweites Mal. Spitzenreiter mit riesengroßen Abstand ist „Bluff“, das 210 mal auf den Spieltisch gekommen ist. Dahinter folgen „Flaschenteufel“ mit 32, und das Peter-protegierte „Zoff im Zoo“ mit 17 Präsenzen. Aarons Eigenentwicklungen „Yunnan“ und „Nobiles“ lagen immerhin je 11 mal auf, und sein aktuelles Austragskind „Diggers“ sogar 16 mal.

Kurz und gut: Es sogar ein einziges zweites Mal auf den Tisch am Westpark gebracht zu haben, hebt ein gemeines Spiel bereits über zwei Drittel seiner Brüder und Schwestern heraus!

1. “Nord”

Die Spiele-Schmiede hat unseren „Verriss“ von letzte Woche mit Humor getragen und sehr konstruktiv darauf reagiert. Der initiale „Stänkerer“ von letzter Woche war heute zuhause geblieben, und jeder einzelne des heutige Trios hatte in den sieben Tagen und Nächten seit dem letzten Spielabend über das „Nord“-Ereignis nachgedacht und empfunden, dass das Spiel es wert wäre, uns seine Geheimnisse in einer zweiten Session zu offenbaren. Jeder hatte daran gedacht, und Moritz hatte das Spiel sogar mitgebracht. Ab heute hat es am Westpark die Weihe der zweiten Nacht.

Hallo, Ihr „Nord“-Experten: Mit wieviel Einheiten ist Moritzens blaue Kämpfer-Pyramide versorgt?
Hallo, Ihr „Nord“-Experten: Mit wieviel Einheiten ist Moritzens blaue Kämpfer-Pyramide versorgt?

Wir besiedeln mit unseren Setzsteinen ein selbstgebasteltes, aus quadratischen Feldern bestehendes Asgard, breiten uns von unseren frei gewählten Startlöchern in alle Richtungen aus, nehmen im Vorbeigehen die auf den einzelnen Feldern liegenden Schatzplättchen mit, und klopfen bei den neutralen oder gegnerischen Jarls an, um ihnen ein Bündnis aufzudrängen.

Bemerkenswert sind die Effekte von solchen Bündnissen. Auf der Verbindungsstrecke zwischen zwei Partnern werden alle Steine des handelnden Spielers entfernt und auf die Felder vom Start und Ziel verteilt. Allerdings werden der zweite, der vierte, und alle weiteren ab dem sechsten Spielstein als erschlagene Helden auf ein „Drachenboot“ zur Fahrt nach Walhall gepackt. Sind beispielsweise auf einer Verbindungsstrecke nur zwei Spielsteine des handelnden Spielers, so gelangt einer davon ins Ziel, der andere wird ersatzlos vom Brett genommen: Erfolgsquote: 50 Prozent. Sind auf der Verbindungsstrecke aber drei Spielsteine, so landet einer auf dem Zielfeld, einer auf dem Startfeld und einer in Walhall. Überlebensquote: 66%. Es ist also effizienter, Jarls in einer Entfernung von drei Steinen anzugreifen als in einer Entfernung von zwei. Freilich sind die Entfernungen zwischen den Jarls eine topologische Konstante, und wenn wir es da mit einer geraden Anzahl Feldern haben, so müssen wir halt in den sauren Apfel beißen.

Alle Spieler bauen friedlich an diesen Bündnissen und besiedeln die ausgewählten Jarl-Plätze des Spielfeldes mit ihren Bündnis-Kämpfern. Jetzt (oder wann immer man will) wird auf Krieg umgeschaltet. Wer bereits mit einem fremden Jarl verbündet ist und nochmals eine Verbindung zu diesem Kerl aufgebaut hat, darf ihn erschlagen und kassiert erhebliche Siegpunkte dafür. Voraussetzung ist allerdings, dass das Objekt der Begierde nicht mit anderen Mitspielern in der gleichen Quantität verbündet ist wie wir.

Wir brauchen aber keine Jarls zu erschlagen, um das Spiel zu gewinnen. Jedesmal wenn das Drachenboot mit abgeräumten Helden voll ist, was beim Aufbau von Bündnissen (glücklicherweise) sehr schnell vonstatten geht, wird eine Wertung ausgelöst. In der ersten und dritten Wertung werden unsere wohlpositionierten Setzsteine auf Waldgebieten und Bergfeldern honoriert. In der zweiten und vierten Wertung werden unsere beim eigenen oder bei fremden Jarls schmarotzenden Kämpfer honoriert, und zwar quadratisch mit der Anzahl der an einem Ort lebenden Figuren: ein Kämpfer an einem Fleck bringt einen Siegpunkt, vier Kämpfer auf einem Fleck gleich sechzehn Stück davon. Die Siegpunkte für Wälder und Berge in der ersten und dritten Wertung sind also marginal im Vergleich zu den horrenden Summen, die man für gehäufte Kämpfer einstreichen kann.

Viele Kämpfer auf einem einzigen Fleck zu konzentrieren ist allerdings gar nicht so einfach. Wer bereits mit allen Jarls verbündet ist, der hat sein Pulver verschossen: er kriegt keinen einzigen Kämpfer mehr unter. Er kann nur noch durch die Abgabe bestimmter Schatzplättchen einzelne Jarls umsetzen. Die Majorität eines anderen Mitspielers ist damit nur schwer zu brechen. Das Spiel verzeiht keine Fehler.

Bei uns hatte Walter zwischen der zweiten und der dritten Wertung alle seine Spielsteine auf dem Brett und konnte keine Steine mehr setzen. Nach den Regeln muss er jetzt statt eines Setzzuges eine Wertung auslösen. So kam die dritte, und gleich darauf auch die vierte und die Schlusswertung zustande. Übrigens eine gute Idee für Spieler, die das Spiel schnellstmöglich beenden wollen: Sie setzen alle ihre Spieler auf „sichere“ Plätze, wo sie nach den Wertungen nicht abgeräumt werden, und schon geht es schnurstracks dem Ende zu.

Bei uns wurde ein solches Ende nicht provoziert. Eine Stunde lang lief das Spiel recht flott über die Bühne. Selbst Moritz spiele ohne langes Nachdenken. Er konzentrierte sich auf Unmengen von Kämpfern in seiner Heimatbasis, deren Versorungsaufgaben er elegant in den dunklen Hintergrund der Spielregeln schob, die ihn aber mit ihren quadratischen Punktesegen alle seine Mitspieler überrunden ließ. Da hätte er gar nicht auch noch den Mord an einem Jarl begehen müssen.

WPG-Wertung: Aaron: 5 (zu dritt spielt es sich deutlich besser), Moritz: 7 (das Spiel gehört zu der seltenen Gattung von abstrakten Setzspielen, die zu dritt funktionieren), Walter: 5 (wenn man es flüssig spielt, wird man seinen Geheimnissen nicht gerecht, wenn man es denkerisch-analytisch spielt, kann es sehr zäh werden.).

2. “Gelegenheit macht Diebe”

Unverdrossen, trotz unserer keineswegs üppig-wohlwollenden Kritiken, versorgt uns der Gmeiner Verlag regelmäßig mit seinen neuesten Produktionen. Meist handelt es sich um Kartenspiele, die im Kriminalisten Milieu angesiedelt werden. Sogar der Altmeister Rainer Knizia hat hier schon mit „Sieben unter Verdacht“ sein Glück versucht.

„Gelegenheit macht Diebe“ ist offiziell ein „Krimi-Kartenspiel für raffinierte Langfinger“, in Wirklichkeit aber ein reines Stichkartenspiel, das alle Spieler zumindest am Anfang in der vom Autor gewollten Unsicherheit lässt, ob er einen Stich machen soll oder nicht, ob der Stich Pluspunkte bringt oder desaströs alles zunichte macht.

Vier Kartenfarben hat das Spiel, man muss die ausgespielte Farbe bedienen, man kann mit einer von vier Jokern den Stich an sich reißen, und man darf jede beliebige Karten zugeben, wenn man nicht bedienen kann. Wer einen Stich gemacht hat, spielt zum nächsten Stich beliebig aus. Das ist alles Standard.

Innerhalb der Karten eines Stiches zählt nur eine einzige Farbe, die sogenannte „Diebesgut-Farbe“: sie bringt Siegpunkte pro Karten, die man davon innerhalb seiner Gesamt-Stichen hat, und sie kostet Siegpunkte, wenn man nicht genügend Karten davon ergattern konnte. Die Diebesgut-Farbe ist bei Spielbeginn nicht bekannt. Erst wenn ein Spieler die erste von vier „Deal“-Karte gespielt hat, darf er die „Diebesgut-Farbe“ benennen und damit alle Spieler aus ihrer Unsicherheit befreien. Die „Deal“-Karte darf aber erst gespielt werden, wenn irgend ein Spieler vorher eine „Choice“-Karte gespielt hat. Ganz schön kompliziert, nur damit die üblichen logischen Mechanismen eine Stichspiels, das Planen beim Ausspielen und Zugeben der Karten außer Kraft gesetzt werden.

Innerhalb von drei Stop-Punkten im Spiel bieten die Spieler darum, nach welcher Umrechnungstabelle sie später ihre Diebesgut-Karten in Siegpunkte umgerechnet haben möchten. Man kann 2 oder auch 3 Punkte pro Karten bekommen, wird allerdings auch mit 5 bzw. 10 Minuspunkten bestraft, wenn man zu wenige Diebesgut-Karten in seinen Stichen hat. Ab lukrativsten ist hier die Umrechnungstabelle der „Versicherung“: Hier bekommt man leicht 15 bis 19 Punkte für nur zwei Diebesgut-Karten und erhält nur 5 Minuspunkte, wenn man keine zwei solcher Karten zusammengebracht hat. Es gibt dann auch noch Loser-Tabellen, z.B. die des „unbeteiligten Besuchers“, wo man lediglich 5 dünne Punkte bekommt, wenn man – durch Glück und Können – überhaupt keine Diebesgut-Karte eingesackt hat.

Weil es bei den Umrechnungstabellen so eindeutige Favoriten gibt, die sich alle Spieler natürlich gerne an Land ziehen würden, setzen die Regeln hierfür Grenzen: Innerhalb von sechs Durchgängen darf jeder Spieler jede Tabelle nur maximal zweimal für sich in Anspruch nehmen, und dabei nicht zweimal hintereinander in zwei folgenden Durchgängen.

Die Regeln und die Material-Unterstützung für diese Bieten ist ziemlich ungeschickt. Erstens wird das – normalerweise / hoffentlich flüssige – Stichspiel unergonomisch unterbrochen, und zweitens muss man eigenhändig schriftlich notieren, welcher Spieler bisher welche Tabellen ersteigert hat. Mit all den Fehlerquellen beim Erstellen und Verfolgen der Einträge. Moritz schlug hier einen ganz einfachen, viel besseren Spiel-Mechanismus vor: Für jede Umrechungstabelle gibt es eine eigene Leiste, auf die ein Spieler, der diese Tabelle wählt, einen Spielstein hinlegt. Gewählt wird einmal und zwar nach der Kartenverteilung. Das wäre alles. Wer zuerst kommt, malt zuerst. Schnell und einfach, und jedermann kann jederzeit erkennen, welche Tabellen er bereits hatte, welche er zuletzt hatte und welche er noch ersteigern darf. Dieser Auswahlmechanismus wäre genauso gerecht und ungerecht wie das bisherige komplizierte Bieten mit den sieben Setzsteinen zu unterschiedlichen Zeitpunkten.

Nach drei (von sechs) friedlichen Durchgängen stand durchaus die Frage im Raum, ob wir damit unsere Erfahrung mit dem Diebesgut beenden wollen. Doch die Spannung war noch nicht ganz abgeklungen, und zudem lag Walter in Führung, was Moritz keineswegs freiwillig so hinnehmen konnte. So zogen wir uns auch die zweite Hälfte zu Gemüte, ließen uns die Suggestion gefallen, dass jeder mit seiner Kartenhand sein eigenes Schicksal in der Hand hat, und wurden drei weitere Runden gespielt. Moritz hat gewonnen, Walter wurde Letzter!

WPG-Wertung: Aaron: 4 (wenig Pfiff), Moritz: 4 (die Tabellen-Selektion ist shit, langweiliges Stichspiel ohne Thema, ein Stichspiel, d.d.W.n.b.), Walter: 4 (habe überhaupt keine Ahnung, wie man eine Kartenhand analysieren und spielen soll).

3. “7 Worms”

Vor einem Monat stand Aaron mit seiner Neu-Entwicklung kurz vor dem Abgrund. Heute ist er schon einen Schritt weiter. Scherz beiseite: Die Würfel wurden abgeschafft, die verschiedenen Wurm-Teile zum Erzeugen eines Wurms werden jetzt über Plättchen realisiert. Die Würmer hoppeln schon gewaltig, bald werden sie auch noch das Fliegen lernen.

07.09.2015: Nord im Gegenwind

Liebe treue Leser unserer Seite, Ihr braucht jetzt nicht weiter zu lesen, dies ist nicht einer unserer üblichen Session-Reports. Die Betreuung der Enkeltochte hat die normale Rentnerfreizeit für Spielkritiken erheblich eingeschränkt. Zudem hat Moritz die Beschreibung unseres spielerischen Hauptprogramms gleich wieder mit nach Hause genommen, so dass jede lustvoll-böse Kritik leicht ins Auge gehen kann. Nur damit die Kontinuität über die Berichterstattung zu unseren Spielabenden – wer war da und was wurde gespielt – gewahrt bleibt, hier eine kurze Zusammenfassung zum letzten Mittwoch.

1. “Nord”

„Nord“ : Kämpfe mit dem Aufbau, Kämpfe mit dem Kampf!
„Nord“ : Kämpfe mit dem Aufbau, Kämpfe mit dem Kampf!

Moritz hatte das Spiel schon im Vorfeld vorgeschlagen. In der Kronberger Spieleschmiede wurde es entwickelt. Unser Freund Christoph Tisch hat die Graphik gemacht. Der Autor (?) Roland Goslar hatte sich gewünscht, dass wir es einmal spielen. Was war seine Motivation? Sollten wir unsere Freude daran haben? Sollten wir unsere Kritiker-Meinung dazu abgeben? Sollten wir seinen Geschäftserfolg fördern? Wer weiß!

„Nord“ hat einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen. Erst rund und schön, dann unausgegoren und broken. Da, wie gesagt, Moritz vergessen hat, das Spiel hier am Westpark zu lassen, kann ich hier nur ganz oberflächlich darüber schreiben, was subjektiv in der Erinnerung hängen geblieben ist.

  • In 60 Minuten soll das Spiel über die Bühne sein. Solange brauchten wir allein, um das Spielbrett zusammen zu bauen! Eigentlich ganz einfach: Acht orthogonale Polygonflächen, die Feld, Wald und Wiese-Landschaften enthalten, sollen in beliebiger Ausrichtung aneinander gelegt werden. Eine Sekundenaufgabe. Doch die leichten lockeren Lösungen scheitern alle an den Randbedingungen, die so nach und nach auftauchen. Da müssen Mindestabstände eingehalten, Land- und Seegrenzen beachtet, und unklare Verteilungsvorschriften für „Schatzkästchen“ berücksichtigt werden. Ständig mussten wir unsere aktuelle Zusammensetzung modifizieren, um neu entdeckten Bedingungen zu genügen. (Oder war hier nur unser Moritz bei der Interpretation des Regelheftes überfordert?)
  • Ausgehend von frei gewählten Start-Städten bevölkert jeder Spieler sein Umland, zieht mit seinen Nordmännern zu seinem Nachbarn oder zu den neutralen Jarls, die wie die Moai-Köpfe auf den Osterinseln in der Landschaft herumstehen: zuerst friedlich und Wege bahnend, dann erobernd und Siegpunkte einheimsend.
    Theoretischer Konstruktionsfehler: Der Startspieler! Wer bestimmte Felder zuerst besetzt, mahlt zuerst. Er kann seinen Mitspielern ganz schön das Wasser abgraben. Wenn er dann noch als erstes genug Masse für seine Heldenkämpfe beisammen hat und eine Schlacht beginnt, löst er eine Wertung aus, bei der er natürlich am besten dran ist. Da der Startspieler dazu auch noch als Erster sich die strategisch beste Start-Stadt aussuchen kann, hat er von seinem Privileg ausschließlich Vorteile. Das dürfte bei einem “gerecht” ausbalancierten Spiel grundsätzlich nicht so sein!
  • ”Nord” ist ein Denkerspiel. Kronsberger behauptet sogar “ohne große Glückselemente”. Warum liegen dann die Schatzkästchen, deren passende Sortierung eine quadratisch steigende Punkteausbeute mit sich bringt, verdeckt auf dem Spielplan herum, so dass es reine Glücksache ist, ob man dreimal nur einen Punkt oder einmal gleich zehn Punkte dafür kassiert?
  • Bei einem Denkerspiel sollten der Aufbau und die Entwicklung des Spielgeschehens recht “stetig” von sich gehen. In “Nord” kann mit einem einzigen Zug die gesamte Position eines Mitspielers zunichte gemacht werden. So geschehen, als Moritz den ersten Kampf absolvierte, seinen hoffnungsvollen Nachbarn Horst dabei in jeder Beziehung übertrumpfe, gleich sieben Siegpunkte einstrich und Horst mit null Wertungspunkten in die Röhre schauen ließ. Das ist reines Mitspielerchaos und sollte durch einfache, lustige, zufällige Winkelzüge ausgelöst werden, aber nicht durch erzwungene Denkprozesse mit dem Pseudo-Eindruck von Planbarkeit.
  • Warum liegen eigentlich auf dem Walboot, das die erschlagenen Helden nach Walhall bringt, ständig ein paar Geister-Jarls herum? Zuviel übriges Spielmaterial oder haben wir da etwas falsch gemacht? Vielleicht steht darüber etwas im Regelheft.

Kurz und gut, nach der ersten Wertung bekundete Horst, dass er KEINERLEI Spaß an diesem Spiel habe. Unter Rücksichtnahme auf unseren Kriegerfreak Moritz gestanden wir noch eine Fortsetzung bis zur zweiten Wertung zu, dann brachen wir ab.

Das Kampfprinzip in „Nord“ ist zweifellos neuartig und bemerkenswert. Doch eine Balance von Aufwand und Nutzen, eine Stimmigkeit von Mitteln und Effekten ist nicht erreicht!

Die Spielregel empfiehlt drei Mitspieler. Eine bessere Formulierung: „Zu viert nicht spielbar“! Zumindest nicht am Westpark

WPG-Wertung: Aaron: 4 (bis ich wieder am Zug bin, ist so viel passiert, wogegen ich mich nicht schützen kann), Horst: 3 (ich hasse diese Art von Spielen, langweilig, ich habe keinerlei Motivation, hier irgend einen Zug zu machen), Moritz: 8 (fand das abstrakte erst Verbindungen-Schaffen dann Angreifen sehr gelungen), Walter: 4 (leider extreme Effekte in chaotische Richtungen)

Das nordgermanische Thema fanden wir nicht wieder. Horst erkannte darin eher die Rotten von syrischen (islamischen!) Flüchtlingen wieder, die das christliche Abendland (München) überrollen. Eine heiße Debatte über Gefahren und Gebaren der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik schloss sich an, die der Gastgeber mit einer Runde

2. “Looping Louis”

erfolgreich abkühlen konnte. Zehn Minuten mechanisches Tasten-Drücken, um zu verhindern, dass ein routierenes Flugzeug nicht die eigenen Chips abschießt, sondern eher die der Mitspieler, bringt selbst die erregtesten cholerisch angehauchten Hitzewallungen wieder in ein normales Mentalgleis.

Keine neue WPG-Wertung für ein 7,2 Punkte Spiel.

3. “Hamsterbacke”

Noch ein kleiner Absacker, diesmal nicht mechanischer Art sondern als richtig gehendes Kartenspiel. Letzte Woche zum ersten Mal gewogen und keineswegs für zu leicht befunden, sollte es diesmal den Trend der ansteigende Spiellust-Kurve weiter fördern. Was nur mit Einschränkungen gelang; die Notengebung der Neulinge konnte mit der Euphorie der ersten Nacht nicht mithalten.

WPG-Wertung: Die bisherigen unisono 7 Punkte von Aaron, Günther und Walter wurden um eine ganze Stufe nach unten gedrückt: Horst: 6 (es plätschert unkompliziert vor sich hin; es fehlt die Herausforderung; ragt aus der Masse der vielen konstruierten Kartenspiele nicht heraus), Moritz: 5 (nicht so prickelnd; zu eindimensional; die Spannung hält nicht bis zum Schluss).

4. “Diggers”

Aarons Eigenentwicklung ist unter Dach und Fach. Vertragsgemäß musste er bis Ende August alle Änderungswünsche des Verlags bedienen. Jetzt ist der Startschuss für Beschreibung, Design und Produktion gegeben. Im Januar nächsten Jahres auf der Messe in Nürnberg soll das Spiel der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Noch keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Produktionsphase. Doch ganz gewiss wird Horst nicht sagen können, dass es nur eines der „vielen konstruierten Kartenspiele“ ist. Es enthält eine Menge Pfiff, ist spielerisch, gibt Raum für Planung und Kartenpflege, gewährt dem Zufall einen angemessenen Einfluss, und ist absolut stimmig in Zeit und Idee.

02.09.2015: Verhexte blaue Hamsteraugen

1. “Farbige Sprache”

Da nennt ein schwarzer Minister einen anerkannten Parteifreund ohne jeglichen Arg völlig zutreffend einen „Neger“, und schon erhebt sich ein gewaltiger Proteststurm in öffentlichen Netzen. Man spricht von einer „Verrohung unserer Sprache“, und ein Roter fordert gar den Rücktritt des Ministers. Kant, Herder, Schiller und Kleist haben den Begriff „Neger“ ganz neutral ohne jegliche Rassendiskriminierung verwendet, und meine Mutter hat es mich mit dem gleichen Zungenschlag gelehrt wie „Chinese“ und „Eskimo“. Wer ist es eigentlich, der uns einen inhaltlich veränderten Gebrauch unserer Muttersprache so aggressiv vorschreiben will?

Das Meyersche Konversationslexikon von 1897 definiert schlicht: „Neger: (von lat. niger = schwarz) alle afrikanischen Völker vom Südrande der Sahara südwärts bis zum Gebiet der Hottentotten und Buschmänner mit dem gemeinsamen Merkmal einer beharrlichen Dunkelung der Haut in vielen Abstufungen vom rötlichen Braun bis zum tiefsten Dunkelbraun.“ Und dazu sollen wir jetzt „Schwarzer“ oder „Farbiger“ (= rot und grün und gelb und blau …) sagen? Wenn es um die Hautfarbe geht, wäre „Brauner“ noch am angemessendsten, aber diese Farbe haben schon andere Weiße für sich in Beschlag genommen.

Wir lesen auch heute noch „Es war einmal eine süße kleine Dirne, die hatte jedermann lieb“, obwohl sie keinesfalls das horizontale Gewerbe betrieb und sich höchstenfalls von einem Wolf hatte vernaschen lassen.

1. “Auge um Auge”

Henning Poehl nimmt sich für seine Spieleideen gerne realistische Allerweltsthemen vor, seien sie nur unappetitlich („Popeln“) oder religiöse Wahnvorstellungen („Hexenhammer“). In „Auge um Auge“ geht es um halbstarke Schlägerbanden, die sich gegenseitig die Augen blau schlagen. Jeder Spieler führt eine Bande aus sechs Mitgliedern, jeder darf auf jeden draufschlagen, Angreifer und Verteidiger dürfen dazu jede Mitspieler-Bande zum Mitschlagen einladen.

"Auge um Auge": Günther weist dezent auf den gemeinsamen Feind hin
“Auge um Auge”: Günther weist dezent auf den gemeinsamen Feind hin

Der Kampf wird über Würfel ausgetragen. Für jedes Bandenmitglied, das noch mindestens ein nicht-blaues Auge besitzt, kommt ein Würfel ins Spiel. Der Angreifer würfelt, kann mit Hilfe von Zaubereigenschaften seiner Bandenmitglieder noch ein bißchen an den Augenzahlen herumdrehen, und entscheidet dann aus freien Stücken, mit welcher Augenzahl er ein der Augenzahl zugeordnetes Bandenmitglied des Gegners bearbeitet. Alle assoziierten Banden würfeln jetzt gleichfalls und müssen mit allen gleichen Augenzahlen wie der spielführende Erst-Angreifer auf das gleiche gegnerische Individuum einschlagen. Dagegen würfelt jetzt der Verteidiger sowie die ihn unterstützenden Banden und patten mit jedem Würfel, der die gleiche Augenzahl wie die Angreifer aufweist, einen Angreiferwürfel aus. Bleiben am Ende nicht-ausgepattete Angreiferwürfel übrig, bekommt das angegriffene Bandenmitglied des Verteidigers ein bis zwei blaue Augen und ist entsprechend gehandicapt: Er geht seiner Zaubereigenschaft verlustig oder scheidet sogar ganz aus den folgenden Kämpfen aus. Der Angreifer und/oder die unterstützenden Banden bekommen Siegpunkte. Wer zuerst acht Siegpunkte errungen hat, ist Sieger.

Das Spiel ist als Würfelspiel ordentlich komponiert. Der Verteidiger kann sich gegenüber einer erdrückenden Angreiferzahl kampflos zurückziehen und bekommt dafür nur ein einziges blaues Auge. Er darf dann auch frei wählen, welche der angreifenden Banden den Siegpunkt bekommt; damit kann er versuchen, Zwietracht unter seine Gegner zu säen. Wer am meisten lädierte Bandenmitglieder hat, hat bei den in die Kämpfe eingeschobenen Phasen des Wunden-Leckens auch statistisch gesehen die größte Chance, seine blauen Augen wieder zu heilen. Es geht also mit einem schwächeren Spieler nicht automatisch immer steiler bergab. Auch können die Angreifer u.U. alle die gleiche Augenzahl werfen und damit nur einem einziges Mitglied des Gegners Schaden zufügen.

In unserer Runde gab Günther per Fingerzeig gleich zu Beginn das Motto aus: „Alle gegen Aaron“. Walter griff das Motto willig auf, es gibt ja noch einige offene 1830-Rechnungen gegen Aaron zu begleichen. Außerdem kann es ja wohl nicht moralisch verwerflich sein, als gestandener Opa ein Schlägerei-Spiel für Halbstarke etwas atypisch bis absurd anzugehen. Aaron wehrte sich zwar tapfer, hatte aber gegen seine vereinigten Gegner keine Überlebenschance. („Was für ein Scheiß-Spiel!“) Bis ihm dann auf dem Titelbild des Regelheftes der rettende Satz ins Auge fiel: „Auge um Auge“ geht nur für 4 bis 6 Spieler. Als Trio waren wir nicht nur vom Alter her a priori die falsche Besetzung.

WPG-Wertung (über eine Extrapolation auf die zulässige Spielerzahl): Aaron: 5 (aus Sympathie für Henning und sein Bier- & Bretzelspiel; „man kann es nur spielen, wenn man ordentlich was intus hat“), Günther: 5 (eigentlich nur 4, aber mit einer Zaubereigenschaft auf 5 gedreht), Walter: 5 (ein paar hübsche, neue Ideen beim Würfelkampf; man könnte ja mal ordentlich was intus haben).

2. “Hexemonia”

Das alte Griechenland oder eine Bantusteppe, was spielt das schon für eine Rolle! Jeder Spieler baut um seine Heimatbasis herum eine Fläche aus hexagonalen Landschaftsteilen zusammen, und wer am Ende die siegpunkt-trächtigste Fläche beisammen hat, ist Sieger.

Von den zu bauenden Landschaftsteilen liegen jeweils vier offen aus. Pro Zug dürfen wir ein bis zwei Stück davon auf die Hand nehmen und anschließend aus der Hand beliebig viele an unseren Landbesitz anlegen. Wir müssen dafür nur die notwendigen Rohstoffe in Form von weißen, roten oder gelben Holzwürfeln beisammen haben. Einen dieser Würfel dürfen wir uns pro Zug kostenlos aus der offenen Börse nehmen, die anderen müssen auf unseren ausliegenden Ländereien bereits irgendwo vorhanden sein; wir dürfen beliebig viele davon über beliebig weite Strecken zu den jeweils neu angelegten Landschaftshexagons hintransportieren.

Rohstoffe wachsen zu unterschiedlichen Quanten und in unterschiedlicher Zusammensetzung auf unseren verschiedenen Ländereien. Dazu müssen wir in der Aktionsphase unseres Zuges die Option „Produzieren“ wählen. Es produzieren aber nur die „aktiven“ Felder, d.h. die Felder, auf denen wir eine vorgeschriebene Art und Anzahl von Holzwürfeln platziert haben. Beim Zusammenkratzen der Rohstoffe auf den neu zu bauenden Feldern machen wir in der Regel allerdings eine erhebliche Anzahl unserer Landschaftsteile „inaktiv“.

Anstelle des Produzierens können wir auch die Option „Strategie“ wählen und damit die Rohstoffe so verteilen, dass möglichst viele aktive Felder entstehen. So können wir dann beim nächsten „Produzieren“ maximal viele neue Rohstoffe generieren.

Wer kriegerisch veranlagt ist, kann seine Rohstoffe unter der Option „Strategie“ aber auch auf einem einzigen Feld konzentrieren, um im nächsten Zug von dort aus einen „Krieg“ zu beginnen. Damit kann er in der Aktionsphase beliebig viele Gegner sequentiell angreifen und ihnen je ein schwach verteidigtes Landschaftshexavon wegnehmen und seinen eigenen Ländereien einfügen.

Wir waren alle sehr friedlich gestimmt und bauten alle sehr autistisch an unseren eigenen Ländereien, ohne uns groß um das Gehabe und das Besitztum der Mitspieler zu scheren. Wir lächelten über die drei Seiten im Regelheft, in denen die Kriegführung detailliert beschrieben wird, genauso wie wir über die einhundert Milliarden Euro im Militärhaushalt der Bundesrepublik schon lange nicht mehr lächeln.

Nur im allerletzten Zug nutzte Aaron seine herumlungernden Krieger, um Günther noch eine Mythenlandschaft (Verlust: 8 Siegpunkte resp. 38 Prozent seiner Gesamtsiegpunktzahl), und um Walter noch einen Stadtlandschaft (Verlust; 4 Siegpunkte resp. 19 Prozent seiner Gesamtsiegpunkte) zu rauben. Aaron wurde Sieger. Günther landete weit abgeschlagen auf dem letzten Platz. Was sagt das über „Hexemonia“? Was sagt das über Günther?

Wir haben das Spiel beim ersten Kennenlernen alle (zumindest ich) schlichtweg sehr anfängerhaft gespielt. Wir haben sehr vorsichtig agiert, und in unseren Aktionen eher geklunkert als geklotzt. Wer produzieren will, muss bereits im vorhergehenden Zug die „Strategie“-Option wählen und möglichst viele seiner produktiven Landschaftsteile auf aktiv setzen. Im nächsten Zug darf man dann ggf. auch gar nicht bauen, sondern muss alle seine vorher aktivierten Felder im Zustand aktiv halten. Das spätere Bauen ist überhaupt kein Problem, denn, wie gesagt, wir können in jedem Zug ja beliebig viele neue Landschaftsteile anlegen. Was wir immer auch tun sollten. Einen Rohstoff statt eines Feldes zu nehmen, sofern das nicht unbedingt notwendig ist, erscheint deutlicher weniger opportun.

Vielleicht hat Aaron alles richtig gemacht. Er hat zwar in seinem letzten Kriegszug selber keine Punkte hinzugewonnen, sondern lediglich seinen Kontrahenten welche weggenommen, aber er hat ganz systematisch seine Ländereien erweitert, ständig seine Produktionen am Laufen gehabt, und konnte bis zu seinem Sieg sogar zweimal erhebliche Verluste durch Revolutionen verkraften.

Wir hätten seine ungeschützten Ländereien häufiger angreifen sollen. Kriege führen bzw. mit Krieg zu drohen ist ein verdammt guter Zug. Allerdings besteht das Spiel dann zu 95 Prozent der Spielzeit darin, die ständig wachsende Anzahl von Feldern mit sich ständig extrem ändernder Potenz komplett nach leicht angreifbaren Feldern abzuscannen, um die eigenen besser zu schützen und die fremden nahezu verlustfrei zu erobern. Vielleicht macht das Spaß. Wir müssen das noch einmal verifizieren.

WPG-Wertung: Aaron: 6 (viele Optionen, Downtime bei mehr Mitspielern grenzwertig), Günther: 6 (knapp), Walter: 6 (entweder ist das Spiel stark autistisch und ohne echte Interaktion, oder es versandet in einer permanenten Bilanzierung von Stärken und Schwächen der ausliegenden Felder).

3. “Hamsterbacke”

In einem flotten kleinen Kartenspiel nehmen wir Karten von der offenen Auslage auf die Hand, legen sie zu Sets ab und punkten mit abgelegten Sets. Das ist der ganze Witz.

Acht offene Stapel liegen kreisförmig in der Mitte des Tisches. Jeden von ihnen dürfen wir komplett auf die Hand nehmen. Dann wird an deren Stelle sofort eine neue Karte vom verdeckten Nachziehstapel hingelegt. Zusätzlich erhalten die beiden im Uhrzeigersinn folgenden Stapel ebenfalls eine Karte.

Auf den Karten sind die Ziffern 1 bis 4 aufgedruckt. Eine Karte mit der Ziffer 1 ist bereits ein komplettes Set, zwei Karten mit der Ziffer 2 und drei Karten mit der Ziffer 3 ebenfalls. Frage: Wie viele Karten mit der Ziffer 4 bilden ein Set?

Aus unserer Hand können wie beliebig viele Sets auf einmal offen auslegen. Die Sets werden aber erst gewertet, wenn wir in einem eigenen Zug das Set umdrehen. Dann muss als Nebeneffekt der Mitspieler mit den meisten Handkarten uns noch so viele Karten abgeben, wie die oberste Karte der umgedrehten Sets angibt.

Es geht also darum:

  • möglichst viele Karten aus den offenen Stapeln auf die Hand zu nehmen, damit man Verfügungsmasse auf der Hand hat
  • möglichst gleichartige Karten aus den offenen Stapeln zu nehmen, damit man unverzüglich komplette Sets ablegen kann
  • möglichst Karten mit hohen Zahlenwerten aus den offenen Stapeln auf die Hand zu nehmen, damit man beim Werten der eigenen offenen Stapel von einem Mitspielern möglichst viele Karten abstauben kann.

Die einfachen Auswahlkriterien beißen sich mit dem Bestreben, möglichst wenig Karten auf der Hand zu haben, damit man beim Werten der Stapel eines Mitspielers nicht selber geschröpft wird.

Alles locker, alles leicht, alles schnell, alles rund. Und wenn man in der Stimmung ist, ist alles auch lustig. Man behauptet, Glück und Strategie sollten sich bei “Hamsterbacke” die Waage halten. Einen Vergleich mit dem ungekrönten Absackerkönig “Bluff” wollen wir hier aber lieber nicht anstellen.

WPG-Wertung: Aaron: 7 (für das, was es ist, ist es lustig), Günther: 7 (locker, kein Skat), Walter: 7 (angenehm schnell, eine Planung ist leider immer nur für einen Zug voraus möglich, darunter könnte der Wiederspielreiz leiden.).

26.08.2015: Kreide fressen im Pax Porfiriana

“Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht!” sagte der Wolf, als er bei den sieben jungen Geißlein an die Tür klopfte. Aber die Geißlein hörten an der rauen Stimme, dass es der Wolf war. “Wir machen nicht auf”, riefen sie, “du bist unsere Mutter nicht, die hat eine feine und liebliche Stimme; aber deine Stimme ist rau, du bist der Wolf!” Da ging der Wolf fort zu einem Krämer und kaufte ein großes Stück Kreide, die aß er und machte damit seine Stimme fein.

Nach Wikipedia bezeichnet die „Kreide“ hier wohl „Kirschkreide“, im Preußischen eine Bezeichnung für Kirschmus, das möglicherweise – ähnlich wie Honig – Heiserkeit lindern soll. „Kreide fressen“ bedeutet umgangssprachlich: sich zurückhalten, sich beherrschen und Friedfertigkeit vorspielen, sich scheinbar umgänglich geben.

1. “Pax Porfiriana”

Peter hatte im Vorfeld „mal wieder etwas Klassisches“ vorgeschlagen, z.B. “Wikinger” oder “Turmbau von Babel” oder “Seeland”? Doch nach unserem Selbstverständnis sollte jeden Abend auch etwas Neues auf den Tisch kommen. So fand sich keine Gegenstimme als Moritz „zur Einleitung“ ein kleines 13 x 13 Zentimeter großes Kartenspiel einbrachte.

Friedensfürsten in „Pax Porfiriana“
Friedensfürsten in „Pax Porfiriana“

„Pax Porfiriana“ heißt auf deutsch „Der Frieden des Porfirio“ und ist, wie bei solchen Namen üblich, ein reinrassiges Kriegspiel. Es geht um Mexiko und den Diktator Porfirio Diaz, der um die letzte Jahrhundertwende (de facto ist es doch egal, um welches Jahrhundert es sich hier handelt) mit eiserner Hand das Land regierte, bis er in einer Revolution gestürzt wurde.

Wir sind Großgrundbesitzer, kaufen und bebauen Land, erhöhen seine Fruchtbarkeit, verbessern seine Transportwege, schützen es gegen Rebellion oder rebellieren selber dagegen, und bekämpfen ausgebrochende Revolten. Das Ganze wird über offen ausliegende Aktionskarten gesteuert, von denen wir uns pro Zug eine aussuchen dürfen: die Karten am unteren Ende kosten nichts, nach oben hin, dorthin, wo neue Karten nachgelegt werden, steigt der Preis in der Potenz von Zwei. Die Karteneffekte sind einigermaßen von gleicher Größenordnung, so dass man selten bei den teueren Regionen zugreifen muss; man kann in der Regel abwarten, bis eine Karte von selber billiger geworden ist.

Außer den Land-Kauf-Angreif-Schutz-und-Befreiungs-Karten gibt es individuelle Raub- und Zerstörungskarten (mit einer gewissen political correctness „bandits, INDIANs und strikers“ genannt), die fremdes Hab und Gut in unsere eigenen Hände bringen können (oder umgekehrt), und es gibt globale Ereigniskarten, die allen Spielern gemeinsam Schaden (meist) oder Nutzen (selten) bringen.

Schaden und Nutzen ist nicht immer eindeutig zu erkennen. Wer z.B. von fremden Revolutionären an seinem Einkommen geschädigt wurde, erhält im Gegenzug dafür „Revolutionspunkte“, die er bei politischer „Anarchie“ für seinen Sieg geltend machen kann. Banditen, Streikende und anderes Gesindel verpassen uns als Nebeneffekt „Empörungspunkte“, die wir im Falle einer „US Invasion“ zu unserem Gunsten einreichen können. Banken, Investoren und Monopolisten teilen „Loyalitätspunkte“ aus, die von der „Friedensregierung“ des Diktators Diaz persönlich honoriert werden. Regierungs- und Rebellionstruppen bringen „Kommandopunkte“ ein, die uns im Falle von „Kriegrecht“ punkten lassen.

Und wie gewinnt man das Spiel? Wer eine der vier, gegen Spielende auftauchenden Aufruhrkarten kaufen kann, und dann, abhängig von der Regierungsform „Anarchie“, „US Invasion“, „Pax Porfiriana“ oder „Kriegrecht“ in den Kategorien „Revolution“, „Empörung“, „Loyalität“ oder „Kommando“ mindestens drei Prestigepunkte mehr besitzt als in Summe die beiden Mitspieler mit den wenigsten Punkten in dieser Kategorie, der beendet das Spiel als sofortiger Sieger. Sind alle vier Aufruhrkarten durch das Spiel geschleust worden, ohne dass es zu einem Sieger gekommen ist, so gewinn der Spieler mit dem meisten Geld.

Das Spiel ist sauber komponiert und sauber ausbalanciert. Jeder gegen jeden, alle gegen einen. Viel Handlungsfreiheit, viel Chaos, viel Planbarkeit. Nicht ganz so viel Durchsetzbarkeit. Es gibt immer etwas zu tun, immer ein vages Ziel, immer eine Hoffnung, trotz vielen Aufs und Abs keinen einzigen spielerischen Engpass. Wer in einem Zug alle seine Mittel verpulvert hat, kann immerhin noch kostenlos spekulieren.

Wir lernen eine Menge über die Geschichte Lateinamerikas. Wir erfahren, dass Teddy Roosevelt, Cousins fünften Grades vom Franklin D. Roosevelt, im Jahre 1910 die US Invasion befahlt, um die „chronischen Rechtsverletzungen“ in Mexiko zu beenden. Und wir erfahren, dass die Katholische Kirche, personifiziert durch den Erzbischof Eulogio Gregorio Clemente Gillow y Zavalza, die Arbeiterbewegung und somit indirekt die Revolution unterstützte.

Wir erfahren noch 220 weitere Details aus dem politischen Leben des vorrevolutionären Mexiko, denn aus soviel Karten besteht “Pax Porfiriana”. Alle mit eigenem Text und eigenen Effekten. Und wenn wir alle studiert, verstanden, gemerkt und verinnerlicht haben, können wir noch mehr planen und vielleicht sogar noch mehr durchsetzen. Aber vielleicht ist das gar nicht das Ziel des Spiels. Drei Stunden lang aufbauen und zerstören, sammeln und zerstreuen, Mehrheiten suchen und verhindern : das ist Sinn und Zweck des Spiel.

Sein einziges Problem heute war bei uns, dass Peter eigentlich etwas „Klassisches“ wollte und Moritz eigentlich nur ein kleines Kartenspiel auf den Tisch gelegt hatte. Dass Walter daneben noch sein Privat-Problem hatte, nämlich weder fähig noch lustig war, sich auf 220 verschiedenen Spielkarten einen Reim zu machen, dass ihm schon nach dem dritten Zug die Lust am Spiel vergangen war, als Günther Rebellentruppen auf sein einziges Grundstück schickte, so dass er fünf Runden lang nichts anderes zu tun hatte, als diese wieder los zu werden, und dass der – ansonsten vorzüglich vorbereitete – Moritz die wichtige Regel übersehen hat, nämlich dass jeder Spieler auch ohne ein funktionierendes Grundstück pro Runde Einkommen erhält, das ist eine andere Geschichte. Walters Stimmung wurde nur leicht gehoben, so dass er sich ohne mentale Frustationsbefleckung die drei Stunden bis zum Ende durchschleppen konnte, als er im anarchistischen Mittelspiel UNVERSEHENS um ein Haar als Rebellenführer zum Sieger gekürt worden wäre.

WPG-Wertung: Günther: 5 (gewaltige Einschränkung schon vom Handling der vielen verschiedenen Karten her), Moritz: 8 (da steckt wahnsinnig viel drin, alles in eine so kleine Schachtel gebracht, reifes Design, Preis-Leistung stimmt), Peter: 6 (es hat was, nette Idee, dass böse Karten gute Effekte haben, leider zu lang und nichts von dem gewünschten Klassischen“), Walter: 5 (für langweilende Kriegsspieler ein vorzüglicher Zeitvertreib).

2. “Der Turmbau zu Babel”

Jetzt bekam Peter endlich seinen Klassiker. Vor zwölf Jahren vom Großmeister Reiner Knizia quasi als letztes seiner Spiele für Erwachsene erfunden und bei Hans-im-Glück herausgebracht. Das elfte „Spiel des Monats“ in unserer langen WPG-Geschichte.

Wir feilschen um Baurechte und Baubeteiligung an den sieben bis acht Weltwundern der Antike. Wir helfen unseren Mitspielern bei der Vollendung eines Bauabschnittes, und wir lassen sie dabei zuweilen auch im Regen stehen. Hilfsangebote sind gut, abgelehnte Hilfsangebote sind ebenfalls gut. Alles ist gut.

Alles ist rund, alles ist ausbalanciert, alles ist Knizia. Zu mehr Informationen verweise ich auf unseren Session-Report vom 30. März 2005.

Keine neue WPG-Wertung für ein glattes 7-Punkte Spiel. Walter überlegte kurz, einfach um den Alterstrend zu stoppen, seine bisherigen 6 Punkte auf 7 aufzustocken. Aber dafür fehlt ihm in Babylon mindestens noch eine Hure.

3. “Bluff”

Günther stand mit 2:1-Würfeln gegen Walter im Endspiel und bekam die – offensichtlich blind gewählte – Standardvorgabe einmal die Vier vorgesetzt. Nach längerem, sicherlich nicht von Bluff-Gedanken bestimmtem Überlegen setzte er auf zweimal die Drei.

Welche Würfel hatte er unter seinem Becher, wenn er damit die GEWINNchancen seines Gegners von unter 50 Prozent auf – in erster Näherung – zwei Drittel anhob?

Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

05.08.2015: Looping mit dem Drachen

„Nichts ist schwerer zu ertragen, als eine Reihe von guten Tagen“, sagte schon Goethe. Sagt doch mal selbst, Ihr nordischen Teutonen, geht Euch dieses „geile“ Sommerwetter nicht auch schon längst auf den Keks? Für den Balaton, wo mich ab morgen die Urlaubssonne bescheint, zeigt der Wetterbericht ununterbrochen bis zum bitteren Ende 33 bis 35 Grad im Schatten an. Ohne ein einziges Wölkchen, ohne einen einzigen Tropfen Regen. Hoffentlich wird der Plattensee in dieser Zeit nicht total platt …

Kein Bock zum Denken, Lesen oder Session-Report-Schreiben. Nur der anstehende Urlaub zwingt mich jetzt an die Computer-Tasten. Da freut man sich doch schon auf den Winter. Oder wenigstens auf den Herbst. Auf das Oktoberfest. Das glücklicherweise ja schon im September beginnt. Nur noch vierzig mal schlafen …

1. “Looping Louie”

Freudestrahlende Gesichter beim „Looping Louie“
Freudestrahlende Gesichter beim „Looping Louie“
Vor drei Monaten stand es schon auf dem Tisch, als die Westpark-Gamers bei Moritz im Glockenbackviertel antraten und zunächst mal „Spielen mit dem Nachwuchs“ auf dem Programm stand. (Günther konnte sich heute an gar nichts mehr erinnern!)

Ein batteriegetriebener Mechanismus dreht ein Flugzeug an einer Stange im Kreis. Wenn seine Flugbahn unsere Lebensscheiben kreuzt, fallen sie um – eine nach der anderen. Wenn unsere letzte umgefallen ist, sind wir ausgeschieden.

Heute spielten wir die „Turnierversion“: Wir scheiden nicht aus, wenn unsere drei Lebensscheiben umgefallen sind, sondern wir spielen mehrere Runden bis zur letzten Scheibe des letzten Mitspielers. Wer jeweils als Letzter übrig geblieben ist, muss eine Lebensscheibe abgeben und tritt die nächste Runde mit einer Scheibe weniger an. Wer es schafft, mit einer einzigen, letzten Scheibe in die Runde zu gehen und gegen die ggf. mehreren Scheiben aller Mitspieler zu überleben, hat gewonnen.

Wie kann man sein Überleben beeinflussen? Sehr hübsch: In die Bahn des kreisenden Flugzeuges ist für jeden Spieler eine Wippe eingebaut; wer hier zum richtigen Zeitpunkt draufdrückt, schnellt das Flugzeug hoch in die Luft und weit weg von seinen zu beschützenden Lebensscheiben. Wenn das Flugzeug dann auch noch im unmittelbar anschließenden Sturzflug direkt und unvermeidbar die Lebensscheibe eines Mitspieler mit sich mitreißt, dann hat sich das Aufstehen gelohnt. „Da lachen ja die Hühner“ steht zu Recht auf der Schachtel.

“Looping Louie” von Hasbro ist ein tolles Spiel, überall nur Bestnoten.

  • Es bietet einen ganz neuen, ungewöhnlichen Spielablauf.
  • Die Regeln sind schnell erklärt und verstanden.
  • Es kann ohne jegliche Genusseinbuße von 1 bis 4 Spielern skaliert werden.
  • Eine Runde ist blitzschnell gespielt, ein Turnier kann aber problemlos auch zu einem abendfüllenden Programm ausgedehnt werden.
  • Interaktion ist ganz groß geschrieben.
  • Es kann sowohl kompetitiv als auch kooperativ gespielt werden, alles sowohl hintereinander als auch gleichzeitig.
  • Das Spielmaterial ist gefällig und solide.
  • Das Thema ist überzeugend und keineswegs aufgepfropft.

Eigentlich müsste man nach unserer Skala hier 11 Punkte vergeben. Ganz ohne Risiko gibt der Verlag eine „Geld-zurück-Garantie“ : Wer innerhalb von zwei Wochen nach dem Kauf dieses Spiel zurücksendet, erhält anstandslos Kaufpreis und Rücksende-Porto ersetzt. Das sollen mal die heute marktüblichen Spiele nachmachen können!

WPG-Wertung: Aaron: 8 (1 Punkt mehr als letztes Mal), Günther: 8 (2 Punkte mehr!), Peter: 7, Walter: 7.

Das Spiel wird morgen die Reise zum Balaton mitmachen. Es ist eine geniale Alternative zum üblichen „tocado y hundido“ mit meinem katalanischen Schwiegersohn!

2. “Dragonscroll”

Zoologie a la "Dragonscroll"
Zoologie a la “Dragonscroll”
Schon vor einem halben Jahr im Glockenbachviertel gespielt, haben wir damals die WPG-Noten vergessen. Auch dieses Spiel ist von höchstem Reiz, wenn man es nachts spielt, und zwar nicht „in der Gluthitze von Walters Dachgeschoss“ sondern auf der lindwarmen Terrasse, wo das laute Gelächter und Geschrei den linken Nachbarn nicht stört, weil der von unserer Männerrunde fasziniert ist, den rechten Nachbarn nicht stört, weil der in Urlaub ist, und nur den überrechten Nachbarn stört, aber soviel Toleranz muss sein …

Wir bauen Stück für Stück unsere Märchenwelt auf, lassen darauf Orks, Zauberer, Ritter, Zwerge, Elfen und Ziegen entstehen, Töten die Bösen, Fressen die Guten und erweitern unsere Fähigkeiten zu mehr Töten; mehr Fressen können wir ohnehin. Wenn die vollständige Märchenwelt entstanden ist, hat der Spieler mit der größten Potenz gewonnen.

Eine Besonderheit des Spiels ist der wunderbare Feuerturm, mit dem wir den Kampf gegen die Bösen bestreiten. Hier werfen wir eine an unseren individuellen Fortschritt angepasste Anzahl von Kugeln hinein, und je nachdem, auf welcher Seite sie wieder herauskommen, haben wir einen Ork, Zauberer, etc … getötet. Falls ein solches Vieh überhaupt in greifbarer Nähe stand.

Herausragende Eigenschaften des Spiels:

  • Die Figuren (wenigstens einige) sind äußerst liebevoll gestaltet, wie immer bei den Spielen von Fragor Games.
  • Die Einführung in die schottische Ziegologie ist höchst bemerkenswert.
  • Die topologische Orientierung über den rechten Weg zur linken Elfe – gerade heute im Zeitalter der GPS-Navigatoren – stellt für alle Mitspieler eine hübsche, spielerische Herausforderung dar.
  • Die Anforderungen an das statistische Grundwissen zur Berechnung der erforderlichen Feuerstärke sind enorm. Deshalb wird “Dragonscroll” auch erst ab 13 Jahre empfohlen.
  • Auch die geforderte feinmotorische Feinfühligkeit zum erfolgreichen Beschicken des Feuerturms zielt auf eine reifere Altersgruppe unter den Spielern. Kein Wunder, dass beim letzen Mal im Glockenbachviertel unser Milo gewonnen hat.
  • Die Freude über eigene erfolgreiche Kämpfe sowie die Schadenfreude über fremde nicht-erfolgreiche Kämpfe hallt weit über den übernächsten Nachbarn hinaus.
  • Durch einen mehr oder weniger eifrigen Ausbau der Märchenwelt hat jeder Spieler einen entscheidenden Einfluss auf das Spielende.
  • Das schreckliche, märchenhafte Thema ist meisterhaft umgesetzt.

WPG-Wertung: Aaron: 5 (wegen der Figuren), Günther: 4 (wegen der Figuren, das Spiel reicht fast an „Colt-Express“ heran), Peter: 4 (wegen der Figuren), Walter: 4 (auch ohne die Figuren)

3. “Abluxxen”

Jedesmal ein Staunen über die faszinierenden Abläufe eines im Grunde doch recht simplen Spielprinzips. Heute positiv aufgefallen: die langsame, vorbereitende Kartenpflege in der Einleitung und die plötzlich explodierende Dynamik am Ende.

Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

4. “Worms”

Aaron steht mit seiner Neu-Entwicklung immer noch ziemlich am Anfang. Aktuell kämpft er mit dem Antagonismus zwischen Besitzstandswahrung und Übernahme-Freuden.

Keine WPG-Wertung für ein Spiel in der Entstehungsphase.

29.07.2015: Lustiges Regelraten auf der Akademie

1. “Eine gegen Eine”

Eine gegen eine - einer hat gewonnen!
Eine gegen eine – einer hat gewonnen!

Das Spiel ohne Anleitung!. Auf dem Titelblatt steht: „Findet gemeinsam heraus, wie dieses Spiel funktioniert“!

Aaron verteilte jedem Mitspieler einen verschlossenen Umschlag mit dem spezifischen Spielmaterial. Jeder stanzte zuerst seine vier verschiedenfarbigen Karten aus, auf denen Textfetzen zu erkennen waren, die unschwer zu einem Du hast gewonnen“ zusammengesetzt werden konnten. Danach faltete jeder – nicht ohne gewiss Unsicherheits-Skrupel – den restlichen Karton aus seinem Umschlag an den perforierten Stellen zu einem Kartenhalterbänkchen und steckte seine vier Textfetzen-Karten hier auf.

Auf dem Bänkchen gab es fünf Spalten mit den Überschriften „Ziehe“, „Lass dir geben“, „Verlange Farbe“, „Feilsche“ und „Stecke beliebig um“. Darunter stand jeweils „Wenn hier keine Karte steckt …“. Noch wusste keiner, wie es geht und weitergeht. Ein Schlüsselkärtchen, das reihum zum jeweils nächsten Spieler gegeben wird, brachte Klarheit. Hier geht der untere Spalten-Unter-Text weiter: „… dann führe die obige Aktion aus.“, von einem Mitspieler also aktiv eine Karten ziehen, sich passiv eine Karte geben lassen, von einem Mitspieler eine Karte einer bestimmten Farbe fordern, etc.

Danach, so steht es auf dem Schlüsselkärtchen: “Falls Du eine Karte bekommst, stecke sie an diesen Platz und gib dem Mitspieler eine andere Karte zurück.”

Aha, es geht also um eine Art Quartett. Moritz zog von Aaron eine Karte und gab ihm eine andere. Aaron tauschte mit Günther eine Karte, Günther zog von Walter eine Karte und Walter forderte – erfolgreich – von Moritz eine Farbe. Jetzt feilschte Moritz mit Günther eine Karte, bekam Grün gegen Gelb und – Günther hatte gewonnen! Er hatte in fast der kürzest möglichen Zeit seinen gelben Rätseltext „Du hast gewonnen“ zusammengeschustert.

Nochmals spielen, jetzt, wo man weiß, wie es geht? Nicht unmöglich, aber selbst herausforderndere Spiele habe das am Westpark selten geschafft.

„Eine gegen Eine“ gibt es tatsächlich zu kaufen. Was würden wir – juxhalber – dafür ausgeben wollen? Walter bot gutmütig 5 Euro, Moritz akzeptierte mit dem akademischen Abschlag von 50 Cent. Und was kostet es in Wirklichkeit? 7,50 Euro. Fast richtig geraten!

WPG-Wertung: Haben wir vor freudiger Überraschung über unsere blitzschnelle Entschlüsselung ganz vergessen. Von mir bekommt es 3 Punkte – als Kinderspiel!

“DR Congo”

Nein, wir wollten es nicht noch einmal spielen. In keiner Variante. Aber Aaron schlug vor, dass wir noch einmal herzhaft darüber streiten sollten. Was dann auch geschah. Kurz und herzhaft.

2. “Medieval Academy”

Wenn wir nur zwischen Skylla und Charybdis zu wählen hätten, würden wir unseren Freiheitsgrad nicht gerade hoch einschätzen. In der Größenordnung von Null. Gehupft wie gesprungen. Wer als stinknormaler Hetero zwischen einer göttlichen Jungfrau und einer teuflischen Hexe – die garantiert auch keine verzauberte Prinzessin ist – zu wählen hätte, würde sich vielleicht über diese Auswahl freuen, rein spielerisch ist der Freiheitsgrad allerdings ebenfalls in der Größenordnung von Null. Ein andere als die sofort einsichtige, einzig logische Wahl ist Unsinn.

Unter dieser Prämisse schauen wir uns jetzt mal die Freiheitsgrade in „Medieval Academy“ ein, ein Spiel, das am 18. März zum ersten Mal bei uns auf dem Tisch lag und von vier Mitspieler mit ordentlichen 7 Punkten bewertet wurde, von Walter hingegen nur mit abfälligen 5 Punkten.

Nach einem – nicht ganz neuen – Auswahlverfahren bekommen wir fünf Karten in den sieben Farben pink, hellblau, dunkelblau, braun, rot, grün und grau auf die Hand. Auf den Karten sind Zahlen aufgedruckt, die angeben, wieviele Schritte wir mit unseren Markierungsmarkern auf zugehörigen pinken, hellblauen, …, grauen Turniertafeln vorwärts gehen dürfen, wenn wir eine solche Karte spielen. Fünf ist die höchste Zahl, zwei die niedrigste.

  • Wer nach sechs Runden auf der roten Tafel am weitesten gekommen ist, bekommt 17 Siegpunkte; der zweiweiteste bekommt 10 und der drittweiteste 4. Ein einziger, zu einem nicht unerheblichen Teil vom Zufall bestimmter Punkt entscheidet über 7 oder gar 13 Siegpunkte. Das hat zwar nichts mit Freiheitsgraden zu tun, aber geradlinig berechenbar ist das nicht. Es zeigt a priori, dass wir es hier mehr mit einem Glücksspiel als mit einem Denkerspiel zu tun haben. Das ist zwar kein Charakterfehler des Spiels, aber es zeigt seinen schon mal die Tendenzen in seinem Charakter an.
  • Wer nach sechs Runden auf der grauen Tafel hinten liegt, bekommt 10 Minuspunkte; wer an vorletzte Stelle liegt, bekommt 5 Minuspunkte. Hier kann ein einziger Punkt über eine Differenz von 5 bzw. 10 Siegpunkten entscheiden. Am besten rückt man hier überhaupt nicht vor, nimmt die Strafpunkte in Kauf und engagiert sich in den anderen Farben. Ja, wenn das farbenselektive Engagement nur so leicht wäre. Aber das kriegen wir später.
  • Wer innerhalb von drei Runden auf der dunkelblauen Tafel mindestens 6 Felder weit gekommen ist, bekommt 6 Siegpunkte; wer mindestens 12 Felder weit gekommen ist, bekommt 12 Siegpunkte. Jeder. Das ist rechtschaffen und überschaubar, zumindest wenn man die Anzahl und Wertigkeit der blauen Karten, die man innerhalb von drei Runden bekommt, vorhersehen kann. Das kann man zwar nicht, aber wegen 6 Siegpunkten wollen wir uns jetzt nicht streiten.
  • Auf der brauen Tafel bekommt der Letzte in jeder Runde 3 Strafpunkte und der Vorletzte 1 Strafpunkt. Das sind Kinkerlitzchen, als brauner Ignorant kann man maximal 18 Siegpunkte verlieren ist, das stört doch keinen großen Geist. Ein Engagement hier ist ein emotionsloses Abspielen der brauen Handkarten, sofern man welche unvermeidbar auf der Hand behalten musste.
  • Wer auf der pinken Tafel am weitesten vorwärts gekommen ist, darf am Ende jeder Runde auf einer beliebigen Tafel seinen Markierungsstein noch drei Felder weiter bewegen; der zweite darf noch zwei Felder und der dritte noch ein Feld vorwärts. Damit können die Positionen auf verschiedenen Tafeln nochmals ganz erheblich durcheinander gebracht werden. Oder auch nicht. Schlecht sind diese Nach-Torschluss-Beförderungen auf keinen Fall. Aber wieviel Potenz soll man hierhinein opfern? (Sofern man welche hat!)
  • Auf den beiden hellblauen Tafeln geht es in jeder zweiten Runde um 8, 5 bzw. 2 respektive um 5, 3 bzw. 1 Siegpunkte für die ersten drei Plätze. Nicht schlecht. Sogar noch einigermaßen gerecht. Hohe hellblaue Karten sind nicht zu verachten. Doch wie komme ich an sie heran?

Jetzt kommt mein Plädoyer für die nicht vorhandenen Freiheitsgrade in „Medieval Academy“:
Pro Runde erhält jeder Spieler zu Beginn fünf Handkarten zufällig ausgeteilt. Was einem das Schicksal hier zugedacht hat, liegt nicht in unserer Hand. Jungfrau oder Hexe – reiner Zufall. Dass ich die Jungfrau behalte, ist doch so klar wie Kloßbrühe. Freiheitsgrad Null.

Doch möge uns das Schicksal vor zu vielen Jungfrauen in unserer 5-Karten-Hand bewahren, denn vier dieser Karten müssen wir an unseren Nebenspieler abgeben und bekommen dafür vom anderen Nebenspieler ebenfalls vier Karten. Natürlich die schlechtesten von dessen Hand. Aber wenn wir Glück hatten, bekam der gebende Nebenspieler gleich am Anfang zwei (oder mehr) Jungfrauen und muss (mindestens) eine davon an uns abgeben.

Diese Prozedur geht weiter: Von unseren jetzigen fünf Handkarten geben wir drei Karten an unseren Nebenspieler, dann zwei und zum Schluß noch eine. Die Auswahl wird immer schlechter, Jungfrauen bekommen wir keine mehr, nur noch schlichte Teufelsweiber. Wer Optimist ist, sieht darin sogar noch einen Freiheitsgrad. Wer Pessimist ist – zumindest was die kritische Analsyse von sinnvollen Zugmöglichkeiten betrifft -, sieht darin keinen. Keine nennenswerten!

Beispiel einer Kartenausteilung:
Zu Beginn bekam ich heute zwei rote und zwei dunkelblaue Dreien und eine braune Vier. Was hättet Ihr davon behalten? Na klar, die braune Vier! Ist zwar keine Jungfrau, aber wo gibt’s die heute denn noch! Von Günther bekam ich im Gegenzug eine hellblaue Zwei und Drei, sowie einen braune und eine graue Drei. Auch nicht gerade Jungfrauen! Welche davon soll ich behalten? Ach lassen wir das. Es ist müßig, über die rationalen und irrationalen Überlegungen bei der Auswahl aus fast gleichen oder aus fast krass ungleichen Karten nachzudenken. Am Ende des Verteilungsprozesses hatte ich eine braune Vier, eine graue Drei und Vier, sowie eine rosa und eine hellblaue Drei auf der Hand. Welche Karte hättest Ihr davon als erste ausgespielt? Und welche, wenn Ihr Euch zu Beginn des Karten-Ausspielens darüber überhaupt Gedanken macht, hättet Ihr am Ende als nicht-zu-spielen in der Hand zurückbehalten vorgehabt?

Es gibt tatsächlich etwas zu überlegen. Manche Spieler halten sogar die Reihenfolge, in der sie ihre Karten spielen, für eine große taktische Leistung. Denn wer zuerst auf ein Feld kommt, und später darauf von einem nachziehenden Spieler bestiegen wird, liegt in der Siegpunkt-Vergabe hinter ihm. Doch wenn die eine Karte, die wir NICHT spielen wollen, fest liegt – und sie liegt im Großen und Ganzen fest -, dann sind die Endplätze, die wir am Ende einer Runde belegen, jetzt schon definiert. Und wenn wir demnach z.B. auf der roten Tafel unten liegen, so liegen wir auf der blauen Tafel oben. Oder umgekehrt. Alles liegt schon fest – und zwar keineswegs in unserer Hand. Die vielen Pseudofreiheiten, innerhalb der wir uns entscheiden dürfen, sind einzeln alle in der GRÖSSENORDNUNG von Null. Und in der Gesamtwirkung ebenfalls.

Das soll nicht heißen, dass „Medieval Academy“ kein hübsches Spiel ist. Für spielerisch veranlagte Leute, denen es Spaß macht, ihre Hoffnung auf 95% Glück und auf 5% Planung und Übersicht zu legen. Dazu gehöre ich leider nicht. Zumindest nicht wenn es sich um Skylla und Charybdis dreht.

Definition:
Eine Entscheidung, die eine einzige vernünftige Alternative beinhaltet, ist eine Null-Freiheitsgrad-Entscheidung!

Da gab es doch glatt einen Westpark-Gamer, der aufgrund dieser Defition das Skat-Spiel bei den Spielen mit Null-Freiheitsgrad einreihen möchte. Aber hallo! Im Skat kenne ich ALLE Karten, die ihm Spiel sind, nicht nur 15 von den 20 im Spiel, wobei von der Gesamtzahl von 52 Karten in „Medieval Academy“ 32 Stück erst gar nicht ins Spiel kommen. Von denen weiß ich auch nicht, ob sie in der nächsten Runde ins Spiel kommen.

Im Skat kann ich durch Reizung und Ausspiel die ersten Schlüsse auf die ungefähren Verteilungen meiner Mitspieler ziehen. Mit jedem weiteren Stich bekomme ich mehr Sicherheit über die exakten Verteilungen ALLER Hände, einschließlich der beiden Karten im Talon, und ich kann mein Abspiel darauf einstellen. Wer diesen grundsätzlichen Deduktionen beim 10-Handkarten-Skat mit dem läppischen 4-Karten-Spiel „Medieval Academy“ in einen Topf wirft, ist nichts anderes als ein Provokateur.

Keine neue WPG-Wertung für ein vier mal 7 Punkte und ein mal 5 Punkte Spiel.

3. “Poison”

Es war erst 21:30 Uhr, aber wir entschieden einmütig, nur noch „kleine“ Spiele zu spielen. Zuerst „Poison“. Von Knizia. Ein kleines Spiel von einem großen Meister Hübsch. Rund, schadenfreudig, viele Entscheidungen, gute und schlechte, immer spielerisch.

Keine neue WPG-Wertung für 8 Punkte Spiel.

4. “Abluxxen”

Noch ein kleines Superspiel. Von den Großmeistern Kiesling-Kramer. Ohne Fehl und Tadel. Aaron ließ einen Freudenseufzer los: „Ach was ist das für ein schönes Spiel!“ Womit er mal wieder recht hatte.

In der dritten Runde fotographierte Moritz nach der Kartenausteilung seine Kartenhand. Warum wohl? Super gut oder super schlecht? Hinterher konnte er demonstrieren: In den dreizehn Karten seiner Hand waren 12 verschiedene Zahlen. Kein Wunder, dass er damit keinen Pappenstil gewinnen konnte. Ganz im Gegenteil: drei Minuspunkte. In der Endwertung reichte es aber zum zweiten Platz hinter dem unangefochtenen Sieger Aaron.

Auch wenn „Abluxxen“ zu einem hohen Grad ein Glückspiel ist, so ist es doch stimmig, hat eine eigene Dynamik, eine progressie Spannung, bei jedem Zug einen hohen Freiheitsgrad und ist vor allem in jedem Augenblick lustig. Im Gegensatz zu so manchem anderen Kartenspiel.

Keine neue WPG-Wertung für 8 Punkte Spiel.