Alle Beiträge von Walter

14.02.2011: Sammeln und Bauen mit Würfeln und Karten

„Elisabeth Schneider wendet das Strategiespiel Monopoly auf die Berliner Kulturlandschaft an“, so hieß heute eine Bildunterschrift in der Abendzeitung. Dieser Satz enthält mindestens fünf sachliche Fehler.

1. “Kingsburg”
Ein Brettspiel mit vielen Würfeln als dominierendes Spielelement, bei dem aber doch nicht vorwiegend die Summe der zufälligen Würfelergebnisse den Ausschlag über Sieg oder Niederlage gibt. Jeder Spieler wirft mit drei (oder mehr) Würfeln und darf die Ergebnisse einzeln oder in beliebigen Kombinationen für seine Züge ausnützen. Er besetzt damit entsprechende Zahlenfelder („Gouverneure“), die ihm Einkommen in Form von Rohmaterial (Holz, Stein oder Gold) gewähren, Kampfstärke gegen regelmäßige feindliche Angriffe verleihen, oder Bonuspunkte für seine nächsten Würfelkombinationen vergeben.
Jedes Zahlenfeld (mit den Werten von 1 bis 18) kann pro Runde nur von einem Spieler genutzt werden. Wer mit seinen Würfelergebnissen nur noch auf Felder kommen kann, wo schon Mitspieler stehen, verliert diesen Zug. Deshalb setzt nach jedem Würfelwurf (gleichzeitig und öffentlich von allen Spielern) ein eifriges Analysieren ein, welche Kombinationen die Mitspieler auch erzielen können, welche Felder also umkämpft sind, und welche Zahlenwerte man nur allein kombinieren kann, für deren Zug man sich also noch Zeit lassen kann. Diese Phase dauerte bei uns zu dritt schon recht lange, bei vier oder mehr Mitspielern (Denkern) kann sie vielleicht sogar unterträglich werden.
Mit dem erworbenen Rohmaterial kann man Gebäude errichten, die erstens Siegpunkte einbringen, zweitens Kampfstärke gegen die bereits erwähnten Angriffe, drittens Vorteile bei weiteren Aktionen, und viertens vor allem Modifier für zukünftige Würfelkombinationen. Vor allem durch die Modifier werden die Auswirkungen von Fehlkalkulationen bei der Würfelanalyse gemäßigt, man darf ja noch etwas zulegen, um vielleicht ein benachbartes Zahlenfeld zu erreichen, das noch frei ist. Diese Modifier geben einem Profidenker aber noch mehr Gelegenheit, die insgesamt 10 bis 15 geworfenen Würfel ausgiebig zu analysieren, um für sich und seine Bauvorhaben die optimalste Ausbeute zu erzielen. Heute war glücklicherweise keine dieser zuweilen unangenehmen Spezies am Werk.
Horst verlegte sich bei seinen Bauwerken schwerpunktmäßig auf den religiösen Sektor. Allein über Standbild, Kapelle, Kirche und Kathedrale erzielte er 96 % seiner ingesamt 25 Siegpunkte. Doch seine Götter ließen ihn beim Kampf gegen Drachen und Dämonen im Stich. Hier mußte er zu viel Federn lassen, um noch aufs Treppchen zu kommen. Moritz ließ nichts anbrennen; seine planmäßige Konzentration auf Kneipen und Kasernen brachte ihm den Sieg.
WPG-Wertung: Host: 9 (hübsche Würfel-Kombinatorik, auch für Gelegenheitspieler bestens geeignet), Moritz: 7 (alles funktioniert, wirkt auf Dauer allerdings repetitiv, es kommen im Laufe des Spiels keine neuen Abläufe mehr hinzu, Walter: 7 (alles ist konstruktiv und sehr gut ausbalanciert).
2. “Partacus”
Ein neues hübsches Kartenspiel von Bernd Eisenstein, das er zur Spiel 2011 in Essen herausbringen will. Wir sammeln „Besitzkarten“ verschiedener Kategorien (Armeen und Flotten, Land und Leute, Reichtum und Macht), die wir einerseits kostenlos von einem verdeckten Stapel ziehen, andereseits aus einer offen Auslage käuflich erwerben. Die unterschiedlichen Kategorien haben alle Einfluß auf Rabatte und Vergünstigungen bei unseren nächsten Zügen.
Wenn der Stapel mit den 74 Besitzkarten durch ist, ist das Spiel zu Ende, und der Spieler mit dem optimalsten Besitzstand hat gewonnen. Bevor wir uns recht versahen – nach knapp 30 Minuten – war das Spiel auch schon zu Ende. „Viel zu schnell“ war der einhellige Kommentar. Das Sammeln, Kaufen und Auslegen der Karten und das effiziente Wirtschaften mit den beeinflußbaren Einnahmen hat allen viel Spaß gemacht.
Noch keine WPG-Wertung für ein Spiel im Beta-Test.
3. “Rumis”
Ein schönes Spiel mit Bauklötzchen für Ingenieure und Topologen. Wir stecken unsere Elemente zu einem kompakten Gebilde zusammen, und Sieger wird der, von dessen Farbe am Ende die größte Fläche noch zu sehen ist.
Vor sechs Jahren hatte ich meinen Großneffen ein Exemplar dieses Spiels zu Weihnachten geschenkt, letztens – 5 Jahre später – erhielt ich von ihrem Vater dazu folgenden Kommentar:
Rumis war, nachdem Du es uns geschenkt hattest, einige Male ausprobiert worden, dann aber, wie so viele andere Spiele, erstmal im Spieleschrank verschwunden. An diesem Wochenende feierte das Spiel dann seine Auferstehung – nachdem Du dass Spiel in München unseren Kindern “näher” gebracht hattest. Ich muss allerdings gestehen, dass sich das Spiel – wie schon nach den ersten Testrunden, in grauer Vorzeit – bei mir sicher nicht so hoch platzieren wird, wie bei den WPG. Das Spiel ist “nett”, um es mit den Kindern zu spielen, kurzweilig, schnell, ohne komplizierte Regeln, aber offen gestanden für mich ein reines Glücksspiel. Bei zwei Spielern ist das mit Sicherheit anders zu bewerten, aber bei vier Spielern ist man absolut vom Wohl der anderen Mitspieler abhängig und es gilt sich eigentlich hübsch zurück zu halten, weil man, wenn man durch zu viele eigene Oberflächen, den Missmut der anderen Spieler auf sich zieht, gnadenlos gemobbt werden kann (bis hin zum “Spielausschluss”).
Wir werden das Spiel, weil es jetzt bei uns – speziell den Kindern – gerade “in” ist, in den nächsten Tagen/Wochen noch viele Male spielen, und ich werde mich dem auch nicht verweigern, weil es, wenn es um das Spielen an sich geht, wie beschrieben “nett” ist, hübsch aussieht und auch den Kleinen und Unbedarften eine Siegchance bietet. Wie aber diese Spiel sich den “Monatstitel” der WPG erworben hat erschließt sich mir momentan noch nicht.

Diese provozierende Kritik war der Auftakt zu einem vielseitigen Briefwechsel über Techniken und Strategien, sowie über eine mathematische Definition des Begriffs „Glücksspiel“. Rumis ist definitiv keines, doch ich bin nicht sicher, ob ich meinen Neffen davon überzeugen konnte.
Heute durfte Horst die Initiationsriten von Rumis über sich ergehen lassen. Er fand das Spiel „toll, aber nicht für mich“. Als Wertung vergab er eine „objektive“ 8, und eine „subjektive“ 3! Hallo Aaron, wie bringst Du diese Klassifikation in unser Wertungsschema?
WPG-Wertung: Lassen wir den WPG-Durchschnitt bei 8, auch Birgit ist dafür.
4. “Bluff”
Große Verluste im ersten Spiel, vor allem bei denen, die nicht mehr bezahlen konnten.
Dann setzte Horst zum großen Bluffen an und bevor wir hinter seine Masche kamen, hatte er dreimal hintereinander gewonnen. Jetzt ging es nur noch darum, ihn wieder zu enttronen. Es dauerte immerhin noch zwei Durchgänge, bis das geschafft war.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
PS: Hallo Birgit, ich wünsche Euch, dass Sebastian seine Nach-Impf-Probleme bald überwunden hat und auch Du mal wieder bei uns vorbeischauen kannst.

09.02.2011: Heimstatt und Heimarbeit

„Manche mußten sich vorhalten lassen, sie hätten nicht weniger mäßig, doch noch weit weniger ersprießlich ’die Sonne vor dem Aufgehen verspielt’, angeblich um die Zeit zu vertreiben, als ob nicht die Zeit vielmehr sie vertriebe.
Tatsächlich fand sich bei einem von ihnen ein Spiel Karten. Sie ließen es auf der Stelle verbrennen, wegen der Ansteckungsgefahr; denn wo man Karten mischt, da mischt man auch die Fäuste, auf alle Fälle die Gefühle; beim Ablegen legt man auch jedes Gefühl ab für Anstand und Ruf, Bescheidenheit und Würde. Man wird verspielt und gar bald hat man es.“
(Balthasar Gracián in seiner Gesellschaftssatire „Das Kritikon“ um 1650)
1. “Pergamemnon”
Bernd Eisenstein hat uns wieder den Prototypen seiner Neuentwicklung für Essen 2011 zum Testen zukommen lassen. Diesmal ist es ein Kartenspiel.
Jeder Spieler erhält ein eigenes Kartenset mit Kämpfern der verschiedenen Waffengattungen (Schwert, Speer und Pfeil), mit unterschiedlicher Angriffsstärke, unterschiedlicher Verteidiungskraft, mit unterschiedlichen Charismawerten zum Anheuern von Support-Kreaturen, mit verschiedenen Sondereigenschaften wie z.B. Flüchten-Können und mit unterschiedlichen Siegpunkten für die Endwertung.
Jeder Spieler spielt sein Kartendeck portionsweise wrap-around durch und kann damit pro Zug entweder einen Kampf gegen einen Mitspieler vom Zaun brechen oder eine offen ausliegende Kreaturen-Karten anheuern und damit sein Kartendeck und/oder sein Siegpunktkonto aufbessern.
Der Ausgang eines Kampfes ist a prioi offen, d.h. der Angreifer hat keinerlei Vorzeichen oder gar Gewißheit für seinen Sieg. Er kann lediglich mit seiner stärksten Angriffskarte mit der aufgedruckten Waffe gegen ein Volk antreten, dessen Verteidigung in dieser Waffenart bekanntermaßen unterdurchschnittlich ausgestattet ist. Doch wenn der Schlag pariert wird (nichts genaues weiß man nicht), dann wird er dem Gegenschlag in unbekannter Waffengattung vermutlich nichts Angemessenes entgegensetzen können.
Die Austarierung der unterschiedlichen Kampfaustattung der verschiedenen Völker ist noch eines der Problemfelder, auf denen Bernd arbeitet. Bei uns gewannen die Römer problemlos dank ihrer Charisma-Startvorgabe, mit der sie sich viele siegpunktträchtige Kreaturen an Land ziehen konnten. Hannibal nahm sich Quintus Fabius Maximus zum Vorbild und versuchte möglichst friedlich in den Gauen am Westpark zu überleben. Damit wurde er Letzter.
Moritz meinte, mit ein paar Vereinfachungen hätte das Spiel auf dem amerikanischen Markt durchaus Chancen. Horst fragte, was denn der Unterschied zum europäischen Markt wäre. „Die haben weniger Probleme damit, mal einfach so drauf los zu spielen.“
Keine WPG-Wertung für einen Prototypen.
2. “Homesteaders”
In LEO wird für „Homesteader“ keine Übersetzung angeboten. Doch mit wenig Phantasie erkennt man darin das Wort „Heimstatt“ und ahnt, dass es sich um eine Ansiedlung in ländlicher Gegend handelt, in der wir im Schweiße unseres Angesichts unser Brot essen. In „Homesteaders“ sind wir Siedler in den Weiten des nordamerikanischen Kontinents, errichten unsere Bauereien, Marktplätze und Gewerbebetriebe und versuchen durch landwirtschaftliche und industrielle Produktion sowie günstigen Handel die meisten Siegpunkte zu erwirtschaften. Entwicklung zur Entwicklung von Entwicklung ist das Prinzip des stark progressiven Spielablaufs.
Die ersten Schritte sind mühsam, doch schnell sprudeln die Quellen für Holz, Kupfer, Eisen, Gold, Äpfel, Rindviecher und Menschenkinder reichlich für uns hin. Das Recht für den Erwerb von Grundstücken wird durch einen Bietvorgang ganz ähnlich wie in Aarons „Manipur“ („aber hier funktioniert’s“ !?) erworben: wer bei der Versteigerung aussteigt (mangels Geldmasse aussteigen muß), bekommt eine Ersatzvergütung, mit der sich ebenfalls gut leben läßt. Um das ersteigerte Grundstück mit der vorgeschriebenen Homestead zu bebauen, muß man hinterher noch unterschiedliche Materialien vorweisen.

Konstruktiv, kontemplativ, friedlich, nahezu konfliktfrei verläuft der individulle Aufbau. Sehr viele Wege führen nach Rom und dabei kommt keiner keinem so recht in die Quere. Die vielen, alle sehr gut gehbaren Wege erfordern (und erlauben) keine strategische Planung. Es ist natürlich erfolgreich, wenn man am Ende ein Besitzstands-Ensemble beisammen hat, das zu den internen Siegpunktquellen optimal paßt. Doch wie das alles zusammen zusammenkommt, das ist zu großen Teilen zufällig. Selbst unser Sieger Moritz bekannte freimütig, dass er ohne Strategie und Taktik vorgegangen war.
Moritz hat das Spiel als Teilnehmer der Boardgamegeek-Com geschenkt bekommen und persönlich von Über-dem-großen-Teich mitgebracht. Auf dem europäischen Markt wird es wohl lange nicht käuftlich sein. Doch die Qualität und das reichliche, hübsch ausgearbeitete Spielmaterial wären durchaus konkurrenzfähig.
WPG-Wertung: Günther: 5 („zu viel Kleinkram, nicht so pfiffig wie Puerto Rico“), Horst: 8 („viele Möglichkeiten, kein Ausgegrenzt sein“, hätte gerne noch ein paar Runden gespielt), Moritz: 7 („das Spiel ist etwas fibbelig, aber es funktioniert“), Walter: 7 („ausgewogene konstruktive Elemente“, hätte allerdings ungern noch ein paar Runden länger gespielt)
3. “Bluff”
Moritz war mit 2 Würfeln im Endspiel gegen Günther und Horst mit je einem Würfel. Günther legte gemäß seinem Markenzeichen mit 1 mal Fünf vor. Horst hob auf 2 mal Vier und Moritz auf 2 mal Fünf.
Wieviele Runden dauerte das Spiel noch und welche Würfel hatten Horst und Moritz unter dem Becher?
Die Fragestellung ist leichter, wenn ich den Satz zum Spielverlauf leicht umbaue:
Günthers Vorgabe von 1 mal die Fünf war gemäß seiner Immer-5-Strategie absolut nichtssagend; Horst hob verzweifelt auf 2 mal die Vier und Moritz schob mit reservierter Spannung auf 2 mal die Fünf.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

26.01.2011: Dominant Species

“Gott hat weder einen Menschen noch ein Tier geschaffen, das nicht irgendwie seinen Widerpart hat. Dem Königreich Frankreich hat er als Gegner die Engländer gegeben; den Engländern die Schotten. In Deutschland sind sich zu allen Zeiten die Häuser Österreich und Bayern feind und besonders die Bayern untereinander und das Haus Österreich den Schweizern.
Weder die natürliche Vernunft noch unser Verstand, noch die Gottesfurcht, noch die Nächstenliebe hat uns davor bewahrt, gegeneinander aggressiv zu sein, dem anderen etwas vorzuenthalten, oder ihm auf jede mögliche Weise etwas wegzunehmen.”
(Philippe de Commynes um 1490 in seinen „Memoiren“)
1. “Dominant Species”
In diesem Spiel um den Kampf aller gegen alle gehen wir gegenüber unserem guten Philippe noch ein paar hunderttausend Jahre weiter zurück und betreten die junge Bühne der Evolution, in der Spinnen, Insekten, Amphibien, Fische, Vögel und Säugetiere um Lebensraum und Überleben kämpfen.Moritz vor dem Sieg
Moritz hat das Spiel des amerikanischen GMT-Games-Verlag per Subscription erstanden. 28 € hat es gekostet. Die Frachtgebühren wären nochmals in etwa der gleichen Größenordnung, wenn man seine Bestellungen nicht bündelt. Für unseren Großabnehmer Moritz machen diese Nebenkonsten in der Regel nur ein paar Pfennige aus.
In „Dominat Species“ repräsentiert jeder Spieler eine der oben genannten biologischen Klassen und erhält jede Menge Spezies (kleine Holzwürfel), die er im Kampf gegen die Spezies anderer Klassen peut-a-peut auf geeignete Hexagons einer wachsenden Spielfläche mit unterschiedlichem Nahrungsangebot bringen muß. Pro Runde kann jeder Spieler vier Aktionen aus einer ganzen Reihe von Auswahlmöglichkeiten durchführen:

  • Seine Priorität in der Zugreihenfolge erhöhen.
  • Seine Verdauungsmöglichkeiten verbessern; dann kann er auf mehr Hexagons überleben.
  • Das Nahrungsangebot erweitern; dann bieten entsprechende Hexagons für alle mehr Nahrung.
  • Neue Hexagons legen und damit neuen Siedlungsraum für alle schaffen.
  • Sich vermehren.
  • Seine Spezies in benachbarte Hexagons ziehen.
  • Gegnerische Spezies auf ausgewählten Hexagons töten.
  • Den aktuellen Besiedlungsstand eines auswählbaren Hexagons werten lassen: Das gibt Siegpunkte für alle Anwohner. Zusätzlich erhält die dominiertende Klasse noch eine „Dominance Card“ und kann damit wahre Dezimierungs-Katastrophen über seine Konkurrenten hereinbrechen lassen.
  • Die Eiszeit weiter vordringen lassen: ein fruchtbares Hexagon wandelt sich in „Tundra“; darauf wohnende Spezies werden entfernt; das Nahrungsangebot wird reduziert. Die Welt wird unwirtlicher.
  • Alle diese Aktionen sind begrenzt. Wenn eine bestimmte Anzahl Spieler eine Aktion ausgewählt haben, ist sie für alle weiteren Spieler in dieser Runde gesperrt. Da ist es natürlich wichtig, möglichst früh am Zug zu sein. Diese Startspielerposition wechselt nun aber nicht reihum, sondern sie ist fest. Und lediglich ein Spieler kann mit der Sonderaktion „Initiative“ sich in der Zugreihenfolge um einen Platz nach vorne arbeiten.
    Der Spielablauf ist ein unterhaltsamer Kampf um eigene Vorteile und um die Schädigungen der Gegner. Strategisch ist das Ganze nicht, nicht einmal taktisch, höchstenfalls opportunistisch: Aus den gerade angebotenen Möglichkeiten kann man die beste auswählen und innerhalb der gewählten Möglichkeit möglichst den schärfsten Konkurrenten schädigen. Doch zuweilen ist nicht einmal der nächste Zug vorhersehbar, vielleicht hat ein Gegner schon die Plattform versenkt, vor der aus man seine nächste Aktion starten wollte, bevor man dann am Zug ist.
    Ein bißchen Prophylaxe gegen Unbilden von Natur und Gegnern ist vielleicht ratsam, doch wo die Lage am kritischsten ist, in welcher Richtung die Tundra wächst, welcher Gegner am aggressivsten ist, wo neue Nahrungsquellen entstehen oder existierende versiegen, das ist im Grunde nicht kalkulierbar.
    Die unvermeidlich-gewollten Schädigungen der Gegner erzeugen Revanchegelüste. Dagegen verteidigte der spätere Sieger Moritz seine Aggressionen: „Ich mache alles mit Sinn, nicht aus Haß.“ Durch diesen Trost wurden unserer getöteten Spezies allerdings auch nicht mehr lebendig. Aber unsere Rachegefühle hielten sich in Grenzen. Wenn das Chaos erst einmal verinnerlicht ist, geht es nur noch um die spielerische Beschäftigung mit vielseitigen Ablaufmechanismen. Auch die Kingmakerei wurde akzeptiert. Wenigstens als praktische Beigabe, nicht als theoretisches Prinzip.
    In „Dominat Species“ ist der Weg das Ziel. Es gibt jede Menge Weg und das ist die unbestreitbare Schönheit des Spiels. Dass man vor lauter Weg leicht das Ziel aus den Augen verliert, dass ein Kompass zum Ziel fehlt, das ist zweifellos seine Unschönheit.
    WPG-Wertung: Aaron: 5 (10 Punkte für das Spiel als solches, minus 1 Punkt für die krassen „Dominant Cards“ und minus 1 Punkt für jede Stunde, die wir gespielt haben), Günther: 6 (schöne Elemente, aber fehlende Gesamtlinie), Horst: 6 (zu viel Chaos), Moritz: 9 (alles funktioniert), Walter: 6 (die Spielelemente sind 9 Punkte wert, doch fehlen Planbarkeit und Steigerung).

    19.01.2011: Broken Hearts

    Mit dem Vergnügen nur als Ziel erfand
    der Mensch für sich das Spiel,
    wobei ihm meistenteils entgeht,
    dass er ihm seinen Sinn verdreht:
    Er will nicht spielen, bloß gewinnen.
    Verliert er, schlägt das tief nach innen,
    und er verliert, weshalb ich staune,
    zugleich auch immer seine Laune.
    Ob du es, Mensch, wohl einmal lernst,
    zu spielen – ohne deinen Ernst?
    (Karl-Heinz Söhler)

    1. “Attribute”
    Uns war nach einem Warming-up zumute. Zum Vergleichen gegenüber “Dixit“ hatte Günther “Attribute“ mitgebracht, das schon 2003 in Essen zur Welt gebacht worden war. Hier wie dort nennt der „Erzähler“ einen beliebigen Begriff und die Mitspieler müssen dazu aus ihrer Kartenhand eine passende Karte finden. Bei “Dixit“ ist das ein Bild, bei “Attribute“ ein Wort. Hier kommt noch eine Erschwernis hinzu: Jedem Spieler wird zu jedem Begriff vorgeschrieben, ob sein Attribut passend oder unpassend sein soll. Z.B. würde “scharf“ zum Begriff “Senf“ und “süß“ zu “Zucker“ passen, “bunt“ wäre bei Senf eher unpassend, genauso wie “riesig“ beim Zucker.
    Der Erzähler sammelt alle Attibutekärtchen verdeckt ein und legt sie dann offen auf dem Tisch. In unserer Spiel-Variante durfte sich dann jeder Spieler ein Kärtchen aussuchen, dass seiner Meinung nach „passend“ ist. (Solange der Vorrat reicht.) Dann wird gewertet. Für jedes passende Kärtchen, das ausgewählt wurde, erhält der Einreicher und der Auswähler je einen Punkt. Für jeder unpassende Kärtchen, das ausgewählt wurde, erhalten beide einen Minuspunkt. Sinngemäß das Umgedrehte gilt für die Kärtchen, die keiner ausgewählt hat.
    Mindestens 15 Minuten lang kämpften wir mit dem Verständnis von Spielablauf und Wertungsmodus, bis Moritz einwarf: „Meine Oma hätte schon längst angefangen, und wir Profil-Spieler diskutieren stundenlang über solch einfache Mechanismen!“ Gesagt, getan. Horst gab den Begriff „Ameise“ vor und Moritz griff sich von den ausliegenden Attributen gleich das Wort „riesig“. Das war aber unpassend. Riesenameisen gibt es zwar bei Wikipedia, nicht aber in Horsts Vorgarten. Beide ernteten dafür einen Minuspunkt.

    Walter fand diese Wertung total bescheuert. Wie kann man bestraft werden, nur weil ein Mitspieler zu wenig Realitätssinn besitzt? Moritz setzte ein „ist total OK“ dagegen. Begriff auf Begriff und Wertung auf Wertung schaukelte sich bei Walter der Unmut hoch. Günther gab den Begriff „Sonne“ vor und Walter mußte aus seinen vier Attributkärtchen „scharf“, „süß“, „solide“ und „unverbraucht“ ein passendes heraussuchen. Als Hobby-Astronom schien ihm dabei „unverbraucht“ noch am passendsten, doch niemand erkannte die darin liegende astro-physikalische Halbwahrheit. Er plädierte für Abbruch.
    Moritz zwang in gewohnt-sadistischer Art zum Weitermachen und wurde darin vom nibelungentreuen Aaron unterstützt. Doch nach einer Runde – jeder war einmal „Erzähler“ gewesen – warf Walter massiv das Handtuch.

    Er will nicht spielen, bloß gewinnen.
    Verliert er, schlägt das tief nach innen.

    WPG-Wertung: Aaron 5 (nicht so gut wie „Dixit“; Irina wird damit wohl nicht beglückt werden), Günther: 6, Horst 5, Moritz: 6 (freiwillig von spontanen 10 Punkten runtergekommen), Walter: 1 (broken, konsequent und obstinat nach Peter’s Terminologie).

    2. “Dixit”
    Horst hat das Spiel immerhin schon zweimal gespielt und durfte erklären.
    Friedlich, poetisch, kontemplativ, konstruktiv, rund und phantasievoll legten alle die passenden Bilder zu den Begriffen des Erzählers auf den Tisch.
    WPG-Wertung: Passend zu unseren 8 Irina- und 6 Pro-Domo-Punkten vergab Moritz 7 Punkte.

    3. “Small World”
    Kaum zwei Jahre alt hat der Verlag “Days of Wonder” für sein erfolgreiches Produkt schon ungezählte Erweiterungen herausgebracht. Diesmal ist es für uns der “Geisterbeschwörer“. Ein Spieler übernimmt diese asymmetrische Rolle: Er bekommt alle Rassenplättchen der Mitspieler, die im Laufe bei Eroberungen ihr Leben aushauchen mußten. Im Verhältnis 4:1 darf er sie in seine eigene Rasse verwandeln und damit auf Eroberungen ausgehen. Gelingt es ihm, alle seine Plättchen ins Spiel zu bringen, bevor die Partie standardmäßig endet, hat er gewonnen.
    Dadurch gewinnt das Spiel eine neue, kooperative Komponente. Wenn die übrigen Spieler wie üblich nur gegenseitig aufeinander losschlagen und nicht konsequent gegen den Geisterbeschwörer spielen, hat der sein Spielziel schnell geschafft. Doch am Westpark wird Kooperation ganz klein geschrieben. Von Natur aus spielt jeder zu selbstsüchtig. Bevor er sich im Kampf gegen den gemeinsamen Feind aufopfert, sucht er lieber einen Positionsvorteil gegen seinen lieben Nachbarn.
    Nur einer von uns erkannte diese wesentliche Aktzentverschiebung in der Spieltaktik recht früh. Allerdings hielt er sich selber nicht daran. Penetrant rupfte er jeweils den Kombattanten, der seinem führenden Punktestand am nächsten kam und fragte bei rächenden Gegenaktionen – der übrigen Blinden – ganz unschuldig: „Und warum bin ICH jetzt Dein Gegner?“ Wer war’s?
    Als er dann endlich zum gemeinsamen Halali blies: „Wir müssen jetzt alle gegen Günther [den Geisterbeschwörer] gehen, sonst haben wir alle verloren!“ und händeringend allen Kampfgenossen Nichtangriffpakte anbot, war es bereits zu spät. Aaron konnte gerade noch korigieren: „… sonst hat Günther gewonnen!“, da war es auch schon so weit.
    In einer ähnlich veranlagten Runde wie der unsrigen ist der Geistesbeschwörer zweifelos der Spielbalance entglitten. Aber lustig ist es schon.

    Mit dem Vergnügen nur als Ziel
    erfand der Mensch für sich das Spiel.

    WPG-Wertung: Horst blieb mit seinem 8 Punkten genau im bisherigen Schnitt; Walter reduziert seine Wertung um 1 Punkt auf jetzt 7 Punkte.
    Bei Horst teilt „Small World“ das Schicksal der meisten gekauften Brettspiele in Deutschland: Seit zwei Jahren liegt es bei ihm im Schrank und wurde noch kein einziges Mal hervorgeholt. Doch seiner Vermutung nach ist es ein Spiel für Birgit!
    Übrigens, liebe Birgit, sind wir inzwischen belehrt worden: a) Du magst auch komplexe Spiele. b) Wenn Horst demnächst eine Aussage über Dich macht, darf das zunächst mal lediglich als Vermutung angesehen werden. Ich sehe, dass Du auch im Mutterschaftsurlaub Deinen beruflichen Alltag nicht vergessen hast.
    4. “K2”
    Beim Besteigen des Schicksalsberges hatten wir zum Ausklang des letzten Jahres die Kinderversion gespielt. Heute wurde alles erschwert: Es war harter Winter und die Wetterverhältnisse zwangen zu einer gründlichen Planung des Timing für den Aufstieg. Die beengten Platzverhältnisse auf den Aufstiegspfaden blockierten das Vorkommen besonders auf den letzten Stationen zum Gipfel.
    Mit der Blockade ist auch unweigerlich ein Chaoselement verbunden. Wer in der Zugreihenfolge weiter hinten angesiedelt ist, kann überhaupt nicht vorhersehen, welche Plätze für ihn überhaupt noch frei sind, wenn er endlich am Zug ist. Aaron passierte sogar als Startspieler das Unglück, dass er seinen unter Sauerstoffmangel leidenden Bergsteiger nicht bewegen konnte, weil die Felder um ihn herum alle besetzt waren.
    Doch der Spielverlauf war deutlich spannender als in der Kindervariante und jeder überlegt sich ein besseres Vorgehen, wenn das Spiel nochmals auf den Tisch kommen sollte.
    Die Grafik wurde erneut bemängelt. „Total beknackt – um es mal ganz klar zu sagen.“ Mit der sparsamen grau-blauen Farbgebung kann man vielleicht das Aufkommen einer Günther-Messner-Gedächtnis-Stimmung fördern, doch funktional ist es nicht. Vom Spieldesign her bedenklich ist die – bei der Symmetrie des Spielmaterials auch nicht verwunderliche – Tatsache, dass bei Spielende alle Spieler ganz eng beieinander liegen. Bis auf diejenigen, die Tote unter ihrer Seilschaft zu beklagen haben.
    Ganz allgemein ist es für uns schon erstaunlich, warum “K2“ in Essen so hoch gelobt war. Aber wir haben ja auch oft genug unsere Probleme mit der Auswahl zum „Spiel des Jahres“.

    Ob du es, Mensch, wohl einmal lernst,
    zu spielen – ohne deinen Ernst?

    WPG-Wertung: Aaron 6 („man wird gespielt“), Günther: 5 (bleibt), Horst 7 („solide“. Nach-Frage : Etwas für Birgit?), Moritz: 6 („kein Superhit, aber es funktioniert“), Walter: 7 (spannend, planbar).

    12.01.2011: “Troyes” hat er gesagt

    Im Dezember haben wir unsere Spielabende oft genug geschwänzt. Jetzt sucht Moritz händeringend nach Vorschlägen für unser Spiel des Monats.
    „Ich habe nicht so viel notiert, bisher nur: K2 (Bergsteigerspiel), Junta: Viva el Presidente, und Asara.
    Asara kenne ich nicht, aber die ersten beiden Spiele sind glaube ich nicht konsensgeeignet. Gibt es noch weitere Ideen?“

    Aaron klingt sich aus:
    “Habe im Dezember nur Asara gespielt und war nicht so überzeugt. Daher von mir keine Vorschläge.“
    Günther bekundet für seinen Zieleinlauf:
    “1) Asara – 2) Navegador“
    Moritz dreht das um: „Dann bin ich solange für Navegador bis mich jemand von Asara überzeugt.“
    Aaron ist das nicht recht: „Na ja, von Navigador war ich nicht so überzeugt. Kaigan haben wir am gleichen Abend gespielt und das hat die gleiche Durchschnittsbewertung (6,8). Wenn wir schon ein Spiel mit einer Wertung unter 7 auswählen wollen/müssen, dann bin ich doch eher für Kaigan.“
    Walter kann mit diesem Vorschlag leben, doch er macht ebenfalls einen: „Ceterum censeo Gran Cru esse selectandam!“
    Hier hakt Peter ein. Erstens ist er gegen ’Gran Cru’ als solches: „Für mich sind die Spiele des Monats Spiele, die man “unbesehen” kaufen kann, weil sie was taugen.“ Und zweitens denkt er, „dass ’Gran Cru’ definitiv nicht feminin ist.“ Von ‘selectare’ wollte er ganz schweigen.
    Mal schauen, ob wir heute noch etwas finden oder ob Moritz seinen Mut zu Lücke offenbaren kann.
    1. “Troyes”
    Troyes war der Hauptort des Keltenstammes der Trikassen und wurde trotz Asterix von den Römern einnommen. Westlich von Troyes fand die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern statt, das die Hunnen auf ihren Vormarsch nach Westeuropa stoppte. Hier schuf der mittelalterliche Dichter Chrétien de Troyes für Wolfram von Eschenbach die Vorlage zu seinem Parzival. Und vor 900 Jahren gab es auch schon mal ein christlich-katholisches Konzil in Troyes.
    Dies ist der geschichtliche Hintergrund von ’Troyes’ (gesprochen Tro-a), dem Spiel. Das Regelheft gibt dazu keine Details wieder, es erwähnt lediglich kurz und schmerzlos, dass um 1200 in Troyes eine Kathedrale begonnen wurde, und dass wir Spieler jeweils eine reiche Familie verkörpern und unseren Einfluß in den drei Bereichen Militär, Religion und Verwaltung geltend machen, um die meisten Siegpunkte einzuheimsen.
    Unser Einfluß wird durch jede Menge Würfel entfaltet. Insgesamt 18 Würfel sind pro Runde im Spiel, allein auf der Seite der „Guten“. Alle werden zu Beginn einer Runde geworfen und sequentiell abgehandelt. Mit Würfeln bekämpfen wir böse Ereignisse, aktivieren Aktionskarten, bauen an der Kathedrale, placieren Pöppel in den Einflußbereichen der Stadt oder betreiben Landwirtschaft. Für alle diese Zugmöglichkeiten erhalten wir früher oder später Siegpunkte.
    Ist Troyes deshalb ein Würfelspiel? Nach Wikipedia „ist ein Würfelspiel ein Glücksspiel, das im Wesentlichen daraus besteht, dass mit einem oder mehreren Spielwürfeln ein bestimmtes Ergebnis erzielt werden muss. Bisweilen sind kombinatorische Fähigkeiten seitens des oder der Spieler erforderlich.“ In Troyes sind eine ganze Menge kombinatorische Fähigkeiten notwendig. Wir brauchen uns nämlich nicht allein mit unserem eigenen Würfelwürfen zu begnügen, wir können und sollten auch kräftig – gegen Geld – die Würfel aller Mitspieler nützen. Gerade zu Beginn einer Runde darf sich keiner scheuen, den Mitspielern die besten Würfel wegzukaufen. Das ist vielleicht sogar eine mangelnde Balance des Spiels: Die guten Würfel sind so schnell weg, dass für den letzten Spieler einer Runde auf dem Markt schon kein einziger hoher Würfel mehr übrig bleibt, BEVOR er nur seinen ERSTEN Zug getan hat. Dann muß er mit dem schäbigen Rest seiner eigenen Würfel auskommen. Tröstlicherweise darf er – gegen Einflußpunkte – ein bißchen daran herummanipulieren.
    Das einzige Korrektiv gegen diesen Würfel-Ausverkauf ist Geldknappheit, die zu Beginn des Spiels zweifellos herrscht. Doch nach wenigen Runden ist es damit vorbei und der Run auf die besten Würfel der Mitspieler setzt unmittelbar ein. Vielleicht ist das etwas zu krass gesehen; in jedem Fall muß dieser Effekt in unseren nächsten Begegnungen intensiv beobachtet werden.
    Daß „Troyer“ bei uns noch häufiger auf den Tisch kommt, das ist klar. Jeder ist noch ganz beeindruckt von den vielfältigen Zugmöglichkeiten für die sich progressiv ergänzenden progressiven Entwicklungsfortschritte. Das Spiel ist rund und schön. Die drei Stunden Netto-Spielzeit vergingen wie im Fluge.
    WPG-Wertung: Aaron: 8 (Es gibt noch viel zu entdecken, das kann die Note noch nach oben bringen. Aktuell gibt es Einschränkungen wegen des deutlichen Würfeleinflusses), Günther: 8 (fürchtet allerdings Balance-Schwächen), Horst: 9 (die Spielelemente sind stimmig und rund; er steht auf Spielen mit Würfelkombinatorik), Walter: 8 (Vielfalt gelungener Ideen, hoher Wiederspielreiz).
    2. “Dixit”
    Spiel des Jahres 2010, höchste Zeit, dass es bei uns auf den Tisch kommt. Zudem hast es Horst von seiner Birgit zu Weihnachten bekommen.
    Die gefällige bunte Graphik und die „richtigen“ Spielerfarben (Gelb für Günther und Rot für Walter) sind ein subjektiver Vorzug gebenüber „Troyes“. Ansonsten ist es ein braves Unterhaltungsspiel im Stil von „Nobody is perfekt“.
    Jeder Spieler erhält 6 Karten, auf denen mit Phantasie irgendwelche Motive abgebildet sind. Jeweils ein Spieler übernimmt die Rolle des „Erzählers“: Er wählt eine seiner Karten aus, legt sie verdeckt auf den Tisch und überlegt sich dazu eine passende Ansage: ein einzelnes Wort, eine Lautmalerei, einen Satz oder eine ganze Geschichte.
    Jetzt müssen alle anderen Spieler eine ihrer Handkarten auswählen, die ihrer Meinung nach am besten zur Ansage des Erzählers passt. Alle diese Karten, einschließlich der Karte des Erzählers werden jetzt offen auf den Tisch gelegt und die Spieler müssen raten, welche der Karten vom Erzähler stammt.
    Dazu gibt es dann ein geeignetes Siegpunkteschema für die verschiedenen Rateergebnisse: ob alle Spieler die richtige Erzählerkarte geraten haben, oder keiner, oder nur einige.
    Das Unterhaltsamste am Spiel sind anschließend die Erklärungen des Erzählers, warum er zu seinem Bild seine spezifische Ansage gemacht hat, und die Erklärungen der anderen Spieler, warum sie gerade ihr Bild dazu passend fanden. Wer assoziiert mit dem Schlagwort „Robert“ schon ein Bild, in dem Blätter durch die Luft wirbeln? Doch nur ein Kenner des guten alten Struwwelpeter. Und welche Assoziationsmöglichkeiten eröffnet uns unser guter Aaron, wenn er die „Fruchtbarkeit“ zum Besten gibt?
    WPG-Wertung: Aaron: 8 (mit meiner Schwester und meinem Schwager würde ich das den ganzen Abend lang spielen), Günther: 6 (für mich selbst, in bestimmten Spielerrunden ist das Spiel 8 Punkte wert), Horst: 8 (nicht nur, weil es ein Weihnachtsgeschenk der Liebsten ist), Walter: 8 (für die Schwester und als Absacker).
    Hallo Birgit: Hier noch eine kleine Bemerkung zu Deiner Spielkompetenz. In jedem Fall wird sie bei uns hoch geschätzt. Horst hat neulich nur behauptet, dass Du keine besonders große Vorliebe für komplexe Spiele hast. Da waren wir alle etwas verunsichert. Liefere uns doch mal eine Liste von Spielen, die von Dir die Noten 1 bis 10 erhalten.
    3. “Trawler”
    Horst war schon auf dem Weg zu Birgit, da präsentierte Aaron dem hinterbliebenen Personal seine Neuentwicklung „Trawler“ zum „Anspielen“. Wir entwickeln unsere Fischtrawler in Geschwindigkeit, Seetüchtigkeit, Kapazität usw. um damit aufs weite Meer zu ziehen, die verschiedenen Fischsorten zu fangen und sie am Hafen für Höchstpreise zu verkaufen.
    Das Spiel ist recht rasant in seinem Ablauf; für alle tun sich sehr schnell lukrative Einnahmequellen auf, und das Im-Geld-Schwimmen läßt überall Freude aufkommen. Auch verschiedene berufliche Interessensschwerpunkte kommen auf ihre Kosten:

  • Die Vermehrung der Fische im Meer entzückt den Ernährungswissenschaftler
  • Die Bewegung der Fischschwärme erfreut den Meeresbiologen
  • Die Fortschritte in der Trawler-Entwicklung befriedigen den Betriebswirtschaftler
  • Die Routen der Trawler faszinieren den Nautiker
  • Und das Gehabe auf dem Fischmarkt erlabt die Krämerseelen
  • Ein vielversprechender Entwurf, dessen „Anspielen“ sehr viel Spaß gemacht hat.
    Noch keine WPG-Wertung

    05.01.2011: Mit Selbstgemachtem ins Neue Jahr

    Wir wünschen allen unseren Lesern ein gesundes Neues Jahr und weiterhin viel Spaß in ihren Spielrunden.

    1. “Das kalte Herz”
    Eineinhalb Jahre schon entwickeln Moritz und Maximilian Christof an diesem Spiel über die Flößer im Schwarzwald. Neulich konnten sie es bei Hans-im-Glück präsentieren und sind guter Hoffnung.Das Kalte Herz - Prototyp
    Unsere Bedenken aus früheren Testsessions sind ausgeräumt. Die Baumstämme in Neckar und Rhein sind jetzt ständig in Bewegung, das bewirkt schon allein ein zusätzlicher automatischer Bewegungszug pro Spieler. Auch die Staudämme sind keine nennenswerte Blockade mehr: wenn ein Staudamm voll ist, läuft er automatisch über. Jetzt kann jeder Spieler auch für sich selbst etwas Gutes tun und muß nicht nolens volens den Vorteil seiner Mitspieler befördern und hoffen, dass ihm Gleiches zuteil wird.
    Wir müssen immer noch

  • Holzfäller-Pöppel einsetzen
  • Holzhacken
  • Unsere Pöppel zu den verschiedenen Arbeitsplätzen bewegen
  • Staudämme öffnen
  • Flöße zusammenstellen und verkaufen
  • Jeder bekommt zu Spielbeginn noch eine eigene Rolle zugeteilt, die ihm für bestimmte Aktionen Bonuspunkte liefert; ein Spieler hat Vorteile bei Hacken, der andere bei der Staudämmen und der dritte beim Verkauf. Diese individuellen Sondereigenschaften gilt es natürlich besonders zu nützen. „To have a plan” wird ganz groß geschrieben.
    Man sollte nicht unbedingt aus der aktuellen Spielsituation heraus die siegpunktträchtigste Aktion wählen. Damit verlieren wir Tempo für spätere noch siegpunktträchtigere Aktionen. Das ganze ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, und für den richtigen Peil braucht man natürlich eine Menge Erfahrung. Wie bei „1830“!
    Die Vision einer Spielumsetzung von Hauffs Märchen in hübsche, flüssige und ganz neuartige Spielzüge und Mechanismen hat schon einen hohen Reifegrad erreicht. Horst schlug vor, dem Spiel eine Begleit-CD beizulegen, auf den ständiges Wasserrauschen zu hören ist.
    Noch keine WPG-Wertung. Aber sicherlich bald.

    2. “Manipur”
    Aaron arbeitet auch schon seit einem Jahr an seinem Spiel, das ursprünglich im „18xx“-Milieu angesiedelt war, über den Weltraum jetzt Manipur - Prototypaber in „Manipur“, einer Provinz in Indien, angelangt ist. Aus den früheren Tycoons sind heute einfache Händler geworden, die ihrer Waren in immer entfernere Städte liefern und dafür immer höhere Erlöse erzielen.
    Die Händler müssen systemmatisch ihren Aktionsradius erweiteren, die Zahl ihrer Mitarbeiter erhöhen und deren „Schlagfertigkeit“ fördern. Wer die stärksten Fäuste hat, kann die Konkurrenz von den lukrativsten Markplätzen vertreiben.
    Heute wurde das Spiel erstmals einer 4er Runde vorgelegt. Erwartet oder unerwartet ergab sich sogleich ein von den bisherigen Solo- oder Duo-Testrunden total verschiedener Spielablauf. Moritz entwickelte als einziger zuerst seine Mobilität und konnte damit ferne Marktplätze bedienen, wo er konkurrenzlos war, hohe Erträge kassierte und noch dazu Monopolprivilegien erwarb. Die anderen Spieler hatten sich zwar mit stärkeren Fäusten eingedeckt, doch Moritz war schon außer Reichweite. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er mit hohem Abstand gewonnen hatte. „Das war mein Plan!“
    Die ganze Diskussion während und nach dem Spiel drehte sich schwerpunktmäßig darum, wie man Moritz am Zeug flicken könnte. Drei Alternativen boten sich an:
    a) die in fernen Städten agierenden Händer müßten leichter angreifbar sein.
    b) die Handelsprivilegien dürften nur für Mehrheiten, nicht aber für Monopole vergeben werden.
    c) die Erträge für ferne Händer ohne Heimatanschluß müßten gesenkt werden.
    Alles kann durch kleine Regeländerungen problemlos bewerkstelligt werden. Aaron wird’s schon richten.
    Ansonsten sind die Spielregeln klar, der Spielablauf übersichtlich, die Mechanismen rund und das Spielgeschehen attraktiv. Durch die Konzentration auf die funktionierenden Mechanismen ist das Thema allerdings etwas abstrakt geblieben. Beim Brainstorming über andere passende Szenerien schlug Horst vor: „Ameisen, die ein Tischbein erklimmen.“
    Noch keine WPG-Wertung.
    3. “Trawler”
    Aaron bastelt schon an seinem nächsten Spiel. Wir sind Fischer und ziehen mit unserer Flotte den verschiedenen Fischen hinterher. Die optimale Erweiterung der Flotte erinnert an „Manipur“, doch das Auftreten der Fischschwärme und die Konkurrenz auf den Verkaufszentren am Hafen sind neue Elemente.
    Diesmal war bei Aaron zuerst das Thema da und dann erst der Mechanismus. Wir werden sehen.
    Noch keine WPG-Wertung.
    4. “Bluff”
    Horst brachte eine neue Dynamik in ein altes Spiel: Bluffen mit Sternen auf höchstem Niveau. Walter war das nicht geheuer und er forderte für den zweiten Durchgang einen Platzwechsel. Inzwischen hatte Moritz die Masche durchschaut und konnte die Dynamik entschärfen.
    Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

    22.12.2010: Die Junta auf dem K2

    Wer unsere Sessionreports regelmäßig liest, hat gemerkt, dass Aaron schon seit einigen Wochen nicht mehr dabei war. Er hatte seinen Sohn im Lande der willigen Töchter besucht. Heute hat er seinen Heimflug angetreten. Zu spät, um noch am Westpark vorbei zu kommen. Zum Glück haben wir nicht auf ihn gewartet, denn das Wetter hat seinen Flug nach Moskau verschlagen. Hoffentlich kann er bald weiterreisen. Bevor der große Schnee wiederkommt.
    Hallo Aaron, wir wünschen Dir einen gefälligen Aufenthalt.
    1. “Junta”
    Vor 24 Jahren ist beim Ass-Verlag die Originalversion dieses Spiele um Geld, Macht, Intrigen und Mord erschienen. Es war eines der ersten Spiele auf unserer Internetseite und jahrzehntelang wurde konstant darauf zugegriffen. Sicherlich nicht nur von Surfern, die sich unter dem Stichwort „Junta“ etwas ganz anderes vorgestellt hatten.
    Jetzt hat der Pegasus-Verlag eine Neuauflage herausgebracht. Eine große, einladende Reklame strahlte von den Hallenwänden der Essener Spieletage, und die Augen der Freaks begannen zu leuchten.
    Doch die Zähne der alten Garde sind stumpf geworden. Schon in der Spielregel heißt es „Das Militär hat stark an Bedeutung verloren. Die Mitglieder der Junta leben zurückgezogen von ihren Schweizer Bankkonten.“
    Es gibt zwar immer noch einen Präsidenten, doch er verteilt keine Ämter mehr, sondern Besitzkarten, die Peso-Beträge in Millionenstückelung wert sind, oder Kampfvorteile in den unvermeidlichen Straßenkämpfen.
    Gekämpft wird mit Würfeln. Jeder gegen jeden. Der Präsident spielt hierbei keine besondere Rolle. In der Regel geht es gegen denjenigen mit den – vermeindlich – verlockendsten Besitzkarten. Jeder stellt auf 4 Würfeln verdeckt ein, gegen wen er kämpfen will. Oder ob er sich verteidigen will. Im anschließenden Kampf würfeln dann alle Angreiferwürfel synchron gegen die Verteidigerwürfel. Die höhere Summe gewinnt. Der Verlierer muß an alle Angreifer eine Karte abgeben. Solange der Vorrat reicht.
    Die normalen Spieler können sich nur mit eigenen Würfeln verteidigen, der Präsident kann auch von jedem anderen Spieler verteidigt werden. Doch warum sollte man das tun? Die ausgeteilten Besitzkarten sind ohnehin hinfällig, wenn der Präsident gestürzt wird und die besten Karten hat der Präsident sowieso auf der Hand behalten. Die sollte man ihm besser abnehmen.
    Moritz war der einzige Präsident, der eine Legislaturperiode überlebte. Hinterher war er froh, gestürzt worden zu sein, denn von der Banana-Brille, die er als Präsident tragen mußte, wurde ihm ganz schlecht.

    Die Präsidentschaft wechselte ständig zwischen Peter und Moritz, obwohl sie sich gegenseitig regelmäßig die besten Besitzkarten zuschusterten. Der Vertrauensbruch wurde zur Routine. Ganovenehre hat offensichtlich ihre eigenen Gesetze. Hier zählen nur Haie, aber keine kleinen Fische. Lieber von einem großen Bösen geschlagen als von einem kleinen Frommen gestreichelt.
    Die größte Crux des Spiels sind die Besitzkarten. Sie werden ja nicht nur durch harte Junta-Arbeit redlich erworben; jeder Spieler bekommt pro Runde auch eine Karte aus dem Vorrat. Wer Glück hat, bekommt eine Jacht, die gleich einen ganzen Siegpunkt wert ist. Wer Pech hat, erhält nur eine Million Pesos und muß vier Runden lang warten und hoffen, bis er sich davon einen Siegpunkt kaufen kann. Und wer ganz großes Pech hat, der kriegt lediglich die Besitzkarte „Studenten verteilen Flugblätter“, die keinerlei Auswirkungen auf seinen Besitzstand hat. Nicht mal negative. Witzig?
    WPG-Wertung: Günther:5 (nicht mein Spiel), Loredana: 6 (lustig, chaotisch, kurz), Moritz: 7 (nicht so genial und episch wie das Original, aber …), Peter: 7 (Ich hatte Spaß), Walter: 6 (nicht planbar, man braucht eine Dödel-Stimmung)
    2. “K2”
    Der „K2“ ist bekanntlich der zweithöchste Berg der Erde. Im Spiel „K2“ führt jeder Spieler ein Team von zwei Bergsteiger(pöppel)n und muß es innerhalb von 18 Runden im Wettbewerb mit den anderen Team möglichst am höchsten steigen lassen. Möglichst lebend! Denn in den großen Höhen können die Pöppel sehr leicht an Sauerstoffmangel eingehen.
    Die Bewegung ihrer Spieler steuern die Spieler durch ein Set von 18 Handkarten, die sie zyklisch durchspielen. Eine Karte erlaubt 1-3 Bewegungsschritte oder liefert 0-3 Sauerstoffportionen. Die Reihenfolge, in der die Karten gespielt werden müssen, unterliegt einem zufälligen Mischen, doch darf sich jeder Spieler aus jeweils 6 Karten 3 aussuchen, die er in einer Runde spielen will.
    Peter war sofort klar, dass es sich hier um ein leichtes Familienspiel handelt und wurde bei den Denkprozessen seiner Mitspieler schnell ungeduldig: „Ein Kindespiel! Kinder, beeilt euch! Ich krieg’ die Krise!“ Kein Wunder, daß dafür die verbalen Assoziationen schnell in ältere Gefilde abdrifteten. Was assoziiert man nicht alles beim Besteigen! Und was, wenn die Spielanleitung uns empfiehlt, einen geeigneten Weg zum Gipfel zu suchen. Auch ist es nicht sehr weit von dem glattem und dem geriffelten Bergsteiger des K2 bis zu den genoppten und geriffelten Ausführungen des R3. In diesem Zusammenhang kam auch gleich die Rede auf Assange und die bis heute ungelöste Frage, wie er so ein Ding während oder nach der Besteigung auch noch zum Platzen bringen konnte!
    Wie steht’s mit der Interaktion? Im „K2“? Auf großer Höhe vielleicht, denn dort sind die Plätze limitiert, und man kann seinen Mitspielern schon mal den Aufstieg blockieren. Doch bei der einschränkten Auswahl an Handkarten ist diese Möglichkeit auch sehr begrenzt. Der Rest ist ein hübsches Solitärspiel.
    WPG-Wertung: Günther:5 (vermißt Interaktion), Loredana: 5 (gut für Kinder), Moritz: (Familienspiel), Peter: 6 (hübsch als Solitärspiel), Walter: 5 (zu symmetrisch, zu linear, enthält keinerlei Progression)
    3. “Bluff”
    Die erste Runde war das Spiel der multiplen Verluste. Ständig mußten alle Spieler je einen Würfel abgeben. Bis auf einen. Im 1:1 Endspiel gab Walter gegen Peter 1 nach kurzem Nachdenken mal die Eins vor. Peter ging in die Bücher? Was war der Grund für Abweichung von der Immer-4-Strategie? Mußte da nicht ein Stern dahinter stehen? Er gab den Ball mit 1 mal Stern an Walter zurück. Der konnte seine Vorteil nicht nutzen. Keiner hatte einen Stern unter dem Becher!
    Die zweite Runde war das Spiel der Untertreibungen. Reihenweise wurde Vorgaben angezweifelt, deren reales Ergebnis danach viel höher war. Sogar bei Sternen. Die gemeine Binominalverteilung hält halt immer wieder verblüffende Überraschungen bereit.
    Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

    08.12.2010: Die Arbeiter im Weinberg

    „Ich bin mit dem Prediger des Dorfes, einem alten, wunderlichen Manne, bekannt geworden. Er hat eine außerordentliche Leidenschaft fürs Kartenspiel, versteht aber kein anderes als das gemeine, altfränkische Mariage. Er lenkte bald darauf hin, und Ihm zu Gefallen habe ich heute den ganzen Tag am Spieltisch gesessen. – Was sagen Sie dazu, mein Freund? Aber was soll man auch bei dem abscheulichen Wetter anfangen.“
    Ludwig Tiecks Tagebucheintrag vom 11. Juli 18xx ist zwar nur Fiktion, doch das dort erwähnte Kartenspiel ist heute noch aktuell. Unter welchem Namen?
    1. “Grand Cru”
    Walter wollte seinen Spiel-Favoriten aus Essen zu unserem „Spiel des Monats küren“ lassen. Dazu mußte es noch die Feuerprobe bei Peter & Lordana bestehen.
    Der kritischste Punkt in seinem gesamten Regelwerk ist der Versteigerungsmechanismus. Hier geht es sehr hart zu. Wer verdrängt wird, verliert ersatzlos einen ganzen Zug. Wer ganz sicher gehen will und alles für den Höchst- und Fixpreis ersteigert, muß hohe Kreditsummen aufnehmen, deren Wirtschaftlichkeit mehr als fraglich ist.
    Gerade in den ersten Runden wird das Einkommen allein von den Zinsen aufgefressen und die Schuldenschere geht ununterbrochen weiter auf. Das gilt besonders dann, wenn in den Weinbergen nicht kooperiert wird – am Westpark wird selten kooperiert – und die Weinpreise ständig im Keller liegen.
    Heute trieben wir alle von Runde zu Runde immer tiefer in den finanziellen Ruin. Selbst nach zehn Runden war noch kein Licht am Ende des Schuldentunnels zu sehen. Es war nur die Frage, wer als erster seine 11 Kredite ausgeschöpft hat und als Bankrotteur das Spiel beendet.
    Die Diskussion um die Sinnhaftigkeit dieses regulären Spielendes flammte erneut auf und fand Befürworter und Gegner. Günther ist ein überzeugter Gegner, könnte aber auf die andere Seite überschwenken, „wenn man damit Sieger werden könnte!“ Ja warum nicht?! Warum sollte nicht derjenige Spieler, der sich mit hohen Summen ausgedehnte Weinberge zusammengekauft hat, mit diesem Besitztum nicht Sieger werden, auch wenn er erst mal vor den Konkursrichter muß?! Um diese Regeländerung zu rechtfertigen, bliebe doch nur zu verifizieren, dass es damit keine Trivial-Strategie zum Sieg gibt!

    Peter hatte sich sehr schnell der Günther-Fraktion derer angeschlossen, die den Versteigerungsmechanismus nicht akzeptieren. „Das Spiel ist broken“ wiederholte er obstinat bei jeder Rückfrage zu den verschiedenen Abläufen auf dem Tableau. Doch trotz aller verbalen Kritik machte ihm sein Agieren in der Weinbranche ganz offensichtlich Spaß. Fast entrüstet wies er selbst nach mehr als zwei Sunden Spielzeit alle Angebote zum Spielabbruch von sich. Er hatte sich inzwischen eine ganz eigene Herausforderung gestellt: Wie in einem „Ökolopoly“ war er vom Ehrgeiz erfüllt, in der Lage am Abgrund noch so zu agieren, dass er wirtschaftlich überlebt. Er überlebte.
    Walter war des stundenlangen aufreibenden Kampfes um die schwarzen Zahlen in der Bilanz müde geworden. Nur eine einzige Runde brauchte er nur zu ernten und nichts zu verkaufen, und er war bankrott. Günther wurde mit minus (!) 13 Punkten Sieger, gefolgt von Loredana mit minus 23 und Peter mit minus 36. Erfahrene Grand-Cruisten können daraus ablesen, dass alle drei bei Spielende noch in der Gegend vom Maximalkredit waren.
    WPG-Wertung: Günther bleibt bei seinen 7 Punkten („schöner Aufbau“), Loredana: 4 („war von den ständigen Zinszahlungen genervt“), Peter: 5 („broken“), Walter bleibt bei seinen 9 Punkten (möchte einmal das Spiel im Plus beenden, ihn reizt die enorme Vielfalt möglicher Gewinnstrategien.)
    Wie könnte man dem Versteigerungsmechanismus seine destruktive Schärfe nehmen?

  • Die Gebote auf dem Versteigerungstableau könnten progressiv (statt linear) steigen
  • Wer verdrängt wird, sollte irgendeine Entschädigung bekommen
  • Die extrem effizienten Sonderaktionen – sehr nützlich für die verschiedenen Winzerstrategien – sollten für Fixpreise verkauft werden
  • 2. “Bluff”
    Mehr als drei Stunden hatten wir fleißig in den Weinbergen gearbeitet. Peter brauchte dringend einen Absacker. Außerdem hat er sich in der Zeit seiner Westpark-Abstinenz zu einem Vor-Vorletzte-U-Bahn-Besteiger entwickelt.
    Loredana, Peter und Walter standen mit je einem Würfel im Endspiel. Peter fing gemäß der bewährten Immer-4-Strategie mit 1 mal die Vier an. Walter hob auf 1 mal die Fünf und Loredana auf 1 mal den Stern. Eine harte Nuß! Peter versuchte sie mit 2 mal die Drei weiter zu geben, Walter knackte sie mit 2 mal Stern.
    Frage: Welche beiden Spieler hatten einen Stern unter dem Becher? Begründung!
    In den weiteren Bluff-Partien erwies sich die Immer-4-Strategie der Immer-5-Strategie eindeutig überlegen! Offensichtlich gibt es noch eine andere Wirklichkeit als die der nackten Wahrscheinlichkeitsrechnung!
    Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

    01.12.2010: Wo liegt Asara?

    Schneechaos in Europa. Am Flughafen in Genf ruht bis morgen früh der Verkehr. Auch der ehemalige US-Präsident Bill Clinton muß sich gedulden. Er war auf dem Weg nach Zürich um für die USA als Austragungsort der Fußballweltmeisterschaft 2018 zu werben.
    Einfacher hatte es da unser Günther. Er mußte nur von der Hoffmannstraße bis zum Westpark; die zwei km lange Strecke konnte er mit nur einer Stunde Verspätung zurücklegen. Unsere Debütantin Bettina kam aus dem Münchener Westen und wurde von ihrem Navi mit 15 Minuten Verspätung herbeigelotst. Nur Aaron klingelte um 19:03 Uhr quasi pünktlich an der Tür.
    1. “Bluff”
    Unser Warten auf Günther begann mit unserem Absacker. Bettina bekam einen Vorgeschmack auf die Spiel-Stimmung am Westpark.
    Bei 15 Würfeln unter den Bechern hatte sich der Pegel bis auf 13 mal die Fünf hochgeschaukelt. Anzweifeln oder erhöhen? Bettina toppte mit 7 mal Stern. Das kostete Aaron und Walter je einen Würfel.
    Noch keine Note von Bettina für unsere WPG-Wertung .
    2. “Verflixxt!”
    Das Warten-auf-Günther-Warming-Up verließ das Absacker-Niveau. In einem „richtigen“ Brettspiel würfelt jeder seine drei Pöppel ins Ziel und versucht dabei:

  • Genau so viele hohe Minus-Plättchen einzuheimsen, wie er im Verlauf des gesamten Spiels Glücksplättchen ergattern wird.
  • Alle weiteren Minus-Plättchen, insbesondere die hohen, zu vermeiden.
  • Alle Plus-Plättchen, insbesondere die hohen, so en passent mitzunehmen.
  • Die gleichgerichteten Ambitionen der Mitspieler zu verhindern, indem man sich auf den guten Plättchen an sie (die Mitspieler) kuschelt, auf den schlechten Plättchen sie aber möglichst alleine läßt.
  • Die Empfindungen beim Kuscheln an oder von Bettina waren also durchaus ambivalent.
    Bettinas 8 Punkte sind im oberen Bereich der WPG-Wertung angesiedelt.
    3. “Asara”
    Günther war eingetroffen und wir konnten uns an die Ernte aus Essen machen.
    „Asara“ ist ein Aufbauspiel, im dem wir mittels Karten und Geld Bauteile für Türme erwerben, diese Türme dann errichten und dafür Siegpunkte einheimsen. Es gibt magere Zwischenwertungen für unseren aktuellen Baubestand und eine fette Endwertung am Ende, wo für die höchsten und die meisten Türme nochmals ein vielfacher Punktssegen auf uns herabrieselt.
    Wie bekommt man die gewünschten Turmteile? Alle Teile – Basisstück, Spitze, große und kleine Mittelteile und Verschönerungsschnörksel liegen in verschiedenen „Märkten“ offen aus und können reihum einzeln gekauft werden. Dazu muß man eine „Einkäuferkarte“ (= Karte in den fünf verschiedenen Farben) im Markt ablegen und die entsprechende Bausumme an die Bank bezahlen. Das Besondere dabei ist, dass der erste Spieler, der auf einem Markt kauft, eine beliebige Einkäuferkarte nutzen darf; jeder weitere Spieler muß dann an diesem Markt mit einem Einkäufer der gleichen Farbe bezahlen. Zu Beginn jeder Runde setzt ein Run auf die verschiedenen Märkte an; jeder will an den begehrtesten Plätzen seine eigene Duftmarken hinterlassen.
    Diese Priorisierung ist im Prinzip die gesamte Interaktion des Spiels. Der Rest ist solitäre Aufbauarbeit und am Schluß erfolgt noch ein Vergleich mit den Bauergebnissen der Konkurrenz. Wolfgang Kramer und Michael Kiesling haben uns mit „Asara“ ein handwerklich absolut solides Produkt abgeliefert, spielerische Geistesblitze haben sie dabei aber nicht einschlagen lassen.
    Autoren und Verlag haben im Regelheft nicht einmal eine Erklärung für die Bedeutung von „Asara“ mitgeliefert. Bei Google gibt es eine halbe Millionen Einträge dazu, von Hotels über Weingüter bis zu Kräuterelixieren. In der Spielregel steht dazu nur „Land der tausend Türme“. Ein Kalif soll darin wohnen; doch die Kaliflisten der verschiedenen Religionsrichtungen geben keinen Hinweis auf „Asara“. So bleibt die Vermutung, dass es sich hierbei um ein Kunstwort handelt, dass erstens gut klingt und zweitens verkaufstechnisch ziemlich günstig im Alphabet liegt.
    WPG-Wertung: Aaron: 6 („nichts Neues; einseitige Interaktion“), Bettina: 6 („vermutlich kein allzu hoher Wiederspielwert“), Günther: 8 („schöne Kombination verschiedener Pläne und ihrer Wertigkeit“), Walter: 7 („ausbalanciert, rechtschaffen“).
    4. “7 Wonders”
    Ordentliches Karten-Ablegespiel. Als leichtes Familienspiel sicherlich ein Favorit für das „Spiel des Jahres 2011“.
    Weitere WPG-Kommentare findet man in verschiedenen unserer Session-Reports vom Oktober und November.
    WPG-Wertung: Bettinas 7 Punkte belegen den unteren Wert der beiden WPG-Wertungs-Alternativen.
    5. “Manipur”
    Kein Kunstwort, sondern eine reale Region in Indien, in der Aaron seinen 18xx-Bastard zur Welt bringen will. Heute durften wir den Embryo nur hinter dicken Glasscheiben anschauen. Er ist noch viel zu empfindlich gegen die bösen Erreger aus der harten Spielerwelt.
    PS: Bettina
    Wer ist Bettina? Debütantin am Westpark! Ansonsten aber mitnichten Debütantin!
    Bettina Koziol studierte klassischen Gesang und befaßt sich mit Komposition und Arrangement zur Pop-Avantgarde.
    Sie ist als Solistin im klassischen Konzertbereich, mit Neuer Musik, Jazz und Avantgarde – Popmusik international tätig. Tourneen führten sie durch Europa, in die USA, nach Argentinien und Indien.
    Wer mehr von ihr wissen will, findet bei Google 3040 Verweise zu ihr. Morgen wahrscheinlich schon 3041!

    24.11.2010: “Poseidon” kommt

    “Spielen ist wie Sex. Manchmal kommt etwas Sinnvolles dabei raus, das ist aber nicht der Grund, warum wir es tun.” (nach R. P. Feynman)
    1. “Poseidon”
    In Essen am Stand von Z-Man-Games war es mir zum ersten Mal aufgefallen. Damals hätte ich nicht gedacht daß der Seefahrer-Kegel unter den Eisenbahn-Kindern am Westpark gut punkten könnte. Doch Günther hat sich als Promoter mächtig ins Zeug gelegt und „Poseidon“ regelmäßig erfolgreich protegiert. Lieber Helmut, wenn Du mit diesem Produkt dereinst Millionär geworden bist, dann laß ihm was zukommen!

    Um dem diesbezüglich unbewanderten Horst einen nachdrücklichen Vorgeschmack von den „18xx“-Familienmitgliedern zu geben, ist „Poseidon“ sicherlich besser geeignet als das gleich noch eine ganze Dimension komplexere Original-„1830“. Dort müßte er während des ganzen ersten Spiels praktisch Schritt für Schritt an der Hand geführt werden, um nicht von einer ruinösen Falle in die andere zu tappen; hier kann er schon nach wenigen Zügen selbständig laufen. Auch wenn der Pfad bis zum eigenen Sieg dann immer noch steil und steinig ist.
    Wir stehen mit „Poseidon“ natürlich noch alle am Anfang unserer Erfahrung und selbst Günther, einer der besten „1830“-Spieler der Welt, hat hier noch keinen gesicherten Maßstab für die Wertigkeit der tausendfältigen Wahlmöglichkeiten untereinander:

  • Mit welchem Reich fange ich an?
  • Zu welchen Kurs setze ich mein Startreich ein?
  • Wieviele Ämter bringe ich auf den Markt?
  • Wieviele Ämter davon nehme ich selbst in meine Königshand?
  • Wieviele Schiffe kaufe ich? Zu Beginn und in den ersten Runden?
  • Welche Strecke wähle ich für die Erkundigungen?
  • Wo gründe ich Handelsniederlassungen?
  • Wann lasse ich die Amtsinhaber leer ausgehen?
  • Wann forciere ich über neue Reiche und neue Schiffskäufe das Tempo? In welchen Situationen bei welchem Besitzstand ist es besser zu bremsen?
  • Walter fing mit Sparta und entwickelte sich an der adriatischen Küste entlang in Richtung Triest. Horst führte die Athener Flotte auf mittlerem Kurs ins südliche Kleinasien und Günther klapperte mit Larissa die Nordküste der Ägais mit Zielrichtung Troja ab. Er gründete als erster ein zweites Reich, das den Druck auf die technisch schwachbrüstigen und finanziell ausgebluteten Frühstarter-Imperien erhöhte. Doch die Motive seiner Reichsgründung gingen in eine ganz andere Richtung: Er ließ die neue Finanzmasse durch gekonnte Schiffsmauscheleien in sein altes Reich transferieren, so daß seine dortigen vielen Startämter von den ununterbrochen sprudelnden kräftigen Einnahmen stets hoch dotiert waren. In dieser Phase gerieten seine eindimensional ausgestatteten Konkurrenten mit ihren linearen Überlebensstrategien hoffnungslos ins Hintertreffen. Auch die rasante Aufholjagd in der letzten Runde, in der alle 6er, alle 7er und noch dazu einige E-Schiffe gekauft wurden, konnten seinen Vorsprung nicht mehr schmälern.
    Neue Erkenntnis: Ein neues wenig-ämteriges Feeding-Reich zum Hochpäppeln eines existierenden viel-ämterigen Anfangsreiches eröffnet ganz neue finanzelle Perspektiven.
    Alte Erkenntnis: „Poseidon“ ist stärker Kapitalmarkt orientiert als seine rechtgläubigen Halbgeschwister.
    WPG-Wertung: Horst siedelte sich mit 8 Punkten im oberen Bereich der WPG-Wertungen an, Walter erhöhte seine Note von 7 auf 8.
    Horst schlug vor, das Spiel mit echtem Geld zu spielen. Dann wandern Beträge in der Größenordnung von etwa 2000 Euro pro Abend von einer Hand in die andere.
    Günther brachte einen neuen Vorschlag zur Vermeidung strapazierend langer Denkzeiten: Jeder Spieler bekommt für seinen Zug ein enges Zeitlimit gesetzt. Jede Zeitüberschreitung zieht unverzüglich eine (Spiel-)Geldstrafe nach sich. (PS: Hätten wir heute schon diesen Vorschlag umgesetzt, wäre Günther nicht Erster geworden. Eher Letzter! Doch in unserer 3er Runde haben seine Analysis Paralysis-Phasen nicht weh getan. Keiner wurde auch nur annährernd aggressiv.)
    2. “Flaschenteufel”
    Nach guten drei Stunden (netto) mit Poseidon reichte die Zeit für den jungen Kindsvater Horst nur noch zu einem Absacker. Weil die mentalen Batterien noch nicht leer waren, konnte sich der anspruchvollere „Flaschenteufel“ durchsetzen.
    Allerdings kann das Spiel in einer Dreier-Runde seine spieltaktischen Schönheiten längst nicht so voll entfalten wie in einer Vierer-Runde. Sehr viel krasser wirkt sich die Abhängigkeit von den weitergeschobenen tödlich-niedrigen Karten aus. Falls bei der ursprünglichen Kartenausgabe die gelben Eins und Zwei an zwei verschiedene Spieler ausgeteilt werden (die Wahrscheinlichkeit dafür ist mehr als 68 Prozent!), landen beide Karten nach dem Kartenschieben zu 50% bei einem einzigen Spieler. Und beide Mitspieler wissen um mindestens eine Karte davon! Damit ist der Teufelsstich praktisch schon nicht mehr zu vermeiden. Trotzdem ein großes kleines Spiel!
    WPG-Wertung: Horst übernahm mit der Vergabe von 9 Punkten die WPG-Spitzenposition.
    Auf Nachfrage meinte Horst, dass Birgit für „Flaschenteufel 7-8 Punkte vergeben würde. Er scheint die Mutter seines Kindes tatsächlich sehr gut zu kennen. Vor gut drei Jahren hat Birgit dafür bereits realiter 8 Punkte vergeben.
    3. “Hasami”
    Als hinterbliebenes Duo zogen sich Günther und Walter mal wieder eines der kleinen, abstrakten 2-Personen-Spiele der Wünnenberg-Spiele GmbH rein. In „Hasami“ stellt jeder Spieler auf einem Reversi-ähnlichen Spielbrett von 10 mal 10 Löchern auf die zwei Randreihen seiner Seite je 20 Spielsteine auf. Dann ziehen ziehen sie abwechselnd mit je einem Spielstein horizontal oder vertikal über beliebig viele freie Felder. Ein gegnerischer Stein darf geschlagen werden, wenn man ihn von beiden Seiten waagrecht oder senkrecht umschlossen hat. Gewonnen hat, wer als erster mit seinen Spielsteinen eine Fünfereihe (horizontal, vertikal oder diagnonal) bilden konnte.
    In zwei Durchgängen konnten wir verifizieren, dass das Spiel rund und herausfordernd ist und nicht-triviale Lösungen besitzt.
    Keine WPG-Wertung für ein 2-Personen-Spiel.