Alle Beiträge von Walter

05.01.2011: Mit Selbstgemachtem ins Neue Jahr

Wir wünschen allen unseren Lesern ein gesundes Neues Jahr und weiterhin viel Spaß in ihren Spielrunden.

1. “Das kalte Herz”
Eineinhalb Jahre schon entwickeln Moritz und Maximilian Christof an diesem Spiel über die Flößer im Schwarzwald. Neulich konnten sie es bei Hans-im-Glück präsentieren und sind guter Hoffnung.Das Kalte Herz - Prototyp
Unsere Bedenken aus früheren Testsessions sind ausgeräumt. Die Baumstämme in Neckar und Rhein sind jetzt ständig in Bewegung, das bewirkt schon allein ein zusätzlicher automatischer Bewegungszug pro Spieler. Auch die Staudämme sind keine nennenswerte Blockade mehr: wenn ein Staudamm voll ist, läuft er automatisch über. Jetzt kann jeder Spieler auch für sich selbst etwas Gutes tun und muß nicht nolens volens den Vorteil seiner Mitspieler befördern und hoffen, dass ihm Gleiches zuteil wird.
Wir müssen immer noch

  • Holzfäller-Pöppel einsetzen
  • Holzhacken
  • Unsere Pöppel zu den verschiedenen Arbeitsplätzen bewegen
  • Staudämme öffnen
  • Flöße zusammenstellen und verkaufen
  • Jeder bekommt zu Spielbeginn noch eine eigene Rolle zugeteilt, die ihm für bestimmte Aktionen Bonuspunkte liefert; ein Spieler hat Vorteile bei Hacken, der andere bei der Staudämmen und der dritte beim Verkauf. Diese individuellen Sondereigenschaften gilt es natürlich besonders zu nützen. „To have a plan” wird ganz groß geschrieben.
    Man sollte nicht unbedingt aus der aktuellen Spielsituation heraus die siegpunktträchtigste Aktion wählen. Damit verlieren wir Tempo für spätere noch siegpunktträchtigere Aktionen. Das ganze ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, und für den richtigen Peil braucht man natürlich eine Menge Erfahrung. Wie bei „1830“!
    Die Vision einer Spielumsetzung von Hauffs Märchen in hübsche, flüssige und ganz neuartige Spielzüge und Mechanismen hat schon einen hohen Reifegrad erreicht. Horst schlug vor, dem Spiel eine Begleit-CD beizulegen, auf den ständiges Wasserrauschen zu hören ist.
    Noch keine WPG-Wertung. Aber sicherlich bald.

    2. “Manipur”
    Aaron arbeitet auch schon seit einem Jahr an seinem Spiel, das ursprünglich im „18xx“-Milieu angesiedelt war, über den Weltraum jetzt Manipur - Prototypaber in „Manipur“, einer Provinz in Indien, angelangt ist. Aus den früheren Tycoons sind heute einfache Händler geworden, die ihrer Waren in immer entfernere Städte liefern und dafür immer höhere Erlöse erzielen.
    Die Händler müssen systemmatisch ihren Aktionsradius erweiteren, die Zahl ihrer Mitarbeiter erhöhen und deren „Schlagfertigkeit“ fördern. Wer die stärksten Fäuste hat, kann die Konkurrenz von den lukrativsten Markplätzen vertreiben.
    Heute wurde das Spiel erstmals einer 4er Runde vorgelegt. Erwartet oder unerwartet ergab sich sogleich ein von den bisherigen Solo- oder Duo-Testrunden total verschiedener Spielablauf. Moritz entwickelte als einziger zuerst seine Mobilität und konnte damit ferne Marktplätze bedienen, wo er konkurrenzlos war, hohe Erträge kassierte und noch dazu Monopolprivilegien erwarb. Die anderen Spieler hatten sich zwar mit stärkeren Fäusten eingedeckt, doch Moritz war schon außer Reichweite. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er mit hohem Abstand gewonnen hatte. „Das war mein Plan!“
    Die ganze Diskussion während und nach dem Spiel drehte sich schwerpunktmäßig darum, wie man Moritz am Zeug flicken könnte. Drei Alternativen boten sich an:
    a) die in fernen Städten agierenden Händer müßten leichter angreifbar sein.
    b) die Handelsprivilegien dürften nur für Mehrheiten, nicht aber für Monopole vergeben werden.
    c) die Erträge für ferne Händer ohne Heimatanschluß müßten gesenkt werden.
    Alles kann durch kleine Regeländerungen problemlos bewerkstelligt werden. Aaron wird’s schon richten.
    Ansonsten sind die Spielregeln klar, der Spielablauf übersichtlich, die Mechanismen rund und das Spielgeschehen attraktiv. Durch die Konzentration auf die funktionierenden Mechanismen ist das Thema allerdings etwas abstrakt geblieben. Beim Brainstorming über andere passende Szenerien schlug Horst vor: „Ameisen, die ein Tischbein erklimmen.“
    Noch keine WPG-Wertung.
    3. “Trawler”
    Aaron bastelt schon an seinem nächsten Spiel. Wir sind Fischer und ziehen mit unserer Flotte den verschiedenen Fischen hinterher. Die optimale Erweiterung der Flotte erinnert an „Manipur“, doch das Auftreten der Fischschwärme und die Konkurrenz auf den Verkaufszentren am Hafen sind neue Elemente.
    Diesmal war bei Aaron zuerst das Thema da und dann erst der Mechanismus. Wir werden sehen.
    Noch keine WPG-Wertung.
    4. “Bluff”
    Horst brachte eine neue Dynamik in ein altes Spiel: Bluffen mit Sternen auf höchstem Niveau. Walter war das nicht geheuer und er forderte für den zweiten Durchgang einen Platzwechsel. Inzwischen hatte Moritz die Masche durchschaut und konnte die Dynamik entschärfen.
    Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

    22.12.2010: Die Junta auf dem K2

    Wer unsere Sessionreports regelmäßig liest, hat gemerkt, dass Aaron schon seit einigen Wochen nicht mehr dabei war. Er hatte seinen Sohn im Lande der willigen Töchter besucht. Heute hat er seinen Heimflug angetreten. Zu spät, um noch am Westpark vorbei zu kommen. Zum Glück haben wir nicht auf ihn gewartet, denn das Wetter hat seinen Flug nach Moskau verschlagen. Hoffentlich kann er bald weiterreisen. Bevor der große Schnee wiederkommt.
    Hallo Aaron, wir wünschen Dir einen gefälligen Aufenthalt.
    1. “Junta”
    Vor 24 Jahren ist beim Ass-Verlag die Originalversion dieses Spiele um Geld, Macht, Intrigen und Mord erschienen. Es war eines der ersten Spiele auf unserer Internetseite und jahrzehntelang wurde konstant darauf zugegriffen. Sicherlich nicht nur von Surfern, die sich unter dem Stichwort „Junta“ etwas ganz anderes vorgestellt hatten.
    Jetzt hat der Pegasus-Verlag eine Neuauflage herausgebracht. Eine große, einladende Reklame strahlte von den Hallenwänden der Essener Spieletage, und die Augen der Freaks begannen zu leuchten.
    Doch die Zähne der alten Garde sind stumpf geworden. Schon in der Spielregel heißt es „Das Militär hat stark an Bedeutung verloren. Die Mitglieder der Junta leben zurückgezogen von ihren Schweizer Bankkonten.“
    Es gibt zwar immer noch einen Präsidenten, doch er verteilt keine Ämter mehr, sondern Besitzkarten, die Peso-Beträge in Millionenstückelung wert sind, oder Kampfvorteile in den unvermeidlichen Straßenkämpfen.
    Gekämpft wird mit Würfeln. Jeder gegen jeden. Der Präsident spielt hierbei keine besondere Rolle. In der Regel geht es gegen denjenigen mit den – vermeindlich – verlockendsten Besitzkarten. Jeder stellt auf 4 Würfeln verdeckt ein, gegen wen er kämpfen will. Oder ob er sich verteidigen will. Im anschließenden Kampf würfeln dann alle Angreiferwürfel synchron gegen die Verteidigerwürfel. Die höhere Summe gewinnt. Der Verlierer muß an alle Angreifer eine Karte abgeben. Solange der Vorrat reicht.
    Die normalen Spieler können sich nur mit eigenen Würfeln verteidigen, der Präsident kann auch von jedem anderen Spieler verteidigt werden. Doch warum sollte man das tun? Die ausgeteilten Besitzkarten sind ohnehin hinfällig, wenn der Präsident gestürzt wird und die besten Karten hat der Präsident sowieso auf der Hand behalten. Die sollte man ihm besser abnehmen.
    Moritz war der einzige Präsident, der eine Legislaturperiode überlebte. Hinterher war er froh, gestürzt worden zu sein, denn von der Banana-Brille, die er als Präsident tragen mußte, wurde ihm ganz schlecht.

    Die Präsidentschaft wechselte ständig zwischen Peter und Moritz, obwohl sie sich gegenseitig regelmäßig die besten Besitzkarten zuschusterten. Der Vertrauensbruch wurde zur Routine. Ganovenehre hat offensichtlich ihre eigenen Gesetze. Hier zählen nur Haie, aber keine kleinen Fische. Lieber von einem großen Bösen geschlagen als von einem kleinen Frommen gestreichelt.
    Die größte Crux des Spiels sind die Besitzkarten. Sie werden ja nicht nur durch harte Junta-Arbeit redlich erworben; jeder Spieler bekommt pro Runde auch eine Karte aus dem Vorrat. Wer Glück hat, bekommt eine Jacht, die gleich einen ganzen Siegpunkt wert ist. Wer Pech hat, erhält nur eine Million Pesos und muß vier Runden lang warten und hoffen, bis er sich davon einen Siegpunkt kaufen kann. Und wer ganz großes Pech hat, der kriegt lediglich die Besitzkarte „Studenten verteilen Flugblätter“, die keinerlei Auswirkungen auf seinen Besitzstand hat. Nicht mal negative. Witzig?
    WPG-Wertung: Günther:5 (nicht mein Spiel), Loredana: 6 (lustig, chaotisch, kurz), Moritz: 7 (nicht so genial und episch wie das Original, aber …), Peter: 7 (Ich hatte Spaß), Walter: 6 (nicht planbar, man braucht eine Dödel-Stimmung)
    2. “K2”
    Der „K2“ ist bekanntlich der zweithöchste Berg der Erde. Im Spiel „K2“ führt jeder Spieler ein Team von zwei Bergsteiger(pöppel)n und muß es innerhalb von 18 Runden im Wettbewerb mit den anderen Team möglichst am höchsten steigen lassen. Möglichst lebend! Denn in den großen Höhen können die Pöppel sehr leicht an Sauerstoffmangel eingehen.
    Die Bewegung ihrer Spieler steuern die Spieler durch ein Set von 18 Handkarten, die sie zyklisch durchspielen. Eine Karte erlaubt 1-3 Bewegungsschritte oder liefert 0-3 Sauerstoffportionen. Die Reihenfolge, in der die Karten gespielt werden müssen, unterliegt einem zufälligen Mischen, doch darf sich jeder Spieler aus jeweils 6 Karten 3 aussuchen, die er in einer Runde spielen will.
    Peter war sofort klar, dass es sich hier um ein leichtes Familienspiel handelt und wurde bei den Denkprozessen seiner Mitspieler schnell ungeduldig: „Ein Kindespiel! Kinder, beeilt euch! Ich krieg’ die Krise!“ Kein Wunder, daß dafür die verbalen Assoziationen schnell in ältere Gefilde abdrifteten. Was assoziiert man nicht alles beim Besteigen! Und was, wenn die Spielanleitung uns empfiehlt, einen geeigneten Weg zum Gipfel zu suchen. Auch ist es nicht sehr weit von dem glattem und dem geriffelten Bergsteiger des K2 bis zu den genoppten und geriffelten Ausführungen des R3. In diesem Zusammenhang kam auch gleich die Rede auf Assange und die bis heute ungelöste Frage, wie er so ein Ding während oder nach der Besteigung auch noch zum Platzen bringen konnte!
    Wie steht’s mit der Interaktion? Im „K2“? Auf großer Höhe vielleicht, denn dort sind die Plätze limitiert, und man kann seinen Mitspielern schon mal den Aufstieg blockieren. Doch bei der einschränkten Auswahl an Handkarten ist diese Möglichkeit auch sehr begrenzt. Der Rest ist ein hübsches Solitärspiel.
    WPG-Wertung: Günther:5 (vermißt Interaktion), Loredana: 5 (gut für Kinder), Moritz: (Familienspiel), Peter: 6 (hübsch als Solitärspiel), Walter: 5 (zu symmetrisch, zu linear, enthält keinerlei Progression)
    3. “Bluff”
    Die erste Runde war das Spiel der multiplen Verluste. Ständig mußten alle Spieler je einen Würfel abgeben. Bis auf einen. Im 1:1 Endspiel gab Walter gegen Peter 1 nach kurzem Nachdenken mal die Eins vor. Peter ging in die Bücher? Was war der Grund für Abweichung von der Immer-4-Strategie? Mußte da nicht ein Stern dahinter stehen? Er gab den Ball mit 1 mal Stern an Walter zurück. Der konnte seine Vorteil nicht nutzen. Keiner hatte einen Stern unter dem Becher!
    Die zweite Runde war das Spiel der Untertreibungen. Reihenweise wurde Vorgaben angezweifelt, deren reales Ergebnis danach viel höher war. Sogar bei Sternen. Die gemeine Binominalverteilung hält halt immer wieder verblüffende Überraschungen bereit.
    Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

    08.12.2010: Die Arbeiter im Weinberg

    „Ich bin mit dem Prediger des Dorfes, einem alten, wunderlichen Manne, bekannt geworden. Er hat eine außerordentliche Leidenschaft fürs Kartenspiel, versteht aber kein anderes als das gemeine, altfränkische Mariage. Er lenkte bald darauf hin, und Ihm zu Gefallen habe ich heute den ganzen Tag am Spieltisch gesessen. – Was sagen Sie dazu, mein Freund? Aber was soll man auch bei dem abscheulichen Wetter anfangen.“
    Ludwig Tiecks Tagebucheintrag vom 11. Juli 18xx ist zwar nur Fiktion, doch das dort erwähnte Kartenspiel ist heute noch aktuell. Unter welchem Namen?
    1. “Grand Cru”
    Walter wollte seinen Spiel-Favoriten aus Essen zu unserem „Spiel des Monats küren“ lassen. Dazu mußte es noch die Feuerprobe bei Peter & Lordana bestehen.
    Der kritischste Punkt in seinem gesamten Regelwerk ist der Versteigerungsmechanismus. Hier geht es sehr hart zu. Wer verdrängt wird, verliert ersatzlos einen ganzen Zug. Wer ganz sicher gehen will und alles für den Höchst- und Fixpreis ersteigert, muß hohe Kreditsummen aufnehmen, deren Wirtschaftlichkeit mehr als fraglich ist.
    Gerade in den ersten Runden wird das Einkommen allein von den Zinsen aufgefressen und die Schuldenschere geht ununterbrochen weiter auf. Das gilt besonders dann, wenn in den Weinbergen nicht kooperiert wird – am Westpark wird selten kooperiert – und die Weinpreise ständig im Keller liegen.
    Heute trieben wir alle von Runde zu Runde immer tiefer in den finanziellen Ruin. Selbst nach zehn Runden war noch kein Licht am Ende des Schuldentunnels zu sehen. Es war nur die Frage, wer als erster seine 11 Kredite ausgeschöpft hat und als Bankrotteur das Spiel beendet.
    Die Diskussion um die Sinnhaftigkeit dieses regulären Spielendes flammte erneut auf und fand Befürworter und Gegner. Günther ist ein überzeugter Gegner, könnte aber auf die andere Seite überschwenken, „wenn man damit Sieger werden könnte!“ Ja warum nicht?! Warum sollte nicht derjenige Spieler, der sich mit hohen Summen ausgedehnte Weinberge zusammengekauft hat, mit diesem Besitztum nicht Sieger werden, auch wenn er erst mal vor den Konkursrichter muß?! Um diese Regeländerung zu rechtfertigen, bliebe doch nur zu verifizieren, dass es damit keine Trivial-Strategie zum Sieg gibt!

    Peter hatte sich sehr schnell der Günther-Fraktion derer angeschlossen, die den Versteigerungsmechanismus nicht akzeptieren. „Das Spiel ist broken“ wiederholte er obstinat bei jeder Rückfrage zu den verschiedenen Abläufen auf dem Tableau. Doch trotz aller verbalen Kritik machte ihm sein Agieren in der Weinbranche ganz offensichtlich Spaß. Fast entrüstet wies er selbst nach mehr als zwei Sunden Spielzeit alle Angebote zum Spielabbruch von sich. Er hatte sich inzwischen eine ganz eigene Herausforderung gestellt: Wie in einem „Ökolopoly“ war er vom Ehrgeiz erfüllt, in der Lage am Abgrund noch so zu agieren, dass er wirtschaftlich überlebt. Er überlebte.
    Walter war des stundenlangen aufreibenden Kampfes um die schwarzen Zahlen in der Bilanz müde geworden. Nur eine einzige Runde brauchte er nur zu ernten und nichts zu verkaufen, und er war bankrott. Günther wurde mit minus (!) 13 Punkten Sieger, gefolgt von Loredana mit minus 23 und Peter mit minus 36. Erfahrene Grand-Cruisten können daraus ablesen, dass alle drei bei Spielende noch in der Gegend vom Maximalkredit waren.
    WPG-Wertung: Günther bleibt bei seinen 7 Punkten („schöner Aufbau“), Loredana: 4 („war von den ständigen Zinszahlungen genervt“), Peter: 5 („broken“), Walter bleibt bei seinen 9 Punkten (möchte einmal das Spiel im Plus beenden, ihn reizt die enorme Vielfalt möglicher Gewinnstrategien.)
    Wie könnte man dem Versteigerungsmechanismus seine destruktive Schärfe nehmen?

  • Die Gebote auf dem Versteigerungstableau könnten progressiv (statt linear) steigen
  • Wer verdrängt wird, sollte irgendeine Entschädigung bekommen
  • Die extrem effizienten Sonderaktionen – sehr nützlich für die verschiedenen Winzerstrategien – sollten für Fixpreise verkauft werden
  • 2. “Bluff”
    Mehr als drei Stunden hatten wir fleißig in den Weinbergen gearbeitet. Peter brauchte dringend einen Absacker. Außerdem hat er sich in der Zeit seiner Westpark-Abstinenz zu einem Vor-Vorletzte-U-Bahn-Besteiger entwickelt.
    Loredana, Peter und Walter standen mit je einem Würfel im Endspiel. Peter fing gemäß der bewährten Immer-4-Strategie mit 1 mal die Vier an. Walter hob auf 1 mal die Fünf und Loredana auf 1 mal den Stern. Eine harte Nuß! Peter versuchte sie mit 2 mal die Drei weiter zu geben, Walter knackte sie mit 2 mal Stern.
    Frage: Welche beiden Spieler hatten einen Stern unter dem Becher? Begründung!
    In den weiteren Bluff-Partien erwies sich die Immer-4-Strategie der Immer-5-Strategie eindeutig überlegen! Offensichtlich gibt es noch eine andere Wirklichkeit als die der nackten Wahrscheinlichkeitsrechnung!
    Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

    01.12.2010: Wo liegt Asara?

    Schneechaos in Europa. Am Flughafen in Genf ruht bis morgen früh der Verkehr. Auch der ehemalige US-Präsident Bill Clinton muß sich gedulden. Er war auf dem Weg nach Zürich um für die USA als Austragungsort der Fußballweltmeisterschaft 2018 zu werben.
    Einfacher hatte es da unser Günther. Er mußte nur von der Hoffmannstraße bis zum Westpark; die zwei km lange Strecke konnte er mit nur einer Stunde Verspätung zurücklegen. Unsere Debütantin Bettina kam aus dem Münchener Westen und wurde von ihrem Navi mit 15 Minuten Verspätung herbeigelotst. Nur Aaron klingelte um 19:03 Uhr quasi pünktlich an der Tür.
    1. “Bluff”
    Unser Warten auf Günther begann mit unserem Absacker. Bettina bekam einen Vorgeschmack auf die Spiel-Stimmung am Westpark.
    Bei 15 Würfeln unter den Bechern hatte sich der Pegel bis auf 13 mal die Fünf hochgeschaukelt. Anzweifeln oder erhöhen? Bettina toppte mit 7 mal Stern. Das kostete Aaron und Walter je einen Würfel.
    Noch keine Note von Bettina für unsere WPG-Wertung .
    2. “Verflixxt!”
    Das Warten-auf-Günther-Warming-Up verließ das Absacker-Niveau. In einem „richtigen“ Brettspiel würfelt jeder seine drei Pöppel ins Ziel und versucht dabei:

  • Genau so viele hohe Minus-Plättchen einzuheimsen, wie er im Verlauf des gesamten Spiels Glücksplättchen ergattern wird.
  • Alle weiteren Minus-Plättchen, insbesondere die hohen, zu vermeiden.
  • Alle Plus-Plättchen, insbesondere die hohen, so en passent mitzunehmen.
  • Die gleichgerichteten Ambitionen der Mitspieler zu verhindern, indem man sich auf den guten Plättchen an sie (die Mitspieler) kuschelt, auf den schlechten Plättchen sie aber möglichst alleine läßt.
  • Die Empfindungen beim Kuscheln an oder von Bettina waren also durchaus ambivalent.
    Bettinas 8 Punkte sind im oberen Bereich der WPG-Wertung angesiedelt.
    3. “Asara”
    Günther war eingetroffen und wir konnten uns an die Ernte aus Essen machen.
    „Asara“ ist ein Aufbauspiel, im dem wir mittels Karten und Geld Bauteile für Türme erwerben, diese Türme dann errichten und dafür Siegpunkte einheimsen. Es gibt magere Zwischenwertungen für unseren aktuellen Baubestand und eine fette Endwertung am Ende, wo für die höchsten und die meisten Türme nochmals ein vielfacher Punktssegen auf uns herabrieselt.
    Wie bekommt man die gewünschten Turmteile? Alle Teile – Basisstück, Spitze, große und kleine Mittelteile und Verschönerungsschnörksel liegen in verschiedenen „Märkten“ offen aus und können reihum einzeln gekauft werden. Dazu muß man eine „Einkäuferkarte“ (= Karte in den fünf verschiedenen Farben) im Markt ablegen und die entsprechende Bausumme an die Bank bezahlen. Das Besondere dabei ist, dass der erste Spieler, der auf einem Markt kauft, eine beliebige Einkäuferkarte nutzen darf; jeder weitere Spieler muß dann an diesem Markt mit einem Einkäufer der gleichen Farbe bezahlen. Zu Beginn jeder Runde setzt ein Run auf die verschiedenen Märkte an; jeder will an den begehrtesten Plätzen seine eigene Duftmarken hinterlassen.
    Diese Priorisierung ist im Prinzip die gesamte Interaktion des Spiels. Der Rest ist solitäre Aufbauarbeit und am Schluß erfolgt noch ein Vergleich mit den Bauergebnissen der Konkurrenz. Wolfgang Kramer und Michael Kiesling haben uns mit „Asara“ ein handwerklich absolut solides Produkt abgeliefert, spielerische Geistesblitze haben sie dabei aber nicht einschlagen lassen.
    Autoren und Verlag haben im Regelheft nicht einmal eine Erklärung für die Bedeutung von „Asara“ mitgeliefert. Bei Google gibt es eine halbe Millionen Einträge dazu, von Hotels über Weingüter bis zu Kräuterelixieren. In der Spielregel steht dazu nur „Land der tausend Türme“. Ein Kalif soll darin wohnen; doch die Kaliflisten der verschiedenen Religionsrichtungen geben keinen Hinweis auf „Asara“. So bleibt die Vermutung, dass es sich hierbei um ein Kunstwort handelt, dass erstens gut klingt und zweitens verkaufstechnisch ziemlich günstig im Alphabet liegt.
    WPG-Wertung: Aaron: 6 („nichts Neues; einseitige Interaktion“), Bettina: 6 („vermutlich kein allzu hoher Wiederspielwert“), Günther: 8 („schöne Kombination verschiedener Pläne und ihrer Wertigkeit“), Walter: 7 („ausbalanciert, rechtschaffen“).
    4. “7 Wonders”
    Ordentliches Karten-Ablegespiel. Als leichtes Familienspiel sicherlich ein Favorit für das „Spiel des Jahres 2011“.
    Weitere WPG-Kommentare findet man in verschiedenen unserer Session-Reports vom Oktober und November.
    WPG-Wertung: Bettinas 7 Punkte belegen den unteren Wert der beiden WPG-Wertungs-Alternativen.
    5. “Manipur”
    Kein Kunstwort, sondern eine reale Region in Indien, in der Aaron seinen 18xx-Bastard zur Welt bringen will. Heute durften wir den Embryo nur hinter dicken Glasscheiben anschauen. Er ist noch viel zu empfindlich gegen die bösen Erreger aus der harten Spielerwelt.
    PS: Bettina
    Wer ist Bettina? Debütantin am Westpark! Ansonsten aber mitnichten Debütantin!
    Bettina Koziol studierte klassischen Gesang und befaßt sich mit Komposition und Arrangement zur Pop-Avantgarde.
    Sie ist als Solistin im klassischen Konzertbereich, mit Neuer Musik, Jazz und Avantgarde – Popmusik international tätig. Tourneen führten sie durch Europa, in die USA, nach Argentinien und Indien.
    Wer mehr von ihr wissen will, findet bei Google 3040 Verweise zu ihr. Morgen wahrscheinlich schon 3041!

    24.11.2010: “Poseidon” kommt

    “Spielen ist wie Sex. Manchmal kommt etwas Sinnvolles dabei raus, das ist aber nicht der Grund, warum wir es tun.” (nach R. P. Feynman)
    1. “Poseidon”
    In Essen am Stand von Z-Man-Games war es mir zum ersten Mal aufgefallen. Damals hätte ich nicht gedacht daß der Seefahrer-Kegel unter den Eisenbahn-Kindern am Westpark gut punkten könnte. Doch Günther hat sich als Promoter mächtig ins Zeug gelegt und „Poseidon“ regelmäßig erfolgreich protegiert. Lieber Helmut, wenn Du mit diesem Produkt dereinst Millionär geworden bist, dann laß ihm was zukommen!

    Um dem diesbezüglich unbewanderten Horst einen nachdrücklichen Vorgeschmack von den „18xx“-Familienmitgliedern zu geben, ist „Poseidon“ sicherlich besser geeignet als das gleich noch eine ganze Dimension komplexere Original-„1830“. Dort müßte er während des ganzen ersten Spiels praktisch Schritt für Schritt an der Hand geführt werden, um nicht von einer ruinösen Falle in die andere zu tappen; hier kann er schon nach wenigen Zügen selbständig laufen. Auch wenn der Pfad bis zum eigenen Sieg dann immer noch steil und steinig ist.
    Wir stehen mit „Poseidon“ natürlich noch alle am Anfang unserer Erfahrung und selbst Günther, einer der besten „1830“-Spieler der Welt, hat hier noch keinen gesicherten Maßstab für die Wertigkeit der tausendfältigen Wahlmöglichkeiten untereinander:

  • Mit welchem Reich fange ich an?
  • Zu welchen Kurs setze ich mein Startreich ein?
  • Wieviele Ämter bringe ich auf den Markt?
  • Wieviele Ämter davon nehme ich selbst in meine Königshand?
  • Wieviele Schiffe kaufe ich? Zu Beginn und in den ersten Runden?
  • Welche Strecke wähle ich für die Erkundigungen?
  • Wo gründe ich Handelsniederlassungen?
  • Wann lasse ich die Amtsinhaber leer ausgehen?
  • Wann forciere ich über neue Reiche und neue Schiffskäufe das Tempo? In welchen Situationen bei welchem Besitzstand ist es besser zu bremsen?
  • Walter fing mit Sparta und entwickelte sich an der adriatischen Küste entlang in Richtung Triest. Horst führte die Athener Flotte auf mittlerem Kurs ins südliche Kleinasien und Günther klapperte mit Larissa die Nordküste der Ägais mit Zielrichtung Troja ab. Er gründete als erster ein zweites Reich, das den Druck auf die technisch schwachbrüstigen und finanziell ausgebluteten Frühstarter-Imperien erhöhte. Doch die Motive seiner Reichsgründung gingen in eine ganz andere Richtung: Er ließ die neue Finanzmasse durch gekonnte Schiffsmauscheleien in sein altes Reich transferieren, so daß seine dortigen vielen Startämter von den ununterbrochen sprudelnden kräftigen Einnahmen stets hoch dotiert waren. In dieser Phase gerieten seine eindimensional ausgestatteten Konkurrenten mit ihren linearen Überlebensstrategien hoffnungslos ins Hintertreffen. Auch die rasante Aufholjagd in der letzten Runde, in der alle 6er, alle 7er und noch dazu einige E-Schiffe gekauft wurden, konnten seinen Vorsprung nicht mehr schmälern.
    Neue Erkenntnis: Ein neues wenig-ämteriges Feeding-Reich zum Hochpäppeln eines existierenden viel-ämterigen Anfangsreiches eröffnet ganz neue finanzelle Perspektiven.
    Alte Erkenntnis: „Poseidon“ ist stärker Kapitalmarkt orientiert als seine rechtgläubigen Halbgeschwister.
    WPG-Wertung: Horst siedelte sich mit 8 Punkten im oberen Bereich der WPG-Wertungen an, Walter erhöhte seine Note von 7 auf 8.
    Horst schlug vor, das Spiel mit echtem Geld zu spielen. Dann wandern Beträge in der Größenordnung von etwa 2000 Euro pro Abend von einer Hand in die andere.
    Günther brachte einen neuen Vorschlag zur Vermeidung strapazierend langer Denkzeiten: Jeder Spieler bekommt für seinen Zug ein enges Zeitlimit gesetzt. Jede Zeitüberschreitung zieht unverzüglich eine (Spiel-)Geldstrafe nach sich. (PS: Hätten wir heute schon diesen Vorschlag umgesetzt, wäre Günther nicht Erster geworden. Eher Letzter! Doch in unserer 3er Runde haben seine Analysis Paralysis-Phasen nicht weh getan. Keiner wurde auch nur annährernd aggressiv.)
    2. “Flaschenteufel”
    Nach guten drei Stunden (netto) mit Poseidon reichte die Zeit für den jungen Kindsvater Horst nur noch zu einem Absacker. Weil die mentalen Batterien noch nicht leer waren, konnte sich der anspruchvollere „Flaschenteufel“ durchsetzen.
    Allerdings kann das Spiel in einer Dreier-Runde seine spieltaktischen Schönheiten längst nicht so voll entfalten wie in einer Vierer-Runde. Sehr viel krasser wirkt sich die Abhängigkeit von den weitergeschobenen tödlich-niedrigen Karten aus. Falls bei der ursprünglichen Kartenausgabe die gelben Eins und Zwei an zwei verschiedene Spieler ausgeteilt werden (die Wahrscheinlichkeit dafür ist mehr als 68 Prozent!), landen beide Karten nach dem Kartenschieben zu 50% bei einem einzigen Spieler. Und beide Mitspieler wissen um mindestens eine Karte davon! Damit ist der Teufelsstich praktisch schon nicht mehr zu vermeiden. Trotzdem ein großes kleines Spiel!
    WPG-Wertung: Horst übernahm mit der Vergabe von 9 Punkten die WPG-Spitzenposition.
    Auf Nachfrage meinte Horst, dass Birgit für „Flaschenteufel 7-8 Punkte vergeben würde. Er scheint die Mutter seines Kindes tatsächlich sehr gut zu kennen. Vor gut drei Jahren hat Birgit dafür bereits realiter 8 Punkte vergeben.
    3. “Hasami”
    Als hinterbliebenes Duo zogen sich Günther und Walter mal wieder eines der kleinen, abstrakten 2-Personen-Spiele der Wünnenberg-Spiele GmbH rein. In „Hasami“ stellt jeder Spieler auf einem Reversi-ähnlichen Spielbrett von 10 mal 10 Löchern auf die zwei Randreihen seiner Seite je 20 Spielsteine auf. Dann ziehen ziehen sie abwechselnd mit je einem Spielstein horizontal oder vertikal über beliebig viele freie Felder. Ein gegnerischer Stein darf geschlagen werden, wenn man ihn von beiden Seiten waagrecht oder senkrecht umschlossen hat. Gewonnen hat, wer als erster mit seinen Spielsteinen eine Fünfereihe (horizontal, vertikal oder diagnonal) bilden konnte.
    In zwei Durchgängen konnten wir verifizieren, dass das Spiel rund und herausfordernd ist und nicht-triviale Lösungen besitzt.
    Keine WPG-Wertung für ein 2-Personen-Spiel.

    17.11.2010: Weine, Wunder und Barone

    Seit etwa zehn Jahren sind wir ein kleiner fester Kreis von 8 Stammspielern, die sich einmal pro Woche zu einer Runde zusammensetzen . Ab und zu erreichen uns Anfragen von Interessenten, die gerne bei uns mitspielen möchten. Natürlich sind wir offen für andere Spieler, doch da die verfügbaren Plätze in der Regel besetzt sind, können wir diese Interessenten nur auf eine Warteliste setzen und sie auf zukünftige Gelegenheiten mit dünnerer Besetzung vertrösten.
    Jetzt ist Hans leider erkrankt, Peter und Loredana gehen in Arbeit unter, Moritz ist zur Boardgamegeek-Con nach Dallas geflogen und Andrea traut sich ohne ihren Mann schon gar nicht in die Spielhölle am Westpark. So wurden unsere treuen Alliierten Birgit und Horst aktiviert, die vor gut einem Jahr das letzte Mal dabei waren. Inzwischen haben sie einen Sohn bekommen (herzlichen Glückwunsch!), von dem damals noch kein Milligramm zu sehen war. Jetzt ist er zwei Monate alt und schläft seit zwei Tagen neun Stunden pro Nacht durch (auch dazu nochmals einen herzlichen Glückwunsch!). Doch trotz dieses göttlichen Schlafes blieb Birgit sicherheitshalber zu Hause, und Horst durfte sich alleine auf den Weg zum Westpark machen.
    1.”Grand Cru”
    Die Augen eines Weinliebhabers müssen strahlen, wenn sie diesen Namen lesen. Zwischen Fixin und Beaune im Burgund verläuft die „Rue de la Grand Cru“, wo die edelsten Weine der Welt wachsen, und wer einmal einen edlen Romanee getrunken hat, weiß, daß dieser Ruf nicht nur auf dem Papier steht.
    Im Spiel „Grand Cru“ sind wir Weinbauern, kultivieren verschiedene Rebsorten, lagern sie in Fässer ein, lassen sie reifen, verkaufen sie auf dem lokalen Weinfest und finanzieren mit dem Erlös unsere Vergangenheit und Zukunft.
    Unsere Anbauflächen müssen wir uns nach einem sehr raffinierten Bietmechanismus ersteigern. Wer am Zug ist, kann

  • eine Fläche mit einer festen Rebsorte aus der Auslage nehmen, sie auf einen freien Versteigerungsplatz legen und einen frei wählbaren Preis dafür bieten
  • den Preis eines von einem Mitspieler belegten Versteigerungsplatzes überbieten
  • eine Anbaufläche zu einem Festpreis kaufen
  • die dort liegende Anbaufläche zum gebotenen Preis kaufen, falls er auf einem Versteigerungsplatz der Höchstbieter ist.
  • Auf den erworbenen Anbauflächen wachsen von Jahr (Runde) zu Jahr neue Trauben (farbige Holzklötzchen). Wir sollten sie ernten, bevor sie verfaulen und unwiederbringlich verloren sind. Dazu müssen wir einen Zug investieren, um die Trauben einer Fläche in ein Faß in unserem Keller zu bringen. Geld für die Erntehelfer kostet das natürlich auch.
    Neue Trauben kommen in das Faß des ersten Jahres. Jedes Jahr wird der Wein reifer und wird entsprechend in den Fässern verschoben, bis er die endgültige Reife erreicht hat und verkauft werden kann. Jede Rebsorte hat eine andere Reifedauer. Der grüne Gamay ist bereits im ersten Jahr fertig, der gelbe Syrah braucht zwei Jahre, der rote Merlot drei, der lila Cabernet Sauvignon vier und der blaue Pinot Noir fünf. Erst ein reifer Wein kann verkauft werden. Wer sich z.B. für den Pinot Noir entscheidet, muß fünf lange und entbehrungsreiche Inversitionsjahre abwarten, bis er den Wein verkaufen kann.
    In der Zwischenzeit werden ihm von der Bank regelmäßig Zinsen abgeknöpft. Wir haben nämlich kein Startkapital, mit dem wir unsere Viticulture finanzieren können, sondern wir müssen uns bereits den ersten Franc von der Bank leihen. Und bevor unsere Weinwirtschaft in Schwung kommt, haben wir bereits eine ganze Handvoll Schuldscheine auf dem Buckel, die einen erheblichen Teil unserer Erträge regelmäßig auffressen. Damit ist ein weiteres sehr hübsches Spielelement verbunden: Wir können versuchen, sparsam zu wirtschaften, möglichst billig zu ersteigern, uns nur wenige Anbauflächen zuzulegen und möglichst schnell die Kredite wieder loszuwerden. Wir können aber auch klotzen, d.h. auf Teufel komm raus die besten Flächen (was immer das ist) zum Höchstpreisis einkaufen und mit viel Schulden auch früher oder später viel Geld machen. Wer zuerst seinen Kredit zurückgezahlt hat, beendet das Spiel. Auf lange Sicht hat der protzige Weinbauer naturlich Vorteile, doch ein sparsamer Wirtschaftler kann das Spiel beenden, bevor die Geldquellen der Konkurrenz erst angefangen haben richtig zu sprudeln.
    Ich will von den vielen weiteren hübschen Spielelementen jetzt nur ein paar andeuten. Auf dem Weinfest werden Sonderprämien für die meisten verkauften Weine jeder Rebsorte vergeben. Mit den Prämien kann man Sonderaktionen wie Spätlese, Nachlieferung, Traubensaft und Primeur durchführen. Beim Versteigern kann man sich nicht nur Anbauflächen, sondern auch Sonderplättchen für höhere Ernteerträge, Abernten größerer Ernteflächen, Großabnehmer, Veredelung oder Werbung aussuchen.
    Gelungen ist in „Grand Cru“ auch die Regel für die Anzahl der Züge, die pro Runde gespielt werden. Jeder Spieler darf pro Runde mindestens vier Aktionen durchführen. Eine Runde dauert aber anschließend so lange, bis der erste Spiele alle seine Anbauflächen abgeerntet hat. Das kann sehr viel mehr Züge zur Folge haben, vielleicht aber keine einzige mehr! Ein Weingroßbauer, der sich zu viele Flächen ersteigert hat, kommt gar nicht dazu, sie alle zu nutzen, weil der kleine Bauer mit seinen wenigen Anbauflächen eine Runde im Nu beenden kann.
    So muß man in „Grand Cru“ die Aktionen der Mitspieler ständig im Auge behalten. Alle Züge verlaufen in höchster Abhängigkeit zueinander, und Alleingänge, auf welchem Gebiet auch immer, führen auf keinen Fall zum Sieg.
    Beim meinem ersten Probespiel in Essen hatte ich alles auf den blauen Pinot Noir gesetzt, zwei oder drei Mitspieler hatten sich dagegen gemeinsam auf den gelben Syrah verlegt und gemeinsam die Preise hochgetrieben. Ich hatte noch keine einzige Flasche Wein verkauft, da war das Spiel schon zu Ende.
    Heute hatte ich versucht, mit dem gelben Syrah einen kleinen Ertragszirkel aufzubauen. Wenig Geld für eine Monokultur aus drei Anbauflächen ausgeben, den Wein ein Jahr reifen lassen, mit etwas Werbung die Preise nach oben treiben und dann verkaufen. Doch immer gab es einen Mitspieler, der mit dem Verkauf von Miniquoten Syrah die Preise drückte und meine Monokultur zum Scheitern brachte.
    Für das nächsten Mal muß ich mir einen neuen Plan ausdenken. Die Tatsache solcher Vorsätze deutet immer auf ein großes Spiel hin!
    Ein überraschendes Spielende bescherte uns heute unser Aaron. Er war mit hohen Startkrediten ins Rennen gegangen, war gleich in der ersten Runde ein paar mal von seinen Mitspielern aus dem Versteigerungsprozeß ausgebootet worden und hatte sich sehr hohe Grundkosten eingehandelt, von denen er nur schwer herunterkommen konnte. In dieser recht aussichtslosten Lage wollte er gerne das Spiel beenden. Das geht den Regeln gemäß, wenn man die maximale Anzahl Kredite in Anspruch genommen hat und weitere Kosten anfallen. Eine solche Wirtschaftspolitik konnte man innerhalb einer einzigen weiteren Runde praktizieren. Aaron ließ sich zwei Runden Zeit, weil er den Druck genoß, unter den er alle siegeswilligen Mitspieler gesetzt hatte.
    Hinterher kritisierte er dieses Element („absolut schlecht“). Ich fand es hingegen absolut gut! Wie viele Spiele, die einerseits saufad waren oder in denen die Einlaufreihenfolge schon Jahrhunderte vorher feststand, hätte ich gerne umgehend beenden wollen, aber keinen zulässigen Zug gefunden, der das ermöglicht. Mit der hier gebotenen Technik gibt es keine gelangweilten, miesepetrigen Spielverderber mehr, sondern nur noch aktive Spielebeender. Ist das keine tolle Verbesserung?
    Günther war von „Grand Cru“ auch schon seit Essen positiv angetan, er hatte nur Bedenken, daß der Verdrängungsmechanismus beim Bieten sehr krasse Auswirkungen haben könne und das Spiel so außer Balance geraten könnte. Aarons Schicksal war eine Bestätigung dieser Ansicht, doch das ist keinesfalls signifikant gesichert. Es war unbestritten, daß Aaron mit allen seinen verdrängen Geboten ein Risiko eingegangen war. Außerdem kann man durch das Bezahlen des Höchstpreises auf jeden Fall eine Anbaufläche ersteigen und spart sich dabei auch noch einen Zug. Dieser Preis lohnt sich, zumindest in den ersten Runden!
    Hallo Freunde, hier muß ich noch einen Regelverstoß beichten, den wir heute begangen haben: es gibt insgesamt nur soviel freie Versteigerungsplätze, wie Mitspieler. Dadurch, dass wir zu viert mit allen fünf Plätzen gespielt haben, war der Versteigerungsprozess erheblich verfälscht. Die Analyse der Balance muss von ganz anderen Voraussetzungen ausgehen!
    Eine weitere, auch anderweitig stattfindende offene Diskussion geht um die Frage, ob ein paar wenige Sonderplättchen (z.B. doppelte Ernte) spielentscheidend sind und somit auch die Balance gefährden. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Preise, Gesamtangebot an Auswahlplättchen, Pläne der Mitspieler, Kooperationen und Konkurrenzen spielen hier mit hinein. Die vielen tausend (!) verschiedenen Wege in „Grand Cru“ sind noch lange nicht ausgeleuchtet. Packen wir es an, spielerisch!

    WPG-Wertung: Aaron: 7 (problematisch), Günther: 7 (Einschränkung wegen des Verdrängungsproblems), Horst: 7 (gut, es sind aber nur bekannte Mechanismen kombiniert), Walter: 9 (ursprünglich 10, doch die Balance muß sich noch bewähren)

    Horst behauptet, Birgit hätte für „Grand Cru“ nur 3 Punkte vergeben. Oh Birgit, mir blutet das Herz!
    2. “7 Wonders”
    Einfache Regeln, klare Aufgaben. Schon vor drei Wochen bei Moritz gespielt
    Im Ärger der eingeschränkten Notengebung seiner Mitspieler für das Superspiel „Grand Cru“ meckerte Walter am Kartenglück in „7 Wonders“ herum: „Man wird gespielt“. Ob man Militär zur Verfügung hat, ob die Nachbarn aufrüsten, welche Resourcen oder Bonuskarten man erhält, hängt trotz des reihum Weitergebens aller Karten vom Verteilungsglück ab.
    Günther fand es toll, daß das Spiel wegen der geringen Zugauswahl- (Kartenauswahl)-Alternativen schnell wird. Für Walter hingegen ist geringe Handlungsfreiheit noch niemals ein Qualitätsmerkmal gewesen.
    Ein Spiel für Lieschen Müller! Oder für Birgit? Oh Birgit, melde Dich doch!

    WPG-Wertung: Horst blieb mit seinen 8 Punkten („ganz nett, ein Einsteiger- oder Absackerspiel“) im gehobenen WPG-Bereich.

    3. “Bluff”
    Vorgezogen als Absacker für Horst, der vor Mitternacht noch zu Frau und Kind nach Hause wollte.
    Drei Sterne lagen offen aus, Walter hatte mit 4 mal Stern angefangen, Horst auf 5 mal Stern erhöht und Aaron mit 6 mal Stern Günther vor eine hohe Hürde gestellt. Günther hatte selber noch einen Stern unter dem Becher, beim Auf-7-mal-Stern-Setzen-und-Nachwürfeln hätten aus 14 Würfeln 3 Sterne sein müssen. Da war gegen die Wahrscheinlichkeit. Er zweifelte an.
    Doch es langen noch weitere 5 Sterne unter den Bechern. Drei 3 Sterne mehr als geglaubt unter den Bechern ist am Westpark neuer Rekord.
    Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
    4. “Railroad Barons”
    Helmut Ohley leibt und lebt für die Spiele der „18xx“-Familie. Neben „Poseidon“ hat er in Essen auch ein 2-Personen Kartenspiel zu diesem Thema herausgebracht. Es gibt keinen Spielplan, keine Landkarte, keine Schienen und keine Bahnhöfe. Aber es gibt Gesellschaften, Aktien und Züge, die mit wachsender Technik veraltern und außer Betrieb genommen werden. Jeder Spieler hat Privatvermögen und Gesellschaftsvermögen, jeder kann Linienpolitik, Kurspolitik und Lokpolitik treiben. Vielseitig im Finanzgebaren, spannend für Wirtschaftshaie, trocken für Ingenieure.
    Zum Kennenlernen der Mechanismen von „1830“ in jedem Fall geeignet.
    Zum ersten Mal, daß ein Spiel der „18xx“-Familie um Mitternacht noch angefangen und lange vor Morgengrauen auch noch beendet wurde. So wie dieser Session-Report.
    Keine WPG-Wertung für ein 2-Personen-Spiel.

    10.11.2010: Gleisbau in der Ägäis

    Sollen und Wollen
    Das Sollen wird dem Menschen auferlegt, das Muß ist eine harte Nuß; das Wollen legt der Mensch sich selbst auf, des Menschen Wille ist sein Himmelreich. … Betrachte man als eine Art Dichtung die Kartenspiele; auch diese bestehen aus jenen beiden Elementen. Die Form des Spiels, verbunden mit dem Zufall, vertritt hier die Stelle des Sollens; das Wollen, verbunden mit der Fähigkeit des Spielers, wirkt ihm entgegen. In diesem Sinn möchte ich das Whistspiel antik nennen. Die Art dieses Spiels beschränkt den Zufall, ja das Wollen selbst. Ich muß bei gegebenen Mit- und Gegenspielern mit den Karten, die mir in die Hand kommen, eine lange Reihe von Zufällen lenken, ohne ihnen ausweichen zu können; beim L’hombre und ähnlichen Spielen findet das Gegenteil statt. Hier sind meinem Wollen und Wagen gar viele Türen gelassen; ich kann die Karten, die mir zufallen, verleugnen, in verschiedenem Sinne gelten lassen, halb oder ganz verwerfen, vom Glück Hilfe rufen, ja durch ein umgekehrtes Verfahren aus den schlechtesten Blättern den größten Vorteil ziehen, und so gleichen diese Art Spiele vollkommen der modernen Denk- und Dichtart.
    Diese Passage aus einem Aufsatz von Goethe kann auf die kurze Formel gebracht werden:
    Bridge ist Sollen, Skat ist Wollen!
    Hat der alte Frauenversteher hier auch die Kartenspiele richtig verstanden?

    1. “Poseidon”
    Wenn es im alten Griechenland vor 2500 Jahren bereits (schwimmende) Eisenbahnen gegeben hätte, dann wäre „Poseidon“ ein Eisenbahn- und Aktienspiel aus der Familie der „18xx“-Spiele. Helmut Ohley und seine Kumpels haben in dieser Familie schon mehrere Kinder gezeugt und ausgetragen, und haben auch in „Poseidon“ dieses ihr geschätztes Erbgut einfließen lassen. Um aber den technischen Anachronismus zu vermeiden, haben sie das Eisenbahnmilieu auf die Seefahrt übertragen. Wohl gelungen.
    Anstatt Eisenbahngesellschaften zu gründen und Verkehrswege auf dem festen Lande zu erschließen, gründen wir griechische Stadtstaaten und befahren mit Schiffen das östliche Mittelmeer. Schienenwege brauchen wir dazu naturgemäß nicht, stattdessen besitzt jeder ein Erkundungsschiff, mit dem die Seewege eröffnet werden. Wir sind keine Präsidenten von Wirtschaftsunternehmen, sondern Könige von antiken Reichen. Wir handeln nicht mit Aktien, sondern mit Ämtern, wir kaufen keine Lokomotiven sondern Schiffe, unsere Aktien steigen nicht im Kurs, sondern unser Volk in seinem Ansehen.
    „Poseidon“ ist gegenüber den richtigen „18xx“-Kindern leicht vereinfacht. Die verschiedenen Schiffe eines Reiches müssen keine disjunkten Strecken befahren, sondern ihre Reichweite wir schlichtweg addiert und bestimmt die Länge der Gesamtstrecke, die ein Reich befahren kann. Das erleichtert die Routenplanung und die Ermittlung des Rundeneinkommens.
    Das Königstum (die Präsidentschaft) kann niemandem angedreht werden. Wenn ein Spieler in einem fremden Reich die Ämtermehrheit erworben hat, kann er freiwillig entscheiden, ob er sich zum König macht oder lieber den alten Regenten in einer Minderheitsregierung beläßt. Der alte König muß mindestens drei Ämter (Aktien) behalten, hat also ein gewisses Interesse am Blühen seines Reiches, und trägt auch alle pekuniären Risiken, falls das Reich in finanzielle Strudel geraten sollte.
    Die wirtschaftlichen Härten beim Verfall der frühen, billigen Schiffe (Loks) wurden gemildert: ein Reich kann in jeder neuen Spielphase (Verkauf des ersten 4-er Schiffs, Verkauf des ersten 6er-Schiffs) neue Ämter (Aktien) vergeben, und sich damit neue liquide Mittel besorgen. Dabei ist die Anzahl der Ämter nicht fest vorgeschrieben, sondern der Präsident kann in gewissen Grenzen wählen, wielviele er beim Start bzw. bei der Erweiterung seines Reiches vergibt.
    Sehr geschickt ist dabei eine neue Optimierungsaufgabe gestellt: Die Anzahl der Ämter und die Anzahl der Handelsstationen ist für jedes Reich konstant. Wer sich über eine Inflation von Ämtern zu viele Mittel besorgt, hat am Ende nicht mehr genügend freie Stationen, um sein Handelsnetz auszudehen und seine Einnahmen zu maximieren. Wer zu früh seine Ämter auf den Markt bringt, erzielt nur geringe Preise, analog dem aktuellen Volksansehen (Aktienkurs), die späteren Ämter eines florierenden Volkes erbringen natürlich erheblich mehr.
    Die Beteiligung bzw. der Verkauf von fremden Ämtern hat keinerlei Einfluß auf den Kurswert; damit entfällt das hübsche bzw. miesnickelige Kaufen und Verkaufen fremder Anteile, das bei den üblichen 18xx-Spielen einen großen Teil der Bankrundenaktivitäten in Anspruch nimmt. Das bringt eine gewisse Beschleunigung im Spielablauf, geht aber auf Kosten von Spannung und Überraschung.
    In unserem Spiel fand kein einziger Königswechsel statt; Aktien wurden nur marginal verkauft, und nicht aus gehobenen spieltaktischen Gründen, sondern lediglich, um einer potentiellen Entmachtung als König vorzubauen. Jeder hatte reichlich damit zu tun, seinen eigenen Spielaufbau zu planen und seine Freiheiten zur Optimierung zu nutzen; keinem kam der Gedanke, einem Mitspielern in den Karren zu fahren. Vielleicht kann man das auch gar nicht.
    Walter setzte zu Spielbeginn sein neu gegründetes Reich auf den teuersten Kurswert und war damit immer erster Spieler in den „Operation Rounds“. Sofern verfügbar erwarb er auch ausschließlich Ämter seines eigenen Reiches. Günther meinte dazu bewundernd: „Er investiert in Qualität“, Aaron meinte weniger bewundernd: „Er macht in Selbstbefriedigung!“. Zum Glück hat er damit nicht gewonnen, sonst wäre die Siegstrategie ganz zu einfach: Setze Dein Reich am höchsten ein und fahre es solide bis zum Ende. So aber muß man auch die nicht ganz so leichte Optimierungsaufgabe lösen: Setze Dein Reich zu einem solchen Preis ein, dass es alle notwendigen Kosten bestreiten kann und dass dabei zugleich die Rendite, d.h. die Rundeneinnahmen plus Kursgewinn im Verhältnis zum Einstandspreis, optimal ist. Aaron war es, der hier intuitiv die beste Linie gefahren war.
    WPG-Wertung: Aaron:8 (Einschränkung, weil „die Aktienmanipulationen fehlen“), Günther: 8 (Honorierung, „dass man an einem Spielabend hinterher noch Zeit für ein anderes kleines Spielchen hat“), Moritz: 7 (Einschränkung: „es fehlen Seeschlachten und Eroberungsfeldzüge“), Walter: 7 (vermißt die peppigen Elemente wie feindliche Übernahmen, betrügerischen Bankrott und Aussperrung von lukrativen Zielen. Seine Ingenieursseele vermißt den konstruktiven Gleisbau).

    2. “Alex & Co”
    Die Europäische Spielesammler Gilde (ESG) und die Spiele-Autoren-Zunft (SAZ) präsentierten in Essen 2010 dieses kleine Kartenspiel mit limitierter Auflage.
    Im Prinzip handelt es sich um eine Kombination aus Quartett- und Memory. Wir können von unseren Mitspielern Karten abfragen und sie im Erfolgsfall von ihnen ersatzlos übernehmen, oder wir können mit unseren Mitspielern reell Karten tauschen im Verhältnis 1:1, oder wir können aus der Auflage von verdeckten Karten auf dem Tisch vier Stück umdrehen, und falls ein Pärchen dabei ist, dürfen wir es behalten. Hier schlägt dann der Memory-Charakter durch.
    Die Motive der Karten sind Spiele und Spielautoren der Welt; insofern besitzt das Spiel einen spielhistorischen Wert. Doch die Regeln weisen für einen Gerechtigkeitsfan einige Ungereimtheiten auf. Beim Tauschen wird die normale Spielreihenfolge verändert. Wer Pech hat, um den wird ständig herumgetauscht und er kann warten, bis er schwarz wird.
    Wer sich mit einem funktionierenden Gedächtnis aus der Auflage gerade verdientermaßen oder per Zufall ein Pärchen zusammengesucht hat, verliert es anschließend – mit hoher Wahrscheinlichkeit – ersatzlos an einen seiner Mitspieler, der sich per „Abfrage“ an ihn wendet.
    So ging es Walter, dessen Gedächtnis ohnehin dem Memory-Alter entwachsen ist. Aaron erlöste ihn und stieg aus. Mit größter Freude zog Walter mit. Günther war leidenschaftslos, nur Moritz hätte seinen schon in wenigen Runden gewaltig ausgebauten Quartett-Vorsprung gerne ins Ziel gebracht.
    WPG-Wertung: Aaron: 2, Günther (enthält sich als ESG-Mitglied der Stimme), Moritz: 3 („das Spiel ist nicht broken“), Walter: 2 (einseitige subjektive Ablehnung).

    3. “Sieben unter Verdacht”
    Wiederholung von letzter Woche, damit Moritz schneller in sein gerade erworbenes Exemplar reinkommt.
    Mastermind mit Personen. Kein neuer Kommentar.
    Die bisherige kritische WPG-Wertung übertraf Moritz mit seinen 6 Punkten fast um das Doppelte .

    4. “Bluff”
    Vorzeitiges Anzweifeln brachte überraschend viele und hohe Verluste.
    Später konnte Aaron mit einem Superbluff Günther gleich um vier Würfel kürzen und das Bluff-Lebenslicht ausblasen. Etwas länger dauerte das Endspiel gegen Walter, das schließlich in einem Kantersieg 5:0 endete.
    Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

    04.11.2010: “Navegador”, “Kaigan” und Schwindeln

    Das bescheuerte Kartendeck „Startspieler“, mit dem angeblich jeglicher „Streit darum, wer anfängt“ vom Tisch sein soll, liegt immer noch auf unserem Fensterbrett. Moritz zieht es zu Beginn unserer Spieleabende regelmäßig zu Rate, wenn er seinen Stammplatz am Fenster eingenommen hat. Sehr zum Leidwesen von Walter, der dieses Produkt zutiefst haßt, wie alles, was in Politik, Wirtschaft und Spiel großmäulig Versprechen abgibt, von denen selbst die Verkünder wissen, daß sie nicht gehalten werden.
    Heute soll Startspieler werden, „wer das lockigste Haar hat“. Wir sind zwar keine Kojak-Runde, doch die konkurrenzfähigen Schnittlauchlocken sind alle kein akzeptables Entscheidungskriterium. Die nächste Karte bestimmt den zum Startspieler, „der als letztes eine Karte gezeichnet hat“. Diesmal fühlt sich Walter berufen, auch wenn es nur eine Himmelskarte ist, mit der er demnächst seinen Großneffen das Sternbild Stier am Firmament, samt oder sonders aufsitzender Europa, verklickern will.
    Sicherheitshalber zieht Moritz noch eine Karte. „Wer am ältesten ist“ führt dann zu einer eindeutigen Entscheidung. Der Stier wird bestätigt. Doch das Kartendeck wird wohl keine Woche mehr auf dem Fensterbrett am Westpark überleben.

    1. “Navegador”
    Wir sind Seefahrer im entstehenden portugiesischen Weltreich und müssen unsere Schiffe in Richtung beider Indien aussenden, Länder entdecken, Kolonien gründen, Märkte erschließen, Fabriken errichten, Produkte verkaufen und so eine Handelsdynastie begründen, die am Ende hoffentlich umfassender ist als die unserer Mitspieler.
    Das Herzstück des Spiels ist ein Aktionsrondell (wie man es schon von einigen anderen Spielen, z.B. von „Hamburgum“, her kennt, auf dem wir mit unserem Aktionsstein mit einer variablen aber begrenzten Schrittweite im Kreise herumwandern und damit auswählen, ob wir

  • Arbeiter anwerben
  • Schiffe bauen
  • Schiffe bewegen
  • Kolonien errichten
  • Fabriken bauen
  • Handel treiben
  • Privilegien erwerben
  • Alles kostet oder bringt Geld. Alles ist gut, alles bringt Siegpunkte. Manches verändert die Preise für zukünftige Aktionen, das ist dann eine Investition in die Zukunft. Wer sich z.B. Fabriken zugelegt hat – ausreichend viele für die Warenproduktion aus seinen Kolonien -, kann veredelte Produkt zu angenehm hohen Preisen verkaufen. Wer keine Fabriken hat, muß seine Rohstoffe zu – früher oder später – traurigen Kellerpreisen verkaufen.
    Sehr viele Wege führen nach Rom, d h. zu einem Besitztum, das sich am Ende in den meisten Siegpunkten ausdrückt. Man kann auf Entdeckungen ausgehen, und sie sich – über geeignete Privilegien – am Ende mit dem Faktor 7 vergüten lassen. Man kann Kolonien gründen (davon gibt es sehr viel mehr als von Entdeckungen) und sie sich am Ende mit einem Faktor bis zu 4 vergüten lassen. Erbaute Kirchen (sie erleichtern das Anwerben von Arbeitern) und Werften (wofür sind wohl?) können es sogar auf einen Faktor bis zu 9 bringen. Deutliche Schwerpunkte in seiner Entwicklung zu setzen, ist für eine erfolgreiche Schlußabrechnung unbedingt notwendig.
    Geld bewegt die Welt. Damit kann man seinen Aktionsspielraum auch über die vorhandene Infrastruktur hinaus erweitern, z.B. pro Zug mehr Arbeiter anwerben, mehr Schiffe kaufen, mehr Märkte erschließen und größere Schritte auf dem Aktionsrondell zurücklegen, um schneller wieder die Felder zu betreten, auf denen die Musik spielt. Diese Möglichkeit sollte man konsequent nutzen und seinen erwirtschafteten Gewinn nicht nur in die kostengünstigen Kanäle fließen lassen.
    Jeder hat einen Plan und fiebert darauf, wieder am Zug zu sein, um ihn umzusetzen. Ein klares Zeichen für ein gefälliges Spiel. Hoffentlich verfolgt man seinen Plan auch dann, wenn man gerade nicht am Zug ist. Sonst dauert das Spiel geschlagene zwei Stunden. Wie heute bei uns.
    WPG-Wertung: Aaron: 6 („gutes Durchschnittsspiel“), Günther: 7 („könnte bei häufiger Wiederholung seinen Reiz verlieren“), Moritz: 7 (ungern vergeben, aber „das Spiel funktioniert“ halt; vermißt etwas Spannung), Walter: 7 („großer Freiheitsgrad“).

    2. “Kaigan”
    Vor zweihundert Jahren begann ein tüchtiger japanischer Ingenieur damit, die erste maßstabsgerechte Landkarte der japanischen Küste zu erstellen. Nach 21 Jahre wurde sein Werk fertiggestellt, bei einem Maßstab von 1:3600 immerhin 300 mühevolle Meter lang.

    Diese Ingenieursleistung wurde „Kaigan“ zugrunde gelegt, d.h. wir sind Kartografenteams und schicken unsere Kartografen zu den verschiedenen Landesteilen, um Stück für Stück zu dieser Gesamtkarte beizutragen. Das Thema schlägt allerdings nicht durch. Eher haben wir es mit einem abstrakten Optimierungsspiel zu tun, in dem wir unsere Aktionen so wählen, daß wir auf den verschiedenen möglichen Entwicklungslinien gut punkten. Wir können

  • Kartografen (Pöppel) in die Landschaft setzen
  • Die plazierten Pöppel arbeiten lassen
  • Unsere Technik verbesseren
  • Unsere Beziehungen ausbauen
  • Unsere Mobilität erhöhen
  • Einkommen einstreichen
  • Technik, Beziehungen und Mobilität sind verschiedene abstrakte (verzeiht die Wiederholung dieses Begriffs, es ist nicht böse gemeint) Entwicklungslinien, auf denen unsere aktuelle Position in Einkommen und Siegpunkte umgesetzt wird.
    Eine absolut neue und sehr hübsche Erfindung in „Kaigan“ ist die Art, wie wir unsere gewünschten Aktionen mit Hilfe von Aktionskarten auswählen. Jeder hat den gleichen Satz von Aktionskarten mit den oben angedeuteten Aktionsmöglichkeiten und legt reihum jeweils eine Karte auf ein freies Feld in einem karierten Teil des Spielbretts, bestehend aus 4 Zeilen zu 5 Spalten. Im Laufe dieses Setzen liegen demnach in jeder Zeile (und Spalte) Aktionskarten verschiedener Spieler. Sobald ein Spieler meint, in einer Zeile liegen genügend für ihn günstige Aktionskarten, so steigt er aus dem Setz-Prozeß aus und wählt für sich diese Zeile. Alle Aktionskarten dieser Zeile bestimmen dann die Aktionen, die er im folgenden ausführt. Sind in der Zeile noch leere Spalten, darf er dafür nur entsprechend weniger Aktionen ausführen.
    Es klingt ein bißchen kompliziert und wir wollten sogar eine Probe-Setzrunde durchführen, um dieses Prinzip zu verstehen und unliebsame Überraschunen zu vermeiden. Doch dann verzichteten wir darauf (es ist alles doch nur ein Spiel), und es klappte auch ganz vorzüglich. Jeder versucht in jede Zeile ein paar verlockende Aktionskarten zu legen, damit die Mitspieler anbeißen und aus dem Rennen ausscheiden. Unter weniger Konkurrenz kann man dann versuchen, mit seinen restlichen Karten eine Aktionszeile vollständig mit guten Aktionen zu füllen und zu ergattern. Wirklich vorzüglich ausgedacht.
    Das Spiel läuft sehr schnell. Zumindest kam uns die eine Stunde Spielzeit sehr kurz vor. Kaum hatten wir angefangen, fragte Günther entsetzt: „In welcher Runde sind wir denn?“ Wir hatten gerade die dritten Runde absolviert und das Spielende drohte mit Riesenschritten heranzukommen.
    Die Schlußabrechnung mit dem reichlichen Siegpunktsegen wirbelte den Spielstand nochmals gehörig durcheinander. Die krassen Plus-Minus-Effekte für den besten bzw. schlechtesten Entwicklungsstand muß man beherrschen, um zu gewinnen. Befriedigt mitspielen kann man aber auch ohne dieses Wissen.
    WPG-Wertung: Aaron: 7 („erfrischend kurz“), Günther: 6 („für ein lockeres Spiel zu kompliziert“), Moritz: 7 („anspruchsvoll; Punktabzug wegen der undurchsichtigen Schlußabrechnung“), Walter: 7 („vorzüglicher Setz-Mechanismus“).

    3. “Sieben unter Verdacht”
    Dieses Spiel ist eine Mogelpackung. (Wie halt so oft auch in der Spielbranche.) Es firmiert als „Krimi-Kartenspiel für clevere Ermittler“ und verlockt so vielleicht ein paar Jünger von Donna Leone zum Kauf. Dabei ist es ein simples „Mastermind“, d.h. eine Logikaufgabe, in der es gilt, durch Abfragen von Musterkombinationen eine vorgebene Konstellation von Einheiten (hier sind es „Verdächtige“, woanders sind es Farben, Zahlen oder Buchstaben) zu ermitteln.
    Selbst Günther war über diesen Ettikettenschwindel erbost. Als Mathematiker plädierte er kompromisslos für das „Mastermind“ mit Zahlen.
    Ich selber habe bei diesen Logikprinzip die allerbesten Erinnerungen (40 Jahre zurück), an Christina Voss, eine äußerst attraktive Kollegin, mit der ich mich in der Mittagspause regelmäßig „auf ein Wort“ zusammensetzte, und wir dann gegenseitig um die Wette vierbuchstabige Worte errieten. Diese literarische Variante konnte den zahligen Günther natürlich nicht vom Hocker reißen. Ist es aber nicht viel reizvoller, über „Auge“ und „Mund“ bis zum „Herz“ eines charmanten Gegenüber vorzustoßen?
    WPG-Wertung (für den Verdacht): Aaron: 3 („Mastermind ist funktioneller“ , Günther: 4 („1 Punkte weniger für das Mogeletikett“), Walter: 3 (träumt von der romantischen Variante).

    27.10.2010: Splitter aus Essen

    Zwei Tage auf der Spielermesse in Essen bedeuten: Zwei Stunden lang durch die acht Hallen schlendern und die vielen großen bunten Verlage und ihre Produkte auf Augen und Gemüt wirken lassen. Den Rest der Zeit, immerhin noch fast 90%, punktuell auf einzelne Produkte zusteuern, Regeln lesen, anspielen bzw. mitspielen und ggf. am Stand ein bißchen palavern.
    Eine Orientierunghilfe zu den bemerkenswertesten Produkten liefern die aktuellen Hitlisten von „Faiy Play“ und „Boardgame Geek“, auch wenn sie meilenweit auseinanderklaffen und in ihren Top-50 bzw. Top-20-Namen kaum Gemeinsamkeiten haben. Oder versteckt sich hinter den kurzzeitigen Spitzenreitern „Vinhos“ und „Grand Cru“ etwa das gleiche Spiel? Mitnichten!
    Was sind diese Listen schon mehr als nur schwache Funzeln, die ein spärliches Licht auf die große weite Spielelandschaft werfen? Am Ende des zweiten Messetages führte z.B. „Habemus Papam“, ein kleines rundes Biet-&-Stichkartenspiel, mit gerade mal 11 Stimmen bei „Fair Play“ die Liste an. Wieviele Freunde muß man animieren, um sich auf diesen Platz wählen zu lassen? Doch auch ohne solche Manipulationsmöglichkeiten kommen die dicken Verlagen mit ihren zehn oder mehr Spieltischen naturgemäß schneller zu ein paar Stimmen als die tapferen Einzelkämpfer mit einem halben Tisch in einer halben Box.
    Die Hitlisten sind auch nichteinmal in sich konsequent. Z.B. war „Vinhos“ (und so manches andere Spiele) dieses Jahr zwar angekündigt, aber nicht käuflich erwerbbar. Die deutsche Produktionsfirma war beim Umsiedeln ihrer Mitarbeiter nicht sorgfältig genug vorgegangen und hatte dabei große Verluste innerhalb ihrer Belegschaft hinnehmen müssen, so daß sie schließlich nicht mehr rechtzeitig liefern konnte.
    Eine Wiederauflage von „1830“ war bei „Mayfair“ angekündigt und hatte natürlich unser Interesse geweckt. Das Spiel war von den „Boardgame-Geek“-Leuten angeblich bereits gespielt worden und belegte am Freitag Abend in ihrer Favoritenliste den 47ten Platz. Doch das Spiel gab es gar nicht! Kein einziges Atom davon. Der Erscheinungstermin war vom 3. Quartal 2010 auf das zweite Quartal 2011 verlegt worden. Dann hoffentlich mit einer Auslieferungsdependance in Deutschland!
    Wer aber trotzdem & unbedingt ein „1830“ spielen wollte, der mußte sich ins Wasser begeben. Unter dem Namen „Poseidon“ ist eine Wasservariante mit nahezu identischen Regeln und Mechanismen herausgekommen. Statt Loks gibt es Schiffe, statt Eisenbahngesellschaften gibt es Reiche, und statt Präsidenten gibt es Könige. Ein paar zusätzlich eingebaute Schmankerl dienen der Verkürzung der Spielzeit. Ansonsten alles wie gehabt: „Beim Kauf des ersten 4er Schiffs verfallen die 2er Schiffe!“. Die Szenerie ist natürlich nicht der nordamerikanische Kontinent sondern das ägäische Meer. So wird es wohl niemals in die blaublütige „18xx“-Familie aufgenommen werden. Und wohl auch keinen Preis gewinnen.
    Der diesjährige International Gamers Award ging an Martin Wallace für sein „Age of Industry“. Eine seltsame Entscheidung, denn dieses Spiel ist keineswegs innovativ, sondern nur eine vereinfachende Überarbeitung auf identischem Spielbrett mit identischen Elementen wie sein Vorgängers „Brass“. Doch vielleicht gilt diese Auszeichnung diesmal dem gesamten Lebenswerk des sympathischen Martin. Allein bei Luding sind 70 Spiele oder Spiel-Erweiterungen mit ihm als Autor aufgeführt. (Hallo Günther, nimmst Du Deinen AoI-Kommentar: „Das braucht die Welt nicht … Dann doch lieber gleich das bessere Spiel ’Brass’!“ mit Bedauern zurück?)
    Der Preis wurde im großen Saal „Essen“ vergeben. Mindestens dreißig Acht-Personentische und abzählbar viele Stuhlreihen waren wohlgeordnet aufgestellt. Als wir zehn Minuten vor der Preisverteilung zum Saal eilten, fürchteten wir schon, maximal einen Stehplatz in einer Ecke zu erhalten. Doch das Gedränge auf den Treppen davor bestand aus Mittagesslern vom Restaurant in der Etage darunter. Der Saal war proppenleer. Zur Preisverleihung erschienen dann sieben Juroren, sechs Pressefotographen, zwei Preisträger und zwölf Zuschauer!
    Was mag die Saalmiete gekostet haben? Für unsere „Internationale Bayerische Paarmeisterschaft“ im Bridge zahlen wir für eine vergleichbare Halle im Münchener Vorort Ottobrunn 1500 Euro. Haben die Award-Initiatoren für ihre 15-Minuten-Veranstaltung ebensoviel Geld hinblättern müssen? Zum Glück nicht! Der Saal war kostenlos vom Friedhelm Merz Verlag zur Verfügung gestellt worden!
    Apropos Merz Verlag. Der Verlag hatte einstmals die Pöppel-Revue herausgebracht und ist heute der Veranstalter der Essener Internationalen Spieltage, der weltweit größten Publikumsmesse für Gesellschaftsspiele. Das ist seine einzige Aufgabe. Organisation, Vor- und Nachbereitung beschäftigen die Mitarbeiter ein ganzes Jahr lang. Ein unsterblicher Verdienst für die Welt der Spieler. Ansonsten wohl eher ein Nischendasein in unserer globalisierten Wirtschaftswelt.
    Wohl alle Spieleverlage, so groß und berühmt sie auch sein mögen, leben unterhalb der Peanuts-Grenze – verglichen mit den großen Unternehmen wie Siemens, BMW oder Deutsche Bank. Ein bekannter Autor hat uns jetzt verraten, daß dies der Grund ist, warum viele Spiele auf den Markt kommen, die nicht ausbalanciert sind und erhelbliche Designschwächen enthalten. Innerhalb eines Jahres muß das Spiel auf dem Markt und verkauft sein. Fire and forget!
    1. “Antics”
    Der kleine schottische Verlag Fragor Games hatte uns schon vor fünf Jahren mit seinen hübsch modellierten Schäfchen in „Shear Panic“ imponiert. Diesmal zogen uns immer wieder die großen Ameisen von „Antics“ an, die als dicke schwarze Figuren über die grüne Boxenwand (1 Einheit = 800 Euro Standmiete) liefen. Vielleicht waren es auch die Schottenröcke der beiden Autorenbrüder Gordon und Fraser Lamont.
    Da ich mich auch noch irgendwie bei meinem Neffen und den beiden Großneffen für Unterkunft und Verpflegung in Essen bedanken mußte, war schnell klar, daß wenigens ein Exemplar der „Antics“ bei den Westpark-Gamers (wenn auch nicht direkt am Westpark) landen würde.
    Das taktische (bzw. Mitspieler-chaotische) Spiel hat das Gewimmel in und um einen Ameisenhaufen zum Thema. Ohne Würfel oder Zufallselemente baut jeder seinen Ameisenhaufen aus und steigert damit seinen Aktionsradius und die Mächtigkeit der folgenden Züge. (Klares und konstruktiv durchgezogenes Konzept von wachsender Spieldynamik.) Wir ziehen verschiedene Arten von Ameisenbabies (Feld- Wald- und Wiesen-Ameisen) groß und schicken sie in die große weite Ameisenwelt (Feld-Wald-Wiese), damit sie die dort vorhandene Beute in Form von Käfern, Schmetterlingen und Larven zur großen Ameisenburg in der Mitte des Spielbretts transportieren. Die Anzahl der verschiedenen Beutetiere sowie grüne und braune Blätter für die Ameisen-interne Pilzzucht bringen die benötigten Siegpunkte.
    Es gibt verschiedene Strategien (oder „Schienen“) zum Sieg. Möglichst schnell die nächstliegenden Beutestücke einsacken und nach Hause kleckern oder erst die Kapazitäten erweitern um dann hinterher mit größerem Transport- und Ausbaufähigkeiten zu klotzen. Es gibt auch eine militärische Variante: Man leistet sich Soldatenameisen, um den Mitspielerameisen die gerade transportierte Beute abzujagen und auf dem eigenen Konto zu verbuchen. Diese letzte Möglichkeit haben wir Onkels und Neffen in unserem Spiel nicht genutzt. In einem schnellen Spiel ist der Effizienzgrad der Soldatenameisen recht fraglich. In der Kleckerphase haben sie sicherlich größere Zuschlagchancen, doch weil wir alle die Ausbau-Schiene verfolgten, führte der Weg-der-leichten-Beute offensichtlich in die Sackgasse und wurde erst gar nicht begangen.
    Die Spielanleitung ist – wie immer vom Fragor-Verlag – in hervorragendem Deutsch geschrieben. Die eingebauten Kalauer rufen nicht nur beim ersten Lesen ein Schmunzeln hervor. Sie erklären auch zum ersten Mal überzeugend, warum in einem 4-Personen-Spiel nur 3 Spiel-Hilfen vorhanden sind: Die Autoren und Hersteller sind halt Schotten!
    WPG-Wertung: Walter: 7 Punkte.
    2. Danksagung
    Ich freue mich, daß ich unsere Mail-Partner und Spieleautoren Richard Sibel („Maria“) und Bernd Eisenstein („Porto Carthago“) zum ersten Mal persönlich kennenlernen durfte und bedanke mich für die Gespräche mit ihnen.
    Stellvertretend für viele freundliche und fachkundige Spiele-Erklärer bei anderen Verlagen bedanke ich mich bei Peter Rot und Roland Velemas am Stand von Eggert-Spiele für die gekonnten Einführungen und das Mitspielendürfen beim Superspiel „Grand Cru“.
    Ich bedanke mich bei dem geduldigen Nachwuchs-Autor Philipp Höppner für die detailierte Beschreibung seines Fantasy Game „Empire of Darkness“ (wartend auf einen Verlag, der es herausbringt), sowie seine bemerkenswerten Unterweisungen in höhrere Würfelmathematik. Sinngemäß: „Wenn man für die verschiedenen Kampfentscheidungen immer mehr Würfel heranzieht, kann man den ungerechten und unbalancierten Zufallseinfluß beseitigen!“
    3. PS
    Heute kein Spielabend am Westpark. Wir treffen uns bei Moritz. Er hat gerade Phil Eklund von Sierra Madre Games zu Besuch ist, der uns sein neues Spiel vorstellen will. Mal sehen, ob und was Moritz darüber schreiben wird.

    19.10.2010: Ab nach Essen

    Nein, diese Woche gibt es keine WPG-Session. Morgen, Mittwoch, machen wir uns (fast) alle auf den Weg nach Essen zur Spiel 2010. Ein hartes Stück Arbeit wartet auf uns.
    Bevor wir uns in den hunderttausend Neuigkeiten (und Altigkeiten) verlieren, haben wir uns Gedanken über gutes Spieldesign gemacht. Wolfgang Kramer nennt in einem Vortrag für Spieleautoren „Wie entwickelt man gute Spiele“ eine Reihe von objektiven Kriterien, die ein gutes Spiel auszeichnen:

    • Es ist originell und enthält neue Spielmechanismen.
    • Die Wartezeiten sind kurz. Dazu darf z.B. in einem strategischen Spiel keiner bei seinen Zügen zuviele Alternativen durchrechnen können bzw. müssen.
    • Die Spannung darf an keiner Stelle abfallen, sondern muß am Ende ihren Höhepunkt haben. Lieber sollte in den letzten Runden der Spielstand nochmals gründlich durcheinandergewirbelt werden können, als daß schon nach der zweiten Runde der Sieger feststeht.
    • Der (zuweilen unumgängliche) Kingmaker-Effekt sollte so gering wie möglich sein. Keiner sollte Züge tun können, die für ihn selbst keinerlei Vorteile mehr bringen, hingegen aber entscheidenen Einfluß darauf haben, wer gewinnt.
    • Ein Spiel sollte immer wieder neue Überraschungen bieten. Entweder weil der Zufall die Karten jedesmal anders mischt, oder aber – noch besser -, weil die verschiedenen Spielzüge der einzelnen Spieler zu jeweils neuen Abläufen und Konstellationen führen.
    • Mit den eigenen Spielaktionen soll man nicht nur seine eigenen Gewinnchancen erhöhen, sondern auch die Gewinnchancen der Mitspieler beeinträchtigen können. Ohne eine solche Interaktion bekommen die Spiele einen Solitär-Charakter, und nutzen nicht die Geselligkeit einer Spielerrunde.
    • Ein Spiel soll stimmig sein. Ein Glücksspiel sollte kurz und kurzweilig sein, in einem Strategiespiel darf der Zufall keinen entscheidenden Einfluß haben.

    Aaron fand in einer Spielkritik folgende Passage:
    “…no dramatic build-up of tension, no gambles which may or may not pay off, few long-term options, little player creativity. There simply cannot be many long-term choices as the cards which drive the entire thing are drawn at random from the deck every new round; and how these play out is determined by what your opponents got: which is equally random. Insert obligate ‘manage the luck’ comments here if you want: perhaps one should, but there are few things to manage it with…” (Maarten D. de Jong über Asara)
    Hier scheint offensichtlich vieles falsch gegangen zu sein. Kein Spannungsbogen (build-up of tension), kein Risikomanagement (gambles), keine strategische Planbarkeit (long-term options) und wenig Handlungsspielraum (player creativity).
    Aaron und Moritz sind gerade dabei, ihre eigenen Spielentwicklungen („18xx“ bzw. „Das kalte Herz“) in dieser Richtung auf Herz und Nieren zu prüfen. Dabei saugt Moritz aus seinem Thema, einer Märchenvorlage von Hauff, immer neue Gut-Böse-Mechanismen für den Spielablauf, Aaron schaut darauf, dass seine eher abstrakt ausgetüftelten Regelmechanismen ein treffendes Thema finden. Von den Eisenbahngesellschaften ist er dabei kurzfristig auf Expansion im Weltraum übergewechselt, jetzt ist er schon wieder auf dem Boden und läßt die Händler von Hanoi agieren. Oder die von Bangkok. Wo die reale Bestechung halt größer ist.
    Schaun wir mal, ob wir damit – wenigstens in Gedanken – mit den Erzeugnissen in Essen Schritt halten könnten!