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8.9.2010: Hotel am Plattensee

Auch wenn es nach den ausgebliebenen Session-Reports so aussieht, als hätten wir vier Wochen pausiert, waren die Westparker doch auch in der Zwischenzeit aktiv. Allerdings mit bereits bekannten und beschriebenen Spielen, einmal direkt bei Hans-im-Glück, vor allem aber ohne den Gewohnheitsschreiber Walter.
Walter durfte einige Wochen lang am Plattensee den Geburtstag der besten aller Ehefrauen feiern, und mußte sich in der dortigen Spielewüste mit „Hotel“ begnügen. Einem Westpark-Strategen kann diese Monopoly-Variante zunächst nur ein müdes Lächeln abgewinnen. Doch wenn man von vorneherin davon ausgeht, keine konsequente Gewinnstrategie verfolgen zu können, sondern mit einer demütig-gelösten Kismet-Einstellung die Gaben des Würfels hinzunehmen, dann kann man unter netten Menschen auch mit einer „Hotel“-Runde zwei Stunden Spaß haben.
„Und was gefällt Euch daran so besonders?“ war hinterher die obligatorische Westpark-Gamers-Frage. „Daß man nicht denken muß!“ antwortete ein frisch gebackener Mediziner, Freund der Nichte. Und was sagte die Nichte selber zum Abschluß: „Mama, zu Weihnachten wünsche ich mir ein NEUES Monopoly.“
1. “Das kalte Herz”
Vor einem halben Jahr haben wir die Neuentwicklung von Christof und Moritz noch im Embryonalzustand in Augenschein nehmen können. Wir sollen als Flösser im Holzhandeln unsere täglichen Siegpunkte verdienen (siehe Session Report vom 17.März). Damals hieß der Arbeitstititel noch „Holzhacken im Schwarzwald“. Jetzt gehen unsere Spiele-Väter schon sechs Monate lang mit ihrem Kind schwanger und haben eine Menge zusätzlichen Pepp hineinentwickelt.

Das fängt schon mit dem Namen an. Aus den „Holzhackern“ ist „Das kalte Herz“ geworden, nach einem Märchen von Wilhelm Hauff, das den Holzhändlern in Schwarzwald gewidmet ist. Hier ein Ausschnitt aus der Hauff’schen Einleitung:
„Wer durch Schwaben reist, der sollte nie vergessen, auch ein wenig in den Schwarzwald hineinzuschauen … Dort beschäftigen sich die Leute gewöhnlich mit Glasmachen; auch verfertigen sie Uhren und tragen sie in der halben Welt umher. Auf der andern Seite des Waldes wohnen andere Menschen desselben Stammes, die handeln mit ihrem Wald; sie fällen und behauen ihre Tannen, flößen sie durch die Nagold in den Neckar, und von dem obern Neckar den Rhein hinab, bis weit hinein nach Holland. Am Meer kennt man die Schwarzwälder und ihre langen Flöße; sie halten an jeder Stadt, die amStrom liegt, an, und erwarten stolz, ob man ihnen Balken und Bretter abkaufen werde; ihre stärksten und längsten Balken aber verhandeln sie um schweres Geld an die Mynheers.“
In dem Märchen kommt der kleine Kohlemunk-Peter vor, der auf seinem Abenteuer vom guten Glasmännlein beschützt und vom bösen Holländermichel bedroht ist. Dieser mythische Gut-Böse-Kontrast hat es den Autoren angetan. Zur soliden Holzhandwerksarbeit haben sie phantastische Aktionskarten gestellt, die ständig unseren Charakter verderben und uns Minuspunkte zuschustern. Zu unserer Seelenrettung müssen wir regelmäßig beten und dabei eine ständig wachsende Anzahl von Scherflein in den Opferstock geben. Wer allerdings von Haus aus zur Frömmigkeit neigt, geht überhaupt nicht mehr in den Wald, sondern schickt seine Leute ständig ununterbrochen ins Bethaus, und sammelt sich so nicht nur Schätze im Himmel, sondern auch Siegpunkte auf Erden.
Diese Strategie verfolgte Walter, wobei ihm zugute kam, daß er durch seinen zu Spielbeginn verteilten Sondercharakter von vornerherein für jede Frömmigkeitsstufe zwei Scherflein weniger zahlen mußte als im Standard-Tarif. So konnte er als Heiliger den Sudden Death herbeiführen und sich dabei noch zum Sieger küren lassen.
Es gibt noch viel zu feilen am kalten Herzen. Auch muß noch einiges vereinfacht werden. Die vielen Grübelmöglichkeiten über die effizientesten Züge für die einfachen Holzhacker und Holzhändler kosten (am Westpark) eine viel zu große Menge Denkzeit. Und warten ist lästig. Besonders für Walter, der noch dazu für seine Bete-und-Faulenze-Strategie überhaupt keine Denkzeit benötigte. Zum Glück konnte er sich den Hauff vornehmen und „Das kalte Herz“ lesend bewältigen, während seine Mitspieler Holz hackten, Baumstämme anschoben, Staudämme fluteten und Flöße zusammenzimmerten.
Ein Neunmonatskind wird „das kalte Herz“ bestimmt nicht.
Noch keine WPG-Wertung.
2. “Chairman of the Board”
Das Brettspiel wurde uns vom irischen Verlag Peca-Games zum Testen zugeschickt, mit den besten Referenzen im Internet.
Beim Auspacken erinnerte das Spielbrett eher an „Monopoly“: Um den Spielfeldrand herum sind farbige Felder gruppiert, auf die je eine Karte gelegt wird. Bei „Monopoly“ sind das Straßen, im „Chairman of the Board“ (deutscher Titel: „Der Vorstandsvorsitzende“!!) sind das Aktienanteile.
Doch es gibt keine Würfel, die Bewegung um das die Aktienfelder am Spielfeldrand erfolgt mitttels Karten. Der Mechanismus ist hier ganz ähnlich dem eines Kartenspiels, das ich als Kind unter dem Namen „Schnauz“ kennengelernt habe: Jeder Spieler erhält 3 Karten eines „normalen“ Kartendecks (Rommé, Canasta, Bridge), darf jeweils eine davon mit einer Karte vom übrigen Stapel tauschen und muß damit möglichst schnell die höchstwertige Kartenkombination erzielen. Wem das gelingt, der darf sich einen Aktienanteil nehmen. Wer dann die niedrigstwertige Kartenkombination in seiner Hand hält, muß dem Gewinner zusätzlich eine gewaltige Stange Bargeld zuschustern. Für die anderen Mitspieler tut sich gar nichts.
Moritz erklärte diese etwas seltsame Karten-Brettspiel-Nichts-Rührt-Sich mit „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett. Auch bei diesem absurden Stück des irischen Autors wartet man ebenfalls vergeblich darauf, daß irgendwann mal irgend eine Aktion geschieht. In „Chairman of the Board“ erhält dazu noch jeder Spieler eine „Vetokarte“, mit der er verbieten kann, daß sich ein Spieler nach der oben beschriebenen Regel einen Aktienanteil nehmen kann. So ist der Stillstand gleich doppelt gesichert.
Natürlich löste dieses vermurkste Design sehr bald ausschließlich Gelächter aus. Zumindest bei ¾ der Teilnehmer. Walter „fand es überhaupt nicht zum Lachen“, doch für Moritz war es „eines der besten Spiele, das mit je untergekommen ist“. Doch trotz diese Qualifizierung brachen wir ab, bevor auch nur der ersten Spieler einen Aktienanteil erworben hatte. „It’s not a game, it’s a joke!“ (Hallo Peca-Games: Falls Euch dieser Session-Report zu bösartig erscheint, dann könnt Ihr wenigstens noch das Moritz-Zitat in Euere Internet-Präsentation übernehmen!).
WPG-Wertung: Aaron: 2 (für das schöne, qualitativ hochwertige Spielmaterial), Günther: 2 (für die Veto-Karten), Moritz: 2 (Spielmaterial), Walter: 2 (Als Reverenz für die vielen Schnauz-Runden aus seiner Jugend)
3. “Schnauz”
Zur Demonstration eines funktionierenden Spiels mit dem oben erwähnten Kartenkombination-Tausch-Mechanismus schlug Walter ein Spielchen vom Original-Schnauz vor. Im Internet ist es mit dem Namen „Schwimmen“ geführt und hat die weiteren regionalen Bezeichnungen Knack, Wutz, Bull und Hosn obi …
Unter der Seite http://de.wikipedia.org/wiki/Schwimmen_(Kartenspiel) findet man die Ablaufbeschreibung:
„Der Kartengeber teilt beim offenen Spiel jeweils drei verdeckte Karten einzeln an alle Spielteilnehmer aus, an sich selbst jedoch zwei Päckchen mit jeweils drei Karten. Er sieht sich die Karten eines Stapels an und entscheidet, ob er mit diesen Karten spielen möchte, oder nicht. Will er mit den Karten des ersten Stapels spielen, so muss er den zweiten Stapel offen in die Tischmitte legen. Will er die Karten des ersten Stapels nicht behalten, so legt er diese drei Karten offen in die Mitte des Tisches und muss die Karten des zweiten Stapels aufnehmen. Die übrigen Karten werden beiseite gelegt.
Der Spieler links vom Geber beginnt das Spiel. Er kann entweder eine Karte oder alle drei Karten aus der Hand mit Karten in der Mitte tauschen – jedoch nicht zwei. Möchte er nicht tauschen, so kann er entweder schieben, d. h. keine Karte tauschen, oder aber das Spiel schließen, indem er klopft (meist mit den Fingerknöcheln auf den Spieltisch).“
Logisch, stimmig, ausgewogen, unterhaltsam. Auf keinen Fall krass.
WPG-Wertung: Aaron: 6 (auch Jugenderinnerung), Günther: 5 (warum eigentlich?), Moritz: 5 (funktioniert), Walter: 7 (schnell und gute Kosten/Nutzen-Relation im Material).
4. “Flaschenteufel”
Moritz wurde ungedultig: „Jetzt laßt uns endlich nochmal ein gutes Spiel spielen!“ 23 Uhr war schon vorbei, da standen nur noch Absacker zur Auswahl. „Flaschenteufel“ ist immerhin einer von den besten.
Aaron schlug Günther gleich eine Allianz gegen Moritz und Walter vor, doch Günther hatte eine bessere Idee: „Alle drei gegen Moritz! Wenn er schon mal da ist!“
Allerdings lassen sich aggressive Allianzen in Flashenteufel kaum umsetzen .Am Ende ist jeder doch nur darum bemüht, sein eigenes Schäfchen ins Trockene zu bringen. Selbst beim Schieben von Karten in der Startaufstellung kann jeder nur an seinen eigenen Vorteil denken: Die niedrigere Karte an den rechten Mitspieler, die höhere Karte an den linken Mitspieler. Die Begründung dafür und eine Reihe weiterer Ratschläge findet man unter der Flaschenteufel-Rezension auf unserer Seite.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.
5. “Bluff”
Walter stand mit 3 Würfeln im Endspiel gegen Günther mit 1 Würfel. 1 mal die Vier war Pflichtvorgabe im Kampf der 1-mal-Vier gegen 1-mal-Fünf-Kontrahenten.
Günther hatte eine winzige Eins unter seinem Becher. Wie sollte er kontern?
Er versuchte es mit 2 mal die Eins. Doch Walter, der eine Eins und zwei Zweien unter dem Becher hatte, konnte mit 2 mal die Zwei den Sack zumachen.
Günther bekam hinterher natürlich den Vorwurf zu hören, warum er die 1-mal-Vier-Vorgabe nicht angezweifelt habe. Dafür bekommt er jetzt als unser Chefmathematiker folgende Hausaufgabe aufgedrückt;
a) Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, unter 3 Würfeln keine Vier zu haben.
b) Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, mit 3 Würfeln (einschließlich der Nachwürfelmöglichkeit) besser als 2 mal die Eins zu würfeln. (Unter der Voraussetzung, dass unter unter dem Becher des Gegners eine Eins vorhanden ist.)
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

28.07.2010: Chaos und Planung

“Brettspiel sowie Malerei verlangen ein außerordentliches Maß natürlicher Begabung und liefern uns darin auch die seltsamsten Überraschungen; so mancher offenbar halb-gescheite Zeitgenosse, der zu einer nützlichen Tätigkeit unfähig zu sein scheint, kann sich als Genie im Brettspiel oder der Malerei erweisen.”
Aus “Die Geschichte vom Prinzen Genji” – aufgeschrieben vor ziemlich genau eintausend (!) Jahren.
Apropos „Genji“: Seit ich seinen Lebensroman gelesen habe, muß ich mich über unser leichtfertiges Herangehen an das gleichnamige Brettspiel (23.09.2009) schämen. Gedichte und Halbgedichte zu schreiben, die vom Empfänger mit Gedichten und Halbgedichten beantwortet werden, war in Japan eine tief verwurzelte höfische Sitte. Es gab keinen gebildeten Liebhaber, der in der Morgendämmerung das Haus seiner Liebsten verließ, ohne ihr unverzüglich ein selbstverfaßtes Gedicht zu schicken, und der daraufhin nicht ebenso unverzüglich ein Gedicht zurück bekommen hätte. Mit diesem Wissen muß man am Brettspiel “Genji” wenigstens den kulturellen Hintergrund würdigen. Verzeihung, verehrter Dylan Kirk!
1. “Mega Corps”
Andrea rümpfe die Nase, als Moritz dieses „Wirtschaftsspiel“ auf den Tisch legte. Aber er konnte sie sofort beruhigen: „Keine Sorge, es gibt auch Aggressionen. Es wird allerdings nicht gewürfelt.“ Ist das jetzt eine Einschränkung unseres kriegerischen Austobens oder eine Verstärkung?
In einem Schachbrettmuster liegen auf der X-Achse die verschiedenen Nationen (Europa, Russland, China, Japan usw.) und auf der Y-Achse die verschiedenen Industriezweige (Software, Öl, Metall, Medien, Verteidigung, Biotech usw.). Die hauptsächliche Tätigkeit der Spieler besteht darin, beliebige X-Y-Punkte zu besetzen, d.h. z.B. eine Biotech-Industrie in Rußland zu errichten.
In unregelmäßigen Abständen werden bestimmte Industriezweige gewertet, dann bekommen die beteiligten Mitspieler für jeden Standort eine Summe von Siegpunkten. Je weniger Mitspieler sich hier engagiert haben, desto höher ist der Ertag pro Standort. Besitzt ein einziger Spieler alle 5 Standorte eines Industriezweiges, so bekommt er ganz allein stolze 50 Siegpunkte. Sind die Standorte dagegen auf 5 verschiedene Spieler verteilt, so bekommt jeder nur 4 Siegpunkte.
Die Nationen sind ebenfalls in der Hand einzelnen Spieler, doch deren Besitz ist nur von untergeordneter Bedeutung. Zu Spielbeginn werden einige Nationen asymmetrisch an einige Spieler verteilt, andere gehen leer aus und werden dafür mit Ereigniskarten abgespeist. Man freut sich, wenn man ein paar Nationen geschenkt bekommen hat und man heuert ggf. Söldner an, um die Nationenverteilung zu verändern. Doch hinterher muß man sich fragen, ob das den Einsatz wert war. Denn bei Spielende ist der Nationenbesitz keinen Pfifferling mehr wert. Als Regierungschef kann man lediglich einen Zug opfern, um ein Unternehmen aus dem eigenen Lande zu weisen (in einer Demokratie), um es zu verstaatlichen (in der Diktatur) oder um es selbst in Besitz zu nehmen (in einer Kleptokratie). Doch diese Besitzwechsel-Effekte bringen einem Spieler nicht viel mehr ein, als wenn er auf friedliche Weise einen beliebigen freien X-Y-Punkt auf dem Spielbrett belegt.
Was sich hier noch ein bißchen planbar liest, ist in Wirklichkeit absolutes Mitspielerchaos. Dazu tragen besonders die Ereigniskarten bei. In jeder Runde darf der Startspieler eine davon ziehen und zu einem beliebigen Zeitpunkt einsetzen. Z.B. darf man damit einem Mitspieler einen Industriestandort ersatzlos wegnehmen (was dem Opfer natürlich sehr peinlich ist), oder man kann für einen Industriezweig eine Sonderwertung auslösen (was für den Auslöser natürlich sehr erfreulich ist), und ähnliche starke bis krasse Effekte. Damit wird die konsequente Planung von Industriemonopolen nahezu torpediert.
Unser heutiger Sieger konnte kurz vor Schluß mit einer Ereigniskarte einen ganzen Industriezweig an sich reißen und zweimal dafür abkassieren: einmal regulär und einmal in der Schlußwertung. Allein mit diesen zwei Wertungen machte er ungefähr sowie Punkte, wir alle anderen Spieler am Ende jeweils aufwiesen.
Doch dieser unberechenbare Ablauf war vom ersten Augenblick an vorhersehbar. Wir ließen uns schnell auf das Chaos ein und füllten Haus und Garten des öfteren mit schallendem Gelächter. Zumindest die erste Stunde lang. Dann wurde das Lachen schlapper. Es ist nicht so leicht, anspruchsvolle Kunstgenießer zweieinhalb Stunden bei Laune zu halten.
WPG-Wertung: Aaron: 3 („Das Spiel ist nicht ausgegoren.“), Andrea: 5 (fand es ganz lustig. „Das Spiel hat einige gute Ansätze.“) , Hans: 4 („Man kann (immerhin) verschiedene Schwerpunkte setzen. Offensive Aktionen sind aber nicht kalkulierbar, zu teuer und zu wenig lohnend.“), Moritz: 4 („Die Ereigniskarten sind ein totaler Scheiß. Der Sieg sollte nicht nur über die Industrien, sondern auch über den Nationenbesitz vergeben werden.“), Walter: 4 („Ein Zeitvertreib im Sinne von Zeit Totschlagen, keiner im Sinne von Vergnügen und Zerstreuung.“)
2. “Glen More”
Ein Kontrastprogramm zu „Mega Corps“: alles ist planbar, jeder Spieler hat mit jedem Zug sein Schicksal selber in der Hand.
Auf einer Rundlaufbahn liegen Landschaftsplättchen aus (Dorf, Wiese, Wald etc.) und jeder Spieler darf sich jeweils ein beliebiges davon nehmen und in seine eigene Landschaftsauslage einfügen. Jedes Plättchen bringt Vorteile, entweder an Resourcen (z.B. Stein, Holz, Getreide, Fleisch) oder an Produktionsstätten (Jahrmarkt, Krämerei, Metzgerei, Destille), wo Rohstoffe in Geld oder Siegpunkte verwandelt werden.
Die Spieler sind aber nicht reihum am Zug, sondern nach einem sehr interessanten Mechanismus darf jeweils der Letzte innerhalb des Rundkurses ziehen. Wenn z.B. noch Landschaftsplättchen zwischen ihm und dem vorletzten Spieler liegen und er mit minimaler Schrittweite vorwärts geht, darf er sogar mehrmals hintereinander ziehen.
Hier herrscht also für jeden Spieler das gegenläufige Interesse, sich das beste Plättchen ganz vorne unter den Nagel zu reißen gegenüber einem langsamen Abgrasen vieler mäßiger Plättchen am Ende des Rundlaufes. Doch damit das Abgrasen nicht allzu ausufert, wird jedes Plättchen a priori mit 3 Minuspunkten bestraft. Man sollte demnach seinen Plättchenbesitz möglichst minimieren und sich nur solche Plättchen zulegen, die es auch bringen. Dieses Spannungsfeld macht den ganzen Reiz des Spiels aus.
Es gibt sehr viele Siegpunktquellen und entsprechend viele Spielweisen, sie sich zu erschließen. Fitzelig ist die Planung, fitzelig die Einnahmen und die Wertungen, und fitzelig die Von-der-Hand-in-den-Mund-Optimierung. Erst das Spielende zeigt, wie gut man im Rennen liegt bzw. gelegen hat. Aber spielerisch-konstruktiv war es auf jeden Fall ein Vergnügen.
WPG-Wertung: Aaron: 6 („Man wird gespielt,“), Andrea: 6 („Caylus ist ähnlich in der Entwicklung, aber anspruchsvoller und planerischer“), Hans: 5 („Die verschiedenen Strategien ermöglichen keine grundsätzliche Differenzierung. Jeder spielt so vor sich hin.“), Moritz: 6 („Das Spiel enthält viele hübsche Ideen.“), Walter: 6 („Es fehlt eine dynamische Steigerung der Wertungsefffekte zum Spielende hin.“)
3. “Bluff”
Gleich als erste Vorgabe begann Andrea mit 5 mal Stern. Das ist bei 25 Würfeln unter den Bechern von 5 Mitspielern deutlich über Schnitt. Moritz zweifelte an und mußte 2 Würfel abgeben. Andrea begann wiederum mit 5 mal Stern und Moritz sprang diesmal gleich auf 7 mal Stern, ohne einen einzigen Stern und dem Becher, und obwohl die Wahrscheinlichkeit dafür doch geringer war als vorher. Warum das?
Er wollte die vorletzte U-Bahn erreichen! Was ihm auch auf Anhieb gelang.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

21.07.2010: Frühaufstehen zum Fresko

“Es ist überraschend, wie demokratisch Kinder (etwa im Alter ab 12 Jahren) miteinander Spielregeln abklären und eine gemeinsam akzeptierte Linie finden. So gehen Erwachsene niemals vor, wenn es gilt, die Regeln für das soziale (und politische und wirtschaftliche) Miteinander festzulegen und zu praktizieren.”
(Sinngemäß aus einem französischen Buch über Psychologie des Spiels der Kinder)
Warum verlieren die Menschen beim Erwachsen-Werden diese zweifellos angeborene demokratische und soziale Grundeinstellung? Sind das alles Nicht-Spieler? Oder sind es etwa gerade die Spielernaturen, die später unsozial bis kriminell nach ihren eigenen Regeln leben?
1. “Die Speicherstadt”
Nach der vorläufigen Auszähung zu unserem nächsten “Spiel des Monats” gekürt, wollten Peter und Loredana “Die Speicherstadt” unbedingt kennenlernen. Vor allem auch, wie es sich in einer Fünfer-Runde spielt.
Mit unseren Pöppeln bewerben wir uns um ausliegende Karten, die Lieferaufträge darstellen, oder Schiffsladungen mit Waren, oder sonstige Schmankerl für Siegpunkte wie Lagerhäuser, Kontore und Warenumschag. Es reicht aber nicht allein, einen oder sogar mehrere Pöppel an die gewünschten Karte zu plazieren, man muß die Karten hinterher auch noch bezahlen können. Je mehr Pöppel zu einer Karte geschickt wurden, desto teuer sind sie. Je mehr Pöppel hinterher auf den teurern Kauf verzichten, desto billiger wird sie wieder. Dieser sehr hübsch und klug ausgedachte Mechanismus ist das spielerische Herzstück der „Speicherstadt“.
Günther und Walter rissen sich um die Feuerwehrleute, die einen erheblichen Bonus bringen, wenn man die meisten davon hat, und die einen erheblichen Malus bringen, wenn man die wenigsten hat. Am zweitmeisten zu haben bringt genausoviel ein, wie am zweitwenigsten zu haben, nämlich plus-minus Null. Also geht es in dieser Feuerwehrschlacht genau darum, die absolut meisten Feuerwehrleute auf seine Seite zu ziehen. Wenn sich aber zwei Spieler um diese Position streiten, so treiben sie die Preise hoch und graben dieser Strategie das Wasser ab.
Fast ungestört konnte sich Hans die meisten Schiffe und Loredana die meisten Kontore aneignen. Und Peter ärgerte sich darüber, daß die Feuerwehrkapitäne ihnen das Leben zu wenig schwer gemacht hatten. Inhaltlich hatte er zwar Recht, aber wenn der Kampf um die Feuerwehr erst mal entbrannt ist, gibt es halt kein Zurück mehr.
WPG-Wertung: Der bisherige Schnitt von 7,3 wurde durch die Noten von Hans: 8 („keine Strategie ist konsequent durchrechenbar, das ist gut und schlecht, aber mehr gut als schlecht.“) und Loredana: 7 (findet das Mitspielerchaos gut, außerdem ist das Spiel schnell) bestätigt. Peter dagegen fiel mit erbarmungslosen 5 Punkten ab, ihm hat das unberechenbare Mitspielerchaos heute nicht gefallen.
2. “Fresko”
Heute galt es, Walter’s Hypothese von dem nicht-ausbalancierten Startspielervorteil zu verifizieren oder zu falsifizieren. (Siehe Session-Report vom 14.7.2010.) Da das Spiel nur für maximal vier Spieler ausgerichtet ist, verzichtete der Gastgeber sogar auf das Mitspielen. Dafür durfte er seit langem mal wieder das Spiel für die Neulinge erklären. Gemäß seiner großzügigen Lebenseinstellung verzichtete er auf eine bitgenaue Regeldarlegung und erging sich in lieber in Ausflüge zu taktisch-gutem Spiel. „Eine gute Startspielerstrategie ist unerläßlich für den Sieg! Deshalb so lange wie möglich den Siegpunkt-Erwerb zurückstellen!“ Ist diese Information nicht sehr viel wichtiger als gleich zu Beginn des Spieles zu wissen, daß der Bischof immer auf das Feld des aktuell fertiggestellten Freskos kommen? Oder daß man für seine Portrait-Pöppel maximal eine Sonderkarte nehmen darf, alle anderen Pöppel sich aber mit dem 3-Taler-Bonus begnügen müssen? Peter echauffierte sich über die nachgeschobenen Regeldetails: „Ich werde dich nie wieder erklären lassen!“ Der Prophet gilt halt nichts im eigenen Lande!
Günther hielt sich bewußt im Hintergrund und sammelte Farbtopf auf Farbtopf in seine Scheunen. Dann flog ihm unvermutete ein 17-Punkte-Plättchen wie eine gebratene Taube im Schlaraffenland um den Mund. Konnte er sich da noch länger zurückhalten. „Will ich jetzt tatsächlich so weit vorrutschen?“ Er rutschte und gab ab diesem Zeitpunkt die konsequente Startspielerstrategie auf. „Das Wichtigste ist, flexibel auf die gebotenen Gelegenheiten zu reagieren.“
Peter brüstete sich mit seiner Anti-Startspieler-Strategie. Doch seine Position war keineswegs herausragend. „Noch stehen wir alle zusammen!“ stellte Günther klar. Nur Loredana protestierte. Mit Recht. Fast bis zur letzten Runde lag sie mit deutlichem Vorsprung vorne. Sie hatte sich leichtfertig und leichtfüßig an die Spitze geschwommen und litt nur virtuell und dem 6 Uhr früh Aufstehen-Müssen, das ihr als Führender oft genug zugeschustert wurde. Offensichtlich ist ihre weiblicher Intuition das Pendant zur benötigten Flexibilität.
Und Walters These über die mangelnde Spiel-Balance ist eindeutig widerlegt. Es gibt zu viele andere Möglichkeiten, seine Köcher mit Pfeilen zu stopfen, so daß der goldene Schuß in der letzten Runde gewiß nicht den Ausschlag gibt. Hier ließ sich Günther mit einer ganzen Batterie an gemischten Farbtöpfen sogar noch einen dicken Fisch entgehen, von dem er fälschlich gehofft hatte, daß kein anderer die benötigte Farbkombination aufweise. Als Hans ihm den Fisch vor der Nase weggeschnappt hatte, unterstrich er mit „Jetzt spieler ich halt anders“ erneut seine Flexibilität. Er trug seine reichlichen Restfarben zum Altar und machte sich mit Erfahrung und Geschick an den Siegpunkt-Tausch über das Loser-Tableau. Seine dortigen Tränen wurden mit dem Sieg entlohnt. Nicht auszumalen, welchen Vorsprung er gehabt hätte, wenn auch noch seine Vorhaben mit der Startspielerposition alle geglückt wären.
WPG-Wertung: Hans: 8 („vorerst mal, mit Tendenz zu mehr. Das Spiel hat viele überraschende Wendungen“), Loredana: 10 (!), Peter: 9 („Bestes Spiel seit langem! Und so etwas hat Deutschland!“), Walter: 8 (früher 6; die Vielfalt der möglichen Spielalternativen hat überzeugt.)
Bemerkenswert: Walters Verzicht auf das Mitspielen wurde durch den Genuß eines platonischen Zuschauens voll ausgeglichen. Er fühlte sich keineswegs ausgestoßen, sondern war bei allen Aktionen seiner Gastspieler stets mit Lust und Liebe dabei. Zwei ganze Stunden lang. So etwas könnte ihm bei „1830“ niemals passieren. Was sagt das jetzt über „1830“ aus? Oder über „Fresko“? Oder über Walter?
3. “Bluff”
Nein, heute kein Absacker mehr. Peter und Loredana verließen schon weit vor der vorletzten U-Bahn das Lokal und die Runde löste sich auf.

14.07.2010: Industrie und Künstler

Moritz ist umgezogen, von der Ludwigsvorstadt in die Isarvorstadt. Schon vor einem halben Jahr. Jetzt sind die Baukräne und das Dixi-Klo vor seiner Haustür verschwunden und für viel Geld hat er seinen Vorgarten anlegen lassen. Und jetzt spielen draußen auf der Straße die Kinder Fußball und schießen alle zwei Minuten den Ball auf seinen frischen grünen Klee! Dann stürmen sie zu zehnt über die Hecke und treten alles krumm, was der Gärtner gerade gerade gemacht hat. Ist das nicht ärgerlich?
Würdet auch Ihr dann und wann den Kindern den Ball wegnehmen und Euch der Horde erboster Kindereltern aussetzen, die den Ball für ihre Frischlinge wieder rausgerückt haben wollen? Moritz war verzweifelt, doch am Westpark erntete er mit seinem Vorgehen nur bedingt Mitleid. Ausgerechnet unser jugendlicher Draufgänger läßt sich die Rolle des pedantischen Ballwegnehmers und Kinderschrecks aufdrängen? Da muß es doch noch eine andere Lösung geben!?
1. “Age of Industry”
Offiziell ein „Brass light“, d h. eine vereinfachte Version des Spiels „Brass“ vom gleichen Autor Martin Wallace. Entsprechend tröstet das Regelheft die Spielergemeinde: „die Regeln sind etwas kürzer“. Doch das scheint ein Trugschluß zu sein. 14 Seiten umfaßt die deutsche Spielregel, und wenn ich mich vor zwei Jahren nicht getäuscht habe, waren es damals bei „Brass“ bloß 11. Wer irrt hier wen?
Wir hatten alle nur noch eine schwache Erinnerung an das alte „Brass“ und Günther mußt die Regeldetails in aller Tiefe wiederholen. Es dauerte eine geschlagene Stunde, bis wir hier durch waren. Ab und zu mußten wir sogar auf die englische Version zurückgreifen, um zu verstehen, was gemeint war. Dazu ist es natürlich unglücklich, zwei verschiedene Spielbretter mit unterschiedlichen Spielelementen in einer einzigen sequentiellen Beschreibung abdecken zu wollen. Da werden Effekte beschrieben, die auf dem Spielbrett gar nicht vorkommen und die erst ein erfolgloses Suchen auslösen, bis man endlich merkt, daß man auf dem falschen Ufer ist.
Auch nach der ausgiebigen Regeldarlegung gab es ständig noch Regelunsicherheiten und Irrtümer. Selbst dem unfehlbaren Moritz unterlief eine Fehlplanung nach der anderen. Heute durfte er anstandslos alles zurücknehmen. Allein schon sein Schmuddelkinder-Andrenalinspiegel war mildernde Umstände wert.
Wie der Name schon sagt, spielt “Age of Industry” im Industriezeitalter und wir müssen Industrien (Eisen und Kohle) aufbauen, Eisenbahngleise legen, Häfen anlegen, Schifffahrtsverbindungen errichten und in diesem Netzwerk Waren erzeugen, zu den Verbrauchermärkten transportieren und dort in Geld und Siegpunkte umwandeln.
Gleich zu Spielbeginn gab es lange Gesichter: Wir haben kein Geld und müssen uns sofort auf dem Kapitalmarkt welches besorgen. Wir schwelgen nicht in Millionen, sondern wir darben bis zum Spielende am oder unter dem pekuniären Existenz-Minimum. Bemerkenswert hierbei, daß im Spielmaterial Kreditscheine bis zu 500 Dollar enthalten sind – und das bei Kosten für unsere Aktionen im Pfennigbereich!
Die Höhe des jeweils ausgegebenen Geldes bestimmt den Startspieler in der nächsten Runde. Das macht das Spiel zäh. Wir müssen nicht nur den Barverkehr abwickeln, wir müssen auch noch die aufgewendeten Summen registrieren. Dazu kommt das Handhaben der Kreditscheine und die Zinszahlungen. Lauter unnötige Vorgänge, die das Spiel verlangsamen.
Doch auch ohne diesen Geldverkehr verlief das Spiel ungeheuer zäh. Man kann nicht denken, wenn man nicht dran ist, sondern muß für seine Zugplanung das gesamte Mitspielerchaos abwarten, das uns von Runde zu Runde vor neue unvorhergesehene Spielzustände stellt.
Und dann zieht sich das Ende ewig hin. Wir haben schon fast keine Zugmöglichkeiten mehr, weil die Positionen auf dem Spielfeld schon alle vergeben sind, und das Kartendeck ist immer noch nicht aufgebraucht … Nach der einen Stunde Einführung brauchten wir noch weitere 2 ½ Stunden Spielzeit bis zur bitteren Neige. Ohne merkbare Steigerung an Spannung und Entwicklung. Schade. Das Original-Brass hat uns auf Anhieb gleich viel stärker angesprochen.
WPG-Wertung: Aaron: 6 (etwas entgeistert, wie sich das Spiel heute präsentiert hat), Günther: 6 (Findet das alte „Brass“ weiterhin schön; die Neuentwicklung war unnötig) Moritz: 4 („Das Spiel will ich nicht haben und nicht spielen! Ein abstraktes Rumgewixe“), Walter: 7 (Nur dann, wenn man es in einer kontemplativen Grundhaltung spielen kann.)
2. “Fresko”
„Ich brauche jetzt ein gescheites Spiel“ stöhnte Aaron. Mit „Fresko“, das es dieses Jahr bis in die Nominierungsliste zum „Spiel des Jahres” gebracht hat, sollte nichts schief gehen.
Wir sind Maler und müssen Farben kaufen, am gemeinsamen Fresco herummalen, mit privaten Portraits unsere Haushaltskasse aufbessern, die Farben für den nächsten Tag mischen, und uns am Abend noch ein bißchen zerstreuen, damit die Freude am Kunstschaffen gesteigert wird.
Das ganze läuft in engster Konkurrenz zu unseren Mitkünstlern ab. Schon allein die Uhrzeit, wann wir aufstehen um unser Tagewerk zu beginnen, unterliegt vielfältigen Überlegungen. Wer zuerst aufsteht, geht zuerst auf den Farbenmarkt und hat dort freie Auswahl. Allerdings sind dann auch die Preise noch sehr hoch. Wer erst am hellerlichten Tag dort auftaucht, kann die Farbreste zu Spottpreisen erwerben. Allerdings drückt das frühe Aufstehen auf die Schaffenskraft. Die Frühaufsteher sind mehr oder weniger davon abhängig, am Abend im Theater noch etwas zur eigenen Erbauung zu tun.
Das gemeinsame Fresko, an dem wir alle arbeiten, besteht aus einem Mosaik von Einzelteilen, für deren Fertigstellung wir jeweils Grundfarben und Farbmischungen in einer vorgegebenen Zusammensetzung bereit haben müssen. Damit erwerben wir das Mosaik und erhalten Siegpunkte sowie weitere individuelle Vorteile. Ist ein Mitspieler schneller beim Erwerb der notwendigen Farben, so schnappt er uns das Mosaik vor der Nase weg, und wir müssen uns ein anderes aussuchen. Das ist nicht ganz so peinlich, wie es sich auf den ersten Blick liest, denn die erworbenen Farben sind auch für andere Mosaikteile zu gebrauchen. Vielleicht aber hecheln wir mit unserem Farbbesitz auf der Bildfläche hin und her und jedesmal, wenn wir ein Mosaikteilchen ins Auge gefaßt haben, schreit unsere Vorgängerspieler: „ich bin schon da.“ Das gilt mit Sicherheit für die letzte Runde, wo nur noch ganz wenige Teilchen fertigzustellen sind.
Deshalb ist es enorm wichtig, vor der letzten Runde als erstes ziehen zu dürfen. Und dazu muß man in der vorletzten Runde die wenigsten Siegpunkte erworben haben. Genau dies ist die größte Herausforderung in „Fresko“: In jeder Runde immer genau soviele Siegpunkte zu machen, damit man in der daraus resultierenden Zugreihenfolge eine Position bekommt, in der man seine Ziele erfolgreich verfolgen kann. Ohne dabei natürlich total abgehängt zu sein!
Wir haben etwas frisch drauflos gespielt und so war es unvermeidlich, daß mehrere Spieler mehrmals zwischen der ersten und der letzten Spielerposition rochierten. Walter hielt dies für eine fehlende Balance im Spieldesign: Der Startspielervorteil ist zu extrem. Von Günther wurde dem eifrigst wiedersprochen: Die verschiedenen Mosaikteilchen seien in sich alle ausgewogen. Je höher die damit verbundenen Siegpunktzahl, desto schwieriger die benötigte Farbkombination. Und dies alles in einem mehr oder weniger linearen Zusammenhang.
Diese kontroverse Einschätzung bedarf zu ihrer Entscheidung unbedingt nochmals einer Spielwiederholung. Demnächst in diesem Theater.
WPG-Wertung: Aaron: 5 (der Spiel-Mechanismus hat Probleme), Günther: 8 (das Spiel ist stimmig), Moritz: 8, Walter: 6 (Der extreme Startspielervorteil paßt nicht zur planerischen Spiel-Ausrichtung)

07.07.2010: Fußball statt Westpark

Zum ersten Male in zehn Jahren wurde ein Spielabend am Westpark wegen eines Fußballspiels verschoben. Das Champions Leage Endspiel der Heimmannschaft und die WM-Gruppenspiele der Nationalmannschaft konnten sich bisher nicht durchsetzen. Auch für diesen Mittwoch hatten Aaron, Hans und Peter schon zugesagt.
Am Freitag kam dann der erste Hinweis auf eine mögliche WM-Kollision von Peter:
„Indes weise ich darauf hin, dass am Mittwoch das Halbfinale mit argentinischer Beteiligung stattfinden wird. (In dem ausgesprochen unwahrscheinlichen Fall, dass jemand anderes weiterkommen sollte, wird wohl der Termin verschoben?)
Am Samstag Abend durfte Moritz frohlocken: „Es ist soooooo schön, Dich unrecht haben zu sehen, Peter :-)“
Dieser Schönheit konnte sogar Peter zustimmen: “Du hast völlig Recht :-)“. Er fragt jetzt noch zaghaft (oder gar dringlich) an:“Spielen wir statt Mittwoch vielleicht am Dienstag?“
Aaron war das egal:„ Ich kann an beiden Tagen und mir reicht ein [Fußball]Ergebnis statt 90 Minuten Langeweile. Ich finde Fußball immer noch genauso spannend wie jemandem beim Würfeln zuzuschauen, der hofft eine Sechs zu schaffen.
Hans zog dagegen seine Mittwochzusage definitiv zurück: „Nur glücksabhängig ist Fußball meiner Meinung nach nicht :-) Wie auch immer! Die Revanche gegen Spanien kann ich nicht verpassen, aus mehreren Gründen, und die Überrachung, dass es überhaupt dazu kommt, ist noch der geringste. Also bin ich leider am Mittwoch nicht zum Spielen dabei! Falls es sich ergeben sollte, aber gerne an einem anderen Wochentag …“
Aaron bekräftigte seine Meinung zur Glücksabhängigkeit: “Ich behaupte, dass bei Spielen von Mannschaften in der gleichen Klasse (z.B. Erste Bundesliga oder WM) der Glücksfaktor einfach zu hoch ist. Warum? Die Anzahl der für einen Sieg gezählten Ereignisse ist einfach zu gering (siehe 1:0 für Spanien von gestern oder die Tore wegen unglücklicher Schiri-Entscheidungen in einigen anderen Spielen). Das ist Problem Nummer eins. Problem 2 ist, dass die Zeit pro zählfähigem Versuch (i.e. Schuss aufs Tor) viel zu lang ist. Da kommt bei mir die Langeweile auf. Aber ist halt wohl Geschmackssache, denn ich finde Sportveranstaltungen anschauen immer langweilig…“
Hierin fand er jetzt Unterstützung bei Peter: “ Aarons Analyse ist vollkommen richtig; ich konnte nie verstehen, wie man Fußball z. B. dem Tennis vorziehen kann, wo immer Punkte vergeben werden und sich der Bessere automatisch durchsetzt.
Allerdings kam bei mir mit fortschreitendem Alter [Anmerkung der Verfassers: Ich glaube, er hat die 20er schon überschritten] die Erkenntnis: Genau das ist das Problem von Tennis und der Charme von Fußball. Der Glücksfaktor ist so hoch, dass halt immer etwas Unerwartetes passieren und der Underdog gewinnen kann. Der Fußballfan will keinen überlegenen 4:0-Sieg, der will einen 2:1-Sieg, bei dem die beiden Siegtore in der 89. und der 90. Minute fallen.
Oder, anders formuliert: Deswegen ist Menschärgeredichnicht erfolgreicher als Caylus. Jetzt fragst du mich, warum ich dann nicht Caylus spiele. Antwort: Weil derzeit alle Kinder Menschärgeredichnicht spielen und man Rudeltier ist.
Peinlich, aber wahr.“

Jetzt konnte sich Moritz nicht enthalten, eine große Analyse über das Siegen im Fußball darzulegen:
“Es ist doch eigentlich ganz einfach: Natürlich gehört beim Fußball Glück dazu, aber das Entscheidende ist, dass im Fußball nur derjenige Glück hat, der auch was kann. Selbst bei absolut gleichwertigen Mannschaften zählt beim Aufeinandertreffen nicht das Glück sondern zuallererst einmal die Taktik der jeweiligen Trainer, und inwieweit die Spieler diese umsetzen können. Die bessere Taktik gewinnt 99% aller Spiele, das kann man sehr oft sehen, auch in der Bundesliga. Ohne Taktik wäre Rehhagel mit seiner grottenschlechten Griechentruppe nie Europameister geworden, das war kein Glück sondern Bollwerktaktik.
Deutschland – Argentinien war der beste Beweis dafür – es ist kein Zweifel, dass die individuellen Spieler der Argentinier (Messi, etc.) besser waren als unsere, aber es war klar, dass Löw Maradonas limitierte taktische Intelligenz ausnutzen würde. Wie die deutsche Verteidigung die an sich starken argentinischen Spieler relativ mühelos neutralisierte, war schön anzusehen. Gleichzeitig fand Löw die richtigen Mittel, die argentinischen Verteidiger zu umgehen, also offensiv wie defensiv die richtigen Mittel, eigentlich ein Idealfall. Das 4:0 ist also kein Glücksergebnis – alle Tore der deutschen Mannschaft waren wunderbar aus dem Spiel herausgespielt, am schönsten zu sehen bei Podolskis selbstloser Passvorgabe zu Klose, da kam Teamgeist vor Eigennutz, und das hat Löw den Jungs erfolgreich eingedrillt. Insofern ähnelt Fußball schon einem komplexen Brettspiel und ist viel
reizvoller, als viele von euch denken. Und in der Halbzeit werden oft die einzelnen Taktiken noch einmal überarbeitet und es gibt manchmal radikale Wendungen im Spielverlauf. Aber Peter hat schon recht, dass auch das Unvorhergesehene eine Rolle spielt: Schiedsrichter, Torentscheidungen, Elfmeter, etc. Aber das ist eigentlich nur das Salz in der Suppe – denn auch in 1830 kann ich nicht jede einzelne zukünftige Entscheidung meiner Mitspieler voraussehen, da wird mich auch manches überraschen oder kalt erwischen wie eine bizarre Schiedsrichterentscheidung.
Bei WMs steigt das Glückselement natürlich etwas, aber die taktische Aufstellung wird NOCH wichtiger als in der Bundesliga, eben weil man nur eine Chance hat und die anderen Teams erst während des Turniers richtig kennenlernt. Das ist alles hochspannend. Auch ist eindeutig zu beobachten, dass die Trainerwahl eine Riesenrolle beim Erfolg spielt (sonst wären bestimmte Trainerkarrieren wie Mourinho oder van Gaal, die IMMER erfolgreich sind, egal welche Mannschaften sie trainieren, gar nicht möglich). Auch das ist der beste Beweis dafür, dass beim Fußball Taktik und Spielanlage wichtiger als Glück sind, dann wären alle Trainer einer Liga immer ungefähr gleich erfolgreich, dass stimmt aber eindeutig nicht. Manche sind und bleiben Gurken.“

Dieser musischen Logik mußte der Naturwissenschaftler Peter natürlich widersprechen: “ Wann’s so einfach wär’, würd’ ich dem Löw empfehlen, die Taktik von der Schweiz zu kopieren, die hilft nämlich gegen Spanien.
Aber was machen wir, wenn die Spanier dann die serbische Taktik übernehmen?“

Heute, post mortem [Germaniae] können wir konstatieren: “Vicente del Bosque hat den Hitzfeld kopiert. Und den Marko Pantelic. Wer wird wohl wen in 4 Jahren kopieren?“
Und was wurde am Westpark gespielt? Am Dienstag gab es einen privaten Skat und am Mittwoch einen privaten Fußball. Was am Dienstag bei Peter gespielt wurde, weiß ich nicht. Vielleicht wird es Aaron uns noch verraten.

23.06.2010: Spielen gegen Ghana

„Nach dem Spiel bleiben die Verlierer wie begossene Pudel zurück und denken über ihre Fehler und verpaßten Chancen nach. Die Meute von Zuschauern und Reportern geht mit den Siegern, zupft sie von vorne oder hinten am Trikot, um einen Blick oder Kommentar zu erhaschen. Die Sieger gehen weiter und nehmen den Trubel um sie herum kaum wahr. Sie drücken dem einen oder anderen flüchtig die Hand, damit er Ruhe gibt und sie sich aus dem Gedränge in die Kabinen retten können.“Dante und die WM
(Dante, Purgatorium, Sechster Gesang, ca. 700 Jahre vor der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika;
wahrscheinlich konnte Dante sich gar nicht vorstellen, daß nach einer 1:0-Niederlage selbst der Verlierer glückstrahlend vom Feld gehen kann.)
1. “Die Nomaden”
Das Spiel ist noch nicht erschieden. Noch nicht einmal der Verleger steht fest. Maximillian (der von „Macht$piele“) hat es erfunden und bis zur Prototyp-Reife ausgearbeitet; heute kam er bei uns am Westpark vorbei, um es testen zu lassen.
Wer den Autor von „Macht$piele“ im Internet nachschaut, wird keinen „Maximillian“ finden. Dort versteckt er sich unter dem Pseudonym „Bauldric & Friends“, wie bei seinen anderen Spiele auch. 12 Stück hat er augenblicklich in der Mache. Für Idee und die Basisversion braucht er nur wenige Tage (!), wenn nicht sogar Stunden (!!). Bisher haben wir immer geglaubt, eine Spieleentwicklung müsse Jahre dauern. Offensichtlich geht es auch schneller.
Allerdings dauert es dann doch noch Monate, bis ein Verlag die Idee übernommen, das Thema nach der eigenen Verlagsphilosophie adaptiert und das Spiel serienfertig auf den Markt gebracht hat. Manchmal kennt der Autor dann sein eigenes Spiel nicht mehr wieder. So ging es Max auch mit seinem jüngsten Kind, das demnächst bei Hans-im-Glück erscheint. Aus dem Erwerben von liebreizenden Damen (mittels Blumen, Diamanten und flotten Sprüchen) wurde das Zusammenstellen einer Tierfarm (wahrscheinlich mit Möhrchen, doch die Details dazu haben wir nicht näher erfragt).
Max legt als kreativer Spieleerfinder (in Berufung aber nicht als Beruf) wenig Wert auf große Marktakzeptanz und hohe Verkaufszahlen. Sein Ehrgeiz ist es, bei Spielefreaks anzukommen und vielleicht einmal einen Spitzenplatz in den Charts bei Boardgame-Geeks zu bekommen. Seine grundlegende Konstruktionsidee ist Dynamik im Aufbau. Die Spieler sollen ihren Besitzstand entwicklen, aber nichts ist sicher, alles ist in Bewegung; Preise und Kosten hängen ausschließlich von den Interaktionen der Spieler ab. Dabei soll das Spiel samt Regeln nicht kompliziert sein, aber komplex. Voll dieser Richtung liegen seine „Normaden“.
Jeder Spieler führt ein Nomandenvolk durch die Jahreszeiten. Wir bewegen unsere Pöppel über die Felder jahreszeitlicher Regionen, vermehren uns, küren Häuptlinge, bauen Lagerplätze und Dörfer, ernähren unsere Bevölkerung, und ernten unsere Äcker. In den Frühjahr- und Sommerregionen bekommt wir die Nahrung umsonst. In den Winter-Regionen können wir die benötigte Nahrung nur mit Mühe zusammenkratzen. Da ist es manchmal besser, seine Pöppel in den Winterschlaf fallen zu lassen und sie erst wieder zu aktivieren, wenn der Frühling wieder da ist.
Um die fruchtbarsten Äcker zur besten Jahreszeit gibt es natürlich ein Gedränge. Nur maximal zwei Spieler dürfen einen Acker besetzen; für weitere Spieler ist das Betreten dann Tabu, es sei denn, ein sie kommen mit großer Mehrheit; dann können sie einen einzelnen fremden Spielstein verdrängen. Zwei oder mehr Spielsteine auf einem Acker (vom gleichen oder von verschiedenen Spielern) bringen höhere Erträge; d.h. das Betreten eines gemachten Bettes durch einen fremden Spieler ist nicht a priori verpönt, auch wenn die Erträge dann geteilt werden müssen.
Gemeinsamkeit macht sich auch in der „Schamanenphase“ bezahlt. Hier darf jeden Spieler einen Teil seiner Zugpotenz investieren, um die Wirtschaftlichkeit in einer Region zu modifizieren, z.B. höhere Erträge für alle oder aber auch größerer Nahrungsbedarf für alle. In Regionen, in denen viele Spieler anwesend sind, gehen die Modifikationen naturgemäß häufiger in die positive Richtung. Einer Regionen, in denen ein Spieler sich alleine engagiert hat, werden von der Mehrheit der Mitspieler mit großer Wahrscheinlichkeit die negativen Effekte aufgeladen.
So besitzen „Die Nomaden“ ein sehr komplexes Netz von gegenläufigen Abhängigkeiten:
– Schützt man sich durch paarweises Zusammenlegen seiner Pöppel vor Verdrängung, so geht das auf Kosten von Ertragsmaximierung.
– Wartet man mit „Tempozügen“ die Entwicklung der anderen ab, kann man hinterher darauf besser reagieren; allerdings sind manchmal dann schon die besten Plätze besetzt.
– Vermehrung schafft mehr Ernte- und Verdrängungspotential, erfordert aber auch mehr Nahrung und mehr Aktionspunkte beim Bewegen.
– Die Umwandlung von einfachen Nomaden in Häuptlinge löst das Ernährungsproblem, geht aber auf Kosten von Kopfzahlen.
– Auf welchen Äckern soll man sich engagieren? Einige Rohstoffe werden im Endspiel für hohe Siegpunkt-Einsätze benötigt, Nahrung hilft zum Überleben in den kalten Jahreszeiten und Aktionen (die ebenfalls auf Äckern „wachsen“) erlauben mehr Bewegung, mit denen wir den Winter-Regionen davonlaufen können.
– Soll man als Schamane seinen Handlungsspielraum opfern, um eine unglückliche Konstellation selber zu beseitign oder hofft man, dass dies ein Mitspieler tun, der noch mehr darunter leidet?
– und einiges mehr
Diese Abhängigkeiten sind so gut ausbalanciert, daß die verschiedensten Strategien zum Sieg führen können: Viele Aktionen, viele Nahrung, früher Bau von Lagerstätten und Dörfern. Selbst das oportunistische Mitschwimmen im Meer der möglichen Aktionen unter Ausnutzung des jeweils nächstbesten Zuges hat gewisse Siegchancen. Max wurde zu Beginn um seine eigene Strategie für heute gefragt. Er hielt sich bedeckt. Schließlich wollte er auch in einem Feld von Neulingen noch als Sieger hervorgehen, und dazu gehört unbedingt, daß keiner das strategische Vorgehen kennt und dagegen arbeitet. Doch für den Sieg muß die richtigen Strategie auch noch von einem ein konsequenten, fehlerfreien Vorgehen begleitet sein. Und das ist selbst bei längeren Analysieren und Planen nicht immer zu bewerkstelligen. Mit Freude konnten wir auch vom Autor solche Sprüche hören wie: „Was hab’ ich jetzt wieder für einen Scheiß gemacht!“
Dreieinhalb Stunden dauerte das Spiel (, ohne die gut einstündige mündliche Einführung). Bis zum Schluß blieb es spannend. Dazu trägt auch bei, daß einige langfristig vorbereitete Züge riesige Siegpunktmengen einbringen, und es nicht zu übersehen war, wer mit seinen Planungen am ehesten das erforderliche Limit überschreiten würde. Der Autor war’s! Knapp!
Jeder hätte noch länger an seinen Zügen herumrechnen können. Das ist vielleicht einer der Nachteile der „Nomaden“. Nicht immer hat man Zeit und Lust für ein dreistündiges Aufbauspiel. Doch das ist der einzige Nachteil!
WPG-Wertung: Günther: 6 (Einschränkung, weil das Spiel zu lange dauert; die Kompexität, auch wenn sie gut durchkonstruiert ist, ist an manchen Stellen gar nicht notwendig), Hans: 8 („auf jeden Fall“), Walter: 8 (eine Masse von hübschen Spielideen in eine runde Gesamtgestaltung gegossen) .
Die langen Denkzeiten waren heute kein Problem. Erstens gab es laufend etwas mit dem Autor zu diskutieren. Und zweitens gab es im Untergrund ein lebenswichtiges Fußballspiel, das im Life-Ticker und durch die Freudenschreie der besten aller Ehefrauen ständig für Abwechslung sorgte. Das ist vielleicht eine Möglichkeit, manche Denkerspiele für die Mitwelt überhaupt erst genießbar zu machen: Laßt im Hintergrund ein spannendes Nebenprogramm laufen (wenn keine Fußball-WM ist, tut’s vielleicht auch ein saftiger Porno), so daß die Auf-das-Ende-von-Denkprozessen-wartenden Mitspieler Ablenkung haben und zuweilen gar nicht erst zum Spieltisch zurückkehren mögen. Vielleicht kam man die notwendigen Bildbeiträge sogar gleich zusammen in der Spielschachtel ausliefern.

16.06.2010: Brot und Brettspiele

Walter ist unter die Brotbäcker gegangen. Was sollte er auch tun, seit er aus dem aktiven Berufsleben ausgeschieden ist. Spiele erfinden? Aaron (siehe „ausgeschieden“) ist überraschenderweise ebenfalls ein begnadeter Bäcker und hat gerne eine Probe von Walters heutigen Backversuch gekostet. „Guter Geschmack“ war das einhellige Urteil für Roggenmehl, Kartoffelbrei, geröstete Zwiebeln, Kürbiskerne und selbstgebrautem Sauerteig. Vielleicht war der Laib innen noch etwas zu klamm. Aaron fragte unverzüglich nach der Backzeit: 10 Minuten bei 250 Grad, 10 Minuten bei 200 Grad und eine halbe Stunde bei 175 Grad. „Eigentlich hätte das reichen sollen.“ lautete sein fachmännischer Kommentar. Wenigstens geschmacklich gab es nichts auszusetzen. Nicht einmal etwas von der kritischen Ehefrau, wenn man den Nachsatz: „Aber ich würde gerne mal wieder ein richtiges Bäckerbrot essen“ nicht auf die Goldwaage legt. Vielleicht kann das selbstgebackene Brot in Zukunft am Westpark sogar die ungesunden und garantiert rot-ampeligen Kartoffelchips verdrängen.
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1. “A la carte”
Passend zur Bäckerei kam mit „A la carte“ gleich ein Kochspiel auf den Tisch, die Überarbeitung eines 20 Jahre alten Vorgängers vom einstmals äußerst innovativen Karl-Heinz Schmiel („Die Macher“) bei Moskito-Spiele. Und obwohl es sich nur um ein Remake handelt, schaffte es das Spiel bis in die Auswahlliste zum „Spiel des Jahres“ 2010. Günther hatte es mit seinem Spuiratzn-Team durch einen dritten Platz bei den Vorausscheidungen zur Deutschen Brettspielmeisterschaft gewonnen.
Das Spielmaterial ist äußerst liebevoll zusammengestellt. Es gibt Fläschchen mit den Gewürzen Pfeffer, Paprika, Safran und Kurkuma (zumindest mit deren Farben), es gibt wunderschöne Kochplatten mit einem Drehknopf für die Temperatur, Metallpfannen, Spülbecken, Mülleimer (als Bäckerlehrling weiß man das besonders zu schätzen), Tabletts, Kaffeetassen für die Pause zwischendurch und natürlich Rezepte, die wir mit den richtigen Gewürzen bei der richtigen Temperatur herstellen sollen.
Die Namen der Gerichte zeugen von hoher Goumet-Erfahrung des Autors. Oder des Verlages. „Bei Nilpferd in Burgunder“ läuft einem doch schon das Wasser im Mund zusammen, und „Leberkäs Hawaii“ darf auf keiner bayerischen Speisekarte fehlen. Aaron fand die „Sauren Zipfel in Sahnesauce“ leicht pornographisch; seit den Vorgängen im Bistum Augsburg sind wir bei mißverständlichen Formulierungen wohl alle hellhöriger geworden.
Die Basis, Fisch, Fleisch oder Vegetarisches, wandert automatisch in die Pfanne, würzen müssen wir, indem wir die richtigen Gewürzfläschen auswählen und einmal über der Pfanne umkippen. Wenn dann genau die richtige Gewürzmenge aus dem Fläschchen herausgerieselt ist, sind wir glücklich und haben mindestens eine Bedingung für ein gelungenes Gericht erfüllt. Ist zu wenig herausgerieselt, müssen wir noch einen Zug für das Nachwürzen opfern. Oder noch einen. Ist zuviel herausgerieselt, ist das Gericht verdorben und wandert in den Müll (siehe Bäckerlehrling).
Erschwert wird die Würzerei dadurch, dass sich in den Gewürzfläschchen auch unerwünschte Salzkörner befinden, die, in zu hohen Maßen herausgeschüttelt, ein Gericht ebenfalls ungenießbar machen.
Die Temperatur wird per Würfel eingestellt. Für jedes Würfelauge müssen wir die Temperatur um eine Stufe erhöhen. Für besondere Würfelaugen müssen die Mitspieler auch ihre Heizplatten höher stellen. Wenn dann ein Gericht verbrannt ist, landet es wieder im Mülleimer. Beim Vorlesen dieser Regeln umwölkte sich unverzüglich Walters Stirn, doch Aaron und Günther konnten umgehend beschwichtigen: „Das ist doch ein Dödelspiel!“ Bei Wikipedia und bei LEO weiß man zwar nicht, was „dödeln“ ist, doch den bayrischen (?) Ausdruck für eine nicht ernst zu nehmende Sache kennen selbst die Zuagroasten.
Wir dürfen auch bei unseren Kochkonkurrenten nachwürzen, um denen die Suppe zu versalzen. Wir dürfen sogar mit unseren Mitspielern die Herde (das ist kein Sammelbegiff für eine tierische Lebensform, sondern unser Kochgerät) samt Pfanne und Inhalt vertauschen. So, jetzt wißt ihr hoffentlich alle, was „dödeln“ ist.
Für ein Gericht, das mit genau den vorgeschriebenen Gerichten und keinem Störsalz dazwischen im richtigen Temperaturrahmen zu Ende gebacken wurde, bekommt der Koch einen Schmiel-Stern. Sobald ein Spieler den dritten Stern erhalten hat, ist er Sieger. Wer von uns hat wohl diese Auszeichnung gewonnen. Der Bäckerlehrling oder sein Berater? Der Berater! Ohne einen einzigen Gewürz-Fehlwurf hatte er seine „Spaghetti al Rabiata“, den „Calzone Capone“ und die „Maus o Schokolad“ über die Runden gebracht. Da sag’ nochmal einer etwas gegen ein „Dödelspiel“!
WPG-Wertung: Aaron:7 („möchte es nicht jeden Abend spielen“, aber vielleicht ab und zu einmal am hellerlichten Tage , Günther: 7 (einem geschenkten Barsch …), Hans: 7 („Wenn ich gewußt hätte, dass wir heute in Faschingstimmung sind, hätte ich auch ein Spiel mitgebracht: Wasabi“. Was immer das ist.), Walter: 7 (im Vorgriff auf die Enkelkinder)
2. “Die Speicherstadt”
Falls einer diesen Begriff nicht kennen sollte: Es handelt sich um einen Hafenbezirk in Hamburg, wo einmals Waren gelagert wurden. Heute beherbert er die größte Modelleisenbahnanlage der Welt und so manches Michelin-Sterne-Lokal, z.B. das „Zippelhaus“.
Doch so weit sind wir noch nicht, „Die Speicherstadt“ ist immer noch der Umschlagplatz für Waren, die mit Schiffen herangekarrt werden. Wir ersteigern Aufträge zum Abliefern bestimmter Warenkombinationen, Schiffsladungen natürlich, mit denen wir unsere Aufträge erfüllen wollen, und eine ganze Reihe von Beiwerk für Sonderpunkte. Der „Michel“ bringt am Ende vier Siegpunkte, die Flußschifferkirche drei, der Hafen für jedes Schiff einen, die Handelkammer für jede Münze einen und ähnliche Dinge. In der „Markthalle“ können wir mehrere Waren, die wir uns gerade per Schiff eingehandelt haben, lagern, ansonsten verfällt alles, was nicht sofort verwendet werden kann.
Ab und zu bricht mal ein Brand aus. Wer dann die meisten Feuerwehrleute erstanden hat, bekommt Siegpunkte, ziemlich viele sogar. Wer die wenigstens Feuerwehrleute hat, bekommt entsprechend Minuspunkte. Macht schon mal die doppelte Differenz aus. Feuerwehr ist lohnend.
Aufträge erscheinen weniger lukrativ. Der Kampf um ihren Erwerb und um die passenden Schiffsladungen bringen weniger ein als das einmalige Beten im Michel.
Das Bemerkenswerteste an der „Speicherstadt“ ist der Versteigerungsmechanismus, mit dem wir an die Objekte der Begierde herankommen. Wir setzen unsere Pöppel in Reih’ und Glied an die Stellen, wo Schiffsladungen, Aufträge, Feuerwehrleute etc. in Kartenform ausliegen. Ohne Verdrängen dürfen beliebig viele Pöppel beliebig vieler Spieler an einer Stelle stehen. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Doch jetzt kommt das Besondere: Je mehr Pöppel an einer Stelle stehen, desto höher ist der Preis. Haben sich z.B. 5 Pöppel um einen Feuerwehrmann beworben, so darf der Besitzer des vordersten Pöppel diese Karte für 5 Münzen einstreichen. Ist ihm diese Karte nicht so viel Geld wert, so zieht er seinen Pöppel ersatzlos zurück und der nächste in der Reihe dürfte den Feuerwehrmann jetzt für 4 Münzen erwerben. Und so weiter.
Doch das Geld ist knapp. Mit 5 Münzen geht ein jeder ins Rennen. Mit zwei Erwerbungen a zwei Münzen ist man schon fast pleite. Eine Münze bekommt man pro Runde wieder dazugeschenkt. Da kommt man als heruntergekommener Hanseat nicht mehr so leicht auf einen grünen Zweig. Und Waren in Geld umzusetzen ist auch sehr mühsam. Wir haben heute konstatiert, dass zumindest bis zur Mitte des Spiels keine Karte mehr als drei Münzen wert ist. Selbst drei Münzen sind schon ziemlich teuer. Der erste in der Reihe schafft es fast nie, eine Karte zu erwerben. (Es sei denn, alle Konkurrenten sind gleichzeitig ziemlich mittellos geworden.) Auf den hinteren Plätzen wird alles zwar billiger, doch die Kaufchancen stehen dabei auf wackligen Füßen, weil die Pöppel auf den vorderen Plätzen ja Vorkaufsrecht haben. Durch scharfe Kalkulation, in der man Ambitionen und Bargeld der Mitspieler berücksichtigt, kann man zuweilen ein Schnäppchen machen. Und man kann einen knapp-kassigen Mitspieler leer ausgehen lassen, vor allem, wenn man der letzte in der Setzreihenfolge ist.
Walter hatte etwas unüberlegt sein monetäres Pulver vorzeitig verschossen und mahnte bei seinem Nachfolger Hans die alte Volksweisheit an „Wes Brot ich eß, des Lied ich sing!“. Vergebens. Gnadenlos ließ der seinem Brötchengeber das letzte Schiff samt Ladung durch die Lappen gehen.
Ob man mit seiner Setzlogik allerdings mehr als einen Zug vorausdenken kann, muß bezweifelt werden. Sobald mehr als ein Mitspieler drei oder mehr Münzen zur Verfügung haben, kann der Ausgang der nächsten Bietrunde schon nicht mehr vorhergesagt werden. Dann fängt das Mitspielerchaos an. Nicht direkt als hoffnungsloses Durcheinander, aber als Unfähigkeit des menschlichen Gehirns, in absehbarer Denkzeit das Gleichungssystem mit den bekannten und unbekannten Abhängigkeiten zu lösen. Und glücklicherweise versuchte dies heute auch keiner.
WPG-Wertung: Aaron:6 (Einschränkung durch die Nicht-Planbarkeit der Auftragserfüllung), Günther: 8, Hans: 8 (mit Siegerbonus), Walter: 7 (mit den gemachten Erfahrungen auf jeden Fall einen neuen Versuch wert)
3. “R-öko”
Ein Kartenspiel rund um das Thema Müllerzeugung und Müllverbrennung, aber eigentlich geht es nur um Siegpunkte.
In der Tischmitte liegen vier verschiedenfarbige Kartenstapel mit jeweils den Zahlenwerten 0 bis 5, dazwischen gibt es eine Minus 2. Auf der einen Seite jedes Stapels wird produziert. Hier legen die Spieler reihum eine oder mehrere farblich passende „Produktionskarten“ ab. Nach jeder Produktion müssen / dürfen sie die auf der anderen Seite des Stapels liegenden „Müllkarten“ auf die Hand nehmen. Einerseits sind viele Müllkarten gut, sie verwandeln sich natürlich in der Spielerhand sofort in „Produktionskarten“. Andererseits sind zu viele Müllkarten auch schlecht, denn mehr als 5 Karten darf man nicht in der Hand halten, die überzähligen müssen abgeworfen werden und zählen bei Spielende als Minuspunkte.
Nach der Produktion werden neue Müllkarten auf die „Müllseite“ des Stapels gelegt, und zwar eine mehr, als gerade „produziert“ worden ist. Die Müllkarten werden immer mehr, und es wird immer schwieriger, strafpunktfrei zu produzieren.
Liegen auf der Produktionsseite eines Stapel mindestens vier Produktkarten, darf man sich die oberste Karte nehmen, sie bringt am Ende Siegpunkte. Im weitesten Sinne ist „R-öko“ also ein Stichkartenspiel; es gilt, aus seiner Kartenhand möglichst viele „Stiche“ mit Zahlenkarten zu machen. Kartenpflege gehört dazu, damit man sein Stichpotential erhöht, damit man den Mitspielern nicht leichtfertig schöne Stiche vor die Füße legen muß, und damit man bei den Strafkarten Ausweichmöglichkeiten hat.
Sich dabei auch noch zu merken, welche Karten die Spieler auf die Hand genommen haben, fördert natürlich die Siegchancen. Geht für Nicht-Bridger aber vielleicht schon zu weit. Gerade in dieser Balance zwischen Wäg- und Unwägbarkeit ist „R-öko“ ein sehr gelungenes hübsches Spielchen.
Innerhalb der Spiel-Balance gab es allerdings auch einen gravierenden Kritikpunkt: Der Spieler, der die erste 5er Zahlenkarte aufnimmt, beendet das Spiel. Demnach kann der letzte Spieler nochmals 5 Siegpunkte auf sein Konto bringen, während für alle anderen der Sudden-Death eintritt. Und 5 Punkte sind immerhin etwa 50% der Gesamtpunkt-Zahl, die ein Spieler am Ende erreicht. Das ist doch wohl ein bißchen unverhältnismäßig hoch! Oder etwa nicht?
Doch trotz dieses Kritikpunktes waren alle mit einer sofortigen Spielwiederholung einverstanden. 1:0 für R-Öko!
WPG-Wertung: Aaron:7 , Günther: 6 (Einschränkungen wegen des 5-Punkte-Schlusses), Hans: 7 („blitzschnell ändert sich das Bild und man kann ständig versuchen, die neue Situation zu lesen und zu analysieren“), Walter: 7 (hübscher Absacker)
4. “11 nimmt!”
Nein, es ist keine Expansion von „6-nimmt!“ auch wenn der Autor Michael Kramer heißt und die Karten mit den einfachen und mehrfachen Hornochsen gleich sind.
Gleich ist unsere Kartenhand mit zunächst 10 Karten, ungleich ist, dass zu Beginn nur ein Kartenstapel ausliegt. Hier dürfen wir auch keine beliebige höherwertige Karten anlegen, sondern nur eine, die maximal 10 Punkte höher ist als die ausliegende Karte. Soweit sind „11-nimmt!“ und „6-nimmt“ jedoch noch ziemlich ähnlich.
Die Effekte beim Nicht-Zugeben-Können und das Strafpunktverfahren sind dagegen gänzlich anders. Wer nicht zugeben kann oder will (!), nimmt sich einfach eine beliebige ausliegenden Kartenreihe AUF DIE HAND. Es sind also noch keine Strafpunkte, sondern Karten, mit denen er weiterspielen darf. Besteht der aufgenommene Kartenstapel aus mehr als drei Karten, so darf er sich zusätzlich noch einen „Bullen“ nehmen. Dieser verschafft ihm das Privileg, in einem Zug nicht nur eine Karte, sondern beliebig viele Karten innerhalb des 10-Punkte-Abstandes abzulegen. Mit einer zweiten Bullenkarte darf man sogar an zwei beliebigen Stapeln beliebig viele Karten – unter Wahrung des 10-Punkte-Abstandes – ablegen.
Diese Bullen sind ein enormer Vorteil. Ein früher Bulle, den man sich z.B. gleich zu Beginn freiwillig durch die Aufnahme eines 3-Karten-Stapels zugelegt hat, zahlt sich im Laufe des Spiels mehrfach wieder aus.
„Bulle am Morgen,
erquickend und labend“

heißt es schon in einer alten Volksweisheit. Etwas weniger lyrisch könnte man sagen: „Ohne Bullen geht es nicht!“, doch ich will der 68-er Generation nicht auf den Schlips treten.
“11 nimmt!” spielt sich flott und pfiffig. Einziger Konstruktionsfehler: Auf Grund des Bullen-Privilegs gleicht sich der Nachteil des Nicht-Bedienen-Können und Stapel-Aufnehmen-Müssen ganz schnell wieder aus und gegen Ende des Spiels haben alle Spieler ungefähr gleich viel bzw. gleich wenig Karten. Mit wenigen Karten ist aber keine Strategie mehr möglich, die Chance bedienen zu können ist äußerst zufallsabhängig, und dies gerade auf der Zielgeraden! Ein gutes Rennen im gesamten Durchgang wird überhaupt nicht belohnt. Hier ist „6-nimmt!“ deutlich „gerechter!“
Aaron: 7 („6-nimmt!“ ist besser), Günther: 7, Hans: 6 (zu wenig Einflußmöglichkeiten, gerade in der Schlußphase), Walter: 7 (das Spiel soll wegen der Vorzüge seines Bruders, des genialen „6-nimmt!“ nicht mit Punktabzug bestraft werden!)
5. “Bluff”
Und ein Bluff gab es auch noch. Günther stand mit drei Würfeln gegen einen Würfel von Walter im Endspiel. Er hatte eine Zwei, eine Fünf und einen Stern unter seinem Becher. Nach seiner Immer-5-Strategie fing er mit einmal die 5 an. Walter sprang sofort auf drei mal die 5. Was hättet Ihr an Günthers Stelle jetzt getan? Auf zweimal den Stern heben und nachwürfeln? Oder auf vier mal die 5?
Günther zweifelte kurz und schmerzlos an. Schließlich heißt das Spiel „Bluff“! Und er hatte Recht. Walter hatte ihn einfach ins Boxhorn jagen wollen, doch dabei hatte er übersehen, dass Günther da auf keinen Fall hineinpaßt.
Hinterher gab es lange Diskussion, wie Walter wohl mit seiner Zwei unter dem Becher hätte reagieren können oder sollen. Drei mal die Zwei wäre es gewesen. Aber wäre das richtig „geblufft“ gewesen?
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

9.6.2010: Fressen und Schmieren

Wir sind Doktor! Peter hat grade den Doktortitel erworben. Sein Thema „Philologischer, historischer und liturgischer Kommentar zum 8. Buch der ‚Johannis’ des Goripp nebst kritischer Edition und Übersetzung“. Sein geiles Werk liegt auf Grund zweier grandioser Fehldrucke leider immer noch nicht in Buchform vor, aber den Titel darf er schon führen. Auch Andrea hat dieses Jahr den Doktor gemacht. Und voraussichtlich wird unser Moritz dieses Jahr sogar noch Professor an der Akademie werden. Ohne Doktortitel!
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Als Freund vom Wissenquiz kann man daraus natürlich sofort die Frage ableiten: „Was ist im akademischen Bereich höher-rangig: der ’Doktor’ oder der ’Professor’? Obwohl wir gerade Doktor geworden sind, kann ich diese Frage nicht schlüssig beantworten!
1. “7 ATE 9”
Ein kleines Kartenspiel, das Moritz auf der Spiel 2009 schon mit der Autorin Maureen Hiron und Tom Vasel von den Boardgame-Geeks gespielt hatte. Um uns das Spiel noch schmackhafter zu machen, beteuerte Moritz, daß die Autorin eine „bekannte Bridgespielerin“ sei. Diese Finte konnte Walter aber sofort durchschauen. Er kennt alle Top-Bridgespielerinnen der Welt. Wenigstens dem Namen nach! Es sind ja nur 8 1/2.
Beim Auspacken des Kartenstapels erkannte Aaron sogleich, daß es sich bei „7 ATE 9“ um eine Art „Advanced Mau-Mau“ handeln müsse. Moritz unterstrich den „real-time“ Charakter des Spiels. Was ist das? Wir müssen wie bei Mau-Mau aus unserer Kartenhand jeweils eine Karte passend zur letzten Karte auf dem Tisch zugeben, es geht aber nicht geordnet reihum, sondern wer als erster entdeckt, daß er eine passende Karte besitzt, darf sie asynchron sofort auf den Tisch legen.
Da kann doch ein Blinder mit der Krücke sehen, dass dieses unkoordinierte Vorgehen sofort Diskussionen und Rechthabereien darüber auslösen wird, welcher von zwei Spielern zuerst seine Karte hingelegt hat. Diese Blindenvision wurde ignoriert, doch Walter nutzt schon die ersten Kollision, um sich vom Spiel zurück zu ziehen. „Nix für mich, streitet euch ohne mich!“ Aaron war der zweite, der dieses Spielprinzip schon vom Prinzip her nicht akzeptierte. Die anderen drei spielten in weniger als zwei Minuten den Sieger aus. Das war’s dann auch schon.
WPG-Wertung: Aaron: 3 (weil’s funktioniert, ansonsten die nicht beantwortete Frage. „Was ist an dem Spiel gut?“), Loredana: 1 („ist kein Spiel“), Moritz: 5 („für die geforderte schnelle Reaktion“; vielleicht auch in memoriam der besten Bridgespielerin der Welt), Peter: 2, Walter: 2 („kein Spiel für den Westpark“)
2. “Maria”
Das neue Spiel von Richard Sivel. Eine Weiterentwicklung von „Friedrich“, mit den gleichen Kampfmechanismen, einer ähnlichen Geographie von Mitteleuropas und einer modifizierten historischen Grundlage.
Doch wir waren heute zu fünft, und „Maria“ geht nur zu dritt. Leider. Moritz packte das Material bedauernd wieder ein.
3. “Macht$piele”
Dieses Spiel geht mit bis zu 5 Mitspielern; wir haben es am Westpark bisher aber nur zu viert gespielt. Peter und Loredana waren heute die Frischlinge.
Schon während Aarons Erklärung erkannte Peter messercharf: „Das Spiel ist sozialkritisch!“ Nur ob hier die Sicht von „Ihr dort oben“ oder die von „wir hier unten“ zugrunde lag, blieb noch offen.
Bereichsleiter dürfen abdanken. Loredana – noch ist sie keine Deutsche – fragte: „Was heißt ‚abdanken’“?Unisono-Antwort des deutschen Männerquartetts: „Zurücktreten“. Für Sprachetymologen immerhin bemerkenswert, dass im Verb ‚abdanken“ das Wort „Dank“ enthalten ist. Vielleicht kommt das daher, daß in früheren Jahrhunderten die Führer (oder ihr Fußvolk) deutlich honoriger waren als heutzutage und immmer „mit Dank entlassen“ wurden.
Über diesen Bedeutungsklärungen tauchte natürlich sofort die Frage auf: „Hat Köhler abgedankt?“ „Nein, er hat den Schwanz eingezogen!“ (Dieser Satz in diesem Zusammenhang ist nicht meine Wortschöpfung, er ist lediglich ein wörtliches Zitat aus den heutigen Beiträgen. Ich hoffe, dass ich jetzt nicht wegen Verunglimpfung der Ex-Obrikeit belangt werden kann.)
Abgedankte Bereichsleiter haben zwei Verwendungsmöglichkeiten: Entweder gehen sie in den Vorstand, oder sie werden externe Berater. Welche Alternative hat wohl unser Holzkohlenhersteller gewählt?
Als Aaron auf den Punkt „Korruption“ zu sprechen kam, konstatierte Loredana: „Das ist ist Realität!“. Ein Mädchen von knapp über 17, für die das Leben gerade erst angefangen hat! Nach weiteren Details konnte Peter aufklären: „Korruption ist etwas Gutes!“.
Umfangreiche wirtschaftspolitische Kommentare aus mehr als 200 Jahren Gesamtlebenserfahrung begleiteten die Regelerklärung und der Witz der aktuellen Lage ließ manchen Ernst der Macht$piel-Regeln untergehen. So kam es auch gleich in der ersten Runde zu einem neuartigen Spiel-Skandal am Westpark:
Peter hatte für Walters Boss-Privileg 250 Mille Schmiergeld rübergereicht und der hatte sich mit Schmerzen vom Gedanken an die Gründung einer neuen Hauptabteilung getrennt. Da zog Aaron die nächste Ereigniskarte: „Der Boss wird entmachtet.“ Das Privileg ist nichts mehr wert. Walter kassierte als abgedankend-werdender Boss immerhin noch 200 Mille Entschädigung, doch Peter war das Objekt der Begierde unter den Hand zerfallen. Dagegen protestierte er unverzüglich: „Ich habe diese Regel nicht gekannt. Das Boss-Privieg ist das einzige, das per Ereigniskarte neutralisiert wird. Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich niemals dafür etwas geboten.“
Walter wollte natürlich seine 250 Mille nicht wieder rausrücken, höchstenfalls die Hälfte. Doch damit war Peter nicht zufrieden zu stellen. Was tun?
Mit drei weinenden Augenpaaren fingen wir die „Macht$piele“ nochmals von vorne an. Doch Widerwille und Animositäten waren schnell verflogen. Friedlich und fröhlich ging der konstruktive Intrigenkampf über die Bühne, jeder sah den Sieg vor Augen, Peters brach sogar in frühzeitiges Frohlocken aus, doch das Hosianna-Singen mußte er einem anderen überlassen.
Dem Sieger war sicherlich eine glückliche Erzfeindschaft zu gute gekommen. Die gewollte Unsymmetrie bei der Verteilung der Erzfeindschaften erzeugt nämlich bereits in der Startaufstellung ungleiche Siegchancen. Bekommen zwei Mitspieler sich zufällig gegenseitig als Konkurrenten zugeteilt, dann tun sie sich deutlich schwerer, hier den vierten Siegpunkt zu ergattern, als ein Sologänger, der locker und unbemerkt an seine Sonderaufgabe herangehen kann.
Doch Macht$piele ist ein dermaßen gut ausbalanciertes Spiel, so dass wir mit einem berechtigten Urvertrauen uns darauf verlassen wollen, dass Eggert-Spiele an den verschiedenen Einstellschräubchen so lange gedreht hat, bis die verschiedenen Wege zum Sieg nach Menschenvermögen gleich lang sind. Der Rest ist Spiel.
Es war noch nicht zu spät und zum Verifizieren der Chancengleichheit schlug Moritz vor: „Laßt es uns doch einfach nochmals spielen!“ Wir waren fast dazu geneigt. Doch dann pfiff aus der Ferne schon die vorletzte U-Bahn und Peter wollte keinesfalls auf einen Absacker verzichten.
Der bisherige WPG-Durchschnitt von 7,5 Punkten wurde genau gehalten: Loredana: 7 („die erste (abgebrochene) Runde hat mir besser gefallen“), Peter: 8 („nett & spannend“, anschaffenswert, Obletter macht’s möglich)
4. “Bluff”
Aaron stand im Endspiel mit einem Würfel gegen drei Würfel von Moritz. Mit einem Stern unter dem Becher begann er mit 2 mal die Zwei. Moritz hob auf 3 mal Eins! Was jetzt? Aaron probierte es mit 2 mal Stern? 4 mal die Eins wäre es gewesen. Claro. Post mortem!
Peter erlebte „das schönste Endspiel meines Lebens“. Viel Spiele hintereinander konnte er durch die exakte richtige Vorgabe alle seine Gegner gleichzeitig um jeweils einen Würfel kürzen. Bis er alleine übrig blieb.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

02.06.2010: Autobahnen und Wasserwege

Loredana wird Deutsche. Letzte Woche hat sie die Einbürgerungsprüfung abgelegt. Mit großer Wahrscheinlichkeit bestanden, denn sie ist ein kluges Köpfchen und noch dazu ihre schlechtere Hälfte ebenfalls. Hier eine Kostprobe aus dem Fragebogen: „Wo meldet man seinen Hund an?“ Bei seiner Katze? Ich jedenfalls wußte es nicht.
Peter hätte gleich auch noch eine wichtige Ergänzungsfrage zum Fragebogen beizusteuern. „Wer weihte die erste deutsche Autobahn ein?“ Nein, nicht der, an den ihr jetzt vielleicht denkt, sondern es war unser guter alter Dr. Konrad Adenauer, als er noch im lockigen Haar daherkam. Den Rest könnt ihr in der Weltgeschichte nachlesen.
1. “Magister Navis”
Gewitzt von den 2-3 Punkte-Spielen der letzten Wochen, vor allem aber auf Grund der bekannten Vorlieben von P&L sollte diesmal gutes deutsches Spielgut auf den Tisch kommen. „Magister Navis“ hat seine Nagelprobe bei uns bereits vor vier Monaten abgelegt.
Es ist ein Entwicklungsspiel, bei dem wir unser Personal, unsere Arbeitsplätze, unsere Liquidität und unser technisches Niveau erweitern müssen, um damit zuerst auf dem alten Kontinent Europa und später auch in Übersee punkten zu können. Pro Runde ziehen wir einen Arbeitsplatz, der eines oder mehrere unserer Einsatzmittel um einen oder mehrere Stufen verbessert. Alle Entwicklungslinien müssen organisch zusammenpassen. Personal ohne Arbeitsplatz, Arbeitsplätze ohne Personal, Liquidität ohne Personal, Personal ohne Liquidität sind alles vergeudete Energien.
Dabei ist „Magister Navis“ aber kein autistisches Patience-Spiel, bei dem jeder nur auf seine eigene Entwicklung achten muß. Es sind eine Menge Elemente eingebaut, die Konkurrenz und Interaktion mit sich bringen. Jeder Zug hat Einfluß auf unsere weiteren Chancen und die unserer Gegner. Unser jeweils bester Zug ist nicht allein auf die Beseitigung eines augenblicklichen Mangel gerichtet, er muß zugleich auch mehrere Schritte in die Zukunft mit ihren progressiv ausgelösten Veränderungen berücksichtigen. Mathematisch gesprochen ist auch die zweite und dritte Ableitung der Aufgabenstellung noch längst nicht Null.
Ganz wichtig ist am Anfang der „Markt“, denn die damit eingehandelten Bonus-Karten bringen uns am weitesten vorwärts. Im Mittelspiel sollte man sich auf bestimmte Erdteile konzentrieren, um dort die höherwertigen Bonuskarten vollständig abzugrasen. In der Schlußphase sind auch Kanonen nicht ohne, denn damit kann man sich manche noch fehlende Schlüsselposition freischießen. Allerdings braucht man dazu Munition, sprich Personal. Und dafür braucht man … ach all die anderen Mittel, die sich im gesamten Spielverlauf organisch ergänzen.
Das alles erfordert ein höllisches Aufpassen. Weder unsere Laien noch die Experten hatten das Spiel im Griff. Anfangs wurde nur der schwächste Stratege bekritelt und belächelt, dann streute auch unser Seriensieger Asche auf sein Haupt. „So wie ich spiele, ist es ziemlich blöd!“ und „Ach, das ist alles so schlecht austariert, ich Heini!“. Seine Bilanz vor Torschluß: „Wir haben alle schlecht gespielt“ relativierte er, noch bevor Peter protestieren konnte, zu: „Viele von uns haben schlecht gespielt“. Zumindest er war heute ganz deutlich einer davon.
Zum Glück ist das Spiel schnell zu Ende, und man muß nicht so lange unter seinen eigenen Fehlern leiden. Das „schnell“ ist hier echt als Design-Kompliment gemeint, nicht im Sinne des psalmodierten Hilfeschreis: „Mach’ End, oh Herr, mach Ende!” Es spricht durchaus für das breite Entwicklungspotential eines Spiels und ist keinesfalls mangelnde Balance im Design, wenn der individuelle Besitzstand in der Schlußphase uneinholbar auseinanderläuft. Allerdings darf das wirklich erst ganz am Ende passieren.
Doch in „Magister Navis“ trat, wie auch bei unserem vorigen Spiel, der unerwartete Effekt ein, dass in der Schlußabrechung die Ergebnisse alle wieder ziemlich dicht beeinander lagen. Loredana gewann mit 48 Siegpunkten, dahinter folgten im 2-Punkte-Abstand die anderen. Und das trotz der ganz unterschiedlichen Entwicklungslinien und trotz der massiven individuellen Fehler! Beim letzten Mal fand es Moritz „schocking, daß Walter trotz seines bizarren Spiels noch Dritter wurde“, diesmal könnte man es schocking gefunden haben, daß jeder trotz mancherlei bizarren Spiels fast noch hätte gewinnen können. Ist das jetzt ein Manko des Spiels (Mangelnde Belohnung für gute Spieldurchführung?) oder liegt darin sogar eine seiner Stärke (Balsam auf alle gefehlt habenden Spielerseelen?).
WPG-Wertung: Peter und Loredana blieben mit je 7 Punkten im Durchschnitt für unserem „Spiel des Monats Februar“.
2. “Zoff im Zoo”
Ein weiteres Pflichtspiel für Spielabende mit P&L. Ein Stichspiel mit Tieren. Der Fuchs sticht die Maus, der Löwe den Fuchs, der Elefant den Löwen und die Maus den Elefanten. Dabei wird auch schon mal eine Mücke zum Elefanten gemacht.
Bemerkenswert das paarweise Zusammenspielen mit einem Konkurrenten, mit dem man gemeinsam einen Teil der Siegpunkte erwirbt, den man aber zuweilen alleine im Regen stehen lassen muss, wenn Siegpunkte im Spiel sind, die nur einer von beiden bekommt.
Keine neue WPG-Wertung für ein 8.1-Punkte Spiel.
Loredana hat auch das zweite Spiel des Tages gewonnen. Es wird höchste Zeit, daß sie eingemeindet wird, damit unser Pisa-Index gleich einen weiten Satz nach vorne macht.
3. “Bluff”
Wieder stand Loredana im Endspiel. Diesmal gegen ihren Herren und Gebieter. Mit ein bißchen Geist im Kopf, aber mit sehr viel Masse in seinem Beutel machte er ihr klar, wo Bartel den Most holt. Immerhin blieben die Punkte in der Pisa-Familie.
Keine neue WPG-Wertung für ein Super-Spiel.

26.05.2010: Wächter und Drachen

“Ich bitte dich schon heute, weder in ‘Ja’ noch ‘Nein’ den Kopf zu verlieren. Es wird gehen, gleichviel, ob momentan die 6 oben liegt oder Null. Jeder Tag ist ein neues Würfelspiel und die Zahlen und Werte wechseln.” (Theodor von Thane)
Mein lieber Theodor, mit welchem Würfel hat man Dich solche Lebensweisheiten gelehrt?
1. “Die Insel der steinernen Wächter”
Moritz kündigte es an als „simples Fantasy-War-Game mit einem guten Timing-Endspiel Mechanismus“. Mit „Fantasy“ und „War“ sollte es eigentlich kein ‚Walter-Spiel’ sein, doch Moritz konterte den Einwand mit dem Hinweis: „Er hat doch ‚Friedrich’ auch so gut bewertet“. Daß ‚Friedrich’ keine Fantasy-Elemente enthält, stört doch keinen großen Geist!
Moritz entfaltete ein riesiges einfarbiges Spielbrett, für das wir erst mal alle Chips- und Gummibärchen-Schachteln zur Seite räumen mußten, um es auf dem Tisch auszubreiten. Die Farbe ist ein dunkles Preussisch-Blau und soll das Meer darstellen. Vom Material sieht es auf den ersten Blick aus wie Filz, ist aber eher ein grobes Löschpapier. Das erste umgefallene Weinglas wird es wohl nicht überleben. Zumindest wird dabei der Tisch nicht naß!
Auf dem Meer werden Inseln aus Hexa-Mustern aufgebaut, und zur Startaufstellung werden unsere Pöppel auf den Inseln verteilt. Jedes Feld enthält mindestens einen Pöppel und schon kann die Völkerschlacht losgehen.
Wie bei ‚Risiko’ bewegen wir unsere Pöppel auf die gutnachbarlichen Felder und brechen einen Kampf vom Zaun. Pro Agressor ziehen wir eine Kampfkarte, die uns einen oder zwei Nachbarn erschlagen läßt, einen möglichen Gegenschlag des Nachbarn abwehrt, oder vielleicht auch nur eine Niete ist, so daß unsere zahlenmäßig dominierende Armee schutzlos im Verteidigungsregen steht.
Nach dem Abhandeln der allseitigen Angriffswellen wird der Besitzstand gewertet und jeder bekommt neues Kapital, um daraus neue Armeen zu rekrutieren, Hauptquartiere auszubauen oder Schiffe zu kaufen, mit denen man ggf. schneller zu neuen Angriffszielen fahren kann. Claro, wer ein paar Kampfkartenkämpfe verloren hat, ist an Material und Knete dermaßen im Hintertreffen, daß er auf keinen grünen Zweig mehr kommt. Die restliche Spielzeit kann er sich dann an den elegangen Armeebewegungen seiner Mitspieler erfreuen.
Die Kämpfe werden aber nicht allein durch überlegenen Materialeinsatz entschieden, es ist ja ein Fantasy-Game und deshalb hat jedes Volk eigene Eigenschaften und ‚Runen’, um mit den Unbilden einer mißliebigen Umwelt zurechtzukommen. Zumindest wird damit eine gewisse Asymmetrie von Offensiv- und Defensiv-Neigungen geschaffen. Das eine Volk kann einen Erstschlag des Gegners abwehren, das andere Volk einen zusätzlichen Erstschlag anbringen, ein Volk darf seine besiegten Gegner als lebendige Schilde mit sich führen, ein anderes bekommt pro verlorenem Inselfeld sofort neue Armeen zugeteilt und macht damit jede Pyrrhusniederlage schon fast schon zu einem Sieg.
Das geilste Kampfelement sind die Zauberkarten, die jeder potente Spieler in jeder Runde ziehen, sammeln und bei passenden Gelegenheiten einsetzen darf. Sie ermöglichen ein Entfernen, Tauschen, Mogeln oder Mauscheln. Es gibt sogar Anti-Zauberkarten, die fremde Zauberkarten neutralisieren, also Kein-Entfernen, Kein-Tauschen, Kein-Mogeln und Kein-Mauscheln!
Die Zauberkarten sind echt krass, Mit der einen Zauberkarte kann man die gegnerischen Armeen beliebig verteilen und mit einer anderen Zauberkarte muß der Gegner pro Inselfeld alle Pöppel über 4 vom Spielbrett nehmen. Könnt ihr, liebe Leser, euch ausmalen, was man mit diesen beiden Zauberkarten zusammen ausrichten kann, wenn man die gegnerischen Armeen erst mal auf einen Haufen konzentriert?
Es gibt auch höchst wirksame Einzelzauber. Eine Zauberkarte erlaubt es, in einem Kampf alle guten Kampfkarten aller beteiligten Gegner auf seine Seite zu ziehen und dem Gegner nur die Nieten zu überlassen. Da ist der Gegner mit seiner drückenden Armeen-Mehrheit in die Schlacht gezogen und hinterher wird seine Mehrheit schnurstracks gegen ihn selbst verwendet. Wie wenn sich einer eine Atombombe bastelt und bekommt sie dann umgehend auf sein eigenes Hauptquartier abgeworfen. Hiroshima, mon amour!
Nach der ersten von abzählbar endlich vielen Spielphasen extrapolierte Aaron die mögliche Gesamtspielzeit. Die in der Spielanleitung behaupteten ca. 2 Stunden waren schon vollständig verbraucht. Moritz war der letzte an der Zugreihenfolge und hatte allein für seinen ersten Zug eine Denkzeit von einer Stunde (haben dürfen). Natürlich nicht ganz passiv, sondern unterbrochen von den Kampfkartenkämpfen, die ihm seine Mitspieler aufdrängten.
Es reichte. Uns. Einschließlich Moritz. Wir brachen ab. Keiner hatte noch einen einzigen Fuß auf ein einziges Feld auf der Insel der Seligen gesetzt, wo man sich die Siegespalme hätten holen können. Wer gewinnt das Spiel? Ich habe es vergessen! Wenn wir bis morgen früh weitergespielt hätten, hätte ich es vielleicht via Learning-by-Doing erfahren.
Und was war mit dem versprochenen „guten Timing-Endspiel Mechanismus“? Wer auf dem Weg zum Ziel die selbstverständlichen Unterstützungsfelder erobert, hat gleich gewonnen. Wer sich die Unterstützungsfelder nicht sichert, braucht mindestens zwei Runden länger. Das wäre dann absolut falsches Timing gewesen.
WPG-Wertung: Aaron: 3 (das Spielmaterial ist schlecht – materiell und ideell, ein Spannungsbogen wird nicht aufgebaut), Günther: 3 (hat vergessen, daß es mindestens 8 (aus 487) Spiele gibt, denen er nur 1 oder 2 Punkte gegeben hat.), Moritz: 3 („Die Kampfmechanismen sind einfach, werden aber durch Zauber, Runen und Völkereigenschaften unnötig kompliziert. Das zerstört die Eleganz.“), Walter: 2 (als Lotteriespiel 3 Punkte, als Kampfspiel 1 Punkt, im Durchschnitt also 2)
Die „Spielphase“ schreibt zu den „Wächtern“: Mit 5 (von 6) Punkten gefällt uns das Spiel vor allem zu zweit sehr gut. Diese Erfahrung können wir leider nicht teilen, da wir immer mindestens zu dritt spielen.
2. “Im Jahr des Drachen”
Das wohlproportionierte Aufbauspiel aus dem Jahre 2008 hat Erweiterungen bekommen. Mit der zusätzlichen Aktionskarte „Die chinesische Mauer“ wird der Aktionsspielraum erweitert. Wir können jetzt nicht nur Reis anbauen, Medizin studieren, Krieger ausrüsten, Feuerwerkskörper anzünden und Geld- und Siegpunkte anhäufen sondern auch ein Stück der chinesischen Mauer bauen, die beim Mongolensturm neue Anforderungen und neue Siegpunktquellen mit sich bringt. Der Effekt ist nicht sehr groß, doch der Spielraum unserer Aktionen wird in jedem Fall vergrößert.
Mit der Erweiterung „Super-Ereignis“ wird eines der jetzt schon existierenden, meist peinlichen Ereignisfelder verdoppelt, wir müssen z.B. gleich zwei Hungersnöte oder zwei Epidemien hintereinander bestehen, ohne dazwischen unsere Vorräte aufstocken zu können. Die Wirkung ist – sofern die Verdoppelung auf die klare Mehrheit der negativen Ereignisse fällt – , daß es noch schwerer ist, seinen Besitzstand in jeder Runde zu halten. Loslassen-Können, gezielter Personal-Abbau wird noch größer geschrieben.
Die neuen Erweiterungen fügen sich auf jeden Fall in die gelungenen Mechanismen der Basisversion von “Im Jahr des Drachen“ ein. Viele Wege führen zum Sieg. Frühem Punkten mittels Privilegien kann durch die Anschaffe von Hofdamen entgegengehalten werden, oder durch zeitgerechtes Gegensteuern zu einer ganzen Reihe von Engpässen, die früher oder später an unseren Besitzstand gehen.
Sich gleich zu Spielbeginn die komplette Kette der ausliegenden Ereignisse durch den Kopf gehen zu lassen und konsequent zu planen, an welcher Stelle man freiwillig Federn lässt um an anderen Stellen umso mehr Boden gut zu machen, das ist Voraussetzung zum Sieg.
Eine unabdingbare Hilfe stellt dabei der Buddha dar, entweder, indem er uns in bezug auf Zugpositionen vorwärts bringt, oder indem er in der Schlußabrechung die gesammelte Frömmigkeit unter unseren Dächern mit Siegpunkten honoriert. Günther war der frömmste.
WPG-Wertung: Keine Änderung der bisherigen Noten. Mit einem Durchschnitt von 7 Punkten erscheint mir das Spiel leicht unterbewertet.
3. “Aarons 18xx”
Aaron bastelt an einem 18xx-Eisenbahnspiel, dessen Hauptlinien er uns vorstellte. Es soll einfach und vor allem schnell gehen. Die Erlaubnis für die Aktionen wie Gleise-Legen, Städte-Ausbauen und Technologie-Fortschritt erhält jeder nicht automatisch in seiner Operationsrunde, sondern er muß sie sich in einem Bietmechanismus a la „Amon Re“ erst ersteigern.
Wie dann der Ausbau eines Netzes honoriert wird, wie gewünschte Konflikte erzeugt werden, ohne daß dabei die Balance aus der Kontrolle gerät, das erfordert noch viele Denk- und Tuningstunden. Selbst ob im fertigen Spiel überhaupt noch Eisenbahnen gebaut werden oder vielleicht ein Telefonnetz errichtet wird, ist noch offen. Die funktionierenden Mechanismen sind das Wichtigste, das Thema wird dann nachgereicht, davon reicht vorerst eine vage Vision.
Diese Vorgehensweise sollten eigentlich alle Spieleautoren beherzigen. Sollten. Leider!